DAZ Feuilleton

Ausstellung: Das Einhorn – Geschichte eines Fabeltiers

Über Legenden rund um das Einhorn informiert bis zum 29. Oktober eine Sonderausstellung im Naturkundemuseum Leipzig. Gezeigt werden Fossilien und Zähne, die man früher dem Einhorn zugeordnet hatte, Abbildungen aus Büchern und auch eine dermoplastische Nachbildung eines Einhorns.

Ein Tier zum Ausschlachten Die Leber des Einhorns könne gegen Aussatz und ähnliche Leiden angewandt werden, behauptete Hildegard von Bingen. Gegen die Pest und Fieber schütze ein aus der Haut geschnittener Gürtel, und ein unter das Ess- und Trinkgeschirr gelegter Huf werde heiß, wenn warmen Speisen und Getränken Gift beigemischt worden ist. Seien hingegen kalte Speisen vergiftet, beginne der Huf zu rauchen. Ihr Wissen hatte die heilkundige Benediktinerin allerdings nicht etwa in der Praxis erworben, sondern vermutlich arabischen Abhandlungen entnommen.

Teures Allheilmittel Insbesondere das "Horn" des Tieres, das noch heute das "Wappentier" von über hundert deutschen Apotheken ist, galt als heilkräftig und wurde jahrhundertelang für die Herstellung von Arzneien verwendet. Die Indikationen reichten von Vergiftungen und Epilepsie über Fieber, Leibschmerzen und Kinderkrankheiten bis zu Potenzschwäche. Sogar Martin Luther nahm kurz vor seinem Tod noch eine Zubereitung mit "unicornu" ein – ohne Erfolg, wie wir wissen.

Von der Einhorn-Droge waren im Wesentlichen zwei Variationen bekannt, bei denen es sich jeweils um Zähne handelte. Das an den Meeresküsten gefundene "unicornu marinum" stammte vom Narwal; das in Höhlen gefundene oder aus dem Boden gegrabene "unicornu fossile", auch "unicornu verum", wahres Einhorn genannt, stammte vom Mammut, das während der Eiszeit auch in Europa gelebt hatte. Herrscher gaben Unsummen für das ganze "Horn" eines Tieres aus, das sie nie gesehen hatten, aber an dessen Existenz sie nicht zweifelten. Oft aber kam "unicornu" als Pulver in den Handel. Das waren ideale Voraussetzungen für "Drogenverfälschungen": In Venedig sollen Betrüger geriebene Kieselsteine als Einhornpulver verkauft und sich damit eine goldene Nase verdient haben.

Ein Einhorn im Schwarzwald? Die älteste bekannte Beschreibung des Einhorns stammt von Ktesias von Knidos (um 400 v. Chr.), einem griechischen Leibarzt der Perserkönige Artaxerxes II. und Darios II.: Das Einhorn sei einem Pferd ähnlich, jedoch etwas größer. Der Körper sei weiß, der Kopf rötlich gefärbt. Auf der Stirn trage es ein eine Elle langes Horn, welches unten weiß sei, dann in Schwarz übergehe und an der Spitze feuerfarben sei. Später erwähnten auch Aristoteles, Plinius und Aelian in ihren naturhistorischen Schriften das Einhorn.

Julius Caesar berichtete in "De bello Gallico", dass im Herzynischen Wald – das sind die deutschen Mittelgebirge, insbesondere der Schwarzwald – ein hirschähnliches Wesen lebe; dieses trage ein Horn in der Mitte der Stirn, das länger und geradliniger sei als alle bekannten Hörner. In der Spätantike entstand die Legende, dass Einhörner von Jungfrauen magisch angezogen werden. Zu deren Füßen liegend, könnten sie ohne Mühe eingefangen werden. Es ist jedoch nicht überliefert, ob diese Methode jemals erfolgreich war.

Um das Jahr 1130 schilderte ein Priester das Einhorn, das die äthiopische Königin Kandake Alexander dem Großen geschenkt haben soll, so ähnlich wie die antiken Autoren. Endlich meldete sich ein Augenzeuge zu Wort: Marco Polo, der um 1290 von China heimkehrte, sah in Indien ein Einhorn, "dessen Anblick scheußlich" war; dabei dürfte es sich um ein Nashorn gehandelt haben. In Deutschland ist erst sehr viel später, nämlich 1747, erstmals ein Indisches Nashorn gezeigt worden. Zwar hatte schon Albrecht Dürer in einem berühmten Holzschnitt ein Rhinozeros dargestellt, aber als Vorlage hatte ihm eine Zeichnung gedient, die er 1515 aus Portugal erhalten hatte.

Paläontologen entmythologisieren das Einhorn Im 17. Jahrhundert begnügte man sich nicht mehr damit, das "unicornu fossile" zu verwerten, sondern einzelne Forscher versuchten auch, anhand von fossilen Knochen das Tier selbst zu rekonstruieren. So entwarf der Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke anhand der Mammutknochen, die in einer Gipsdoline auf dem Zeunickenberg bei Quedlinburg gefunden worden waren, ein Tier mit zwei Vorderbeinen, das sich mangels hinterer Extremitäten auf den Schwanz stützt.

Auch der Hannoveraner Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz beschäftigte sich mit der Thematik und besuchte die große Höhle bei Scharzfeld wegen ihrer fossilen Knochen und Zähne. Er bedauerte, dass "dieser merkwürdige Stoff in dem engen Raum wohl bald erschöpft sein werde", da ja jedermann nach Belieben dort grabe. Die Fossilien stammten übrigens vom Höhlenbär, einem eiszeitlichen Zeitgenossen des Mammuts. Nach heutigem paläontologischem Wissensstand hat das Einhorn nie existiert. Es war und ist ein Fabeltier und lebt als solches fort in Kunst und Literatur – bis hin zu "Harry Potter".

Verführerische Klänge In Persien war das Einhorn wegen seiner Grausamkeit gefürchtet. Es ähnelte einer Antilope und besaß ein einzelnes geschwungenes, mit hohlen Zacken versehenes Horn, mit dem es wehmütige und verführerische Klänge erzeugte, sobald der Wind darüber strich. Damit lockte es Tiere an, die es sofort tötete, sobald sie in seine Nähe kamen.

Glücksbringer Das legendenumwobene Einhorn hat nicht nur im Vorderen Orient und im Abendland, sondern auch in China eine lange Tradition. Dort soll das Fabeltier im Jahr 2697 v. Chr. zum ersten Mal erschienen sein: Es kam aus dem Nichts, schritt durch den Palast des (ebenfalls legendären) Kaisers Huang-ti (Huangdi) und verschwand wieder. Danach wich das Glück nicht mehr von der Seite des Herrschers.

Ausstellung

Naturkundemuseum Leipzig Lortzingstraße 3, 04105 Leipzig Tel. (030141) 982210, www.leipzig/naturkundemuseum.de Geöffnet: dienstags bis donnerstags 9–18 Uhr, freitags 9–13 Uhr, sonn- und feiertags 10–16 Uhr

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