Kommentar
Beim Thema EU-Kommission denken Apotheker zurzeit wohl primär an die Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich und Italien wegen ihrer Apothekengesetzgebung. Andere Freiberufler sorgen sich um mögliche Folgen der Dienstleistungsrichtlinie für den Fortbestand ihrer Berufe. So liegt der Verdacht nahe, dass die EU-Kommission das Wesen der
Freiberuflichkeit nicht verstehen will oder ihm zutiefst misstraut. Dies wäre schlimm, weil die Freiberufler eine unverzichtbare Basis der Gesellschaft sind, aber möglicherweise ist die zutreffende Erklärung noch viel schlimmer. Diese Befürchtung hege ich spätestens seit der jüngsten Reaktion der EU-Kommission auf die Krise der IKB Deutsche Industriebank. Das Kreditinstitut war durch übertriebenes Engagement in US-amerikanische Hypotheken geringer Bonität und die dortigen Zahlungsausfälle in eine Schieflage geraten. Die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als Großaktionär der IKB hat darauf blitzschnell reagiert und ist für die Verpflichtungen der IKB eingesprungen. Innerhalb weniger Tage wurden auch privatwirtschaftliche Kreditinstitute in die Rettungsaktion einbezogen. Diese schnelle Reaktion der Banken verdient größten Respekt. Damit wurde die Gefahr des Zusammenbruchs einer Bank abgewendet, der über einen Dominoeffekt eine allgemeine Vertrauenskrise hätte auslösen können. Vor diesem Hintergrund hat nun die EU-Kommission offenbar nichts Besseres zu tun, als das Engagement der KfW als möglicherweise genehmigungspflichtige staatliche Rettungsbeihilfe zu kritisieren und Auflagen zu prüfen. Wie lange sich die Kommission wohl mit einem vorherigen Antrag auf Genehmigung beschäftigt hätte, bleibt dabei offen. Hier war sofortiges Handeln gefragt und nicht bürokratisches Prüfen. Statt der Abwehr einer internationalen Bankenkrise sieht die EU-Kommission ausschließlich den Wettbewerbsaspekt, den hier sogar die privaten Banken für einen Augenblick überwunden haben, um ein wichtigeres Ziel zu erreichen.
Dieser Fall scheint mir ein Schlüssel zur Erklärung der oft so befremdlichen Sichtweise der EU-Kommission zu sein. Sie scheint sich in ein vollkommen einseitiges Wettbewerbsverständnis hineingesteigert zu haben, das sie ohne jeden Realitätssinn und um jeden Preis verfolgt. Sie sollte sich daran erinnern, dass Wettbewerb kein Selbstzweck ist, sondern dazu dienen soll, die Wohlfahrt aller Bürger zu mehren. Idealtypischer Wettbewerb ist nur dort möglich, wo auch die idealtypischen Voraussetzungen bestehen. Dazu gehören Transparenz, Güterhomogenität und die Freiheit der Marktteilnehmer, Verträge schließen oder ablehnen zu können. In Krisensituationen sind solche Voraussetzungen wie sie im Lehrbuch stehen nicht einmal im Bankenmarkt gegeben – in großen Teilen des Gesundheitsmarktes sind sie es auch nicht im Normalfall. So sind Kranke eben nicht frei in ihren Entscheidungen und Arzneimittel sind keine beliebig austauschbaren Waren. Dass es Situationen gibt, in denen die Wirtschaft nicht allein aus der Perspektive des Wettbewerbs zu beurteilen ist, wird nach dem Geschehen um die IKB hoffentlich auch außerhalb des Gesundheitswesens besser verstanden.
Wirksame Abhilfe gegen diese Probleme mit der EU-Kommission sehe ich nur in einer europäischen Verfassung. Das von den Bürgern gewählte EU-Parlament kritisiert schon lange die demokratisch kaum legitimierte Kommission. So ist es höchste Zeit, dass diese Kommission als bürokratisches Relikt aus der Frühzeit der europäischen Einigung gegen eine demokratisch legitimierte Institution mit begrenzten Zuständigkeiten ausgetauscht wird
Thomas Müller-Bohn
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