- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 10/2008
- Sich weiterentwickeln, um...
DAZ aktuell
Sich weiterentwickeln, um zu überleben
Die Gesundheitsreformen der letzten Jahre haben bereits viele Veränderungen hin zu einem liberalisierten Gesundheitssystem eingeleitet. Obwohl vor allem die letzte Reform keinesfalls als großer Wurf bezeichnet werden kann, hat sie den Weg frei gemacht für neue Elemente im Gesundheitswesen wie beispielsweise den Vertragswettbewerb zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern (Stichwort Rabattverträge). Gleichwohl betrachten Experten die Auswirkungen der Gesundheitsreform mit "gemischten Gefühlen", so der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. J.-Matthias Graf von Schulenburg vom Institut für Versicherungsbetriebslehre an der Universität Hannover. Er sieht die Gefahr, dass mit der Etablierung von Vertragswettbewerb statt Marktwettbewerb, von Zentralisierung statt Deregulierung und von Verstaatlichung statt Ökonomisierung das Gesundheitswesen ein chronisch kranker Patient der Politik ohne Aussicht auf Besserung bleiben wird.
Dr. Klaus Jacobs, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WldO), warnte vor einer Überschätzung von Instrumenten der Risikobeteiligung des Patienten. Die Grenzen seien hier erreicht, da Instrumente der Eigenbeteiligung keine Steuerungswirkung haben. Außerdem gilt die 20/80-Faustregel: rund 80 Prozent der Gesundheitsausgaben entfallen auf rund 20 Prozent der Versicherten – eine patientenseitige Steuerung des Inanspruchnahmeverhaltens ist somit wenig zielführend. Nach Jacobs liegen die größten Erfolgspotenziale im Hinblick auf die Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung in einer Einflussnahme auf das Anbieterverhalten bzw. die Angebotsstrukturen. Trotz aller Schwierigkeiten schätzt er einen forcierten Vertragswettbewerb als Weg in die richtige Richtung ein.
Megamarkt Gesundheitswesen
Die Zukunftsforscherin Jeanette Huber, Zukunftsinstitut Kelkheim, sieht im Gesundheitswesen trotz Schwierigkeiten einen Megamarkt. "Gesundheit ist ein Megatrend des 21. Jahrhunderts", so Huber. Die Triebkraft hierfür gehe von der "silbernen Revolution der alternden Gesellschaft" aus. Der Gesundheitsbegriff werde aktiver und ganzheitlicher. Auch Prof. Dr. Meinhard Miegel vom Institut für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn prognostiziert, dass aufgrund der Zunahme der älteren Bevölkerung in Zukunft alles anders werde als wir es bisher gewohnt seien. Der Gesundheitsmarkt trete in Konkurrenz zu anderen Märkten: Was in den Gesundheitsmarkt fließt, kann nicht in anderen Märkten ausgegeben werden. Denkbar ist, dass der Verbraucher in anderen Bereichen Einsparungen vornehme, um seine Gesundheit zu finanzieren. Turbulenzen sind danach vorprogrammiert.
Michael Steiner, Marktfeldleiter Gesundheit & Soziales bei der Prognos AG, meint, dass in Zukunft der Gesundheitsmarkt überdurchschnittlich wachse. Mehr Bereiche als bisher werden privatisiert werden.
Der Handelsblatt-Journalist Peter Thelen denkt in ähnliche Richtungen. Er nimmt an, dass der Bürger in Zukunft mehr Wahlmöglichkeiten haben werde, wie und bei wem er seine Gesundheitsversorgung in Anspruch nimmt. Die Politik sollte lediglich die Basis definieren. Das ist auch die Ansicht von Schulenburgs: eine Grundversorgung, auf die ein liberales System aufgesattelt wird, hält er als zukünftige Gesundheitsversorgung für denkbar.
Chancen auch für "kleine Apotheken"
In der sich anschließenden Diskussion mit dem Auditorium, das zu etwa zwei Dritteln aus Apothekerinnen und Apothekern bestand, kamen verstärkt die Nachteile der Rabattverträge zur Sprache.
Beim Thema Zukunft der Apotheke ging das Podium davon aus, dass man sich künftig auf Apothekenketten einstellen müsse, auf ein Nebeneinander von Präsenz-, Versand- und Kettenapotheke. Auch eine Ausdünnung der Präsenzapotheken werde es geben. Der Apotheker könnte seinen Beruf beispielsweise in Richtung "Health-Coach" für den Patienten ausbauen.
In seinem Fazit hob der Moderator der Diskussionsrunde, Dr. Marc Beise, Ressortleiter Wirtschaft bei der Süddeutschen Zeitung, besonders auf die Zukunft der Apotheken ab. Sein Resümee: Mehr Wettbewerb im Apothekenmarkt wird kommen, was nicht unbedingt nachteilig sein muss, wenn es für alle Beteiligten Waffengleichheit ("gleich lange Spieße") gibt. Dann hat auch der "kleine Apotheker" eine Chance. Apotheker, die sich bewegen und den veränderten Bedingungen anpassen, haben weiterhin gute Chancen.
Auf die Frage des Moderators, wer von den anwesenden Apothekern überzeugt davon sei, in Zukunft zu bestehen und mit der Präsenzapotheke zu überleben, meldeten sich etwa 70 Prozent.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.