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Arzneimittel und Therapie
Herzinfarkt und Schlaganfall: Clopidogrel ohne Zusatznutzen?
Das IQWiG hatte im Dezember 2004 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Auftrag zu einer vergleichenden Nutzenbewertung von Clopidogrel und Acetylsalicylsäure in der Monotherapie zur Sekundärprophylaxe bei manifester koronarer Herzkrankheit (KHK), ischämischer zerebrovaskulärer Erkrankung (ZVK) oder symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) erhalten. Darüber hinaus sollte der Wechsel von einer ASS-Therapie auf Clopidogrel infolge eines unerwünschten Ereignisses (z. B. schwere Blutung, Thromboembolie) mit der Fortführung einer ASS-Behandlung verglichen werden.
IQWiG: Untergruppen getrennt bewerten Der jetzt veröffentlichte Abschlussbericht stützt sich auf eine Literaturrecherche, in der Publikationen bis Ende September 2005 berücksichtigt wurden. Von diesen Studien wurden fünf als relevant und eine bislang unpublizierte Studie als potenziell relevant eingestuft.
Zentrale Informationsquelle war die so genannte CAPRIE-Studie (Clopidogrel versus Aspirin in Patients at Risk of Ischemic Events) mit etwa 20.000 Teilnehmern und einer mittleren Laufzeit von zwei Jahren. Eingeschlossen waren Patienten mit koronarer Herzkrankheit und nach Herzinfarkt, Patienten nach Schlaganfall und Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Wird die gesamte Studienpopulation berücksichtigt, so das IQWiG, ergibt sich ein statistisch signifikanter Unterschied in dem primären Kombinationsendpunkt "Myokardinfarkt, ischämischer Insult oder vaskulär bedingter Tod".
Die absolute Risikodifferenz im prädefinierten Endpunkt wird bei einer jährlichen Ereignisrate von 5,32% unter Clopidogrel und 5,83% unter ASS mit 0,51% angegeben. Der Unterschied beruhe auf den Ergebnissen bei Patienten mit pAVK.
Nur bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit Nach Ansicht des IQWiG müssen die Ergebnisse für die drei Untergruppen unterschiedlich bewertet werden. Danach war Clopidogrel bei koronarer Herzkrankheit, Herzinfarkt und Schlaganfall einer ASS-Behandlung weder über- noch unterlegen. Lediglich bei pAVK wurden eindeutige Vorteile von Clopidogrel gegenüber Acetylsalicylsäure gesehen. Insgesamt kommt das IQWiG zu dem Schluss, dass pAVK-Patienten bezüglich der Reduktion vaskulärer/thromboembolischer Ereignisse mehr von einer Clopidogrel als von einer ASS-Behandlung profitieren können, die Gesamtsterblichkeit durch Clopidogrel jedoch nicht gesenkt wird. Für Patienten mit kardiovaskulären und zerebrovaskulären Erkrankungen hat Clopidogrel keinen Zusatznutzen, auch dann nicht, wenn das Thromboembolie-Risiko als Folge weiterer Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus zusätzlich erhöht ist. Auch Patienten, die unter ASS Blutungskomplikationen oder vaskuläre Komplikationen erlitten haben, sollen nach Ansicht des IQWiG keine Vorteile von einer Umstellung auf Clopidogrel haben. Effektiver scheint in solchen Fällen die Weiterbehandlung mit einer Kombination aus niedrigdosierter Acetylsalicylsäure mit einem Protonenpumpenhemmer zu sein.
Scharfe Kritik der Hersteller Sanofi-Aventis, Hersteller von Clopidogrel, hat die Bewertung des IQWiG scharf kritisiert und sieht gravierende Bewertungsfehler. Das Institut bestätige zwar einerseits einen "Vorteil" von Clopidogrel für alle Patienten (Verschlusskrankheiten, Herzinfarkt, Schlaganfall) in der zugrunde gelegten Studie, ließ aber andererseits nur für die Patienten mit Verschlusskrankheiten einen Zusatznutzen gelten. Die getrennte Analyse nach Erkrankungsformen sei unzulässig und führe dazu, dass nur bei den Verschlusskrankheitspatienten, die am stärksten von Clopidogrel gegenüber ASS profitieren, ein Zusatznutzen zu sehen sei. Für die neurologischen Patienten, die ebenfalls in der Studie unter Clopidogrel weniger Ereignisse als unter Acetylsalicylsäure haben, werde der Nachweis des Zusatznutzens verneint, obwohl das Institut im Endbericht wörtlich feststellt: "Welche Möglichkeiten (Zusatznutzen, Gleichheit oder geringerer Nutzen) für die (neurologischen oder kardiologischen) Patienten zutreffen, ist unklar". Sanofi-Aventis bezeichnet das Vorgehen des IQWiG als willkürlich und wirft dem Institut Unsachlichkeit und mangelnde Wissenschaftlichkeit vor.
Randomisierte Studien – problematische Grundlage Auch in dem jetzt vorliegenden Endbericht des IQWiG würde die grundsätzliche Problematik der vom Institut angewandten Methodik zum wiederholten Mal deutlich. Das Institut beschränke sich in seinen Bewertungen einzig auf die Ergebnisse kontrollierter randomisierter Studien. In bestimmten Situationen würden solche Studien nicht vorliegen. So verneint das IQWiG einen Zusatznutzen von Clopidogrel für Patienten, die unter Behandlung mit Acetylsalicylsäure beispielweise einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erlitten haben. Bisher wurde, so Sanofi-Aventis, keine Studie durchgeführt, in der Patienten nach einem schwerwiegenden klinischen Ereignis unter Acetylsalicylsäure entweder mit ASS weiterbehandelt wurden oder Clopidogrel erhalten hätten. Patienten, die unter Acetylsalicylsäure einen Schlaganfall hatten, dürften nur schwer davon zu überzeugen sein, an einer solchen Studie teilzunehmen. Naturgemäß könne somit bisher "kein Nachweis" für einen "patientenrelevanten Zusatznutzen" von Clopidogrel bei diesen Patienten vorliegen.
Sanofi-Aventis schließt sich ausdrücklich der im Anhörungsverfahren geäußerten Expertenmeinung an, dass es auch ohne kontrollierte Studien "plausibel erscheint, in diesen Fällen auf eine Therapie mit Clopidogrel" überzugehen. du
Der Thrombozytenaggregationshemmer Clopidogrel hat einer Nutzenbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zufolge gegenüber einer Monotherapie mit Acetylsalicylsäure keinen Zusatznutzen, wenn es um die Sekundärprophylaxe von Herzinfarkt und Schlaganfall geht. Vorteile gegenüber Acetylsalicylsäure sieht das IQWiG nur für Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit.?
Clopidogrel (Iscover®, Plavix®) wird zur Prävention ischämischer Ereignisse u. a. bei Patienten mit KHK oder pAVK insbesondere nach Stent-Implantation eingesetzt. Es ist laut Financial Times Deutschland mit 300 Mio. Euro (Hersteller–abgabepreis) das umsatzstärkste Medikament im deutschen Markt. 100 Tabletten kosten ca. 250 Euro, 100 Tabletten Acetylsalicylsäure (100 mg) dagegen nur ca. 2,75 Euro. Sollte der G-BA der Empfehlung des IQWiG folgen und sich gegen Clopidogrel in der Sekundärprophylaxe koronarer und zerebrovaskulärer Erkrankungen aussprechen, drohen Sanofi-Aventis und seinem Vertriebspartner Bristol-Myers Squibb jährliche Umsatzverluste im dreistelligen Millionenbereich.
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