Kongresse

Fortbildung in Nordrhein

Viren – die Herausforderung des 21. Jahrhunderts

Viren waren das Thema der 47. Großen Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Nordrhein am 7. November 2007 in Wuppertal. Dabei ging es um bewährte und neue Strategien der Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten sowie um Maßnahmen gegen die drohende Grippepandemie.

Ausbreitung tropischer Viren

Infektionen durch Westnil- oder Chikungunya-Viren sind seit knapp zehn Jahren auch in Europa und Nordamerika ein Thema. Prof. Dr. Emil Reisinger, Universität Rostock, berichtete, dass die tropischen Viren aufgrund der Klimaschwankungen und des internationalen Reiseverkehrs mittlerweile in den gemäßigten Zonen Fuß fassen. Da sie durch Stechmücken übertragen werden, deren Entwicklungszyklus aufgrund der Erwärmung kürzer wird, breiten sie sich auch schneller aus.

Ein epidemisches Westnil-Fieber trat 1999 in New York auf. Es folgten zwei epidemische Chikungunya-Fieber in Frankreich (2006) und in Italien (2007). Das Westnil-Virus wird von heimischen Culex-Mücken übertragen. Die Infektion kann, wenn das Fieber mit Meningitis oder Enzephalitis einhergeht, für ältere und immungeschwächte Patienten tödlich sein. Das Chikungunya-Virus wird von asiatischen und afrikanischen Aëdes-Mücken übertragen, die sich inzwischen in Europa angesiedelt haben. Symptome der Erkrankung, die nur selten tödlich ist, sind Fieber und Gelenkschmerzen, vor allem an Händen und Füßen, die etwa zwölf Tage nach der Infektion einsetzen und lange andauern.

Allenthalben wird derzeit über die Risiken der nächsten Influenza-Pandemie diskutiert. Influenzaviren zeichnen sich durch die Antigen-Drift (kontinuierliche Veränderung der Antigene auf ihrer Oberfläche) aus. Wenn neben den humanpathogenen Subtypen auch das aggressive Vogelgrippevirus grassiert, besteht die Möglichkeit eines Antigen-Shifts, das heißt, dass durch den Austausch von Genen zwischen diesen beiden Erregern ein neuer, für den Menschen hochinfektiöser Subtyp entsteht.

Herpes- und Zytomegalieviren

Die Therapie von Infektionen mit Herpes-simplex-Viren (HSV) wurde nach Einschätzung von Prof. Dr. Helga Rübsamen-Waigmann, Wuppertal, viele Jahre vernachlässigt. Der Lippenherpes als Folge einer HSV-1-Infektion verläuft im Regelfall harmlos, kann jedoch bei immungeschwächten Menschen und insbesondere bei Neugeborenen lebensbedrohlich sein. Der durch HSV 2 ausgelöste Herpes genitalis gehört zu den häufigsten Geschlechtskrankheiten, doch verläuft die Infektion oft unsymptomatisch. Ein manifester Herpes genitalis steigert das Infektionsrisiko für HIV. Die bislang im Markt befindlichen Präparate sind Nucleosidanaloga, die sich gegen ein einziges virales Enzym, die DNA-Polymerase, richten. Eine Substanz, die den Helicase-Primase-Komplex angreift, wird derzeit in den USA klinisch geprüft (Phase II), nachdem ihre Wirksamkeit auch bei schwerem oder spät behandeltem Herpes im Tierversuch (Maus) nachgewiesen worden war.

Da Röteln während der Schwangerschaft nur noch selten vorkommen, ist das Zytomegalievirus (HCMV) das am häufigsten von der Mutter auf das Kind übertragene Virus. Infektionen können zu Gehirn- und Gehörschäden führen und werden ebenfalls mit Polymerasehemmern behandelt. Da diese jedoch das Knochenmark angreifen, ist ihre Dosis limitiert. Einen neuen therapeutischen Ansatz könnten Terminasehemmer darstellen, die verhindern, dass die replizierte DNA ausreift und verpackt wird. Die zurückbleibenden DNA-Fragmente sind nicht pathogen.

Neue verfügbare Impfstoffe

Dr. Jürgen Scherer vom Paul-Ehrlich-Institut in Langen informierte über einige Impfstoffe gegen Viruserkrankungen. Bei der Grippe unterscheiden die Experten zwischen interpandemischen Impfstoffen, die jeweils zur Grippesaison eingesetzt werden, und pandemischen Impfstoffen. Obwohl weder der Zeitpunkt noch der Erreger der nächsten Grippepandemie bekannt ist, werden schon jetzt "Prototyp-Impfstoffe" hergestellt, um im Notfall schneller reagieren zu können. Seit Kurzem wird ein Influenzaimpfstoff (Optaflu) in Zellkulturen statt in Hühnereiern herstellt.

Relativ neu sind ein Impfstoff gegen Gürtelrose (Herpes zoster) und zwei Impfstoffe gegen den durch humane Papillomaviren (HPV) mitversursachten Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom). Da die Gürtelrose, die bei etwa jedem fünften Patienten neuralgische Schmerzen verursacht, hauptsächlich bei Personen über 50 Jahren auftritt, wird diesen Personen eine Schutzimpfung empfohlen. Ob Auffrischimpfungen in bestimmten Zeitabständen notwendig sind, lässt sich derzeit noch nicht beantworten.

Die beiden Impfstoffe gegen humane Papillomaviren (HPV), deren Anwendung die STIKO für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren empfiehlt, schützt vor allem gegen die besonders aggressiven HPV-Stämme 16 und 18. Die Impfung macht Vorsorgeuntersuchungen auf Zervixkarzinome nicht überflüssig, da auch andere HPV-Stämme sowie weitere Faktoren zu deren Entstehung beitragen. Der Impfstoff Gardasil beugt zusätzlich Genitalwarzen vor, die durch HPV 6 und 11 ausgelöst werden.

Impfstoffe von morgen

Die Frage "Wann kann man impfen? Wann nicht?" beantworteten Prof. Dr. Theo Dingermann und Dr. Ilse Zündorf vom Institut für Pharmazeutische Biologie in Frankfurt am Main. Dabei standen nicht die individuellen Patienten, sondern Besonderheiten der Krankheitserreger im Vordergrund, z. B.:

Variabilität mit vielen Serotypen,

geringe genetische Stabilität,

Strategien, sich dem Zugriff durch das Immunsystem zu entziehen,

ausschließliche Humanpathogenität, sodass keine Tierversuche möglich sind.

Darüber hinaus hat die Industrie wegen der Armut der Entwicklungsländer wenig Interesse, Impfstoffe gegen solche Infektionskrankheiten zu entwickeln, die überwiegend dort auftreten.

Besonders bedrohlich ist die Zunahme der HIV-Neuinfektionen. Weltweit infizieren sich täglich 14.000 Menschen, davon in Deutschland durchschnittlich 7,1 Menschen. Die Entwicklung eines Impfstoffes gestaltet sich wegen der zahlreichen Subtypen des Erregers und seiner genetischen Variabilität als sehr schwierig. Erfolgversprechend erscheinen insbesondere zwei Forschungswege, die nicht nur auf die Bildung von Antikörpern, sondern auch auf die Vermehrung von CD8+-T-Zellen abzielen.

Ein weiterer Problemfall der Infektiologie ist das Hepatits-C-Virus. In Deutschland werden jährlich etwa 8000 Neuinfektionen an das Robert Koch-Institut gemeldet. Da die Betroffenen ein erhöhtes Risiko für Leberzirrhose oder Leberkrebs aufweisen, wird seit Jahren an einem Impfstoff geforscht. Die derzeit verfolgten Strategien zielen dabei – wie beim HIV-Impfstoff – auf eine gleichzeitige Antikörperbildung und Induktion der CD8+-T-Zellen ab.

Auch die Entwicklung von Impfstoffen gegen bakterielle und protozoische Infektionskrankheiten stellt die Forschung vor große Herausforderungen – das machten Prof. Dingermann und Dr. Zündorf in ihrem Vortrag deutlich. Ein erster, 1998 in den USA zugelassener Impfstoff gegen Borreliose führte bei einigen Patienten mit einer bestimmten genetischen Veranlagung zur Bildung von Rheuma-assoziierten Autoantigenen. Darauf nahm der Hersteller den Impfstoff 2001 vom Markt, ohne dass die FDA dies verfügt hatte. Ein Impfstoff gegen Gonorrhö lässt wegen der hohen Variabilität bestimmter DNA-Abschnitte der Gonokokken noch immer auf sich warten. Zudem sind keine Tierversuche möglich, weil die Gonokokken ausschließlich humanpathogen sind.

In Deutschland werden jährlich etwa 600 Fälle von Malaria diagnostiziert; weltweit sind aber weit über 100 Millionen Menschen infiziert, von denen im Jahr etwa 1,1 Millionen sterben. Obgleich es bei der Malaria drei Ansatzpunkte für die Entwicklung eines Impfstoffs gibt, die sich gegen verschiedene Erscheinungsformen der Plasmodien richten, steht keine Zulassung eines Präparates in Aussicht. <

Constanze Schäfer

Grippeimpfstoffe im Zeichen von Epidemie und Pandemie.
Probleme der Impfstoffgewinnung und wie sie zu lösen sind.

Grußwort und Moderation

Lutz Engelen, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, begrüßte die mehr als 300 Teilnehmer und betonte, wie wichtig die Diskretion bei der Beratung in der Apotheke ist. Zudem ging er auf die Änderung der Apothekenbetriebsordnung ein. Er warnte davor, dass das Aufweichen zahlreicher Bestimmungen den Bestrebungen zum Erhalt der Apothekenstruktur nicht förderlich ist.

Der Vorsitzende des Fortbildungsausschusses, Wolfgang Gröning, moderierte die Veranstaltung.

Krisenmanagementübung

Die dritte länderübergreifende Krisenmanagementübung LÜKEX 2007 wurde am 7. und 8. November mit dem Ziel durchgeführt, die medizinische und pharmazeutische Notfallversorgung der Bevölkerung im Fall einer Influenza-Pandemie zu proben.

Aufgrund der Erfahrungen bei der Hongkong-Grippe 1968/69 ist bei der nächsten Pandemie mit einem Zusammenbruch der Arzneimittelversorgung zu rechnen. Seit Jahresbeginn 2007 haben Apotheker im Projektteam "LÜKEX 2007 Pharmazeutisches Notfallmanagement" die Übungsszenarien und Übungseinlagen geplant. Dabei ging es u. a. um

die Verfügbarkeit von Neuraminidasehemmern, Influenza-Impfstoff und persönlicher Schutzausrüstung,

Personalausfälle in Apotheken und deren Schließung,

Angebote von dubiosen und überteuerten Arzneimitteln im Internet,

Arzneimittelfälschungen und

die angemessene Information der Bevölkerung.

Wolfgang Wagner, Düsseldorf

Info: www.denis.bund.de/luekex

Antigen-Drift Grippeviren ändern kontinuierlich ihre Oberflächenproteine Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N). Beim sehr seltenen Antigen-Shift werden neue RNA-Segmente in das Virus eingebaut, die zusätzlich die Polymerase (P) ändern können. Es entsteht ein neuer Virus-Typ, der eine Pandemie auslösen kann.

Grafik: Zündorf

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