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Praxis
Die elektronische Gesundheitskarte
Lange Zeit war die Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarten an die Patienten für 2006 angekündigt worden. Wohl um dies wenigstens zu einem kleinen Teil zu erreichen, wurde die derzeitige Testphase im Dezember 2006 gestartet. In dieser Phase, die von Fachleuten als "Release 0" oder "MKT plus" bezeichnet wird, werden allerdings nur Funktionen der Karte getestet, die bereits von der bisherigen Krankenversicherungskarte bekannt sind, also das Einlesen der Versichertendaten in der Arztpraxis. Diese Tests finden derzeit in den Testregionen in Sachsen und Schleswig-Holstein statt. Dabei kommen Karten zum Einsatz, wie sie auch später flächendeckend eingesetzt werden sollen. Die Funktionen von "Release 0" können nach anfänglichen Schwierigkeiten inzwischen weitgehend umgesetzt werden und darauf hatte sich gemäß der Interpretation von Experten auch Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder bezogen, als er kürzlich von erfolgreichen Tests sprach, die eine flächendeckende Ausgabe der Karten für 2008 ermöglichen würden (siehe DAZ 34, Seite 22). Dies wären dann aber nur neue Versichertenkarten mit Passbild. Über die damit vorläufig umsetzbaren Funktionen wäre nichts ausgesagt. Es gilt also, die Karte von ihren Funktionen zu unterscheiden.
Für die Apotheken hat "Release 0" keine praktische Bedeutung. Sie kommen erst mit "Release 1" ins Spiel. Dabei sollen wie in der vorherigen Phase, nun aber in allen Testregionen jeweils etwa 10.000 Karten ausgegeben werden. Ab "Release 1" sind insbesondere
• die Speicherung von Notfalldaten auf der Karte,
• das elektronische Rezept als wesentliche apothekenrelevante Funktion und
• die Funktionen zur Wahrung der Versichertenrechte, wie die Änderungsmöglichkeit für die PIN und das Anzeigen der Zugriffe,
zu testen. Der Start dieser Phase ist derzeit für Anfang Oktober 2007 vorgesehen. Die Vorbereitungen in den Testregionen sind bisher unterschiedlich weit vorangeschritten, wie die nachstehende Bestandsaufnahme (siehe Kasten "Wie weit sind die Testregionen?") zeigt. Dies muss das Projekt insgesamt aber nicht beeinträchtigen. Denn die Tests sind kein technologischer Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Systemen – im Gegenteil, die Karten und Geräte aus den verschiedenen Testregionen müssen untereinander kompatibel sein. So sollten Patienten aus Ingolstadt ihr elektronisches Rezept künftig auch in Flensburg einlösen können.
Bei allen Tests soll überprüft werden, ob das, was bisher mit künstlichen Daten simuliert wurde, auch in der Praxis funktioniert. Für Dr. Mathias Schindl, Geschäftsführer der Pharmatechnik GmbH&Co KG, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apotheken-Softwarehäuser (ADAS) und Vertreter der ADAS im Beirat der Gematik, geht es dabei um die technische Verknüpfung der vielen Komponenten verschiedener Hersteller, um die logische Verständigung zwischen so unterschiedlichen Systemen wie der Arzt- und Apothekensoftware und um die praktischen Auswirkungen auf den Alltag der Apothekenmitarbeiter. Besonders wichtig sind ihm dabei die vielen Sonderfälle des täglichen Lebens, die in den bisherigen Spezifikationen der Gematik wohl erst unzureichend berücksichtigt sein dürften. Der Erfolg des Projekts werde auch vom Idealismus der Apothekenteams abhängen, die sich zum Test bereit erklärt haben. Angesichts des großen Eingriffs in die Arbeitsabläufe seien die Tests unbedingt nötig, sie sollten daher nicht verkürzt werden. Dr. Schindl appelliert an die beteiligten Apothekenteams, auch auf Details und Sonderfälle im Alltag zu achten und entsprechende Rückmeldungen zu geben.
Die in der Praxis oft gestellte Frage nach Möglichkeiten für die Eingabe von freiem Text ohne Präparatebezeichnungen, beispielsweise für Rezepturen, sei allerdings unproblematisch. Die Karte ermögliche sogar, Verordnungen mit Zusatzangaben wie Einnahmehinweisen zu ergänzen. Dazu diene ein gesondert verfügbares Freitextfeld, das mehr Raum für Kommentare lässt als die derzeitigen Papierrezepte. Problematisch sei dagegen eher, ob aus den frei formulierten Texten hinreichend viele Daten gewonnen werden können, die sich in den Tests verarbeiten lassen.
Einheitlichkeit der Pharmazentralnummer
Als Beispiel für die Ergebnisse der bisherigen Tests und zugleich als Bestätigung für die Bedeutung dieses Projektabschnitts verweist Dr. Schindl auf eine "kleine Katastrophe", die erst kürzlich erkannt worden sei. So sei die Pharmazentralnummer in mancher Arztsoftware keine eindeutige Bezeichnung für ein Arzneimittel, sondern nur ein beliebiges Attribut. Der Arzt könne in solchen Systemen die Packungsgröße, Darreichungsform oder sogar den Namen des Arzneimittels ändern, während eine zuvor ausgewählte Pharmazentralnummer unverändert bleibt. Sie ist dann als eindeutige Kennzeichnung im Sinne der Apothekensoftware unbrauchbar und sogar irreführend, stattdessen muss sich der Apotheker am Text der ärztlichen Verordnung orientieren. Letztlich müssten die Anbieter von Arzt- und Apothekensoftware aber auf einen einheitlichen Gebrauch der Pharmazentralnummer verpflichtet werden. Dieses Beispiel macht nach Einschätzung von Dr. Schindl eine zentrale Herausforderung für die Umsetzung des Projekts deutlich, nämlich eine gemeinsame Datenbasis für alle Beteiligten zu schaffen. So sei es Aufgabe der Gematik und der Verbände, nicht nur für Schnittstellen, sondern auch für gemeinsame Stammdaten zu sorgen, die von allen Projektpartnern genutzt werden können. Ein wichtiges Beispiel für auf Seiten der Apotheken dringend benötigte Daten seien die für Arztsysteme von der KBV einheitlich bereitgestellten IK-Nummern der Kostenträger.
Teufel im Detail
Dass die Probleme im Detail stecken, zeigt auch eine Begebenheit aus der sächsischen Testregion. Dort wurde bei den Karten für eine Krankenversicherung ein falscher Kleber verwendet, der den Chip zerstörte und die Karten nach einiger Zeit unbrauchbar machte, wie es im Statusbericht für die Gematik heißt. Wie wichtig die Tests sind, macht auch ein Beispiel deutlich, das Martin Beier anführt, der beim Norddeutschen Apothekenrechenzentrum e.V. (NARZ) für die elektronische Gesundheitskarte zuständig ist. So hätten die Heilberufsausweise einiger Anbieter anfangs nicht funktioniert, weil das Attributzertifikat fehlte, das den Verordner als Arzt identifiziert. Dieses Attributzertifikat, das bei einer Verordnung auch auf die Gesundheitskarte übertragen werden muss, vermindert zudem die Zahl der maximal möglichen Verordnungen von zuvor acht auf sieben oder weniger (bei mehreren Verordnern). Diese geringe Zahl speicherbarer Verordnungen könnte ohnehin Probleme in der Praxis aufwerfen. So ist zu klären, wer die Daten löschen darf, wenn der Patient die Verordnung weder in einer teilnehmenden Apotheke einlöst noch selbst die Daten löscht.
Online-Tests
Durch den Namen "Release 1" wird die wohl treffendere Bezeichnung als offline-Phase vermieden, doch gerade hier liegt der entscheidende Unterschied zum späteren "Release 2". Bei der jetzt bevorstehenden Phase werden die Daten für das elektronische Rezept nur auf der Karte gespeichert, online-Verbindungen in einem Netz sind dagegen erst im späteren "Release 2" geplant, für das es bisher keinen belastbaren Starttermin gibt.
Die Datenübertragung in einem Netz berührt die in der Vergangenheit sehr kontrovers und auch unter politischen Gesichtspunkten geführte Frage, wo die Verordnungsdaten gespeichert werden sollen. Dabei ging es ursprünglich um die Wahl zwischen der Speicherung auf der Karte und auf einem zentralen Server, den manche als Gefahrenquelle für Manipulationen betrachtet haben. Diese Diskussion sollte nach Einschätzung von Dr. Claus-Werner Brill, der die Telematik-Arbeit der ABDA leitet, schon seit zwei Jahren nicht mehr geführt werden. Denn, so erklärt Dr. Brill, seit 2005 ist kein zentraler Server, bei dem alle Daten zusammenlaufen, sondern ein Netz aus mehreren Anbietern vorgesehen. Die Datenspeicherung soll nicht mehr die Leistung einer zentralen Institution sein, sondern von mehreren Betreibern am Markt angeboten werden. Der Patient könne dann seinen Anbieter wechseln.
Die hochwertigen Netze, die den Zugang zu einem solchen System schaffen, sind technisch machbar und werden von großen Unternehmen genutzt, seien aber wesentlich aufwändiger als viele sich das wohl bisher vorgestellt hätten, erläutert Dr. Brill. Dr. Schindl macht deutlich, dass der Zugang zu den gesicherten Netzen der Gesundheits-Telematik nicht so einfach und preisgünstig wie beim heimischen Internetanschluss zu haben ist, weil hier ganz andere Anforderungen an Sicherheit und Zuverlässigkeit bestehen.
Rezeptabrechnung
Die für Apotheker wesentliche Funktion der Abrechnung von Rezeptdaten ist im Pflichtprogramm der Gematik nicht vorgesehen. Die apothekereigenen Rechenzentren werden diese wichtige Funktion aber bereits während des "Release 1" testen. Voraussetzung für die Abrechnung ist eine einheitliche Schnittstelle zwischen den Warenwirtschaftssystemen der Apotheken und den Rechenzentren. Eine solche Schnittstelle wurde von den apothekereigenen Rechenzentren gemeinsam entwickelt und wird unter dem Namen "FIVERX.LINK" angeboten. Wie Martin Beier erläutert, wurde außerdem die anschließende Datenübertragung an Krankenversicherungen beim NARZ bereits mit Probedaten gemäß einer für Schleswig-Holstein vereinbarten Spezifikation erfolgreich getestet. Doch müssen für die Übermittlung der Abrechnungsdaten an die Krankenversicherungen auf Bundesebene noch technische Vereinbarungen getroffen werden, was demnächst geschehen soll, erklärt Dietmar Becker, Projektleiter für die elektronische Gesundheitskarte bei der Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheken GmbH (VSA). Nach den bisherigen Versuchen mit Probedaten warten alle Beteiligten gespannt auf echte Daten aus dem Test. Dieser "freiwillige" Teil des Tests erscheint aber nicht nur aus Apothekersicht, sondern auch für die Ärzte wichtig, wie es im Statusbericht für die Gematik heißt. Denn es ist mit Akzeptanzproblemen der Ärzte beim Test zu rechnen, wenn die von ihnen ausgestellten elektronischen Rezepte nur in der Apotheke gelesen und dann nicht weiter verarbeitet, sondern gelöscht werden. Dies dürfte die Ärzte kaum motivieren, mühsam ein elektronisches Rezept auszustellen.
Ausrüstung in der Apotheke
Auf die Frage, welche Ausrüstung eine Apotheke für die Arbeit mit der elektronischen Gesundheitskarte benötigt, wenn diese erst einmal flächendeckend eingeführt ist, listet Dr. Schindl auf:
- Der Konnektor: Dieses Gerät sorgt für die Verbindung der Apotheken-EDV mit dem Netz und wird voraussichtlich der teuerste Teil der neuen Ausrüstung.
- Je ein Kartenlesegerät für jeden Kassenarbeitsplatz: Diese neuen Kartenleser sind deutlich fortgeschrittener und teurer als die derzeit in Arztpraxen üblichen Geräte. Sie können nicht direkt mit dem Computerarbeitsplatz verbunden werden, sondern müssen über ein Netzwerkkabel angeschlossen werden.
- Weitere Kartenleser für die Heilberufsausweise aller im Handverkauf eingesetzten Mitarbeiter.
- Zusätzliche Bildschirme für die Patienten anstelle der heute üblichen meist kleinen Kassendisplays: Damit könnten die Patienten ihre verordneten Präparate bei Bedarf selbst einsehen.
- Die Heilberufsausweise für alle Mitarbeiter im Handverkauf und mehrere Institutionsausweise für die Apotheke.
- Eine Internetverbindung mit höheren Ansprüchen und Leistungen zur Sicherheit und Verfügbarkeit als für den privat üblichen Gebrauch.
- Möglicherweise weitere Kassenarbeitsplätze: Da bereits zu Beginn des Kundenkontaktes ein Computer benötigt wird, verlängert sich die Nutzungszeit des Kassenterminals pro Kunde, sodass möglicherweise mehr Kassenarbeitsplätze benötigt werden als bisher.
- Zusätzliche Verkabelung für die Netzwerkanschlüsse der Kartenlesegeräte.
- Möglicherweise tragbare Handcomputer zur Anzeige der Daten elektronischer Rezepte (siehe unten).
- Möglicherweise ein Selbstbedienungsterminal, bei dem die Patienten ihre Rezepte einsehen können (siehe unten).
Da viele Anschaffungen von den individuellen Bedingungen wie der Anzahl der Kassen und der Mitarbeiter abhängen, kann nur schwer ein Kostenrahmen angegeben werden. Für die unbedingt notwendige Ausrüstung in einer kleinen Apotheke veranschlagt Dr. Schindl nach heutigen Preisen minimal etwa 3000 Euro, wobei er zugleich die Unwägbarkeiten einer solchen Prognose betont. Hinzu kommen gegebenenfalls noch Kosten für die Schulung und für die Verkabelungsarbeiten des Elektrikers. Technisch wesentliche Unterschiede in der Umsetzung der Kartenfunktionen gebe es bei den ADAS-Mitgliedsunternehmen nicht, weil sich alle an die Gematik-Spezifikationen und den Implentierungsleitfaden des Deutschen Apothekerverbandes für die Softwarehäuser halten würden. Die Unterschiede seien nicht größer als sie zwischen den Warenwirtschaftssystemen heute schon sind, wo es auch verschiedene Vorlieben für die eine oder andere Benutzerführung oder Bildschirmdarstellung gibt.
Ratschläge für Umbauten
Schon heute könnten Apotheker bei einem Um- oder Neubau einige Voraussetzungen schaffen, die die spätere Ausrüstung für die elektronische Gesundheitskarte erleichtern würden. So empfiehlt Dr. Schindl, eine moderne Verkabelung mit ausreichend Netzwerkanschlüssen an die Kassenplätze zu legen, bei der Einrichtung Platz für Kartenterminals an den Kassen, für ein Selbstbedienungsterminal und möglicherweise einen künftigen zusätzlichen Kassenarbeitsplatz einzuplanen und neue Kassen auf der Kundenseite mit größeren Displays auszustatten.
Neue und geänderte Arbeitsabläufe
Die Liste der nötigen Ausrüstungsinvestitionen lässt auch die Änderungen der Arbeitsabläufe in der Apotheke erahnen. So werden alle im Handverkauf tätigen Apothekenmitarbeiter persönliche Heilberufsausweise benötigen, weil nur mit persönlichen Ausweisen auf freiwillige Daten der Gesundheitskarte wie die Arzneimitteldokumentation zugegriffen werden kann. Für die Pflichtanwendungen reicht dagegen der Institutionsausweis der Apotheke. Die Heilberufsausweise müssten in Kartenleser an einem zentralen sicheren Ort in der Apotheke gesteckt werden. Dann kann jeder Bediener seine Daten an jeder Kasse aufrufen. Würden die Heilberufsausweise dagegen am HV-Tisch gesteckt, müssten sie bei jedem Bedienerwechsel mit der PIN freigeschaltet werden und könnten zudem leicht gestohlen werden.
Für den Apothekenbetrieb ergibt sich die praktische Frage, wie Apotheker oder PTA sich die Rezeptdaten beim Gang zu den Lagerorten merken sollen. Gunter Nabel, Sprecher der am Test teilnehmenden Wolfsburger Apotheker, sieht dafür vier mögliche Lösungen:
- Die Daten werden mit dem ohnehin vorhandenen Bondrucker auf einen "Laufzettel" gedruckt.
- Die Daten werden auf einem großen Bildschirm im Bereich der Schubschränke angezeigt.
- Die Daten werden an einen Handcomputer gesendet, der am Handgelenk getragen wird, wie dies in manchen Großhandlungen üblich ist.
- Die Daten werden an einen Kommissionierautomaten übertragen.
Die elektronische Gesundheitskarte könnte so zu einem neuen Argument für die Anschaffung eines Kommissionierautomaten werden, so wie in vielen anderen Lebensbereichen eine EDV-Lösung weitere Automatisierungsschritte nach sich zieht – und damit zunächst weitere Kosten, später aber möglicherweise auch Einsparungen, sofern der Betrieb hinreichend groß ist. Sowohl Nabel als auch Dr. Schindl betrachten das Ausdrucken vorläufig als die praktikabelste Lösung, obwohl es der Digitalisierungsidee zuwiderläuft. Für Dr. Schindl endet damit das "Märchen von der Aufhebung des Medienbruchs". Dies sei oft als Argument für die elektronische Karte genannt worden, doch hätte der Wechsel zwischen Papier und Computer als Informationsträger in der Apothekenpraxis nie zu Problemen geführt und müsse künftig sogar künstlich erzeugt werden, weil die Daten in der Apotheke in Papierform benötigt würden.
Nutzen der Karte
Dennoch sieht Dr. Schindl in der Digitalisierung großen Nutzen für die Apotheke, weil alle Daten sofort ohne Eintippen für das Warenwirtschaftssystem und für pharmazeutische Anwendungen zur Verfügung stehen. Dies würde beispielsweise die Arzneimitteldokumentation, die Prüfung von Wechselwirkungen und die online-Abfrage der Verfügbarkeit beim Großhandel erleichtern. Ein weiterer Vorteil sei, dass die elektronische Gesundheitskarte die Vertrauensstellung der Apotheke untermauert. Der Apotheker werde offiziell als "gleichberechtigter" Leistungsanbieter neben dem Arzt anerkannt. Außerdem würden die Patienten durch die Übergabe der Karte, die viele persönliche Daten enthält, ihr Vertrauen an die Apotheke ausdrücken, was die Apotheker als Chance betrachten sollten. Dies würde die Rolle der Apotheke als unersetzlicher Leistungserbringer im Gesundheitswesen bestätigen.
Andere Befürworter betonen den erwarteten Nutzen der elektronischen Gesundheitskarte für die Versorgung insgesamt. Die Vorteile, wie sie vom Hausapothekenmodell bekannt sind, könnten allen Patienten zu Gute kommen. Die Überwachung der Medikationsprofile und die Prüfung von Wechselwirkungen auf einer sicheren Datengrundlage sollen durch Vermeidung von Doppelverordnungen, Interaktionen und Non-Compliance den Patienten helfen und Geld sparen. Auch die schnellere Verfügbarkeit von Notfalldaten, Untersuchungsergebnissen und Krankenhausentlassungsberichten gelten als große Vorteile des Konzepts.
Offene Fragen für die Zukunft
Doch auch nach der jetzt anlaufenden Testphase werden noch viele Fragen offen bleiben, sodass weitere umfangreiche Tests erfolgen müssen. Denn es wird noch immer über den Datensatz für das elektronische Rezept verhandelt, der sich also noch ändern dürfte. Außerdem wird aus vielen Äußerungen deutlich, dass in der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten auf der Apothekenseite und den Anbietern der Arztsoftware noch viele Details abgeglichen werden müssen, damit die Programme, die ursprünglich für unterschiedliche Zwecke entwickelt wurden, erfolgreich zusammenarbeiten können.
Ungeklärt ist bisher die Frage, wie die medizinisch relevanten Daten langfristig gesichert werden können. Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins und des NARZ, verweist hierzu auf die nahezu unbegrenzte und erprobte Haltbarkeit von Papierakten, während digitale Daten durch immer wieder neue Speichermedien oft schon nach einem Systemwechsel nicht mehr lesbar sind. Hier deutet sich ein erneuter Medienbruch an, bei dem die langfristig relevanten Daten zur Archivierung ausgedruckt werden müssten.
Etliche Funktionen der elektronischen Gesundheitskarte werden auch im "Release 2" noch nicht getestet. So soll das Selbstbedienungsterminal, das auch als E-Kiosk bezeichnet wird, erst im "Release 4" eingeführt werden. In Flensburg wurden versuchsweise solche Geräte aus einem schwedischen Telematik-Projekt eingesetzt und auch in Ingolstadt existiert ein E-Kiosk-System, aber bisher hat die Gematik noch nicht einmal die Eigenschaften dieser Geräte für die Anwendung in Deutschland spezifiziert. Dementsprechend gibt es auch keine Vorstellung von den Kosten oder den möglichen "Nebenwirkungen" solcher Geräte. Selbstverständlich müssen die Patienten ungestört ihre Verordnungen einsehen und löschen können, so wie sie ein Rezept ansehen und wegwerfen können. Doch fürchten Kritiker, dass ausländische Versandapotheken einen E-Kiosk in einem Drogerie- oder Lebensmittelmarkt einrichten könnten, der dann die Bestellung im Ausland vereinfachen würde.
Zusätzlich zu den heute bereits absehbaren Funktionen wird das System der elektronischen Gesundheitskarte auch nach ihrer flächendeckenden Einführung für weitere Aufgaben offen sein. So bezeichnet Dr. Brill die Karten und Konnektoren als "generische Werkzeuge", die einmal technisch beschrieben werden und dann viele neue Anwendungen erlauben. Das System könne sich so über 15 oder 20 Jahre weiter entwickeln. Befürworter der Karte versprechen sich davon großes Potenzial für heute noch kaum geahnte pharmazeutische Nutzanwendungen. Das in diesem Beitrag besonders hervorgehobene elektronische Rezept ist demnach nur eine von vielen Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte, für die Apotheken hat es aber vorläufig die größten Konsequenzen.
Schwachstellen der Tests
In manchen Fragen scheint sich die Diskussion dagegen im Kreis zu drehen. So bedauert Dr. Brill die langsame Entwicklung. Andere Länder wie Taiwan, Bulgarien und Slowenien, die von Deutschland beraten würden, seien in der Umsetzung inzwischen weiter. Die jetzt in Deutschland getestete Technik bleibe hinter den Möglichkeiten zurück. So konnte bereits vor sieben Jahren bei Tests in Flensburg innerhalb von einer Sekunde auf ein elektronisches Rezept zugegriffen werden, während jetzt allein der Zugriff auf die Versichertendaten sechs bis sieben Sekunden dauere. Solche Geschwindigkeitsprobleme und geringer Komfort bei der Unterschrift könnten in der anstehenden Testphase zu unnötigen Widerständen führen, sodass das Projekt insgesamt hinterfragt würde.
Alle Beteiligten sind gespannt, ob die Versicherten und die Ärzte die Karten überhaupt so viel nutzen, dass aussagekräftige Tests möglich werden. Denn die Ärzte müssen zusätzlichen Aufwand in ihren Praxen treiben und auch die Patienten werden sich auf längere Bearbeitungszeiten einstellen müssen, solange die Abläufe noch keine Routine sind. Zudem brauchen die Versicherten weiterhin ihre alte Versichertenkarte für den Besuch bei nicht teilnehmenden Ärzten. Ob sie die zweite Karte dann überhaupt nutzen werden, bleibt abzuwarten.
Wann kommt die Karte?
Angesichts der vielen offenen Fragen wagt keiner der Experten eine Prognose, wann die elektronische Gesundheitskarte flächendeckend eingeführt wird. Dies liegt nicht nur an technischen Fragen, sondern offenbar auch am Gerangel um Macht und Einfluss zwischen den vielen beteiligten Gruppen. Zudem kommen immer wieder grundsätzliche Zweifel auf. So erklärte die FDP-Bundestagsfraktion am 22. August in einer Presseinformation, die FDP sehe die Einführung der Karte skeptisch, solange wichtige Finanz- und Datenschutzfragen noch nicht geklärt seien. Noch deutlicher wurden einige Organisationen der Ärzte und Zahnärzte, die die Karte ablehnten (siehe AZ 21 und 25). Verschiedene Ärzteverbände forderten kürzlich den Rückzug der Bundesärztekammer und der KBV aus der Gematik (siehe AZ 35). Dagegen meint Dr. Peter Homann, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbandes und Vertreter des Deutschen Apothekerverbandes in der Gematik, die Ärzte würden dennoch in der Gematik gut mitarbeiten. Homann meint, die Apotheker könnten sich aus diesem Prozess nicht verabschieden, die elektronischen Verfahren würden auf jeden Fall kommen und gerade die Apotheker hätten schon sehr viel Mühe in die Vorbereitung investiert.
Die inhaltlich beteiligten Berufspolitiker und Experten plädieren einhellig für sorgfältige und nötigenfalls noch lange Tests, um eine funktionsfähige Lösung sicherzustellen. Die zahlreichen Probleme, die schon im "Release 0" und damit ganz am Anfang der 10.000er-Tests festgestellt wurden, sollten keinen Zweifel aufkommen lassen, dass die jetzt anstehenden Test und auch die späteren 100.000er-Tests unbedingt nötig sind, um die geplanten Funktionen sicherzustellen. Dagegen kommen aus der Politik immer wieder Stimmen, die auf eine schnelle Einführung drängen. Eine schnelle Ausgabe der Karten wäre – wie eingangs dargestellt – durchaus möglich, allerdings ohne die meisten geplanten Anwendungen. Ein solches Szenario betrachtet Dr. Schindl als große Gefahr für das Projekt, denn so wäre die politische Forderung nach der flächendeckenden Ausgabe der Karten vordergründig erfüllt, das elektronische Rezept und die anderen gewünschten Nutzanwendungen würden dann aber wohl auf absehbare Zeit nicht realisiert, weil es dafür keinen politischen Rückhalt mehr gebe. Als größte Herausforderung für die Einführung der Karte sieht Dr. Schindl aber neben der gemeinsamen Datenbasis die Akzeptanz der Ärzte und Apotheker, weil sie erhebliche Beträge investieren müssen und daher von der Praktikabilität und vom Nutzen der Karte überzeugt sein müssten.
DanksagungDer Autor dankt allen befragten Experten für die freundliche Unterstützung und die Auskunftsbereitschaft, die diesen Beitrag erst ermöglicht haben. Der Dank richtet sich insbesondere an Dietmar Becker, VSA, Martin Beier, NARZ, Dr. Claus-Werner Brill, ABDA, Dr. Jörn Graue, Hamburger Apothekerverein und NARZ, Dr. Peter Homann, Hessischer Apothekerverband, Gunter Nabel, Wiedukind-Apotheke Wolfsburg, Dr. Mathias Schindl, Pharmatechnik, und Sabine Sill, eGesundheit.nrw.Wie weit sind die Testregionen? – eine Bestandsaufnahme
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