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Arzneimittel und Therapie
Nelarabin zur Behandlung seltener Leukämieformen
Die akute lymphatische oder lymphoblastische Leukämie geht von bösartig entarteten Vorläuferzellen der Lymphozyten aus. Je nach den betroffenen Lymphozyten kommt es zu einer B- oder T-Linien-ALL. Diese genetischen Veränderungen werden nicht vererbt, sondern im Laufe des Lebens erworben. Als Risikofaktoren gelten unter anderem radioaktive Strahlung und chemische Gifte. Durch die Mutation vermehren sich die maligne transformierten Zelle unkontrolliert, und diese Zellklone verdrängen und stören die normale Blutbildung im Knochenmark. Außerdem sammeln sie sich in lymphatischen Organen wie Lymphknoten, Milz und Thymus, aber auch im zentralen Nervensystem. Durch die Blutarmut (Anämie) und fehlende Thrombozyten kommt es zu Infektionen und Blutungen. Unbehandelt verläuft die akute lymphoblastische Leukämie innerhalb von wenigen Wochen tödlich. Während die Patienten noch vor 30 Jahren meistens an einer akuten lymphoblastischen Leukämie starben, kann die Erkrankung heute mit einer intensiven Chemotherapie bei 40 bis 50% der Erwachsenen und bei etwa 80% aller Kinder geheilt werden.
Die ALL ist selten, in Deutschland kommt es zu 1,5 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner im Jahr, das sind jeweils rund 500 Neuerkrankungen bei Kindern und Erwachsenen. In der Schweiz und Österreich erkranken jährlich etwa 40 bis 50 Menschen neu. Männliche Erkrankte sind um den Faktor 1,4 in der Überzahl, und Kinder unter vier Jahren sind mit 6,5/100.000 etwas häufiger betroffen.
Etwa 75% der akuten lymphoblastischen Leukämien im Erwachsenenalter lassen sich der B-lymphozytären Reihe zuordnen und etwa 25% der T-lymphozytären Reihe. Bei einer ALL im Kindes- und Jugendalter beträgt das Verhältnis etwa 85:15. Von der rezidivierten akuten lymphoblastischen T-Zell-Leukämie, die also nach einer Behandlung erneut aufgetreten ist und eine besonders schlechte Prognose hat, sind in Europa pro Jahr einige hundert Patienten betroffen.
Das lymphoblastische Lymphom
Das lymphoblastische Lymphom (LBL) ist eine Form des Non-Hodgkin-Lymphoms, einer Krebserkrankung des lymphatischen Systems. Auch hier kommt es zu einer ungehemmten Teilung von Lymphozyten bei gleichzeitigem Ausbleiben der Apoptose, des programmierten Zelltods. Als Folge nehmen Masse und Zahl der entsprechenden Lymphozyten immer mehr zu und verdrängen andere Zellen. Bei der Untergruppe der lymphoblastischen T-Zell-Lymphome (T-LBL) geht die Erkrankung von den T-Zellen aus. Das T-LBL ist eine seltene, sehr aggressive Form, die häufiger bei Kindern als bei Erwachsenen auftritt.
Einstufung als "Orphan drug"
Sowohl die T-ALL als auch das T-LBL treten vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen auf. In der Europäischen Union dürften jährlich kaum mehr als 200 Patienten für eine Behandlung mit Nelarabin in Frage kommen, weshalb die EU-Kommission dem Wirkstoff den Orphan-drug-Status verliehen hat, der einen Wirkstoff zur Behandlung seltener Erkrankungen kennzeichnet.
Weil die klinische Erfahrung noch nicht ausreicht, hat die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) Nelarabin unter ,,außergewöhnlichen Umständen‘‘ zugelassen. Das bedeutet, dass weitere Informationen nach der Zulassung nachgereicht werden müssen.
Zytotoxischer Antimetabolit
Das Purinanalogon Nelarabin ist eine ausreichend wasserlösliche Vorstufe des Desoxyguanosinanalogons ara-G. In vivo wird es rasch durch die Adenosindeaminase zu ara-G demethyliert und danach intrazellulär durch die Desoxyguanosinkinase und Desoxycytidinkinase phosphoryliert. Der Monophosphat-Metabolit wird anschließend zum aktiven 5-Triphosphat Arabinosid-GTP umgewandelt, das in leukämischen Blasten akkumuliert und dort bevorzugt in die DNA eingebaut wird. Als Folge wird die DNA-Synthese gehemmt, die Zelle stirbt. Wahrscheinlich tragen auch weitere Mechanismen zur zytotoxischen Wirkung von Nelarabin bei.
Nelarabin reichert sich vor allem in T-Lymphoblasten an, hemmt dort über seine aktive Form Arabinosid-GTP als Antimetabolit die DNA-Synthese und führt damit zum Absterben der Zellen.
Dosierung
Die empfohlene Dosis von Nelarabin für Erwachsene beträgt 1500 mg/m2 Körperoberfläche, intravenös gegeben über zwei Stunden an den Tagen 1, 3 und 5 alle 21 Tage. Für Kinder und Jugendliche unter 21 Jahren werden 650 mg/m2 an fünf Folgetagen alle 21 Tage empfohlen. Das Blutbild muss regelmäßig kontrolliert werden.
Das Überleben verlängern
Auch wenn bisher alle gängigen Therapien versagt haben, kann Nelarabin die abnormen T-Lymphozyten vollständig zerstören und so die Voraussetzung für eine nachfolgende Knochenmark- oder Stammzelltransplantation schaffen.
In einer offenen Studie wurde die Sicherheit und Wirksamkeit von Nelarabin bei 39 Erwachsenen mit akuter lymphoblastischer T-Zell-Leukämie (T-ALL) oder lymphoblastischem T-Zell-Lymphom (T-LBL) untersucht. Bei sechs Patienten (21%) wurde eine komplette Remission mit oder ohne hämatologische Wiederherstellung erzielt, die Gesamtüberlebenszeit betrug 20,6 Wochen, nach einem Jahr lebten noch 29% der Patienten. In einer weiteren Studie erhielten 151 Kinder und Jugendliche (< 21 Jahre) Nelarabin intravenös über eine Stunde an fünf aufeinander folgenden Tagen. Neun Patienten (23%) hatten eine komplette Remission mit oder ohne vollständige hämatologische Wiederherstellung. Die Dauer der Remission lag zwischen 4,7 und 36,4 Wochen, das Gesamtüberleben betrug 13,1 Wochen, die Überlebensrate nach einem Jahr 14%.
Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Müdigkeit, Magen-Darm-Störungen, hämatologische Störungen, Atemwegserkrankungen, zentralnervöse Störungen und Fieber. Die dosislimitierende Toxizität einer Therapie mit Nelarabin ist die Neurotoxizität.
Der Hauptweg der Metabolisierung von Nelarabin verläuft über die O-Demethylierung durch die Adenosindeaminase zum ara-G, aus dem durch Hydrolyse Guanin entsteht. Darüber hinaus wird ein Teil des Nelarabins zum Methylguanin hydrolisiert, aus dem durch O-Demethylierung Guanin entsteht. Aus Guanin wird durch N-Desaminierung Xanthin gebildet, das weiter zur Harnsäure oxidiert wird.
Nelarabin und ara-G werden rasch aus dem Plasma mit einer Halbwertszeit von ungefähr 30 Minuten und drei Stunden eliminiert. Sie werden teilweise über die Nieren ausgeschieden. Eine Reduktion der Nierenfunktion, wie sie häufig bei Älteren vorkommt, kann die Clearance von ara-G verringern. Patienten mit Nierenfunktionsstörungen müssen während der Behandlung mit Nelarabin sorgfältig auf Anzeichen einer Toxizität hin überwacht werden.
Nelarabin und ara-G hemmten in vitro nicht die Aktivität der wichtigsten hepatischen Cytochrom P450 (CYP)-Isoenzyme CYP1A2, CYP2A6, CYP2B6, CYP2C8, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6 oder CYP3A4.
Die gleichzeitige Anwendung von Nelarabin mit Adenosindeaminase-Inhibitoren wie Pentostatin wird nicht empfohlen. Die gleichzeitige Anwendung kann die Wirksamkeit von Nelarabin verringern und/oder das Profil der unerwünschten Ereignisse jedes Wirkstoffs verändern.
Die Behandlung mit Nelarabin ging mit Leukopenie, Thrombozytopenie, Anämie und Neutropenie (einschließlich febriler Neutropenie) einher. Das gesamte Blutbild (einschließlich Thrombozytenzahl) muss regelmäßig überwacht werden.
Limitierende Neurotoxizität
Die dosislimitierende Toxizität einer Therapie mit Nelarabin ist die Neurotoxizität. So liegen Berichte über mit Demyelinisierung verbundene Nebenwirkungen und aufsteigende periphere Neuropathien ähnlich einem Guillain-Barré-Syndrom vor. Ein Patient in der pädiatrischen Gruppe erlitt ein tödlich verlaufendes neurologisches Ereignis in Form eines Status epilepticus. Unter der Behandlung mit Nelarabin kam es zu schweren neurologischen Ereignissen, unter anderem veränderte psychische Zustände, darunter ausgeprägte Somnolenz, Störungen des zentralen Nervensystems einschließlich Konvulsionen, und periphere Neuropathien. Ferner liegen Berichte über mit Demyelinisierung verbundene Ereignisse und aufsteigende periphere Neuropathien ähnlich einem Guillain-Barré-Syndrom vor. Nicht immer führte das Absetzen von Nelarabin zu einer vollständigen Rückbildung dieser Ereignisse. Daher wird eine engmaschige Überwachung auf neurologische Ereignisse dringend empfohlen.
Nebenwirkungen
Das Sicherheitsprofil aus den klinischen Zulassungsstudien bei den empfohlenen Dosierungen von Nelarabin für Erwachsene (1500 mg/m2) und Kinder (650 mg/m2) basiert auf den Daten von 103 Erwachsenen sowie 84 pädiatrischen Patienten. Die am häufigsten auftretenden unerwünschten Ereignisse waren Müdigkeit, Magen-Darm-Störungen, hämatologische Störungen, Atemwegserkrankungen, zentralnervöse Störungen und Fieber.
Patienten haben unter der Behandlung mit Nelarabin ein potenzielles Risiko, während der Behandlung und einige Tage danach an Somnolenz zu leiden. Die Patienten müssen gewarnt werden, dass Somnolenz die Durchführung anspruchsvoller Tätigkeiten wie Autofahren beeinflussen kann.
Tierexperimentelle Studien haben eine Reproduktionstoxizität einschließlich Missbildungen gezeigt. Eine Exposition in der Schwangerschaft kann wahrscheinlich zu Anomalien und Missbildungen des Fötus führen. Deshalb darf Nelarabin nicht während der Schwangerschaft verwendet werden, es sei denn, dies ist zwingend erforderlich. Sollte eine Patientin unter der Behandlung mit Nelarabin schwanger werden, muss sie über mögliche Gefahren für ihr ungeborenes Kind aufgeklärt werden.
Die Exkretion von Nelarabin in die Muttermilch wurde am Tier nicht untersucht. Wegen der Möglichkeit schwerer Nebenwirkungen bei Säuglingen sollte jedoch abgestillt werden.
Steckbrief: NelarabinHandelsname: Atriance Hersteller: GlaxoSmithKline, Bad Oldesloe Einführungsdatum: 1. November 2007 Zusammensetzung: Jeder ml enthält 5 mg Nelarabin. 1 Durchstechflasche enthält 250 mg Nelarabin. Sonstige Bestandteile: Natriumchlorid, Wasser für Injektionszwecke, Salzsäure (zur pH-Einstellung), Natriumhydroxid (zur pH-Einstellung). Packungsgrößen, Preise und PZN: 6 x 50 ml, 2532,13 Euro, PZN 5556392. Stoffklasse: Antineoplastische Mittel, Antimetabolite, Purin-Analoga, ATC-Code: L01B B 07. Indikation: Zur Behandlung von Patienten mit akuter lymphoblastischer T-Zell-Leukämie und lymphoblastischem T-Zell-Lymphom, deren Erkrankung nicht auf vorangegangene Behandlungen mit mindestens zwei Chemotherapieschemata angesprochen hat oder rezidiviert ist. Dosierung: Erwachsene und Jugendliche (ab 16 Jahre): 1500 mg/m2 intravenös über zwei Stunden an den Tagen 1, 3 und 5 alle 21 Tage. Kinder und Jugendliche (21 Jahre und jünger): 650 mg/m2, intravenös über eine Stunde an fünf aufeinander folgenden Tagen alle 21 Tage. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile. Nebenwirkungen: Müdigkeit, Magen-Darm-Störungen, hämatologische Störungen, Atemwegserkrankungen, zentralnervöse Störungen und Fieber. Wechselwirkungen: Pharmakokinetische Interaktionen mit CYP2D6 sind praktisch nicht zu erwarten, da nur ein geringer Anteil über CYP2D6 metabolisiert wird. Die gleichzeitige Anwendung von Nelarabin mit Adenosindeaminase-Inhibitoren wie Pentostatin wird nicht empfohlen. Die gleichzeitige Anwendung kann die Wirksamkeit von Nelarabin verringern und/oder das Profil der unerwünschten Ereignisse jedes Wirkstoffs verändern. Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Die Neurotoxizität ist die dosislimitierende Toxizität von Nelarabin, Patienten sollten während der Behandlung engmaschig darauf hin überwacht werden. Da eine Immunisierung mit Lebendimpfstoffen potenziell Infektionen bei immunsupprimierten Patienten hervorrufen kann, werden Impfungen mit Lebendimpfstoffen nicht empfohlen. Die Behandlung mit Nelarabin ging mit Leukopenie, Thrombozytopenie, Anämie und Neutropenie (einschließlich febriler Neutropenie) einher, deshalb muss das gesamte Blutbild (einschließlich Thrombozytenzahl) überwacht werden. Patienten können unter der Behandlung mit Nelarabin an Somnolenz leiden. |
Quelle
Fachinformation zu Nelarabin, Stand August 2007.
hel
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