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Pharmakovigilanz
Arzneimittelsicherheit in der pharmazeutischen Beratung
Eine vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Analyse von Studien zu unerwünschten Ereignissen zeigt auf, dass ein erheblicher Teil – bis zu 20 Prozent – der Patienten hiervon betroffen ist [1]. Dass Arzneimittel hier eine bedeutende Rolle spielen, offenbarte bereits 1998 eine Metaanalyse zu schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) in den USA: In den berücksichtigten Studien waren im Mittel 4,7 Prozent aller Krankenhauseinweisungen durch UAW bedingt [2]. Eine von uns durchgeführte Analyse von europäischen Studien aus dem Zeitraum von 1995 bis 2005 kommt bei Akuteinweisungen zu einer Quote von 3 Prozent, die wahrscheinlich oder mit Sicherheit durch UAW bedingt sind. Für Deutschland wären das im Jahr 2004 über 500.000 Fälle gewesen [3].
Mehr Anstrengungen zur Minimierung der UAW – vor allem durch eine verbesserte Risikodetektierung – forderte die International Society of Drug Bulletins (ISDB, Internationale Gesellschaft unabhängiger Arzneimittelzeitschriften) Anfang 2005 in der "Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz" [4]. Ebenfalls seit 2005 verlangen die EMEA und die FDA für einige Arzneimittel bei der Zulassung Risikominimierungspläne, die detaillierte Auskunft über noch durchzuführende Untersuchungen zur Anwendungssicherheit und zum Monitoring geben [5, 6]. Eine von der FDA in Auftrag gegebene Analyse der Sicherheitssituation im Bereich Arzneimittel zeigt aber noch einige weitere Schwachstellen auf, die neue Maßnahmen erfordern [7].
Pharmazeutische Beratung mit besserer Qualität
Dass die Apotheke hier in Zukunft eine wesentliche Aufgabe übernehmen und dadurch nicht zuletzt ihre Position im Gesundheitswesen stärken kann, versteht sich wohl von selbst. Der erste Abschnitt des Berliner Arzneimittelsicherheitsprojekts war deshalb eine Analyse zu der Fragestellung, welche sicherheitsrelevanten Probleme in Apotheken gut detektierbar sind und durch geeignete Interventionen gelöst werden könnten. Daraufhin wurde ein Konzept zur Risikodetektierung und -minimierung entwickelt, für das im nächsten Schritt ein Umsetzungsplan erstellt wurde, der möglichst viele Berliner Apotheken einbezieht. Ein wesentliches Ziel ist zunächst die Qualitätssicherung der pharmazeutischen Beratung als "conditio sine qua non" der Arzneimittelsicherheit in der Apotheke. Als Ergebnis wurde ein auf Qualitätszirkeln basierendes Fortbildungs- und Studienkonzept entwickelt, das zunächst ab Februar 2006 in einer Pilotphase mit vier Zirkeln erfolgreich getestet wurde und seit Dezember 2006/Januar 2007 in sechs weiteren Qualitätszirkeln umgesetzt wird.
Medikations-Check in der Apotheke
Neben der Beschäftigung mit indikationsbezogenen Themen in der pharmazeutischen Beratung steht die Detektierung und Minimierung von Arzneimittelrisiken im Mittelpunkt der Zirkel. Ab Februar 2007 beteiligen sich die bisher 109 an den Qualitätszirkeln teilnehmenden Apotheken an einer Untersuchung, in der anhand eines standardisierten Beratungskonzepts, das sich an den einschlägigen Leitlinien orientiert, sicherheitsrelevante Probleme detektiert und gelöst werden. In der ersten Phase steht dabei die qualitative Erfassung der Probleme im Vordergrund, während im zweiten Teil eine quantitative Untersuchung von besonders relevanten Problemen bei allen Apothekenkunden und besonders risikoexponierten Patientengruppen, wie beispielsweise Diabetikern oder schwangeren Frauen, stattfinden soll.
Zur Verbesserung der Beratungspraxis und zur Standardisierung der Beratung unter den Studienbedingungen wurde eine "Medikations-Check"-Methode entwickelt, die in die Bereiche Selbstmedikation, Erstanwendung und wiederholte Anwendung gegliedert ist. Von den Untersuchungen werden zum einen Erkenntnisse über die Häufigkeit von in Apotheken detektierbaren sicherheitsrelevanten Problemen erwartet, zum anderen aber auch über die Detektierbarkeit in Apotheken an sich und deren mögliche Rolle im Risikomanagementprozess.
Kategorisierung von ABP
Frühere Studien zu arzneimittelbezogenen Problemen (ABP) in deutschen Apotheken zeigten auf, dass deren Zahl bereits ohne gezielte Suche unter Verwendung eines Spontandokumentationssystems relativ hoch ist [9, 10, 11]. So wurden in der jüngsten Studie 0,93 ABP pro 100 Patienten dokumentiert [11]; eine subjektive Einschätzung von Apothekern in einer der früheren Studien ergab allerdings eine deutlich höhere Problemprävalenz bei 15,6 Prozent der Patienten [10]. Bei dem Konzept der ABP ist allerdings zu beachten, dass nicht jedes der beispielsweise in dem häufig verwendeten PiDoc© -Kodierungssystem vorkommenden Probleme als sicherheitsrelevant einzustufen ist. So ist z. B. kaum eine Gefahr für den Patienten anzunehmen, wenn dieser ein OTC-Arzneimittel verlangt, das nicht mehr im Handel, nicht in der ABDA-Datenbank zu finden oder dessen Packungsgröße unzweckmäßig ist.
Aus diesem Grund haben wir die ABP-Kategorisierung um eine Beurteilung der Sicherheitsrelevanz ergänzt. Diese spielt besonders bei Interaktionen eine bedeutende Rolle: Wie eine bayerische Studie zu Interaktionen unter Verwendung des ABDATA-CAVE-Moduls aufzeigt, lassen sich relativ häufig (bei 3,6% der Patientenkontakte) Hinweise auf Interaktionen finden [12]. Eine andere, ebenfalls aus Bayern stammende Untersuchung zeigt jedoch, dass nur bei 52 Prozent aller so detektierten Interaktionen tatsächlich eine Intervention notwendig war [14]. Eine zusammenfassende Auswertung von Studien zu durch Interaktionen bedingten Krankenhausaufnahmen kommt zu dem Schluss, dass diese nur für 0,05 Prozent aller Notaufnahmen verantwortlich waren, also nur ein Bruchteil der 3 Prozent durch Arzneimittel bedingten Krankenhausaufnahmen [13].
Fragenkatalog zur standardisierten Beratung
Konsequenz aus diesen Erkenntnissen war zum einen, im Rahmen des Projekts starken Wert auf die Beurteilung der detektierten Interaktionen und die sich gegebenenfalls daraus ergebenden notwendigen Interventionen zu legen. Hierzu wird ein eigenes Seminar für die Qualitätszirkelteilnehmer angeboten. Zum anderen wird der Detektierung anderer, nicht durch Medikations-Checks detektierbarer, sicherheitsrelevanter Probleme verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt, nämlich den möglichen Informationsdefiziten beim Patienten. Das standardisierte Beratungskonzept umfasst deshalb einen Fragenkatalog zu sicherheitsrelevanten Problemen, die beim Arzneimittelgebrauch auftreten können – gegliedert in die drei Bereiche Selbstmedikation, Erstanwendung und wiederholte Anwendung. Der Fragenkatalog stellt eine übersichtliche Zusammenfassung der BAK-Leitlinien zur Beratung dar, die um zahlreiche Punkte, wie z. B. eine Liste häufig vorkommender Kontraindikationen, ergänzt wurde.
Der Fragenkatalog ist einerseits ein einfaches Instrument zur möglichst vollständigen Identifizierung sicherheitsrelevanter Probleme, andererseits ist er eine notwendige Voraussetzung für die im Rahmen der Studie angestrebte quantitative Erfassung dieser Probleme. Dazu dient ein zum Fragenkatalog passendes Dokumentationsformular.
Bessere Pharmakovigilanz durch engagierte Apotheker
Die erkannten Probleme werden in den Qualitätszirkeln diskutiert, auch um besonders risikoexponierte Patientengruppen und Problemfelder zu identifizieren. Im zweiten Teil der Untersuchung wird diesen dann besonderes Augenmerk geschenkt. Bisher ist erst wenig über die unterschiedliche Prävalenz arzneimittelbezogener Probleme bei bestimmten Patientengruppen bekannt; eine norwegische Untersuchung zu diesem Thema stellt eine Ausnahme dar [15].
Neben der direkten Verbesserung der Patientensicherheit erwarten wir auch positive Effekte auf die Identifizierung bislang unbekannter UAW. Die Spontanmeldung unerwünschter Ereignisse, die (möglicherweise) durch Arzneimittel verursacht worden sind, durch Apotheker und Ärzte ist ein essenzieller Baustein des Risikomanagements, insbesondere bei neu zugelassenen Arzneimitteln, denn die klinischen Studien allein lassen meist nicht das gesamte Nebenwirkungspotenzial erkennen. Die Spontanmeldung von UAW, die bei Heilberuflern oft zu wünschen übrig lässt [16], ist deshalb ebenfalls ein Gegenstand der Qualitätszirkelarbeit. Nicht zuletzt zielt das Projekt darauf ab, die Pharmakovigilanz als ureigene Aufgabe des Apothekers im Bewusstsein der Apothekerschaft zu verankern.
Literatur[1] Aktionsbündnis Patientensicherheit: Agenda Patientensicherheit 2006. Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., Witten 2006.
[2] Lazarou J., Pomeranz B., Corey P.: Incidence of Adverse Drug Reactions in Hospitalized Patients. J. Am. Med. Assoc. 279 (1998), 1200-1205.
[3] Hochrechnung auf Grundlage der in der European health for all database (HFA-DB) des World Health Organization Regional Office for Europe angegebenen Zahl von 16.799.026 Krankenhausakuteinweisungen in Deutschland im Jahre 2004.
[4] ISDB EU: Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz. Wie sich die Sicherheit von Arzneimitteln verbessern lässt. International Society of Drug Bulletins, Berlin 2005.
[5] EMEA: Guideline on risk management systems for medicinal products for human use (EMEA/CHMP/96268/2005). 14.10.2005.
[6] FDA: Guidance for Industry: Development and Use of Risk Minimization Action Plans. März 2005.
[7] Institute of Medicine of the National Academies (US): The Future of Drug Safety: Promoting and Protecting the Health of the Public. 22.09.2006.
[8] Lewinski D., Wind S., Belgardt C.: Neu: Qualitätszirkel zum Thema Beratung. Dtsch. Apoth. Ztg. 145 (2005), 6448.
[9] Schaefer M.: Wie unentbehrlich sind die Apotheker? Dtsch. Apoth. Ztg. 135 (1995), 3019-3027.
[10] Schaefer M., Kresser J.: Pharmazeutische Betreuung vermeidet Schäden. Pharm. Ztg. 143 (1998), 4446-4454.
[11] Griese N., Hämmerlein. A., Schulz M.: Ergebnisse der Aktionswoche "Arzneimittelbezogene Probleme". Pharm. Ztg. 151 (2006), 2374-2383.
[12] Griese N., Schulz M., Schneider J.: Der Interaktions-Check in der Apotheke. Pharm. Ztg. 151 (2006), 1498-1502.
[13] Becker M., Kallewaard M., Caspers P. et al.: Hospitalisations and emergency department visits due to drug-drug interactions: a literature review. Pharmacoepidemiology & Drug Safety. Published online 11.12.2006.
[14] Mayer S., Schneider J.: Der Interaktions-Check in Bayern. Pharm Ztg. 151 (2006), 2722-2728.
[15] Viktil K., Blix H., Reikvam A.: Comparison of Drug-Related Problems in Different Patient Groups. Ann. Pharmacother. 38 (2004), 942-948.
[16] Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: Pharmakovigilanz. Arzneiverordnung in der Praxis, Sonderheft (2005).
Korrespondenzanschrift: Daniel Lewinski Apothekerkammer Berlin Kantstr. 44/45, 10625 Berlin lewinski@AKBerlin.de
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