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Chronopharmakologie
H.-P. Hanssen Das Uhrwerk der inneren Uhr
In allen Organismen konnten Anpassungen an den Tag-Nacht-Wechsel, aber auch an den der Jahreszeiten nachgewiesen werden. Dies ist auch nicht verwunderlich, da sie seit jeher Randbedingungen der Evolution darstellen. Solche Anpassungen lassen sich auf ein Wechselspiel äußerer Zeitgeber und einer "inneren" (endogenen) Uhr zurückführen. Diese Kopplung wird auch als "entrainment" bezeichnet. Werden die äußeren Reize experimentell ausgeschaltet, so pegelt sich die Periodizität dennoch auf einen bestimmten, endogenen Wert ein ("free-running"). Biologische Rhythmen lassen sich folglich entsprechend ihrer Periodik in verschiedene Gruppen einteilen (siehe Kasten).
Am bekanntesten ist der circadiane Rhythmus (lat. "circa diem", etwa einen Tag), der eine Periodenlänge von etwas mehr als 24 Stunden hat; das hat zur Folge, dass sich unter konstanten äußeren Bedingungen über einen längeren Zeitraum eine kontinuierliche Verschiebung der Phasenlage zur Uhrzeit ergibt.
Als Entstehungsort der endogenen Rhythmik konnte der suprachiasmatische Nucleus (SCN), eine dem Hypothalamus überlagerte Gehirnregion, lokalisiert werden, der auch für die innere Synchronisation physiologischer Prozesse verantwortlich ist (Abb. 1). Er besteht aus einer dicht gepackten Gruppe kleiner Neuronen, und obwohl offensichtlich auch noch andere circadiane Schrittmacher im ZNS existieren, kann der SCN als die Region bezeichnet werden, die die "master clock" enthält [1].
Von der Chronobiologie zur Chronopharmakologie Bereits seit 1500 Jahren weiß man, dass Asthmaanfälle vorwiegend nachts auftreten. Auch ist seit langem bekannt, dass Medikamente wie Hypnotika, Narkotika und Opiate nicht zu jeder Tageszeit gleichermaßen wirksam sind [2].
Die Fortschritte der Chronopharmakologie, der Wissenschaft, die die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik "unter dem Aspekt der zeitlichen Strukturierung des Organismus untersucht und Folgerungen für die Arzneimitteltherapie daraus zieht"[2], haben in den "Arzneiverordnungen 2003" der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Berücksichtigung gefunden (siehe Tabelle).
Neue Untersuchungen zeigen, dass offensichtlich auch die Überlebensfähigkeit bestimmter Immunzellen von der inneren Uhr gesteuert wird und so die Wahl des Applikationszeitpunktes eine Verbesserung der Effektivität von Zytostatika bewirken kann. Auch eine Verringerung unerwünschter Wirkungen war in tierexperimentellen Studien zu beobachten [3].
Die genetische Basis der biologischen Rhythmik Die Suche nach den molekularen Grundlagen biologischer Rhythmen hat in den letzten zehn Jahren zur Identifizierung einer Familie von Genen geführt, die im englischen Sprachgebrauch zusammenfassend als "clock genes" bezeichnet werden. Das SCN exprimiert mehrere solcher Uhren-Gene in rhythmischer Weise. Die Regulation dieser Rhythmen erfolgt dabei durch verschiedene Mechanismen, die sowohl die Transkription (also die Ebene der Übersetzung der genetischen Information von DNA in m-RNA) betreffen als auch nach der Translation (nach der Übersetzung der m-RNA in das Eiweißmolekül) modulierend wirken können.
Wenigstens die beiden Genprodukte CLOCK (das entsprechende Gen erhielt ironischerweise die Bezeichnung "circadian locomotor output cycles kaput -clock-") und BMAL1 fungieren als Transkriptionsfaktoren, indem sie an E-Box-Enhancer anderer Uhren-Gene binden, z. B. denen der sog. Per (period)-Gene. Enhancer haben die Funktion, mit der Promotorregion auf Distanz zu interagieren; der Enhancer selbst gehört aber nicht zum Promotor. Andererseits können die Expressionsprodukte der Per-Gene die Expression anderer Transkriptionsfaktoren regulieren, und darüber hinaus können Transkriptionsfaktoren der Uhren-Gene die Expression von Nicht-"clock genes" regulieren: Diese werden folglich CCGs (= clock-controlled genes) genannt.
Uhren-Gene werden aber nicht nur im SCN exprimiert, sondern auch in anderen Gehirnregionen und in peripheren Geweben. Die Klärung der der endogenen Rhythmik zugrundeliegenden molekularbiologischen Grundlagen konnte auch den Zusammenhang zwischen Uhren-Genen und Drogenabhängigkeit erhellen und darüber hinaus interessante Aspekte zur Gewinnung neuer psychoaktiver Pharmaka aufzeigen.
Die Expression von Uhren-Genen im peripheren Gewebe oder in Gehirnregionen außerhalb des SCN folgen nicht immer dem Rhythmus des SCN [4]. Als Regulatoren der Rhythmen von UhrenGenen im SCN konnten Licht und Glutamat nachgewiesen werden; auch ist offensichtlich die Aktivierung eines CREB(cAMP-responsive-element-binding)-Proteins über eine Phosphorylierung notwendig. Man kann daher davon ausgehen, dass Membranrezeptoren und intrazelluläre Signal–systeme mögliche Modulatoren für Rhythmen der Uhren-Gene sind. In Versuchen mit Mäusen konnte gezeigt werden, dass Veränderungen in der täglichen Rhythmik der Expression des Gens Per 1 in Nicht-SCN-Bereichen des Gehirns von einer intakten Pinealdrüse und deren Produkt Melatonin abhängen [5].
Neurotransmitter wie Dopamin, Glutamat oder γ-Aminobuttersäure (GABA) unterliegen einem licht- und temperaturunabhängigen circadianen Rhythmus im Striatum der Maus [6].
Es ist also durchaus vorstellbar, dass auch andere Substanzen als Melatonin, die Neurotransmittersysteme spezifisch beeinflussen, Uhren-Gen-Rhythmen in verschiedenen Gehirnbereichen erzeugen können.
Neuroplastizität und Uhren-Gene Verändert ein externer Reiz die Funktion einer einzelnen Nervenzelle nachhaltig, so spricht man von "Neuroplastizität". Als messbare Parameter für die Änderung des Verhaltens einer Nervenzelle dienen meist die spontan auftretenden elektrischen Entladungen, das heißt die kurzzeitigen Änderungen des immer vorhandenen Membranpotenzials und die Erregbarkeit der Zelle durch externe Reize. Das Konzept der Neuroplastizität ist nicht nur für die Untersuchung von Lern- und Gedächtnisvorgängen von Bedeutung, sondern auch für die Schmerzforschung. Plastische Veränderungen von Nervenzellen werden seit einiger Zeit als mögliche Erklärung für die Chronifizierung von Schmerzen diskutiert. Ein besseres Verständnis des chronischen Schmerzes hätte große klinische Bedeutung, denn die Behandlung der betroffenen Patienten bereitet oft große Probleme. Es wird diskutiert, dass die von den Uhren-Genen kontrollierten "CCG"s (wozu bestimmte Rezeptoren, Transportproteine oder aber auch Enzyme gehören; s.o.) Einfluss auf die Neuroplastizität nehmen und damit wiederum auf die Wirkung psychoaktiver Substanzen [4]. Die Regulation der Modulation dieses Vorgangs ist in Abb. 2 dargestellt.
Biologische Uhren und psychoaktive Substanzen Neue Befunde weisen tatsächlich darauf hin, dass Pharmaka und Drogen, die Neurotransmittersysteme im ZNS modulieren, die Expression von Uhren-Genen im Gehirn modifizieren. Dies kann im negativen Fall einerseits zu Drogenabhängigkeit nach längerem Gebrauch, im positiven Fall aber auch zu einer verlängerten Wirkung von Antidepressiva führen. So verändern sowohl das Antidepressivum Fluoxetin, ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), als auch Kokain die Expression verschiedener Uhren-Gene in verschiedenen Bereichen des Mausgehirns [7]. Dabei zeigte sich aber sowohl eine Spezifität hinsichtlich des Neurotransmitters als auch der Gehirnregion.
In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass offensichtlich auch ein Zusammenhang zwischen Alkoholabhängigkeit und der modulierenden Wirkung von Uhren-Genen besteht: Zahlreiche neurobiologische Effekte des Alkoholismus wie Intoxikation, Delirium tremens, Wernicke-Korsakoff-Syndrom oder fötales Alkohol-Syndrom lassen sich als Konsequenz der Wirkung von Alkohol auf das glutamaterge System zurückführen. Glutamat ist ein wichtiger erregender Neurotransmitter im ZNS. Normalerweise wird überschüssiges Glutamat vom synaptischen Spalt der SCN-Neuronen durch Glutamat-Transportproteine entfernt. Geschieht dieses nicht, entsteht ein "hyperglutamerger" Zustand, der wiederum seit längerem mit der Alkoholabhängigkeit in Verbindung gebracht wird [8]. Weiterhin konnte nachgewiesen werden, dass Alkoholismus mit dem menschlichen PER2-Gen assoziiert ist. Acamprosat (Campral®), das zur Aufrechterhaltung der Alkoholabstinenz nach erfolgter Entzugsbehandlung empfohlen wird, soll den "hyperglutamergen" Zustand im Gehirn alkoholkranker Patienten "dämpfen". An Per2Brdm1-Mausmutanten konnte nun gezeigt werden, dass das Medikament erhöhte Glutamat-Spiegel reduzierte und eine erhöhte Alkoholaufnahme der Tiere normalisierte. Alle diese Befunde belegen, dass Glutamat mit einer Dysfunktion des Uhren-Gens PER2 und erhöhter Alkoholaufnahme in Verbindung steht [9].
Es wird vermutet, dass verschiedene Gene, von denen bekannt ist, dass sie Aktivitäten kontrollieren, die über Dopamin moduliert werden, wiederum von Uhren-Genen reguliert werden [4, 10]. Als Ergebnis dieser neuen Kenntnisse bieten sich weitere Optionen an:
- die Entwicklung neuartiger pharmakologischer Therapien mit kleinen Molekülen, die gezielt die regulatorische Aktivität von Uhren-Genen beeinflussen mit dem Ziel, die Exprimierung entscheidender neuronaler Gene zu regulieren (im Falle von Dopamin für die Behandlung von Psychosen),
- die Entwicklung spezifischer Pharmaka zur Kontrolle von Uhren-Genen selbst [4]. Hier bieten sich Uhren-Gene auch als Targets neuartiger Zytostatika an.
Vor etwas mehr als zehn Jahren erschien ein kleines Büchlein, das in hervorragender Weise die Ergebnisse der "klassischen" Chronobiologie vermittelte [11]. Der Autor Alfred Meier-Koll lehrte physiologische Psychologie und Neuropsychologie an der Universität Konstanz.
Es ist wirklich faszinierend, was auf dem Gebiet der Neurogenetik und gerade im Bereich der Erforschung von Uhren-Genen seither an neuen Kenntnissen gewonnen wurde.
Tageszeitabhängige Veränderungen verschiedener Körperfunktionen wie die der Körpertemperatur, des Blutdrucks und der Pulsfrequenz sind seit etwa 200 Jahren bekannt. Im vergangenen Jahrhundert hat sich gezeigt, dass biologische Rhythmen und ihre Beziehung zur Umwelt das Verhalten aller Organismen in vielfacher Hinsicht beeinflussen: sowohl das Wach-/Schlaf-Verhalten, das Fortpflanzungsgeschehen, die motorische Aktivität, das Nahrungsaufnahmeverhalten oder etwa die Hormonsekretion unterliegen Biorhythmen. Wo genau sitzt nun unsere innere Uhr, wodurch wird sie gesteuert? Erkenntnisse aus der Chronobiologie fanden und finden Eingang in die Chronopharmakologie, die bei der Verordnung bestimmter Medikamente die Tagesrhythmik berücksichtigt.
Unter einem Rhythmus versteht man ein wiederkehrendes Ereignis, das durch seine Periode, Frequenz, Amplitude und Phase gekennzeichnet ist. Die Periode ist die Zeitdauer, nach der eine bestimmte Phase der Schwingung wiederkehrt. Die Frequenz gibt die Anzahl der Zyklen pro Zeiteinheit an, die Phase einen Punkt im Ablauf relativ zu einem objektiven Zeitpunkt während des Zyklus. Unter Amplitude wird der maximale Ausschlag unter bzw. über einem Mittelwert verstanden. Biologische Rhythmen sind demnach periodisch ablaufende, endogen oder exogen bedingte Schwankunken physiologischer Parameter. Es gibt diverse biologische Rhythmen, die von Millisekunden bis zu Jahren reichen können. Die wichtigsten sind:
- circadiane Rhythmen mit einer Periodendauer von etwa 24 Stunden,
- circannuale Rhythmen mit einer Periodendauer von etwa einem Jahr,
- ultradiane Rhythmen mit einer Periodendauer von weniger als einem Tag.
Chronopharmakologie – interessant und farbig aufbereitet
Asthma bronchiale, Schmerzen, Allergien, psychische Erkrankungen und Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems - für alle diese Erkrankungen gilt, dass unsere heutige Kenntnis biologischer Rhythmen auch ihre Therapie berücksichtigt. Die Beachtung dieser Rhythmen könnte dabei – wie Björn Lemmer, der Autor des nunmehr in der 3. Auflage erschienenen Buches "Chronopharmakologie" mit dem Untertitel "Tagesrhythmen und Arzneimittelwirkung" hofft – einen Beitrag zu einer "natürlicheren" Pharmakotherapie leisten. Das klar strukturierte Buch ermöglicht mit seinen zahlreichen mehrfarbigen Grafiken und Übersichten eine schnelle Orientierung und verhilft dem Leser zu einem fundierten Einblick in dieses spannende und anwendungsorientierte Forschungsgebiet. Die Fülle der Informationen reicht dabei von einer Beschreibung der historischen Chronobiologie-Forschung über die Chronopharmakokinetik, der Bedeutung für die Therapie spezifischer Erkrankungen bis zur Chronotoxikologie und zum Jetlag.
Insgesamt ein sehr schön aufgemachtes Buch zu einem Thema, das uns in den kommenden Jahren mit Sicherheit zunehmend beschäftigen wird.
Björn Lemmer Chronopharmakologie, Tagesrhythmen und Arzneimittelwirkung 180 S., 187 meist farbige Abbildungen und 22 Tabellen, gebunden, 29,00 Euro Wissenschaftliche Verlags–gesellschaft Stuttgart, 3. Aufl., 2004. ISBN 3-8047-1304-1
Dieses Buch können Sie einfach und schnell bestellen unter der Postadresse: Deutscher Apotheker Verlag Postfach 10 10 61 70009 Stuttgart
oder im Internet unter: www.dav-buchhandlung.de oder per Telefon unter: (07 11) 25 82 - 3 41 oder -3 42
Das Uhrwerk der Natur
Sie sind morgens topfit und am Abend früh müde? Dann sind Sie wohl eine "Lerche". Eine "Eule" hat hingegen morgens Anlaufschwierigkeiten und kommt abends in Schwung. Anhand vieler Beispiele zeigt der Wissenschaftsjournalist Peter Spork in seinem Buch "Das Uhrwerk der Natur" mit dem Untertitel "Chronobiologie - Leben mit der Zeit" wie vielfältig die innere Uhr unser tägliches Leben beeinflusst und was alles passieren kann, wenn diese Uhr aus dem Takt gerät. Erfreulich, dass der Autor auch aktuelle wissenschaftliche Daten berücksichtigt; das Buch ist damit nicht nur kurzweilig und teilweise sogar amüsant, sondern auch anspruchsvoll und informativ.
Peter Spork Das Uhrwerk der Natur Chronobiologie – Leben mit der Zeit 224 S. mit 10 s/w Abb.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg (2004) 8,90 Euro.
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