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Onkologie
Krebstherapie bei Kindern
Die Krebstherapie bei Kindern hat große Fortschritte gemacht. Doch dies ist kein Grund für die Medizin, sich entspannt zurückzulehnen. Weitere Hoffnungen auf größere Heilungschancen setzen viele Eltern von krebskranken Kindern auf Mittel und Methoden der Komplementärmedizin. Die Schulmedizin lehnt ergänzende Maßnahmen nicht grundsätzlich ab, sondern versucht, deren potenziellen Nutzen nachzuweisen. Dazu äußerte sich Prof. Dr. med. Dr. h.c. Günter Henze, Klinikdirektor der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie Otto-Heubner-Centrum für Kinder- und Jugendmedizin in der Charité-Universitätsmedizin Berlin, in einem Interview, das DAZ-Mitarbeiterin Dr. Petra Jungmayr mit ihm auf dem NZW 2007 in Hamburg führte.
DAZ Wird Krebs bei Kindern anders behandelt als bei Erwachsenen?
Henze: Die meisten Krebskrankheiten bei Kindern und Jugendlichen sind sehr bösartig und bedürfen deshalb einer intensiven Behandlung. Eine zentrale Rolle spielt die Chemotherapie. Bei Tumoren ist in der Regel außerdem eine Operation erforderlich und, wenn diese nicht möglich ist, auch eine Strahlentherapie.
DAZDank intensivierter Therapien sind die Heilungschancen vieler krebskranker Kinder gut. Mit welchen Spätfolgen muss gerechnet werden?Henze: Zu nennen sind hier unter anderem Infertilität, Wachstumsstörungen, hormonelle Störungen, Leistungsschwächen in einigen intellektuellen Bereichen (vor allem nach Bestrahlungen des Gehirns) und das Auftreten von Zweitmalignomen. Die Größenordnung dieser Zweitmalignome ist schwer abzuschätzen, sie liegt momentan zwischen 5 und 10%. Dies mögen aber wegen der relativ kurzen Beobachtungszeiten noch keine endgültigen Zahlen sein.
DAZWas sind Anzeichen für eine Krebserkrankung beim Kind?Henze: Unterschiedliche Krebsarten führen zu unterschiedlicher Symptomatik. Bei Leukämien ist das Kind oftmals müde, spielunlustig, schwach und fiebrig. Blutergüsse ohne Fremdeinwirkung, Gelenkschmerzen und Schwellungen sind Alarmzeichen, die unbedingt abgeklärt werden müssen.
DAZZwischen 1995 und 2000 wurde in einigen Bundesländern ein Früherkennungs-Screening auf Neuroblastome durchgeführt. Die Auswertung der Daten führte zum Schluss, dass diese Frühuntersuchung nicht zu empfehlen ist. Sind derzeit andere Untersuchungen zur Früherkennung von Krebs bei Kindern geplant?Henze: Nein. Diese Früherkennungsaktion hatte zu einer Überdiagnose an Neuroblastomen geführt, das heißt, es wurden sehr viele frühe Neuroblastome gefunden, die möglicherweise wieder von selbst verschwunden wären. Für andere Tumorentitäten gibt es auch keine so einfach durchführbaren Screenig-Methoden.
DAZWie reagiert ein Kind auf seine Erkrankung?Henze: Jedes Kind geht mit seiner Krebserkrankung unterschiedlich um. Neben individuellen Reaktionen gibt es altersabhängige Reaktionen. Kleinere Kinder reagieren relativ unbefangen, größere Kinder denken häufig über ihre Krankheit und die möglichen Konsequenzen nach. Bei der Bewältigung der Erkrankung hilft die psychosoziale und psychoonkologische Unterstützung, die auch insbesondere für die Angehörigen bestimmt ist. Stellen Sie sich die Situation vor: Ein gesundes Kind wird von einem Tag auf den anderen todkrank, bei solchen einschneidenden Zäsuren ist eine professionelle Hilfe notwendig.
DAZWie beurteilen Sie Nutzen und Risiken der Komplementärmedizin bei krebskranken Kindern?Henze: Ich kann das zum jetzigen Zeitpunkt schlecht einschätzen, vielleicht wissen wir aber in absehbarer Zeit mehr darüber. Denn wir führen eine randomisierte Studie durch, in die anthroposophische Konzepte aus der Klinik in Witten/Herdecke aufgegriffen werden. Krebskranke Kinder erhalten eine zusätzliche Komplementärtherapie, u.a. auch mit einem Mistelpräparat. Studienendpunkte sind die Lebensqualität und die Therapieverträglichkeit der Chemotherapie.
DAZIn welchem Ausmaß wünschen Eltern komplementärmedizinische Maßnahmen und wie groß ist die Gefahr, unseriösen "Heilern" und Scharlatanen in die Hände zu fallen?Henze: Der Wunsch nach unterstützenden Maßnahmen ist sehr groß. Ich schätze, zwei Drittel aller Eltern ergreifen zusätzliche Maßnahmen, häufig ohne Wissen des Arztes. Fühlen sich der Patient und seine Angehörigen bei ihrem Arzt gut aufgehoben und wird ihnen das Gefühl vermittelt, gut betreut zu werden, ist die Gefahr relativ gering, dass sie sich unseriösen Methoden zuwenden. Also, je schlechter der Patient betreut wird, umso größer ist die Gefahr dass er das Opfer von Scharlatanen wird.
DAZIst die Infusion von Stammzellen aus eigenem Nabelschnurblut eine erfolgsversprechende Option, wie jüngste Berichte über die Behandlung eines leukämiekranken Kindes mit Nabelschnurblut andeuten?Henze: Ich halte die Konservierung von Nabelschnurblut aus mehren Gründen für überflüssig. Erstens: Relativ gesehen erkranken wenige Kinder an Leukämie, und der weit überwiegende Teil von ihnen wird mit einer Chemotherapie geheilt. Allein deshalb besteht aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit, dass eine Stammzelltransplantation notwendig wird, wenig Bedarf.
Zweitens: Bereits heute können für 60 bis 80% aller Patienten geeignete Knochenmarkspender gefunden werden. Durch die Allogen-Spende wird zusätzlich noch die immunologische Fremderkennung "mitgeliefert", was bei eigenen Stammzellen entfällt.
Drittens: Es ist nicht auszuschließen, dass das Nabelschnurblut bereits Zellen enthält, die genetische, "präleukämische" Veränderungen aufweisen.
DAZHerr Professor Henze, vielen Dank für das Gespräch!
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