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DAZ aktuell
Stellungnahme zur geplanten Health-Claims-Verordnung
Die Verordnung EG Nr. 1924/ 2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel ist am 18. Januar 2007 in Kraft getreten und findet seit dem 1. Juli 2007 grundsätzlich Anwendung. Die so genannte Health-Claims-Verordnung regelt u. a. die Verwendung von gesundheitsbezogenen Angaben wie z. B. "Wichtig für die Sehkraft" oder "Calcium ist gut für die Knochen". Diese gesundheitsbezogenen Angaben in der Werbung und Kennzeichnung von Lebensmitteln, einschließlich Nahrungsergänzungsmittel, sind zukünftig nur noch zulässig, wenn sie als "Claim" in einer final noch zu erstellenden Liste (Gemeinschaftsregister) aufgeführt und damit für ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat zugelassen sind. Diese Liste soll spätestens am 31. Januar 2010 von der Europäischen Kommission verabschiedet werden.
Aktuelle Situation
Der jüngst veröffentliche Entwurf "Draft EU consolidated List of Health claims on Botanicals", in dem die vorgesehenen Gesundheitsansprüche ("Health Claims") für pflanzliche Lebensmittel/Nahrungsergänzmittel zur Diskussion gestellt werden, wird von der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) in vollem Umfang abgelehnt, da bei einer verbindlichen Umsetzung des Entwurfs in Deutschland für Phytopharmaka geltende Qualitäts- und Sicherheitsaspekte über die "Hintertür" der Europäischen Union ausgehebelt werden.
Die jetzt vorgelegte Liste liest sich wie ein Auszug aus einem alten Kräuterbuch und lässt die "Indikationslyrik" vergangener Zeiten wieder aufleben. Ausgewählte Beispiele demonstrieren, welche "Wirkungen" künftig ohne Beleg durch klinische Studien in Anspruch genommen werden können, zugleich machen sie deutlich, wie zukünftig Lebensmittel/Nahrungsergänzungsmittel zu umfassenden "Wundermitteln" avancieren werden:
Boswellia serrata-Harz: "Helps keep joints cool and comfortable, refine mental function, keep blood cholesterol at healthy levels; supports joint flexibility, mental function, heart function, the health of the gastrointestinal tract, the health of the lungs, menstrual health, male sexual health.”
Cinnamomum cassia, zeylanicum: "Helps to maintenance of a healthy blood sugar level; contributes to the natural defences of the body, supports the immune system; enlivens the appetite and digestion, helps maintain normal stomach gas and stomach comfort; helps maintain comfort in the body, head and teeth; supports the health of the upper respiratory tract; supports the heart and circulation; helps to purify the blood; helps to maintain normal blood lipid levels, supports the production of HDL (good) cholesterol; supports the reproductive and urinary systems; supports the health of the skin and mouth; has antioxidant significant activity.”
Curcuma longa: "Helps to support the digestion, contributes to the normal function of intestinal tract and normal choleresis; contains antioxidant/s and help protect your cells and tissues from oxidation; contributes to the natural defences of the body, supports the immune system; helps to maintain resistance to allergies; helps to keep the skin healthy; supports production and quality of blood, heart function, and blood circulation; helps maintain the health of the lungs and upper respiratory tract; helps maintain the health of joints and bones; helps maintain the health of the liver; supports the function of the nervous system.”
Das Ergebnis dieser Wirkversprechen für Lebensmittel/Nahrungsergänzungsmittel wird eine systematische Irreführung der Verbraucher sein. Verbraucher werden angesichts derart offiziell sanktionierter Ansprüche zu Recht therapeutische Effekte erwarten, die nach dem Stand seriöser Wissenschaft in den meisten Fällen allerdings kaum eintreten können. Mehr noch, viele Verbraucher/Patienten werden diesen mit solch verheißungsvollen, ausschließlich positiven Attributen versehenen Produkten bedenkenlos den Vorzug gegenüber Arzneimitteln geben, deren auf Fakten basierende Gebrauchsinformationen vom Grundsatz geleitet sind, jegliche Gefährdung des Patienten auszuschließen bzw. zu minimieren.
Aus diesem Vorgehen kann das Risiko einer unterlassenen oder falschen Behandlung von Beschwerden bzw. Erkrankungen mit den entsprechenden Konsequenzen resultieren. Gegen eine solche Untergrabung des heutigen Standards eines verantwortungsvollen Einsatzes von pflanzlichen Arzneimitteln muss aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch im Sinne eines effektiven Verbraucherschutzes auf das Schärfste protestiert werden.
Deutschland hat seit Einführung des neuen Arzneimittelgesetzes 1976 im Bereich pflanzlicher Arzneimittel einen Konsolidierungsprozess vollzogen, der komplex und für viele Anbieter durchaus schmerzlich war, der sich aber unbeirrt hat leiten lassen von Qualität und wissenschaftlicher Evidenz, abgesichert durch einen strikten regulatorischen Prozess im Sinne des Schutzes der Interessen der Verbraucher und Patienten. Eine Umsetzung des zur Diskussion gestellten Entwurfes wäre deshalb kontraproduktiv und ein eindeutiger Rückschritt im Bereich Therapiesicherheit und Verbraucherschutz. Beispielsweise unterliegen die so genannten "traditionell zugelassenen" Arzneimittel, deren therapeutische Wirksamkeit – wie die der Lebensmittel/Nahrungsergänzungsmittel – nicht durch klinische Studien belegt ist, besonders hohen Anforderungen an ihre Unbedenklichkeit, um ein adäquates Nutzen-Risiko-Verhältnis zu gewährleisten. Ferner können auch pflanzliche Arzneimittel neueren Erkenntnissen zufolge durchaus unerwünschte Wirkungen entfalten, beispielsweise wenn sie in Kombination mit anderen Wirkstoffen eingesetzt werden. Zusätzlich zu den per se bereits haltlosen Wirkversprechen bleibt bei den Nahrungsergänzungsmitteln gerade auch dieser für die Kunden-/Patientensicherheit entscheidende Aspekt völlig unberücksichtigt.
Aus pharmazeutisch-wissenschaftlicher Sicht sollten alle Produkte, die eingesetzt werden, um das hohe und sensible Gut der Gesundheit zu beeinflussen, mit der gleichen Vorsicht und Seriosität behandelt werden. Insbesondere wenn Produkte eigenmächtig und ohne medizinischen bzw. pharmazeutischen Sachverstand eingesetzt werden, ist eine in allen Punkten korrekte Information erforderlich. Die EU-Liste mit Gesundheitsansprüchen für pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel unterläuft diese Forderung in kaum vorstellbarer und unter keinen Umständen akzeptabler Weise, weshalb sie in der vorliegenden Form umfassend abgelehnt wird.
Prof. Dr. Susanne Alban (DPhG-Vizepräsidentin), Prof. Dr. Theo Dingermann, Prof. Dr. Henning Blume, Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz (DPhG-Präsident)
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