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- DAZ 3/2008
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Magen-Darm-Erkrankungen
Invasion der Noroviren
"Bereits 17.000 Erkrankte in Bayern; mehr als 40-mal mehr Menschen infiziert als im vergangenen Winter", "Rekordwinter der Magen-Darm-Grippe – mehr als 100 Krankenstationen in England geschlossen", "Krankenhaus Köthen für Besucher wegen Noroviren-Ausbruch gesperrt". Das sind Beispiele für Schlagzeilen der vergangenen Woche. Die Zahl der gemeldeten Infektionen war zwar Ende Dezember örtlich wieder etwas rückläufig; das Robert Koch-Institut gibt jedoch keine Entwarnung; die Infektionszahlen erreichen ihr Maximum zumeist erst nach dem Jahreswechsel.
Was sind Noroviren?
Noroviren sind RNA-Viren, deren Nukleinsäure von einem zwanzigflächigen Kapsid (Ikosaeder) eingekapselt ist. Sie wurden vor etwa 35 Jahren nach einem Gastroenteritis-Ausbruch in Norwalk im US-Bundesstaat Ohio von Albert Kapikian durch Immunelektronenmikroskopie nachgewiesen. Entsprechend wurden die Viren dann etwa 30 Jahre lang als "Norwalk-ähnliche" oder "Norwalk-like" Viren bezeichnet. Seit 2002 werden sie Noroviren genannt. Mit den ebenfalls humanpathogenen Sapoviren gehören sie zur Familie der Caliciviridae. Die Virengröße beträgt etwa 30 bis 40 nm; das virale Genom, ein einzelsträngiges RNA-Molekül, hat eine Größe von 7300 bis 8300 Nukleotiden [1, 2].
Die Vermehrung des viralen Genoms in der infizierten Zelle erfolgt durch ein spezifisches Enzym, die RNA-Polymerase. Eine hohe Mutationsrate führt zu einer hohen genetischen Variabilität der Noroviren ("antigenic drift"); zwischen verschiedenen Stämmen kann es darüber hinaus zu Rekombinationen kommen ("antigenic shift"): So lassen sich heute fünf Genogruppen mit mehr als 20 Genotypen unterscheiden.
Noroviren besitzen – im Gegensatz zu anderen Viren, wie etwa den Influenzaviren – keine Hüllmembran. Dies bedingt ihre Umweltresistenz, z. B. gegen unzureichende Desinfektionsmaßnahmen.
Nachweis mit RT-PCR und ELISA
Der Nachweis der Viren erfolgt aus Stuhlproben, üblicherweise durch molekularbiologische Techniken. Zunächst wurden Noroviren aufgrund ihrer charakteristischen Morphologie elektronenmikroskopisch nachgewiesen. Diese Methode hat zwar den Vorteil, dass mit ihr auch multiple Infektionen nachgewiesen werden können. Sie ist jedoch für den Routinegebrauch nicht geeignet, da sie sich nicht für große Probenzahlen eignet und auch die Sensitivität nicht ausreichend gesichert ist. Der gebräuchlichste, allerdings etwas aufwändige Nachweis ist die Nukleinsäureamplifikation durch RT-PCR (Reverse-Transkriptase-Polymerasekettenreaktion), der eine hohe Sensitivität und Spezifität besitzt. Mit diesem Test können auch Genotypen differenziert nachgewiesen werden. Eine einfachere Methode, der Antigen-ELISA-Test, erreicht etwa 75 % der Sensitivität und 100 % der Spezifität des RT-PCR-Nachweises [3].
Infektion und Epidemiologie
Es kann davon ausgegangen werden, dass bislang der Mensch das einzige bekannte Reservoir für den Erreger darstellt. Der Schutz einiger Personen vor der Erkrankung wird mit dem Fehlen eines spezifischen Rezeptors für Noroviren in Verbindung gebracht. Die hohe Infektiösität ist vor allem dadurch bedingt, dass die minimale Infektionsdosis nur etwa 10 bis 100 Viruspartikel beträgt. Eine Übertragung der Viren ist somit bereits durch Hand-zu-Hand-Kontakt möglich. Hauptsächlich erfolgt die Übertragung im häuslichen Umfeld jedoch fäkal-oral. Dies kann etwa durch kontaminierte Speisen oder Getränke wie verunreinigtes Wasser geschehen. Von besonderer Bedeutung für präventive hygienische Maßnahmen ist aber auch die Infektionsmöglichkeit durch Kontakt der Hände mit kontaminierten Gegenständen oder Flächen. Weiterhin kann auch eine aerogene Übertragung von Viruspartikeln durch Aerosolbildung während des Erbrechens erfolgen. Zur Inkubationszeit gibt es unterschiedliche Angaben: In manchen Berichten werden 10 bis 50 Stunden angegeben, andere Autoren nennen zwei bis vier Tage.
Typisch:Schwallartiges Erbrechen
Das Krankheitsbild ist zumeist charakteristisch: Die akute Gastroenteritis äußert sich in Übelkeit, plötzlich eintretendem, schwallartigem Erbrechen, heftigen und wässrigen Diarrhöen verbunden mit Abdominalbeschwerden. Die Körpertemperatur ist dabei meist nur gering erhöht. Daneben treten Allgemeinsymptome wie Kopf- und Muskelschmerzen oder Schüttelfrost auf. Es gibt allerdings auch Fälle mit asymptomatischem Verlauf. Diese klinische Phase dauert meist nur 12 bis 70 Stunden, danach verschwinden die Symptome. Die Infektiosität kann jedoch bis zu zwei Wochen nach der Beschwerdefreiheit anhalten und sie kann auch bereits vor dem Auftreten von Symptomen bestehen. Die Therapie erfolgt ausschließlich symptomatisch und durch Ausgleich des z. T. erheblichen Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes.
Noroviren sind weltweit verbreitet, die Ausbrüche zeigen eine saisonale Häufung in den Wintermonaten ("winter vomiting disease"). Besonders betroffen sind Gemeinschaftseinrichtungen wie Altenheime, Kinderheime, Pflegeheime, Schulen und Krankenhäuser. Spektakulär waren in der letzten Zeit Berichte von Ausbrüchen auf Kreuzfahrtschiffen. In den USA sollen jährlich etwa 23 Millionen und in Großbritannien 1 Million Fälle der Magen-Darm-Erkrankungen auf Noroviren zurückzuführen sein. Eine englische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die jährlichen Kosten, die durch Norovirus-Ausbrüche entstehen, allein im Krankenhaus-Bereich auf 115 Millionen £ belaufen.
Meldepflichtig nachInfektionsschutzgesetz
Eine Meldepflicht besteht nach § 7 Infektionsschutzgesetz (IfSG) für den direkten Nachweis von Noroviren im Stuhl. Nach § 6 ist der Arzt bei Verdacht und Erkrankung an einer mikrobiellen Gastroenteritis zur Meldung verpflichtet. Schließlich ist nach § 42 Abs. 1 IfSG meldepflichtig, wenn eine Person betroffen ist, die im Lebensmittelverkehr bzw. in Küchen für Gemeinschaftseinrichtungen tätig ist.
Präventiv- und Bekämpfungsmaßnahmen
Grundsätzlich gilt: Händeschütteln vermeiden, nach dem Toilettengang, nach Bus- und Bahnfahrten, vor jedem Essen Hände waschen und gegebenenfalls desinfizieren. Im "Epidemiologischen Bulletin" gibt das Robert Koch-Institut für Privathaushalte verschiedene Empfehlungen zum Schutz gegen Norovirus-Infektionen. Dazu gehört, den Kontakt zu Erkrankten zu vermeiden, v. a. aber eine konsequente Hände- und Toilettenhygiene.
Zur Eindämmung von Norovirus-Ausbrüchen in medizinischen und Pflege-Einrichtungen empfiehlt das RKI als wichtige Maßnahmen:
Isolierung betroffener Patienten,
Unterweisung der Patienten hinsichtlich korrekter Händehygiene,
sorgfältige Händehygiene, d. h. Händedesinfektion mit einem viruzid wirksamen Händedesinfektionsmittel, vor Verlassen des Isolationszimmers,
tägliche, ggf. häufigere Wischdesinfektion aller patientennahen Kontaktflächen,
Desinfektionsreinigung kontaminierter Flächen,
Aufklärung von Kontaktpersonen hinsichtlich der Übertragungswege von Noroviren und Unterweisung in der korrekten Händedesinfektion,
Minimieren der Bewegung von Patienten, Bewohnern und Personal zwischen den Bereichen/Stationen,
Wiedereröffnung für Neuaufnahmen frühestens 72 Stunden nach Auftreten des letzten Krankheitsfalles und erfolgter Schlussdesinfektion.
Es könnte überdacht werden, ob die Empfehlung des RKI, dass Händewaschen im Privatbereich ausreichend ist, nicht künftig besonders mit Blick auf die Alten- und Krankenpflege etwas differenzierter betrachtet werden sollte: Da die Bedeutung der Hände als Übertragungsweg für die Infektion zunehmend erkannt wird, könnte der viruziden Händedesinfektion gegenüber dem Händewaschen eine größere Rolle zukommen. Die Vorteile "liegen auf der Hand": bessere Wirksamkeit, bessere Hautverträglichkeit, jederzeit durchführbar unabhängig vom verfügbaren Waschbecken.
In seiner Liste von geprüften und anerkannten Desinfektionsmitteln und -verfahren (Stand 31.5.2007; 15. Ausgabe) unterscheidet das RKI zwischen der Wirksamkeit gegenüber behüllten Viren ("begrenzt viruzid") und der Wirksamkeit gegenüber behüllten und unbehüllten Viren ("viruzid"). Eine wirksame Händedesinfektion ist nach dieser Liste einzig mit dem alkoholischen Präparat Sterillium® Virugard und halogenhaltigen Präparaten (Chloramin T (DAB 9), Trichlorol®) möglich. Dabei ist eine zweiminütige Einwirkzeit anstelle der sonst üblichen 30-Sekunden (bei halogenhaltigen Präparaten abhängig von der Konzentration) notwendig, um die Noroviren sicher abzutöten.
Dem Apotheker kann beim Auftreten solcher schweren Brechdurchfall-Erkrankungen eine wichtige Funktion zukommen: Zum einen besitzt er eine qualifizierte Ausbildung unter anderem in Hygiene und Mikrobiologie und andererseits ist er direkter Ansprechpartner der Betroffenen. Er kann somit eine kompetente Beratungsfunktion übernehmen, damit die Ausbreitung der Viren rechtzeitig gestoppt werden kann. Möglicherweise macht es dann sogar Sinn, mit einer kleinen Bevorratung die als wirksam empfohlenen Desinfektionsmittel sofort und spontan anbieten zu können.
Weiterführende Literatur und Links
[1] Kayser FH, Böttger EC, Zinkernagel RM: Medizinische Mikrobiologie. Thieme, Stuttgart 2005..
[2] Mims CA, Dockrell HM, Goering RV: Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie. Mit Virologie, Immunologie. Urban & Fischer bei Elsevier 2006.
[4] Fallowfield B: Reducing the impact of norovirus outbreaks. Clin. Lab. 2007; 6, 25 – 27.
[5] www.rki.de: Seite des Robert-Koch-Instituts; hier erscheint wöchentlich das aktuelle "Epidemiologische Bulletin" sowie weitere Informationen zu allen Infektionskrankheiten; die Auflistung geprüfter und anerkannter Desinfektionsmittel und -verfahren über: Infektionsschutz – Krankenhaushygiene – Desinfektion.
[6] www.sozialministerium.hessen.de: Noroviren: Maßnahmen zu Ausbrüchen in Krankenhäusern und Einrichtungen der stationären Pflege
Anschrift des Verfassers
Dr. Hans-Peter Hanssen,
Universität Hamburg,
Institut für Pharm. Biologie und Mikrobiologie,
Bundesstr. 45,
20146 Hamburg,
E-Mail: hans-peter.hanssen@hamburg.de
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