Arzneimittel und Therapie

Zulassungserweiterung

Wenn das Waschen zum Zwang wird

Noch deutlich zu selten diagnostiziert und auch therapiert werden Zwangsstörungen. Gute Behandlungsmöglichkeiten bieten die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und speziell das Antidepressivum Escitalopram (Cipralex®), das nun für diese Indikation zugelassen ist. Es lindert den Zwang und wirkt Rezidiven entgegen.

Permanentes Händewaschen oder andere Reinigungsrituale, eine extreme Langsamkeit im Handeln oder auch eine extreme Sammelwut, das alles kann Folge einer Zwangsstörung sein. Die Erkrankung ist in ihrem Erscheinungsbild sehr heterogen und hat zum Teil schillernde bis sogar bizarre Ausdrucksformen. Sie ist mit einem hohen Leidensdruck verbunden und das für die Betroffenen selbst wie auch ihre Lebensgefährten und allgemein Familienangehörige, die ebenso stark unter der Erkrankung leiden wie Angehörige von Patienten mit schwerer Psychose. Selbst bei milden Formen des Kontroll-, Sammel- oder Waschzwangs ist die Lebensqualität der Familienmitglieder ebenfalls stark beeinträchtigt.

Das Problem der Zwangsstörung aber wird oft noch unterschätzt, die Erkrankung selbst unterdiagnostiziert und damit auch untertherapiert. Dabei gehen Schätzungen davon aus, dass in der deutschen Bevölkerung rund 2 bis 3% der Menschen unter einer mehr oder weniger ausgeprägten Zwangsstörung leiden und mindestens einmal in ihrem Leben eine behandlungsbedürftige Episode durchmachen. Problematisch aber ist das oft ambivalente Verhalten der Patienten, die einerseits wissen, dass sie Hilfe brauchen, andererseits aber keinen Arzt aufsuchen, weil sie durch die Zwangserkrankung selbst bedingt, negative Konsequenzen erwarten, wenn die Zwangshandlungen unterbleiben. Viele Betroffene fürchten darüber hinaus eine Bevormundung durch den Therapeuten oder einen Kontrollverlust durch die Medikation.

Hinsichtlich der Diagnostik ist die Zwangsstörung zudem eine echte Herausforderung, da sie weite Überlappungen mit anderen psychiatrischen Diagnosen wie der Angsterkrankung, der Sucht und auch der Depression aufweist. So kann der Zwang durchaus auch ein Bewältigungsversuch für Depressionen oder für eine Angststörung sein.

Therapeutisch steht die Verhaltenstherapie im Vordergrund, deren Wirkungen aber nur langsam realisiert werden. Es werden verschiedene Modelle angewandt, das Densensibilisierungsmodell mit vorsichtiger Konfrontation des Patienten oder das Flooding-Modell, bei der die Konfrontation rasch und intensiv erfolgt. Patienten mit hohem Leidensdruck brauchen zusätzlich eine medikamentöse Behandlung, wobei sich serotonerg und noradrenerg wirksame Psychopharmaka bewährt haben. Das gilt für das Trizyklikum Clomipramin und ebenso für moderne Serotonin-Reuptake-Inhibitoren wie Escitalopram, dessen klinische Wirksamkeit in einer 24-wöchigen doppelblinden Studie bei 458 Zwangspatienten belegt wurde. Die besten Resultate sind bei einer Dosierung von 20 mg täglich zu erwarten, es kommt unter dieser Wirkstoffdosis zu einer signifikanten Verbesserung der Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS) im Vergleich zu Placebo.

Die Teilnehmer erhielten 10 mg oder 20 mg Escitalopram, 40 mg Paroxetin oder Placebo. Mit Placebo reduzierten sich die Werte auf der 40-Punkte-Skala Y-BOCS um acht Punkte, mit den beiden Medikamenten in höchster Dosierung jedoch jeweils um fast zwölf Punkte. Bei etwa 70% der Patienten mit einem Verum gingen die Werte um 25% oder mehr zurück, mit Placebo nur bei etwa 50% der Patienten.

Für Escitalopram liegt außerdem inzwischen auch eine Präventionsstudie mit 320 Patienten vor, die nach der Therapieresponse in einem offenen Studienteil für 24 Wochen doppelblind Placebo oder Escitalopram erhielten. Es zeigte sich ein signifikanter Vorteil in der Rezidivrate für den SSRI, wobei das Rezidivrisiko unter Placebo 2,7-fach höher lag. Damit eignet sich der Wirkstoff sowohl zur Akuttherapie wie auch zur Rezidivprophylaxe.

Quelle

Prof. Dr. Iver Hand, Hamburg, Prof. Dr. Naomi A. Fineberg, Welwyn Garden City (GB): "Mit Cipralex® Zwangsstörungen bezwingen: schnell und stark von A wie Angst bis Z wie Zwang", Frankfurt, 15. Mai 2007, veranstaltet von der Lundbeck GmbH, Hamburg.

Christine Vetter, freie Medizinjournalistin
Hochselektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
Escitalopram gehört zu den selektiven Serotonin (5-HT)-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) mit hoher Affinität zur primären Bindungsstelle. Escitalopram wirkt antidepressiv, indem es in den präsynaptischen Neuronen des Gehirns die Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin blockiert. Es hat keine oder nur eine sehr geringe Affinität zu einer Reihe von anderen Rezeptoren, die pharmakologischen und klinischen Effekte von Escitalopram lassen sich einzig über den Wirkmechanismus der 5-HT-Wiederaufnahmehemmung erklären.
Escitalopram ist zugelassen zur
  • Behandlung von Episoden einer Major Depression;
  • Behandlung von Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie;
  • Behandlung von sozialer Angststörung (sozialer Phobie);
  • Behandlung von generalisierter Angststörung;
  • Behandlung von Zwangsstörung.
Optisch reines
S-Enantiomer
Escitalopram (S-Citalopram) ist das linksdrehende Enantiomer von Citalopram, einem bizyklischen Phthalan-Derivat, das als razemische Mischung zweier Stereoisomere vorliegt. Von den beiden Stereoisomeren ist Escitalopram über 100 Mal potenter als das R-Enantiomer und wird für die pharmakologische Wirkung von Citalopram verantwortlich gemacht. Theoretisch ist es vorstellbar, dass nach Abtrennung des weniger aktiven Stereoisomers weniger Nebenwirkungen oder Interaktionen auftreten könnten. In der klinischen Anwendung ist bisher bei Escitalopram keine Überlegenheit zu erkennen, das Nebenwirkungsprofil von Escitalopram und Citalopram wird als vergleichbar eingeschätzt. Unter Escitalopram besteht ein Trend zu einem schnelleren Wirkungseintritt im Vergleich zu Citalopram.
Waschzwang Das Antidepressivum Escitalopram ist jetzt auch zur Behandlung bei Zwangsstörungen zugelassen. In Studien konnte es auch das erneute Auftreten von starkem Zwangsverhalten im Vergleich zu Placebo reduzieren.
Foto: HTS/CWS

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