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- DAZ 26/2007
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Arzneimittel und Therapie
Poliomyelitis
Nicht Abrücken vom Ziel der Ausrottung
1988 beschloss die Weltgesundheitsorganisation ein weltweites Programm zur vollständigen Ausrottung der Polioviren. Ursprünglich wurde das Jahr 2000 für die Erreichung dieses Ziels anvisiert. Bisher gelang die vollständige Eradikation aber noch nicht. Nun stellen Kritiker die Strategie in Frage.
Poliomyelitis ist eine gefürchtete Erkrankung des Gehirns und Rückenmarks. Vor Einführung der oralen Polio-Vakzine (OPV) war die Verbreitung auch in Mitteleuropa so ausgeprägt, dass der Kontakt mit dem Erreger meist schon im Kindesalter erfolgte ("Kinderlähmung").
Die Viren werden durch Tröpfchen- oder Schmierinfektionen aufgenommen, breiten sich zunächst im Darmtrakt aus und gelangen von da aus zum zentralen Nervensystem, wenn die Infektion nicht vorher durch das Immunsystem aufgehalten wird. Etwa 1% der Infizierten erleiden bleibende Lähmungen.
Anfang der 60er Jahre wurde in Deutschland die Poliomyelitis-Schluckimpfung (Lebendimpfstoff) eingeführt – die letzte in Deutschland erworbene Poliomyelitis-Erkrankung durch ein Wildvirus wurde 1990 erfasst.
Inzwischen wird in Deutschland nicht mehr die orale Schluckimpfung eingesetzt, sondern ein inaktivierter Polio-Impfstoff verwendet, der injiziert wird. Dieser hat den Vorteil, dass er keine Impfstoff-assoziierte paralytische Poliomyelitis verursachen kann.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) legte 1988 das Ziel der weltweiten Ausrottung der Polioviren fest, um eines Tages – ähnlich wie bei den Pocken – die Impfungen einstellen zu können. Die Erreichbarkeit dieses Ziels gestaltet sich derzeit schwieriger als ursprünglich angenommen. Angesichts des hohen Aufwands für die weltweiten Impfungen wird diskutiert, ob das Ziel der Ausrottung durch eine Strategie der Eindämmung und Kontrolle abgelöst werden sollte. In der Fachzeitschrift The Lancet sind aktuell zwei Artikel zu diesem Thema erschienen.
Ausrottung kostengünstiger als Infektionskontrolle
Eine Modellberechnung basierend auf den derzeit endemischen Gebieten in Indien ergab, dass ein Nachlassen der Impfbemühungen sehr schnell zu großen Ausbrüchen von Poliomyelitis führen würde, deren Eindämmung immense Kosten bedeuten würde.
Die Kosten für eine weltweite Ausrottung scheinen kurzfristig sehr hoch, sind aber immer noch um ein Vielfaches geringer als die Kosten einer langfristigen Kontrollstrategie ohne Erregereradikation – so die Schlussfolgerung der Studienautoren.
Fall-Kontroll-Studie: Monovalenter Impfstoff besser
Im Jahr 2005 wurde eine monovalente Vakzine speziell gegen Typ-1-Viren entwickelt. Dieser monovalente Impfstoff wurde nun in einer Studie in Indien mit dem trivalenten Impfstoff gegen Typ 1, 2 und 3 verglichen. Im Gebiet Uttar Pradesh, wo sich der Wildtyp der Polioviren bisher nicht ausrotten ließ, könnte man mit dem spezifischen Typ-1-Impfstoff eine Schutzwirkung von 30% bei einmaliger Gabe erreichen, verglichen mit nur 11% bei einmaliger Gabe des bisher üblichen oralen Lebendimpfstoffs.
Die Studienautoren folgern, dass mit dem monovalenten Impfstoff bis Ende 2006 zwischen 76 und 82% der Kinder unter zwei Jahren effektiv gegen eine Infektion geschützt werden könnten, verglichen mit 59% Ende des Jahres 2004. Die tatsächlichen Zahlen liegen noch nicht vor.
Fazit: Ausrottung weiter verfolgen
Die weltweite Inzidenz der Poliomyelitis konnte durch die immensen Bemühungen der WHO drastisch gesenkt werden, wenn auch die Ausrottung bisher nicht gelang. Länder, in denen das Poliovirus derzeit noch persistiert sind Indien, Pakistan, Afghanistan, Nigeria, Niger und Ägypten. Die nun veröffentlichte Kostenberechnung unterstreicht, dass die Ausrottungsstrategie, trotz des Aufwands der weltweiten Impfungen, immer noch kostengünstiger ist, als die sonst nötige Kontrolle von Ausbrüchen und die Versorgung der Erkrankten. Hinzu kommt natürlich der Gewinn für die Menschen, denen eine Infektion erspart bleibt.
Die zweite veröffentlichte Studie zur Wirksamkeit eines neuen monovalenten Impfstoffs gibt Anlass zur Hoffnung, dass das Ziel der weltweiten Eradikation doch erreicht werden kann – vorausgesetzt man investiert genügend Zeit, Geld und politisches Engagement.
QuelleThompson KM, et al.: Eradication versus control for poliomyelitis: an economic analysis. Lancet 2007: 369; 1363-1371.
Grassly NC, et al.: Protective efficacy of a monovalent oral type 1 poliovirus vaccine: a case-control study. Lancet 2007: 369; 1356-1362.
Fine PEM, et al.: Global poliomyelitis eradication: status and implications. Lancet 2007: 369; 1321-1322.
Informationen des Robert-Koch-Instituts unter www.rki.de
Apothekerin Bettina Martini
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