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"Für die Patienten wird es ein böses Erwachen geben"

BERLIN (ks). Seit einem Jahr können Krankenkassen und Arzneimittelhersteller Rabattverträge schließen, die von den Apotheken umgesetzt werden müssen. Wir fragten Pro Generika-Geschäftsführer Peter Schmidt, ob sich die Generika-Branche mit dem neuen Sparinstrument der Kassen arrangiert hat und wie sie in die Zukunft blickt.
Peter Schmidt (61) studierte Rechtswissenschaften in Berlin. 1974 trat er in das Bundesversicherungsamt ein, dem er bis August 1999 angehörte. Vom September 1999 bis zum Juli 2004 war Schmidt als gesundheitspolitischer Referent für die SPD-Bundestagsfraktion tätig. Seit August 2004 ist er Geschäftsführer von Pro Generika e.V.

DAZ: 

Herr Schmidt, wie leben die Generika-Unternehmen mit den seit einem Jahr existierenden Rabattverträgen?

 

Schmidt: Wenn wir es nur mit Rabattverträgen zu tun hätten, also mit einem rein wettbewerblichen Ansatz, wäre das für die Unternehmen kaum ein Problem – Preiswettbewerb sind sie gewöhnt. Aber wir haben auch das ganze übrige Regularium, das uns preislich erheblich in die Ecke gedrängt hat. Die Industrie steht bei einzelnen Produkten vielfach bereits mit dem Rücken in der Wand. So wird von den Unternehmen erwartet, im Festbetragsmarkt die Festbeträge nicht nur zu erreichen, sondern sie zu unterschreiten und zudem noch die Preissenkungen zu vollziehen, um die Zuzahlungsfreistellung zu erreichen. Auch in allen Rabattverträgen, die ich kenne, ist vorgesehen, dass der Hersteller sein Produkt zuzahlungsfrei stellt. Und so tragen die tobenden Rabattschlachten nicht gerade dazu bei, die Bilanzen der Generikaanbieter zu vergolden. Zwar schnellte ihr Absatz 2007 um 9,4 Prozent nach oben, ihre Erlöse auf Herstellerabgabepreisbasis stagnierten jedoch. Bedenkt man, dass hier Einsparungen durch Rabattverträge – die ich auf rund 300 Mio. Euro schätze – noch nicht eingerechnet sind, schrumpften die Erlöse sogar.

DAZ:

Nachdem es viel rechtlichen Ärger um die AOK-Wirkstoffausschreibung gab, haben die regionalen AOKen jetzt begonnen Sortimentsverträge abzuschließen – mit Pro Generika-Mitgliedsunternehmen. Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie kritisierte dieses Vorgehen. Wie stehen Sie zu den Sortimentsverträgen?

 

Schmidt: Sortimentsverträge haben für Krankenkassen nach ihren eigenen Bekundungen betriebswirtschaftlich einen ganz besonderen Reiz, wenn ihre Vertragspartner Hersteller mit breitem Produktportfolio sind. Von daher ist es kein Wunder, dass diese Verträge bislang vorwiegend mit großen Unternehmen und deren Töchtern geschlossen wurden. Nach dem gerichtlichen Aus für die 61 Wirkstoff-Rabattverträge hatte die AOK ein erhebliches finanzielles Problem, das umso schwerer wiegt, als im nächsten Jahr mit dem Gesundheitsfonds der Einheits- und der Zusatzbeitrag kommen. Da Wirkstoff-Rabattverträge auch aus ihrer Sicht 2008 nicht rechtssicher ausgeschrieben und vergeben werden können, haben die einzelnen AOKs sowohl mit den Apothekern über Zielpreise als auch mit Herstellern über Portfolioverträge gesprochen. Und zwar nicht nur mit pharmazeutischen Unternehmen, die Mitglieder von Pro Generika sind. Über das Zustandekommen und die Details dieser Vereinbarungen kann ich wenig sagen. Ich weiß aber, dass die AOK Baden-Württemberg beabsichtigt, durch "open shop"-Sortimentsverträge allen interessierten Herstellern die Chance zum Abschluss eines Portfoliovertrages einzuräumen: Jeder Hersteller, der sich bei ihr meldet kriegt einen Rabattvertrag – unabhängig davon, wie groß oder klein sein Sortiment ist. Da bei diesem Verfahren jeder Hersteller zum Zuge kommen kann, rechnet die AOK nicht mit rechtlichen Schritten. Welches der in Frage kommenden Rabattarzneimittel im konkreten Fall abgegeben wird, steht weiterhin in der alleinigen Verantwortung der Apotheke.


 

DAZ:

Erleichtert es Sie, dass es bei den AOKs nun zu Sortimentsverträgen und offenbar nicht zu Zielpreisvereinbarungen, wie sie die Apotheker anstreben, kommt?

 

Schmidt: Da wir es mit einem Nebeneinander von zentralen Regulierungs- und dezentralen Wettbewerbslösungen zu tun haben, kann ich mich mit keiner der beiden Lösungen richtig anfreunden. Aber isoliert betrachtet, geht meine Präferenz natürlich zu den Rabattverträgen, die ich als Vorstufe für generelle Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Herstellern sehe. Hier ist der Hersteller bei den Verhandlungen selbst dabei, während er bei Zielpreisvereinbarungen nur Objekt ist, über das zwei andere bestimmen. Zielpreisvereinbarungen sind letztlich Verträge zulasten Dritter, die noch dazu die unangenehme Konsequenz hätten, dass die ohnehin ständig laufende Abwärtsspirale der Preise noch weiter beschleunigt würde. Ziel derjenigen, die dieses System erfunden haben, ist, dass in der Apotheke prinzipiell Präparate unter Zielpreis abgegeben werden. Slogan: "Die unter Zielpreis stehen im Licht, die im Dunkeln sieht man nicht." Ein Unternehmen, das da noch eine Chance haben will, muss seine Preise entsprechend anpassen. Der Zielpreis würde so kontinuierlich nach unten rutschen. Das wäre eine höchst gefährliche Dynamik, selbst wenn man den Zielpreis für ein viertel Jahr festschreiben würde. Vor allem würden sich diese Markteingriffe auch auf die nächsten Festbeträge auswirken: Denn immer dann, wenn das untere Preisdrittel wieder nach unten geht, werden die Festbeträge erneut abgesenkt. Überdies sehe ich bei Zielpreisen das Problem, dass die Apothekerschaft, die ja uneingeschränkt dem Kartellrecht unterliegt, ein regionales oder bundesweites Monopol bilden könnte, mit der Folge, dass sie solche Vereinbarungen gar nicht abschließen dürfte. Sollten die Zielpreise kommen, würde ich daher nicht ausschließen, dass das eine oder andere Unternehmen das Bundeskartellamt einschaltet.


 

DAZ:

Wie werden sich nach Ihrer Einschätzung die Generikapreise entwickeln? Wird die Preisspirale noch weiter nach unten gehen?

 

Schmidt: Die Schraube ist bei vielen Produkten so angezogen, dass es nicht mehr weiter geht. Und die jetzige Festbetragsanpassung ist an Brutalität kaum noch zu übertreffen – es ist genau das passiert, was wir von Anfang an gesagt haben: Wenn das Zuzahlungsfreistellungssystem zusätzlich zu den Festbeträgen etabliert wird, ist völlig klar, dass die Hersteller auf die Zuzahlungsfreistellungslinie gehen – und diese ist dann bei der nächsten Festbetragsanpassung der Festbetrag. Bedenkt man, dass die Zuzahlungsfreistellungsgrenzen 30, 40 und vereinzelt sogar schon 50 Prozent unter dem Festbetrag liegen, ist klar: Dieses Spiel kann man nicht oft machen. Das Festbetragssystem führt sich damit selbst ad absurdum. Nach den Signalen, die ich bekomme, werden es sich die Unternehmen reiflich überlegen, ob sie bei den jetzt anstehenden Festbetragsanpassungen überhaupt auf den Festbetrag runtergehen. Denn gerade bei Produkten der Festbetragsstufe 2 sind die Herstellungskosten oft schon höher als der Festbetrag. Von Zuzahlungsfreistellungen kann dann gar keine Rede mehr sein. Ich befürchte, dass es für die Patienten im Sommer ein böses Erwachen gibt, weil sie für bestimmte Produkte wieder zuzahlen müssen. Das wird auch für uns nicht leicht zu kommunizieren sein – es ist zu erwarten, dass Krankenkassen und Politik hierfür nicht ihre eigene Verantwortung eingestehen, sondern die "profitgierige Industrie" verantwortlich machen werden.


 

DAZ:

Besteht die Gefahr, dass die Arzneimittelqualität aufgrund des starken Preisdrucks leiden könnte?

 

Schmidt: Eine Verschlechterung der pharmazeutischen Qualität wird es sicherlich nicht geben. Dafür sorgen die strengen Kontrollen bei der Zulassung sowie die internen und externen Qualitätskontrollen, denen sich jeder Arzneimittelhersteller unterwerfen muss. Ein Hersteller, der an Wirkstoff oder Galenik sparen würde, würde den Ruf seines und vermutlich auch den aller Generika ruinieren – und das über Jahrzehnte hart erkämpfte gute Image von Generika wird niemand leichtfertig aufs Spiel setzen. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass aufgrund des Preisdrucks auf längere Sicht das eine oder andere Produkt in dieser oder jener Wirkstärke oder Packungsgröße nicht mehr auf dem Markt sein wird. In Großbritannien – wo alles über Rabattverträge und Ausschreibungen läuft – ist es bereits so, dass bestimmte Produkte phasenweise nicht zur Verfügung stehen.


 

DAZ:

Sehen Sie einen Lichtblick für die Generikaindustrie?

 

Schmidt: Ich denke wir sind uns alle einig: In dieser Legislaturperiode wird nichts mehr passieren. Die Politik wird alle Hände voll zu tun haben etwa den Gesundheitsfonds praxistauglich zu machen. Für die Deregulierung oder Neuordnung des Arzneimittelmarktes besteht da kein Interesse. Unsere Hoffnung ist, dass mit der nächsten Gesundheitsreform, die im Herbst 2009 eingeläutet werden wird und uns im Jahr 2010 beschäftigen wird, der große Wurf gelingt. Pro Generika wird versuchen, auf diese Dinge Einfluss zu nehmen und ein komplettes Programm zu entwickeln, das auch die Vertriebsstufen umfasst. Unsere Blaupause wird das im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erstellte Wille-Gutachten zur Steuerung der Arzneimittelausgaben aus dem Juni 2006 sein. Dieses werden wir an einigen Punkten diskutieren und fortentwickeln. Unser Ziel ist ein fairer Wettbewerb, der durch einige wenige ordnungspolitische Rahmenbedingungen geregelt wird.


 

DAZ:

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch! 

 

Das Gespräch führte Kirsten Sucker, Berlin-Korrespondentin der DAZ

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