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Deutscher Apothekertag 2008
Liberalisierung kann Probleme nicht lösen
Mit Ausgaben von 7000 Dollar pro Kopf und Jahr ist das amerikanische Gesundheitswesen das teuerste der Welt, 16% des gesamten Bruttoinlandsprodukts der USA fließen in das Gesundheitswesen. Das führt nach den Ausführungen von Prof. Stephen Schondelmeyer vom College of Pharmacy, Minnesota, dazu, dass diejenigen die es sich leisten können und entsprechend versichert sind, bestmöglich medizinisch versorgt werden. Für sie ist das amerikanische Gesundheitssystem das beste der Welt. Doch 15,8% der Amerikaner sind nicht versichert, denn es gibt keine Versicherungspflicht. Für diejenigen, die nicht in der Lage sind, notwendige medizinische Leistungen zu bezahlen und das sind nach Schondelmeyer 15,7% von den 15,8%, sei das amerikanische Gesundheitssystem das schlechteste der Welt.
USA: Wenig staatliche Regulierung
Das amerikanische Gesundheitssystem ist kein einheitliches System. Es ist ein Mischsystem, das in jedem Bundesstaat anders ausgestaltet ist. Eine Krankenversicherungspflicht gibt es nicht. Es besteht die Möglichkeit, sich privat abzusichern, oft übernehmen die Arbeitgeber diese Aufgabe. In HMOs (Health Maintenance Organisations) Versicherte zahlen einen festen Beitrag pro Kopf und Jahr und werden dafür bei Bedarf entsprechend medizinisch versorgt. In Minnesota dürfen HMOs keinen Gewinn machen, was nach den Ausführungen Schondelmeyers nicht zwangsläufig zu niedrigeren Kosten führt. Denn Gewinne würden anderweitig abgegriffen, beispielsweise dadurch, dass die HMOs Reserven bilden könnten. Der Staat greift in das Gesundheitssystem nur dann ein, wenn er selber zahlt. Das betrifft die staatliche Krankenversicherung im Rentenalter (Medicare) und die staatliche Versicherung der Sozialhilfeempfänger (Medicaid). Über diese staatlichen Organisationen sind fast 90 Millionen Amerikaner versichert (Medicare: 44 Millionen, Medicaid: 45 Millionen). Dagegen sind 158,5 Millionen Amerikaner über ihre Arbeitgeber versichert.
Werbung hat Verordnungszahlen steigen lassen
Die USA sieht sich einer zunehmenden Zahl von Arzneimittel-Verordnungen und steigender Arzneimittelpreise gegenüber. Während 1950 jeder Amerikaner im Schnitt pro Jahr nur 2,4 Verordnungen benötigt hat, rechnet man nach Schondelmeyer für das Jahr 2015 mit 17,3 Verschreibungen pro Kopf. Seit 1970 ist ein drastischer Anstieg der Verordnungen zu verzeichnen. Hierfür macht Schondelmeyer eine verstärkte Werbung gerade für verschreibungspflichtige Medikamente verantwortlich. Er plädierte daher für eine Einschränkung der Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Auch in der EU besteht die Gefahr, dass im Rahmen der Neuregelungen zur Patienteninformation den Pharmaherstellern erlaubt wird, für rezeptpflichtige Arzneimittel zu werben. Vor diesem Hintergrund hat der Deutsche Apothekertag eine Resolution zur unabhängigen Patienteninformation verabschiedet.
Freier Markt kann Preise nicht dämpfen
In den USA stehen zur Arzneimittelversorgung neben wenigen Inhaber-geführten kleinen Apotheken und großen Kettenapotheken vielfältige weitere Kanäle zur Verfügung, so beispielsweise Internetapotheken, Versandhandel, Drug stores in Supermärkten sowie Abgabestellen in HMOs und Altersheimen. Bis 1970 lag die Versorgung noch in der Hand von Apothekern, die nur eine Apotheke besaßen. Diese gründeten dann vor allem in den Jahren zwischen 1970 und 1987 zunächst kleinere und dann größere Ketten mit zehn bis 50 Apotheken. Heute beherrschen große Ketten mit vertikalen Strukturen das Bild. Insgesamt, so Schondelmeyer, habe sich die Gesamtzahl der Apotheken in der Zeit zwischen 1950 und 2008 allerdings kaum verändert.
In den USA gibt es einen freien Markt für Arzneimittel. Das hat jedoch, wie Schondelmeyer ausführte, keine positiven Auswirkungen auf den Preis. Denn die Niedrigpreise in den USA würden in der Regel über dem regulären Preis entsprechender deutscher Arzneimittel liegen. Ein großes Problem stellt nach den Ausführungen Schondelmeyers die Arzneimittelpreisentwicklung dar, die zurzeit die Inflationsrate der USA um das Zwei- bis Dreifache übertreffen würde. Das belastet nicht zuletzt die amerikanische Regierung, die schon jetzt 50 bis 60% der verschreibungspflichtigen Arzneimittel bezahlen und dafür 17,5% des gesamten amerikanischen Haushalts aufwenden würde. Der Bedarf und die Preise werden weiter steigen. Das stellt alle Akteure im Gesundheitswesen vor große Herausforderungen, die nach Ansicht Schondelmeyers nur mit einem besseren Therapiemanagement und mehr Transparenz auf allen Ebenen zu bewältigen sind.
Pharmaceutical Caresenkt Kosten
Pharmaceutical Care sei ein wichtiges Instrument, mit dem sich Gesundheitskosten senken lassen. Als Beispiel verwies er auf eine Studie mit Asthmatikern, in der die Gesamtgesundheitskosten durch Pharmaceutical Care um 30% gesenkt werden konnten. Jeder Dollar, der für die Durchführung dieses Therapiemanagements ausgegeben worden sei, so Schondelmeyer, habe zu Einsparungen von zwölf Dollar bei den Gesundheitskosten geführt.
Tsunami in Norwegen
Die Marktliberalisierung in Norwegen im Jahre 2001 sei wie ein Tsunami über die norwegische Apothekenlandschaft hinweggefegt, so die norwegische Apothekerin Anne Markestad. Anne Markestad ist Präsidentin der Norges Farmaceutiske Forening, die die angestellten Apothekerinnen und Apotheker Norwegens vertritt. Ziel der norwegischen Politik war es, mit der Deregulierung des Apothekenmarktes die Arzneimittelversorgung vor allem auf dem Land zu verbessern. Bis 2001 standen weniger als 400 unabhängige Apotheken zur Verfügung, die Versorgung in dünn besiedelten Gebieten war unbefriedigend. Oft bestand nach 17:00 Uhr keine Möglichkeit mehr, Arzneimittel zu besorgen. Heute gibt es in Norwegen über 600 Apotheken, von denen jedoch nur noch 22 unabhängig sind. Gut 500 Apotheken befinden sich in der Hand von drei vertikal integrierten Ketten, 63 Apotheken sind vertraglich an Ketten gebunden. Nach den Ausführungen von Markestad findet zwischen den Ketten kein Wettbewerb über den Preis statt. Niedrige Preise bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln seien lediglich die Folge staatlicher Regulierungen. Die in den Ketten angestellten Apotheker hätten keinen Einfluss auf das Arzneimittelangebot in den Apotheken.
Gewinnorientierungbestimmt Strategie
Marktdenken aus anderen Segmenten sei auf die Apotheken übertragen worden, wie beispielsweise Bonuszahlungen für einen gesteigerten Umsatz, Budgetdruck oder Vorschriften für Zusatzverkäufe bei Rezeptvorlage. Im Vordergrund stehen nicht berufliche Standards, sondern die Gewinne. Wie eine Apotheke sich profiliert, wird von der Kette vorgegeben. Sie bestimme auch, welche Kleidung zu tragen sei. So mussten Angestellte einer Kette in der Vorweihnachtszeit T-Shirts mit der Aufschrift: "Fragen Sie mich nach Ihrem Weihnachtsgeschenk!" tragen. Die in der Norges Farmaceutiske Forening zusammengeschlossenen Apotheker hätten lieber ein T-Shirt getragen mit der Aufschrift: "Fragen Sie mich nach Ihren Medikamenten!" Die Ketten würden sich in ihrer Profilierung vor allem auf Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren konzentrieren, da diese am meisten Geld für Arzneimittel ausgeben würden. Das könne dazu führen, dass den Frauen beim Einlösen eines Rezepts gleich noch die Antifaltencreme empfohlen würde. Auf der Strecke blieben, so Markestad, kranke Patienten, die pharmazeutische Beratung dringend notwendig hätten. Als warnendes Beispiel nannte sie eine Häufung von Fällen, in denen Patienten nach Substitution ihres Antihypertensivums sowohl das alte als auch das neue Medikament genommen hatten und zum Teil auf der Intensivstation gelandet seien.
Aspirin an der Tankstelle
Im Zuge der Liberalisierung wurden viele OTC-Arzneimittel aus der Apothekenpflicht entlassen, so dass auch an Tankstellen und in Lebensmittelgeschäften Schmerzmittel oder Nasentropfen ohne fachkundige Beratung zu kaufen sind. Die norwegische Regierung plant nach Markestad, die Produktpalette zu erweitern und auch Protonenpumpenblocker, Antiallergika und Verhütungsmittel wie die "Pille danach" freizugeben.
Evolution statt Revolution
In der anschließenden Diskussion, geleitet von Anouschka Horn, Moderatorin des Bayerischen Rundfunks, war man sich einig, dass weder das norwegische Gesundheitssystem noch die verschiedenen Spielarten des amerikanischen Gesundheitswesens geeignet sind, Probleme in Deutschland zu lösen. Karin Graf, Mitglied des geschäftsführenden ABDA-Vorstandes und Vizepräsidentin der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, brachte es auf den Punkt: "Wenn wir die inhabergeführte Apotheke in Deutschland nicht hätten, müssten wir sie spätestens jetzt einführen." Norwegen habe durch Mehrbesitz und OTC-Freigabe einen hohen Preis für einen besseren Zugang zu den Arzneimitteln gezahlt. Sie warnte davor, einzelne Elemente aus anderen Systemen in das deutsche zu integrieren. Stattdessen sollte der Gestaltungsspielraum genutzt werden, den das deutsche System bietet. Mit dem Hausapothekenkonzept sieht sie die Apotheker auf dem richtigen Weg. Sie führte als Beleg die EDGAr- und die Vita-Studie an, die eindrucksvoll gezeigt haben, wie durch sachkundige pharmazeutische Beratung Fehlerquoten gesenkt werden können. Das sei gelebte Arzneimittelsicherheit und gelebter Verbraucherschutz. Bislang freiwillige pharmazeutische Dienstleistungen wie Blutzuckermessen müssten verpflichtend und dann auch honoriert werden. Die Hamburger Apothekerin Dr. Ulrike Hahn, die für keine Interessenvertretung auf der Bühne saß, schilderte aus ihrer Sicht die Notwendigkeit, die inhabergeführte Apotheke vor Ort zu stärken und mahnte an, sich auf die Werte zu besinnen, von denen der Patient profitiert: Kundennähe, individuelle und persönliche von Vertrauen geprägte Beratung, kurze Entfernungen, Erreichbarkeit auch nach Ladenschluss und das ganz persönliche Engagement des Apothekers für seinen Patienten. Schondelmeyer ließ es sich nicht nehmen, in der Diskussion die Etablierung der pharmazeutischen Betreuung in Deutschland zu loben: "Wir haben Pharmaceutical Care zwar erfunden, die deutschen Apotheker haben das Konzept dagegen weiterentwickelt und besser verfügbar gemacht." Die Arzneimittelversorgung in Deutschland bewertete er mit der Note 1-. Regierungsdirektor Gert Bernscher, Leiter des Referates Pharmazie des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz, lobte ebenfalls die Arzneimittelversorgung in Deutschland. Es sei ein über Jahre gewachsenes bewährtes System und ein hervorragendes Modell. Die bayerische Staatsregierung sehe keinen Anlass für Experimente. Probleme müssten innerhalb des bestehenden Systems gelöst werden. Und man brauche unabhängige Apotheker und keine Konzerne, die das Sagen haben.
du
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