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Arzneimittel und Therapie
Herzinfarktrisiko: Ist der Body-Mass-Index überholt?
Adipositas (Fettsucht, Fettleibigkeit) erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus. Das ist zumindest für Länder mit hohem Einkommen nachgewiesen. Als Maß für Adipositas galt bislang ein Körpermasse-Index (Body-Mass-Index, BMI) ab 30. Der Körpermasse-Index ist das Körpergewicht in kg dividiert durch das Quadrat der Körpergröße in m.
Welches Adipositas-Maß korreliert am besten mit dem Infarktrisiko?
Zwei kleineren Studien zufolge haben Maße einer Fettleibigkeit in der Körpermitte, vor allem das Taille-Hüft-Verhältnis (Waist-to-Hip-Ratio, WHR), einen engeren Zusammenhang zum Herzinfarktrisiko als der Body-Mass-Index. In einer Analyse der weltweiten Fall-Kontroll-Studie Interheart wurde der Zusammenhang zwischen BMI, Taillenumfang, Hüftumfang und Taillen-Hüft-Verhältnis zum Herzinfarktrisiko untersucht. Berücksichtigt wurden 12.461 Fallpatienten mit einem ersten Herzinfarkt und 14.637 Kontrollen gleichen Alters und Geschlechts ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung. Die Studie fand an 262 Zentren in 52 Ländern Asiens, Europas, des Mittleren Ostens, Afrikas, Australiens, Nordamerikas und Südamerikas statt und erfasste verschiedene ethnische Bevölkerungsgruppen.
BMI und WHR regional anders verteilt
Die Teilnehmer beantworteten Fragebögen und unterzogen sich einer Untersuchung. Dabei wurde der Taillenumfang an der dünnsten Stelle zwischen Rippenrand und Darmbeinkamm am nackten Bauch gemessen, der Hüftumfang an der weitesten Stelle des Gesäßes über leichter Kleidung.
Der mittlere Körpermasse-Index betrug bei Kontrollpersonen 25,8. Am niedrigsten war er in Südasien (24,9), China (24,4) und Südostasien (24,0), am höchsten in Nordamerika (27,7), dem Mittleren Osten (27,4), Australien und Neuseeland (27,0). In Europa, Südamerika und Afrika lag er im mittleren Bereich.
Das Taillen-Hüft-Verhältnis wies eine andere regionale Verteilung auf: am niedrigsten in China (0,88), mittel in Nordamerika, Süd- und Südostasien, Europa und Afrika, am höchsten im Mittleren Osten (0,93) und Südamerika (0,94).
BMI: Kein eindeutiger Zusammenhang zum Infarkt
Bei Herzinfarktpatienten lag der mittlere BMI insgesamt nur geringfügig höher als bei Kontrollpersonen, im Mittleren Osten und Südasien unterschied er sich gar nicht zwischen Fallpatienten und Kontrollen.
Teilte man die Studienpopulation nach ihrem BMI in Fünftel ein, so stieg das Risiko eines Herzinfarktes mit zunehmendem BMI. Die Odds-Ratio vom höchsten Fünftel (> 28,2 bei Frauen und > 28,6 bei Männern) im Verhältnis zum niedrigsten Fünftel (≤ 22,7 bei Frauen und ≤ 22,5 bei Männern) betrug 1,44. Allerdings verringerte sich die Odds-Ratio auf 0,98, wenn andere Herzinfarkt-Risikofaktoren berücksichtigt wurden. Der Zusammenhang war also nicht signifikant.
WHR: Enger Zusammenhang zum Infarktrisiko
Dagegen hing das Herzinfarktrisiko mit dem Verhältnis aus Taillen- und Hüftumfang auch nach Berücksichtigung anderer Risikofaktoren signifikant zusammen: Die Odds-Ratio stieg von 1,15 für das Verhältnis vom zweitniedrigsten zum niedrigsten Fünftel auf 1,39 für das dritte, 1,90 für das vierte und 2,52 für das fünfte im Verhältnis zum niedrigsten Fünftel. Einen Hinweis auf einen Schwellenwert gab es nicht.
Reicht auch Taille oder Hüfte?
Auch der Taillenumfang zeigte einen deutlichen, aber im Vergleich zum WHR etwas schwächeren Zusammenhang zum Herzinfarktrisiko. So hatten Personen mit einem Taillenumfang im höchsten Fünftel (> 97,4 cm bei Frauen, > 99,0 cm bei Männern) nach Berücksichtigung anderer Risikofaktoren noch ein 1,33faches Herzinfarktrisiko im Vergleich zu Personen mit der schmalsten Taille (< 75,8 cm bei Frauen und < 80,5 cm bei Männern).
Der Hüftumfang stand im umgekehrten Zusammenhang zum Herzinfarktrisiko: Frauen und Männer mit der breitesten Hüfte (> 109,8 cm bzw. > 105,0 cm) hatten im Vergleich zu Frauen und Männern mit der schmalsten Hüfte (≤ 90 cm bei Frauen und ≤ 89 cm bei Männern = niedrigstes Fünftel) nur ein 0,76faches Herzinfarktrisiko nach Berücksichtigung anderer Einflussfaktoren.
WHR in allen Untergruppen prädiktiv
Der enge Zusammenhang des Taillen-Hüft-Verhältnisses zum Infarktrisiko bestand in allen Untergruppen: bei Frauen und Männern, Jungen und Alten und unabhängig von anderen Risikofaktoren, wie Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Rauchen und Bluthochdruck. Das Taillen-Hüft-Verhältnis wies bei allen ethnischen Gruppen mit Ausnahme der Chinesen und Schwarzafrikaner, bei denen der Taillenumfang der stärkste Herzinfarkt-Prognosefaktor war, den engsten Zusammenhang zum Herzinfarkt auf. Das Taillen-Hüft-Verhältnis hatte nicht nur bei Übergewichtigen (BMI zwischen 20 und 25) und Adipösen (BMI > 30) einen infarktprädiktiven Wert, sondern auch bei Idealgewichtigen (BMI zwischen 20 bis 30) und extrem Schlanken (BMI < 20). Von den vier untersuchten Adipositas-Markern zeigte der BMI in allen ethnischen Gruppen den schwächsten Zusammenhang zum Herzinfarktrisiko und bei Südasiaten, Arabern und gemischtrassigen Afrikanern keinen signifikanten Zusammenhang.
Es gibt viel mehr Adipöse!
Legt man das Taillen-Hüft-Verhältnis anstelle des BMI zugrunde, müssten weltweit viel mehr Menschen als adipös eingestuft werden als bisher, insbesondere im Mittleren Osten, Süd- und Südostasien.
Fettleibigkeit für jeden vierten Infarkt verantwortlich
Das attributable Risiko beschreibt den Anteil von Erkrankungen, der mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Exposition in der Bevölkerung zurückzuführen ist, also bei Ausschluss des verantwortlichen Faktors verhindert werden könnte. Das attributable Herzinfarktrisiko durch ein Taillen-Hüft-Verhältnis im Bereich der obersten beiden Fünftel beträgt 24,3%. Es ist dreimal höher als das attributable Herzinfarktrisiko durch einen BMI im Bereich der oberen beiden Fünftel (7,7%).
Maßband statt Waage!
Der Körpermasse-Index ist demnach nicht das ideale Maß, um kardiovaskuläre Folgen der Fettleibigkeit abzuschätzen. Das Taillen-Hüft-Verhältnis vermag die Herz-Kreislauf-Risiken besser vorauszusagen. Das die inneren Organe umgebende Bauchfett scheint Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders zu begünstigen. Umgekehrt scheint ein – durch Fettumverteilung oder steigende Muskelmasse – zunehmender Hüftumfang kardioprotektiv zu wirken. Bislang gibt es noch keine Strategien, um gezielt Bauchfett abzunehmen.
Dieser Studie zufolge macht es einen großen Unterschied, ob das Körperfett überwiegend auf Hüften und Oberschenkeln oder im Bauchraum sitzt. Das typisch weibliche Fett in der unteren Körperhälfte ("Birnenform") hat eigentlich Reservefunktion und ist gesundheitlich unproblematisch. Dagegen birgt das Bauchfett, das vor allem Männer anlegen ("Apfelform"), das eigentliche kardiovaskuläre Gefahrenpotenzial.
In der weltweiten Fall-Kontroll-Studie wurden insgesamt neun Risikofaktoren für das Auftreten eines ersten Herzinfarktes ermittelt: Rauchen, Verhältnis aus Apolipoprotein B zu Apolipoprotein A, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Ernährung, körperliche Aktivität, Alkoholkonsum, psychosoziale Faktoren und abdominelle Fettleibigkeit.
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