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Basiswissen Ernährung (Folge 9)

Vitamin B1 – damit der Stoffwechsel wie geschmiert läuft

Thiamindiphosphat, die aktive Form des Vitamin B1 , wirkt hauptsächlich als Coenzym in wichtigen Gruppenübertragungsreaktionen im Energiestoffwechsel. Darüber hinaus beeinflusst das wasserlösliche Vitamin B1 die Neurotransmitter GABA und Serotonin und wirkt als Antagonist von Acetylcholin. Ein Mangel führt daher insbesondere zu Störungen im Kohlenhydratstoffwechsel und zu neurologischen Ausfällen und Polyneuropathien. Meist treten diese Störungen bei einer Fehlernährung oder Alkoholismus auf.

Bereits im Jahr 2600 vor Christus war in China eine Krankheit bekannt, deren Symptome ein wackliger Gang mit zitternden Knien waren und die Beri-Beri (zu deutsch: Schafsgang) genannt wurde, da die auftretenden Störungen im Gangbild ähnlich dem Gang von Schafen waren. Sie gilt als älteste dokumentierte Mangelkrankheit überhaupt.

Anfang des 20. Jahrhunderts nahm diese Krankheit in erschreckendem Umfang im ostasiatischen Raum zu, und zwar vor allem bei armen Menschen, deren Nahrung fast nur aus Reis bestand. Irgendwann wurde festgestellt, dass diese bis dahin unerklärliche Krankheit erst auftrat, nachdem europäische Reisschälmaschinen eingeführt worden waren und damit die Reiskörner von ihren Hüllen, dem Silberhäutchen, maschinell befreit wurden. Der polnische Biochemiker Casimir Funk beschäftigte sich mit der Isolierung eines Wirkstoffes gegen Beri-Beri, die er als eine Mangelkrankheit erkannte, bei der der Organismus lebensnotwendige Substanzen nicht mit der Nahrung aufnimmt. Funk konnte im Jahr 1911 aus Reiskleie, in der sich auch noch die Schalen des Reiskorns befinden, den Wachstumsfaktor isolieren, nach dessen Zufuhr Beri-Beri verschwand. Eine Analyse dieser Verbindung ergab, dass es sich um eine stickstoffhaltige Verbindung, ein Amin handelte. Funk nahm daher an, dass alle lebensnotwendigen Stoffe Amine sind und eine NH2 -Gruppe enthalten. Daher schlug er für dieses Isolat, das heute als Thiamin oder Vitamin B1 bekannt ist, die Bezeichnung Vitamin (Lebens-Amin) vor [2]. Obwohl sich später zeigte, dass nicht alle Substanzen, die wir heute unter dem Begriff "Vitamine" zusammenfassen, Amine sind, wurde diese Bezeichnung beibehalten.

Wasserlöslich, hitze- und lichtempfindlich

Thiamin (Vitamin B1) besteht aus 2-Methyl-4-amino-oxymethyl-pyrimidin (Pyramin) und ist über eine CH2 -Gruppe mit einem 4-Methyl-5-hydroxy-ethylthiazol verbunden. Für Thiamin liegt eine hohe Strukturspezifität vor. Bereits geringfügige Veränderungen können zum Verlust der biologischen Aktivität führen bzw. erzeugen Substanzen mit Antivitamin-Charakter. Zum Beispiel führt eine Substitution der NH2 -Gruppe durch eine OH-Gruppe am Pyrimidin-Ring zu einem vollständigen Aktivitätsverlust [2]. Insgesamt werden aber alle Verbindungen mit Thiaminwirkung unter dem Namen Thiamin zusammengefasst. Während in der Natur vorwiegend Thiaminphosphate auftreten, werden in Pharmaka sowohl wasserlösliche Thiaminderivate wie Thiaminhydrochlorid oder -nitrat als auch lipophile Thiaminanaloga wie Benfotiamin oder Fursultiamin eingesetzt [1].

Resorption und Stoffwechsel

Thiamin wird im Jejunum nach intraluminaler Freisetzung aus seinen Verbindungen resorbiert; vorhandene Thiaminphosphatester müssen zuvor hydrolysiert werden. Normalerweise herrschen sehr niedrige luminale Konzentrationen von < 2 µmol/l; Thiamin wird dann über einen aktiven carriervermittelten Transportmechanismus resorbiert. Bei erhöhten oralen Dosen findet der Transport vermehrt über passive Diffusion statt. Die Resorptionsquote beträgt für Thiamin aus der Nahrung nahezu 100%, bei pharmakologischen Dosen kann sie aber auf 25% absinken. Anders verhält es sich mit lipophilen Thiaminanaloga. Sie sind membrangängig, wodurch eine dosislineare Resorption möglich ist [1, 2]. Auch in Gegenwart von Allicin, einem genuinen Bestandteil des Knoblauchs, kann sich bereits im Darmtrakt lipidlösliches Allithiamin bilden, was ebenso dosislinear resorbiert wird [3]. In der Darmmucosa sowie in der Leber wird unter ATP-Verbrauch das freie Thiamin in das coenzymatisch wirksame Thiamindiphosphat bzw. Thiaminpyrophosphat (TPP) umgewandelt. Dieses wird dann ins Blut abgegeben und an Albumin gebunden zu den Zielzellen transportiert [1]. Die Thiaminspeicher im Organismus enthalten lediglich 25 bis 30 mg [3]. Neben der geringen Speicherkapazität trägt auch die relativ kurze Halbwertzeit von neun bis 18 Tagen dazu bei, dass eine regelmäßige Zufuhr notwendig ist. Hohe Konzentrationen an Thiamin sind in Leber, Herz, Niere, Skelettmuskulatur und im Gehirn enthalten. Der Thiaminbestand setzt sich aus 80% Thiaminpyrophosphat, 10% Thiamintriphosphat (TTP) sowie in kleinen Anteilen aus Thiaminmonophosphat (TMP) und freiem Thiamin zusammen. Die Ausscheidung erfolgt überwiegend über den Urin und geringfügig über die Galle. Ist eine Gewebssättigung von > 3 µmol/l erreicht, gelangt überschüssiges Thiamin in den Urin. Ausscheidungsprodukte sind freies Thiamin, TMP, aber auch kleine Mengen Thiaminpyrophosphat sowie Spaltprodukte der Pyrimidine und Thiazole. Die normale renale Ausscheidung liegt bei ≥ 6,6 µg/g Kreatinin; Werte < 27 µg/g Kreatin weisen dagegen auf einen Thiaminmangel hin [2].

Erregungsleitung im peripheren Nervensystem

Thiamin wirkt hauptsächlich in Form des Thiaminpyrophosphat als Coenzym bei wichtigen Reaktionen des Energiestoffwechsels mit [3]. Ein thiaminabhängiges Schlüsselenzym, das auch herangezogen wird, um den Versorgungsstatus zu beurteilen, ist die Transketolase. Sie katalysiert im Pentosphosphatzyklus die reversible Übertragung eines C2 -Fragments, die ermöglicht, dass aus verschiedenen Aldosen mehrere Ketosen entstehen können oder umgekehrt. Auch Pyruvat, das Endprodukt der Glykolyse und des Abbaus von glykoplastischen Aminosäuren, wird über die thiaminabhängige Pyruvatdehydrogenase in Form von Acetyl-CoA in den Citratzyklus eingeschleust. Teil des Zyklus ist auch die Bildung von Succinyl-CoA mithilfe von α-Ketoglutaratdehydrogenase, die ebenso Thiamin als Coenzym benötigt. Thiamin spielt bei Reaktionen eine Rolle, bei denen entweder eine Decarboxylierung von α-Ketosäuren über die Bildung von α-Hydroxyketonen oder die Übertragung eines α-Ketorestes stattfindet. In einem Zwischenschritt entsteht ein negativ geladenes Kohlenstoffatom, dessen Ladung durch Thiaminpyrophosphat stabilisiert wird und so für weitere Reaktionen am Enzymkomplex zur Verfügung zu stehen [1]. Neben dem Energiestoffwechsel wird derzeit eine nicht-enzymatische Funktion von TPP im Nervensystem diskutiert. Hohe Konzentrationen an Thiaminpyrophosphat befinden sich in neuronalen Zellen aber auch in der Skelettmuskulatur, wo eine elektrische Reizleitung stattfindet. Auch wird TPP während einer Reizleitung rascher hydrolysiert. Es wird vermutet, dass Thiaminpyrophosphat entweder innerhalb oder in unmittelbarer Umgebung von Na+ -Kanälen der Membranen lokalisiert ist. Ein vorstellbarer Wirkmechanismus wäre eine Dephosphorylierung von Thiamin, die durch einen Nervenimpuls ausgelöst wird, die wiederum zu einer Verschiebung des Thiamins führt, so dass Na+ die Membran frei passieren kann [2].

Lebensbedrohliche Symptome bei Thiaminmangel

Ein Thiaminmangel verursacht vor allem Störungen im Kohlenhydratstoffwechsel [3]. In Entwicklungsländern ist eine unzureichende Aufnahme die Hauptursache für einen Mangel. Insbesondere sind Personen gefährdet, die ihren Kohlenhydratbedarf mit poliertem Reis decken. Weiterhin sind gestillte Säuglinge von Müttern, die von einem Thiaminmangel betroffen sind, gefährdet. In Industrienationen entsteht ein Mangel in erster Linie durch chronischen Alkoholismus [2]. Ein marginaler Thiaminmangel zeichnet sich durch unspezifische Symptome wie Müdigkeit, Gewichtsreduktion und Verwirrungszustände aus. Die Pathogenese ist bislang unbekannt, jedoch gibt es Hinweise, dass bei älteren Menschen die Zufuhr von B-Vitaminen insgesamt die Gedächtnisstörungen und Verwirrungszustände senken konnte. Als Beri-Beri bezeichnet man die schwerste Form des Thiaminmangels [5]. Die Symptome treten in Abhängigkeit von der Verlaufsform und der Mitbeteiligung anderer Nährstoffe auf [3]. Und spiegeln sich in Störungen des Herz-Kreislauf- und des Nervensystems wieder. Dabei kommt es zur Herzhypertrophie und -dilatation, Tachykardie, Atemnot, Ödemen in den Beinen sowie Polyneuritis und Muskelschwäche, -schmerzen bzw. -krämpfe. Man unterscheidet zwischen drei verschiedenen Verlaufsformen. Während die trockene Form durch eine periphere Neuropathie charakterisiert ist, treten bei der nassen Form von Beri-Beri vor allem Ödeme, Tachykardien und Herzwassersucht auf. Ferner gibt es die cerebrale Form, die vor allem typisch für alkoholkranke Menschen ist [2]. Da bei diesen Personen sowohl Resorption als auch der Stoffwechsel gestört sind, ergibt sich daraus ein erhöhter Bedarf. Vor allem weil der aktive Transportmechanismus für Thiamin bei Alkoholikern im Darm gehemmt ist, kann der Thiaminspiegel um 20 bis 70% erniedrigt sein. Diese unzureichende Versorgung steht in Verbindung mit der alkoholischen Neuropathie sowie mit kardialen Störungen, die aufgrund von Alkoholabusus entstehen. Im Fokus steht jedoch das Wernicke-Korsakow-Syndrom (Wernicke Enzephalopathie). Das klinische Bild zeigt Augenmuskelstörungen und Nystagmus, cerebrale Ataxie und delirante Verwirrtheit, die bei 3 bis 5% aller chronischen Alkoholiker zu einer Bewusstseinseintrübung führen kann. Wird der Mangel sofort behandelt, kann ein möglicher Tod oder aber bleibende Störungen wie die Korsakow-Psychose mit typischen Gedächtnisstörungen verhindert werden. Dennoch liegt die Mortalitätsrate bei 20% [6]. Weiterhin kann bei gestillten Säuglingen die infantile Form von Beri-Beri auftreten. Sie manifestiert sich durch Trinkschwäche, Erbrechen, Apathie und Unruhe. Bei einem akuten Krankheitsverlauf kann ein Mangel bei Kindern auch zu lebensbedrohlicher Herzinsuffizienz führen [3].

Thiaminmangel bei verschiedenen Erkrankungen

Neben einem alimentär verursachten Thiaminmangel besteht auch bei Erkrankungen, die mit Malabsorption einhergehen, die Gefahr eines Thiamindefizits. Beispielsweise ist bei einer Hyperthyreose sowie einer Acidose, insbesondere im Coma diabeticum, der Bedarf erhöht. Macht sich ein erhöhter Serumlactatspiegel bemerkbar z. B. in Verbindung mit einer Lactacidose, ist ein gleichzeitiger Mangel nicht auszuschließen. Wenn aber rasch substituiert wird, können sich die Werte in Kürze regenerieren. Ebenso ist die Versorgung bei Hämodialyse-Patienten gefährdet, da Thiamin aufgrund seiner Wasserlöslichkeit verstärkt in das Dialysat übergehen kann. Auch wird vermutet, dass bei einer Anorexia nervosa ein Thiaminmangel Depressionen und Wahrnehmungsstörungen begünstigt. Es empfiehlt sich daher, den Thiaminstatus zu überprüfen und gegebenenfalls zu supplementieren [6].

Vorkommen

Thiamin ist in praktisch allen Lebensmitteln zu finden. Häufig sind aber nur geringe Mengen enthalten [2]. Besonders gute Quellen tierischer Herkunft sind Muskelfleisch, vor allem vom Schwein sowie Leber und Fisch, z. B. Scholle und Thunfisch. Daneben kommt Thiamin auch in Hülsenfrüchten wie Linsen, Bohnen und Erbsen sowie Getreide und Kartoffeln in größeren Mengen vor [3]. Wie alle B-Vitamine liegt Thiamin im Getreide vorrangig in den Randschichten des Getreidekorns vor; je höher der Ausmahlungsgrad ist, desto niedriger ist der Thiamingehalt. Weiterhin entstehen Vitamin-Verluste beim Polieren von Reis [1]. In Deutschland wird Thiamin vorrangig über Wurstwaren und Fleisch, aber auch Brot, Milchprodukte, Kartoffeln und Gemüse aufgenommen [4].

Beeinflussung der Verfügbarkeit

Der Thiaminstatus ist abhängig von einer Vielzahl von Faktoren. So wird die Verfügbarkeit aus den jeweiligen Lebensmitteln, dem Alkoholkonsum, der Anwesenheit von Antagonisten sowie durch den Folat- und Proteinstatus bestimmt. Ab einem pH-Wert von > 7 wird Thiamin zerstört. Da Thiamin wasserlöslich ist, werden auch durch das Kochwasser Verluste bei der Zubereitung von Gemüse verursacht. Gibt man Natrium-Bicarbonat zum Kochwasser hinzu, um die Garzeit von Leguminosen zu verkürzen, so wird Thiamin inaktiviert. Weiterhin gilt Thiamin als thermolabil: hohe Verluste entstehen beim Kochen und Eindosen von Fleisch (25 bis 85%), beim Backen und Toasten von Brot (5 bis 35%) sowie beim Kochen von Gemüse (0 bis 60%). Andere Zubereitungsverluste entstehen bei der Pasteurisation, Sterilisation und Trocknung von Milch sowie durch Sulfit, UV-Licht, Oxidations- und Reduktionsmittel [2].

Überdosierung

Hohe Thiamindosen, die mit der Nahrung oder in Form von Supplementen aufgenommen werden (50 bis 200 mg/d) gelten bislang als ungefährlich [3]. Auch existiert kein LOAEL (lowest observed adverse effect level) und der NOAEL (no observed adverse effect level) liegt bei 50 mg/d. Dieser Wert sollte bei einer lang anhaltenden Thiaminsupplementierung sicherheitshalber nicht überschritten werden. Bisher konnten lediglich in einzelnen Fällen anaphylaktische Reaktionen nach einer intravenösen Verabreichung beobachtet werden. Bei einer parenteralen Gabe lag das Risiko für kreislaufwirksame anaphylaktische und anaphylaktoide Reaktionen unter 1:100.000. Auch sollte Thiamin parenteral verabreicht werden, wenn der Verdacht auf einen akuten Mangel besteht, denn eine orale Prophylaxe würde dann nicht mehr ausreichen. Neueren Studienergebnissen zufolge könnte Thiamin direkt mit der Nucleinsäure-Synthese von Tumorzellen über die Transketolase assoziiert sein. Ist die Nucleinsäure-Synthese erhöht, so begünstigt dies das Überleben von Tumorzellen sowie deren Chemotherapie-Resistenz und die Proliferation [6].

Anwendungsmöglichkeiten in der Therapie

Wird Thiamin in der Therapie von Erkrankungen angewandt, so stehen sowohl orale als auch parenterale Präparate zur Verfügung. Benfotiamin wird zum Beispiel oral verabreicht. Es ist fettlöslich und wird daher sowohl besser resorbiert aber auch länger im Körper retiniert. Insgesamt haben fettlösliche Präparate eine bessere Bioverfügbarkeit [6].

Eingesetzt wird Thiamin vor allem bei Erkrankungen des Zentralnervensystems und des peripheren Nervensystems. Die therapeutischen Dosen liegen zwischen 50 und 200 mg/d [5]. Weitere Erkrankungen, die mit einem Risiko für einen Thiaminmangel einhergehen, sind neben dem Alkoholabusus konsumierende Erkrankungen sowie Mangel- und Unterernährung. Besteht der Verdacht eines akuten hiaminmangels, so sollten stationär intravenös 50 bis 100 mg drei- bis viermal täglich verabreicht werden. Da eine Thiaminbehandlung möglichst rasch durchgeführt werden sollte, aber Untersuchungsergebnisse erst nach Tagen oder Wochen vorliegen, sind neben den Laborwerten auch klinische Symptome von Bedeutung. Insgesamt sollten Ärzte versuchen eine Thiaminmangelerkrankung bereits im Prodromalstadium zu erkennen. Dies ist beispielsweise bedeutsam bei Frauen mit langanhaltender Hyperemesis gravidarum. Leiden Frauen an Schwangerschaftsdiabetes kann sich eine Supplementation sowohl positiv auf die Glucosetoleranz als auch auf das intrauterine Wachstum auswirken [6]. Weiterhin sollte bei einer zytostatischen Dauerbehandlung Thiamin supplementiert werden [3].

Empfehlungen und tatsächliche Zufuhr

Aus kontrollierten Bilanzstudien ist bekannt, dass der minimale Thiaminbedarf eines Erwachsenen bei 0,33 mg/1000 kcal liegt. Nach einer etwa neuntägigen Versorgung mit weniger als 0,2 mg/1000 kcal wurden vereinzelt Mangelsymptome beobachtet. Unter Berücksichtigung verschiedener Befunde empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) eine tägliche Zufuhrmenge von 0,5 mg/1000 kcal, um eine Gewebesättigung und die Aktivität thiaminabhängiger Enzyme wie die Transketolase in den Erythrozyten zu gewährleisten. Auch bei einer reduzierten Energiezufuhr sollte die tägliche Thiaminaufnahme nie bei weniger als 1,0 mg liegen. Für Erwachsene empfiehlt die DGE für Frauen eine tägliche Aufnahme von 1,0 mg und für Männer von 1,3 mg. Jugendliche sollen in der Periode des höchsten Energiebedarfs bis zu 1,4 mg aufnehmen [1, 3]. Für Schwangere besteht aufgrund der veränderten Stoffwechsellage und der Bedürfnisse des Feten ein Mehrbedarf von 0,2 mg/d. Durch den erhöhten Energiebedarf und der erhöhten Thiaminausscheidung über die Muttermilch sollen Stillende zusätzlich 0,4 mg Thiamin/d aufnehmen [3]. Gemäß dem erhöhten Energieumsatz bei Schwerstarbeitern und Leistungssportlern erhöht sich auch hier der Thiaminbedarf entsprechend. Derzeit liegt die tägliche mediane Aufnahme für Männer bei 1,6 mg und für Frauen bei 1,2 mg; der größte Teil der Bevölkerung liegt folglich über den aktuellen Referenzwerten [4]. Doch können bei den sieben- bis 15-jährigen Jungen nur 86 bis 90% und bei den vier- bis 15-jährigen Mädchen 81 bis 94% die Nährstoffempfehlungen umsetzen. Weiterhin liegt für ältere Menschen eine hohe Prävalenz von subklinischem Mangel vor, der nicht mit Arzneimitteln und Erkrankungen sondern vielmehr mit dem Alter assoziiert ist. Dieser Mangel ging gleichzeitig mit Neuropathien im unteren Beinbereich einher [6].

Quelle

[1] Biesalski, H.-K.; Grimm, P.: Taschenatlas der Ernährung. Thieme, Stuttgart 2. aktualisierte Auflage, 160–163 (2001).

[2] Elmadfa, I, Leitzmann, C: Ernährung des Menschen. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 4. korrigierte und aktualisierte Auflage, 348–352, (2004).

[3] Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE); Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE); Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung (SGE) (Hrsg.): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Frankfurt/Main 1. Auflage, 101–104 (2000).

[4] Mensink, G. und M.; v. Beitz, R.; Henschel, Y.: Beiträge zur Gesundheitsberichtserstattung des Bundes: "Was essen wir heute? Ernährungsverhalten in Deutschland". Robert Koch-Institut Berlin, 50f (2002).

[5] Biesalski, H.-K.: Vitamine. In: Biesalski, H.-K.; Fürst, P; Kasper, H.; Kluthe, R.; Pölert, W.; Puchstein, C.; Stähelin, B. (Hrsg.): Ernährungsmedizin. Thieme, Stuttgart 3. erweiterte Auflage, 134–136 (2004).

[6] Hofmann, L.: Grundlagen Update: Vitamin Thiamin (Vitamin B1); Ernährung im Fokus 1–10, 267–270 (2001).

Katja Aue
Funktion des Thiamins
  • auf Zellebene Anabolismus– Synthese von Acetylcholin
  • Katabolismus – Decarboxylierung von α-Ketosäuren
  • weitere – Transketolierungen (NADPH- und Ribosebildung)
  • auf Körperebene Erhaltung von Nerven-, Herzmuskelgewebe, Wachstum und ATP-Versorgung, Verminderung von Blutpyruvat bzw. -laktat
( Quelle: [2])
Anwendungsgebiete für Thiamin
  • schwere Mangel- und Fehlernährung (z. B. Beri-Beri) parenterale Ernährung über lange Zeit, Null-Diät, Hämodialyse, Malabsorption
  • chronischer Alkoholismus (alkoholtoxische Kardiomyopathie, Wernickesche Enzephalopathie, Korsakow-Syndrom)
  • schwere akute Leberfunktionsstörung (Leberkoma, fulminante Hepatitis)
  • Thyreotoxikose
  • gesteigerter Bedarf, z. B. Schwangerschaft und Stillzeit
Quelle: [6]
Um die Vitamine und Nährstoffe im Reiskorn zu erhalten, wurde in den USA das sogenannte "Parboiling" erfunden. Dabei wird der ursprüngliche Naturreis mit Wasserdampf unter hohem Druck erhitzt. Die wasserlöslichen Vitamine und Mineralstoffe diffundieren bei diesem Vorgang aus der Samenschale in das Nährgewebe des Reissamens. Zudem wird durch den Wasserdampf die Stärke an der Oberfläche des Korns gehärtet und damit die Mineralstoffe im Korn "versiegelt”. Der Reis nimmt anschließend den normalen Weg in die Reismühlen und wird dort entspelzt und weiterveredelt. Mit diesem Verfahren erreicht man etwa 80% der Nährstoffwerte des unbehandelten Reis. Parboiled-Reis weist einen leicht gelblichen Schimmer auf, wird beim Kochen aber schneeweiß und bleibt auch bei längeren Garzeiten körnig.
Therapeutische Anwendung von Thiamin
  • Polyneuropathie10 bis 20 mg/Tag wasserlösliches Thiamin oral (in anteiligen Dosen) oder5 bis 10 mg/Tag lipidlösliches Thiamin oral (Benfo-, Fursul-, Acethiamin)
  • Polyneuropathie, fortgeschrittene Form20 bis 50 mg wasserlösliches Thiamin oral (in anteiligen Dosen)oder10 bis 20 mg/Tag lipidlösliches Thiamin oral
  • Beri-Beri, kardiovaskuläre Form50 bis 100 mg/Tag wasserlösliches Thiamin subkutan oder intravenös über mehrere Tage, anschließend die gleiche Dosis oral über mehrere Wochen
Quelle: [5]

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