Ernährung aktuell

Es geht auch ohne Fleisch – aber nicht immer

Gesundheitliche Aspekte spielen bei der Suche nach alternativen Ernährungsformen ebenso eine Rolle wie weltanschauliche, ökologisch-ökonomische oder religiös-ethische Gründe. Einige alternative Kostformen entsprechen zumindest teilweise der heutigen Vorstellung von einer "gesunden Ernährung", andere bringen deutliche Nährstoffversorgungsdefizite mit sich. In mehreren Beiträgen wollen wir Ihnen die Grundprinzipien einiger weit verbreiteter alternativer Kostformen darstellen und versuchen, sie hinsichtlich ihrer ernährungsphysiologischen Eignung zu bewerten. Den Anfang macht der Vegetarismus.

Die vegetarische Ernährungsform, also der Verzicht auf Lebensmittel, die von (getöteten) Tieren stammen, ist fast immer Teil einer Weltanschauung. Als Begründer der vegetarischen Lebensweise gilt der griechische Philosoph Pythagoras (6. Jh. v. Chr.), der gesagt haben soll: "Solange der Mensch Tiere schlachtet, werden die Menschen auch einander töten. Wer Mord und Schmerz sät, kann nicht erwarten, Liebe und Freude zu ernten". Dem biblischen Gebot "Du sollst nicht töten" folgend, lehnt der Vegetarismus das Töten alles Lebendigen ab.

Neben darüber hinaus gehenden religiös-ethischen und gesundheitlichen Überlegungen gibt es auch ökonomisch-ökologische Gründe für eine vegetarische Lebensweise, die den Verzicht auf Fleisch beinhaltet. Denn die Erzeugung tierischer Nahrung, also die "Veredelung" pflanzlicher Lebensmittel, gilt als Energieverschwendung. Mit Blick auf das Welternährungsproblem wird die Produktion von Fleisch als unnötig und unverantwortlich angesehen.

Ursprüngliches Prinzip des vegetarischen Gedankens ist es, Produkte vom toten Tier, also Fleisch und Fleischprodukte, Fisch sowie Schlachtfette zu meiden – nicht aber die vom lebenden Tier stammenden Produkte wie Milch und Eier. Doch nicht alle Vegetarier ernähren sich nach diesem "Urprinzip", vielmehr unterscheiden wir drei Grundformen der vegetarischen Ernährungsweise:

  • Ovo-lacto-vegetabile Kost: Sie erlaubt neben dem Verzehr pflanzlicher Lebensmittel auch den Genuss von Milch, Milchprodukten und Eiern. Diese vegetarische Kostform ist am weitesten verbreitet.

  • Lacto-vegetabile Kost: Lacto-Vegetarier verzehren neben der pflanzlichen Kost auch Milch und daraus hergestellte Erzeugnisses.

  • Vegane Kost: Bei der strengsten vegetarischen Kostform wird auf sämtliche vom Tier stammenden Lebensmittel, also auf Fleisch und Fleischprodukte, Fisch, Milch und Milchprodukte, Eier und zum Teil sogar auf Honig, verzichtet. Viele Veganer lehnen auch andere tierische Erzeugnisse wie Wolle, Leder und Horn ab.

Allen drei Grundformen gemeinsam ist die Bevorzugung von Rohkost sowie das Bestreben nach einer generellen gesunden Lebensweise, die auch den weitgehenden Verzicht auf Nicotin und Alkohol sowie regelmäßige körperliche Aktivität beinhaltet. Überzeugte Vegetarier sind also allein schon deshalb in der Regel gesünder als die Durchschnittsbevölkerung.

Ernährungsphysiologische Aspekte

Eine ernährungsphysiologische Beurteilung der vegetarischen Ernährung muss die unterschiedlichen Grundformen berücksichtigen. Erwachsene Lacto- sowie Ovo-lacto-Vegetarier sind in der Regel relativ gut mit allen Nährstoffen versorgt, Veganer weniger. Veganer benötigen ein umfangreiches Ernährungswissen, um ihre Kost unter Berücksichtigung der notwendigen Nährstoffzufuhr so zusammenzustellen, dass sie nicht zu einer Unterversorgung führt.

Nachteil: Unterversorgung möglich

Kritische Nährstoffe sind insbesondere Eiweiß, Vitamin B12, Jod, Calcium und Eisen. Eiweiß pflanzlicher Herkunft ist in der Regel biologisch weniger hochwertig als das tierischer Produkte. Durch die Kombination bestimmter Eiweißquellen lässt sich jedoch die biologische Wertigkeit erhöhen. Beispiele sind Kombinationen von Getreideprodukten und Hülsenfrüchten oder Mais und Bohnen. Berücksichtigen Veganer, dass sich verschiedene Eiweißarten ergänzen und verzehren sie bevorzugt eine Kombination aus guten pflanzlichen Eiweißlieferanten, kann eine bedarfsgerechte Eiweißzufuhr gewährleistet werden. Bleiben diese Faktoren jedoch unberücksichtigt – die Gefahr besteht vor allem bei hauptsächlichem Rohkostverzehr – so ist eine Eiweißunterversorgung möglich.

Der Bedarf an Vitamin B12 kann fast ausschließlich durch tierische Lebensmittel gedeckt werden. Bei Vegetariern, die Milch und ggf. Eier zu sich nehmen, kann der Bedarf hierüber meist gedeckt werden, bei Veganern ist die Vitamin B12-Aufnahme jedoch häufig zu niedrig. Entgegenwirken können sie einem Mangel durch den Verzehr von fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut.

Calcium nehmen (Ovo)-lacto-Vegetarier bei regelmäßigem Verzehr von Milch und Milchprodukten meist in genügender Menge auf. Bei Veganern werden durch den Wegfall von Milch und Milchprodukten jedoch nur geringe Mengen an Calcium zugeführt. Dies ist nicht zuletzt unter dem Aspekt der Osteoporose-Prävention ein großer Nachteil. Die vegane Ernährungsform kann in Bezug auf die Calciumversorgung daher nur eingeschränkt empfohlen werden. Dies gilt insbesondere für sensible Bevölkerungsgruppen wie Schwangere, Stillende, Ältere und Kinder. Gerade in den ersten Lebensjahren ist die ausreichende Versorgung mit Calcium besonders wichtig. Eine vegane Ernährung sollte daher für Säuglinge und Kinder tabu sein. Erwachsene Veganer können einem Calciummangel über bestimmte Gemüsearten wie Brokkoli, Grünkohl und Fenchel entgegenwirken. Auch Mandeln und Haselnüsse sowie verschiedene Mineralwässer liefern Calcium.

Die Versorgung mit Eisen und Jod ist durch den Wegfall von Fleisch und Fisch bei Vegetariern unzureichend. Säuglinge und Kleinkinder sollten auch aus diesem Grund auf gar keinen Fall vegan ernährt werden. Aber auch mit einer ovo-lacto-vegetarischen Ernährung sollte besser erst im (frühen) Erwachsenenalter begonnen werden. Bei der vegetarischen Ernährung kann es, bedingt durch den fehlenden Verzehr von Seefisch, zu einem Jodmangel kommen. Hilfreich ist hier die Verwendung von Jodsalz.


Kritische Personengruppen


Personen mit erhöhtem Nährstoffbedarf (Schwangere, stillende Frauen und Kinder) ist von einer veganen Kost abzuraten. Vor allem für Säuglinge und Kleinkinder bedeutet eine solche Ernährungsweise eine gefährliche Nährstoffunterversorgung. Auch für alte Menschen ist eine Ernährung völlig ohne Fleisch und Fisch nicht empfehlenswert.

Eine lacto- bzw. ovo-lacto-vegetabile Kost ist wegen möglicher Engpässe in der Eisen- und Jodversorgung für Kinder, Schwangere, Stillende und weibliche Jugendliche nicht optimal.


Vorteile: Geringe Energiedichte, wenig Fett

Die vegetarische Kost hat jedoch zweifellos auch Vorteile. Die meist geringe Energiedichte der Lebensmittel pflanzlicher Herkunft beugt Übergewicht und Adipositas vor. Obst, Gemüse und der – meist bevorzugte – Verzehr von Vollkornprodukten führen reichlich Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe, komplexe Kohlenhydrate und Ballaststoffe. Durch den Verzicht auf Fleisch und Fleischprodukte nehmen Vegetarier geringere Mengen an tierischem Fett, Cholesterin und Purinen auf. Das ist erwünscht, denn eine hohe Zufuhr dieser Nahrungsinhaltsstoffe steht mit bestimmten ernährungsabhängigen Krankheiten (z. B. Gicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen) in Verbindung.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine Verringerung des Fleischkonsums. Bei einer ansonsten abwechslungsreichen Mischkost mit den hochwertigen Eiweißlieferanten Milch und Eier ist auch beim Verzicht auf Fleisch eine ausreichende Zufuhr aller Nährstoffe bei sorgfältiger Lebensmittelauswahl zu erreichen.

Die ovo-lacto-vegetabile Ernährung und eingeschränkt auch die lacto-vegetabile Ernährung sind als Dauerernährung für den Mann und die nicht-schwangere Frau geeignet. Einschränkungen gelten jedoch für (kleine) Kinder, Schwangere und Stillende.

Aus ökologischer Sicht ermöglicht eine Ernährung mit Bevorzugung pflanzlicher Lebensmittel die Bereitstellung von mehr Nahrung auf einer gegebenen Ackerfläche, als wenn man mit deren Ertrag tierische Produkte erzeugen würde. Man sichert damit leichter die weltweite Versorgung mit Lebensmitteln als mit einer vorwiegend auf tierische Produktion ausgerichteten Ernährungswirtschaft. Der Energieaufwand zur Erzeugung pflanzlicher Lebensmittel ist wesentlich geringer als bei der Erzeugung tierischer Lebensmittel.


Dr. Eva-Maria Schröder

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