Fortbildung

Therapie von Krebserkrankungen – Konzepte und Perspektiven

Bei der gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung der Apothekerkammer Hamburg und der Landesgruppe der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) am 12. Februar informierten sich fast 200 Teilnehmer über die Therapie von Krebserkrankungen. Das von Prof. Dr. Elisabeth Stahl-Biskup konzipierte Programm umfasste eine Übersicht über etablierte Therapiestrategien, vermittelte aussichtsreiche Ansätze für die individualisierte Therapie in einer möglicherweise nicht mehr fernen Zukunft und bot schließlich praktische Hinweise für die Beratung von Krebspatienten in Apotheken.

 

Bewährte und innovative Konzepte

Prof. Dr. Bernhard Wörmann, Braunschweig, gab einen Überblick über die derzeit klinisch angewendeten Konzepte der Krebstherapie. Lokal begrenzte Tumoren werden durch chirurgische Operation oder Bestrahlung entfernt oder zerstört. Etwa die Hälfte aller geheilten Krebspatienten verdanken ihre Heilung einem solchen Vorgehen, aber in vielen Fällen wird die Diagnose dafür zu spät gestellt.

Als Säulen der Therapie der nicht lokal begrenzten Tumoren galten lange Zeit Operation, Bestrahlung und Chemotherapie, doch bestehen inzwischen vielfältige weitere Optionen, die je nach Art oder Stadium des Tumors wirksamer und geeigneter sein können als die drei klassischen Konzepte. Dazu gehören die Hormontherapie und die Aromatasehemmung bei Prostata- und Brustkrebs, die Angiogenesehemmung und als neuere Ansätze die Inhibition der Tyrosinkinasen und der Farnesyltransferase. In der palliativen Therapie können Bisphosphonate bei Knochenmetastasen Vorteile bieten und sogar potenziell die Lebenserwartung verlängern.

Die Bedeutung der Immuntherapie dürfte weiter zunehmen. Die dabei eingesetzten monoklonalen Antikörper sind fremd genug, um das Immunsystem des Patienten zu aktivieren, aber nicht so fremd, dass sie eine starke allergische Reaktion gegen das Arzneimittel provozieren. Ihre Wirksamkeit lässt sich durch die Kopplung mit Toxinen oder sehr begrenzt wirksamen radioaktiven Strahlen steigern. Zur Immuntherapie gehört auch die Tumorvakzinierung, d. h. die Herstellung eines individuellen "Impfstoffes" aus Tumormaterial. Die bisherigen Ergebnisse sind eher enttäuschend, vermutlich weil das Verfahren an austherapierten Patienten getestet wurde. Die Immuntherapie setzt ein noch intaktes Immunsystem voraus und erfordert eine längere Anwendungsdauer als z. B. Chemotherapien.

Therapieziel kurativ oder palliativ?

Das kurative Ziel, einen diagnostizierten Tumor möglichst vollständig zu entfernen, kann bei etwa der Hälfte aller Krebspatienten verfolgt werden, doch unterscheiden sich die erzielten Heilungsraten der einzelnen Tumorentitäten enorm. So können mehr als 90% der Hodentumoren und mehr als 85% der Hodgkin-Lymphome geheilt werden, während das metastasierende Mammakarzinom weiterhin praktisch unheilbar ist. Daher wird nach der Entfernung und Bestrahlung eines Brustkrebses typischerweise eine palliative Therapie (s. u.) durchgeführt.

Der langfristige Erfolg einer kurativen Therapie ist oft nur schwer zu beurteilen, weil einige Tumorarten noch nach vielen Jahren rezidivieren können. So sind bei Brustkrebs Rezidive nach über 15 Jahren möglich (die Überlebenskurve nach Brustkrebs bildet kein Plateau aus). Dagegen rezidivieren die meisten Lymphome spätestens nach zwei Jahren. Die traditionelle, auch versorgungsrechtlich meist angewendete Beurteilung, dass ein Krebs nach fünf rezidivfreien Jahren geheilt ist, trifft daher in vielen Fällen nicht zu. Die Prognose für Patienten mit Metastasen wird wesentlich durch das individuelle Ansprechen auf die Therapie bestimmt. Durchschnittliche Werte aus Statistiken können auch dies nicht darstellen.

Die palliative Therapie, d. h. die Behandlung unheilbarer Tumoren, ermöglicht mittlerweile einer großen Zahl von Patienten, relativ lange mit dem Tumor zu leben. Dabei werden aber andere Ansprüche an die eingesetzten Arzneimittel gestellt. Im Unterschied zur kurativen Therapie besteht hier nur eine geringe Bereitschaft, Nebenwirkungen zu akzeptieren, weil gerade die Erhaltung der Lebensqualität das Ziel der Therapie ist.

Angesichts der differenzierten Therapiemöglichkeiten plädiert Wörmann dafür, dass Patient und Arzt die Entscheidung für die individuelle Therapie gemeinsam treffen. Der Patient muss zuvor ehrlich aufgeklärt werden und seine persönlichen Präferenzen und Lebensvorstellungen einbringen können.

Mit neuen Diagnosen zur individualisierten Therapie

Priv.-Doz. Dr. Glen Kristiansen, Berlin, stellte molekularbiologische Ansätze zur Klassifizierung von Tumoren vor, die die klassischen histologischen Parameter zunehmend ergänzen. Beim Mammakarzinom ist die Bestimmung des Hormonrezeptorstatus bereits Therapiestandard, doch sind schon bald neue Perspektiven für die Diagnostik und Therapie zu erwarten. Je differenzierter die Untersuchungsmethoden werden, umso mehr muss beachtet werden, dass tumorhaltiges Gewebe vielfältige, auch nicht maligne Zellen enthält und dass die Tumoren selbst heterogen sind. Voraussetzung für eine genaue Spezifizierung ist daher die gezielte Auswahl der zu untersuchenden Zellen durch Mikrodissektion, vorzugsweise mithilfe der Lasertechnik.

In dem so gewonnenen Material können beispielsweise die jeweils aktiven Gene anhand ihrer transkribierten RNA identifiziert werden. Gene, deren Aktivität in Tumorzellen bzw. gesunden Zellen sich unterscheidet, sind potenzielle neue Therapieziele oder können als Marker für die Diagnose oder Therapie dienen. Außerdem lassen sich mithilfe der Bioinformatik typische Gen-Aktivitätsmuster finden, mit denen neue Tumorentitäten definiert werden können. So sollen insbesondere Tumorarten mit sehr variablen und schwer vorhersehbaren Verläufen, wie beispielsweise das Prostatakarzinom, besser differenziert werden. Sie wären damit individualisiert behandelbar und ihre Prognosen besser abzuschätzen. Da die Diagnostika für solche Verfahren ständig weiterentwickelt werden, vergleichsweise preisgünstig sind und einfach zu handhaben sind, könnten solche Tests schnell in die Praxis eingeführt werden.

Kristiansen hat das Gen CD24 erforscht, dessen erhöhte Aktivität beim Prostatakarzinom und einigen anderen Tumoren mit einer besonders hohen Wahrscheinlichkeit für die Metastasierung zu korrelieren scheint. Es könnte daher ein geeigneter Marker sein, um Patienten zu erkennen, die eine besonders engmaschige Kontrolle benötigen.

Neben der RNA bietet sich auch die leichter zu handhabende DNA als Untersuchungsmaterial an, beispielsweise bei einem Test auf Methylierung der Cytosin-Basen bestimmter Gene. Daraus sollen Aussagen über das Ansprechen auf Tamoxifen bei Brustkrebs gewonnen werden.

Für die Validierung solcher Tests sind große prospektive Studien erforderlich. Doch ist beim Studiendesign die Frage zu berücksichtigen, in welchem Maße die Prognose durch die Therapie beeinflusst wird. Schließlich darf man den Patienten die Therapie nicht vorenthalten.

Ein weiteres Ziel der molekularbiologischen Diagnostik ist es, Resistenzen gegen Zytostatika festzustellen. Kristiansen hält diese Resistenzen durch genetische Marker für vorhersagbar. Im Zusammenhang mit eigenen Arbeiten an der Berliner Charité erwartet er, dass dazu bereits zum Jahresende ein marktreifer Test vorliegt.

Evidenz für die Therapie

Priv.-Doz. Dr. Maike de Wit, Hamburg, sieht einen möglichen Grund für die verschiedenen Überlebensraten von Krebspatienten in Europa in der unterschiedlichen Umsetzung Evidenz-basierter Standardtherapien. Solche Therapien sollten in Phase-III-Studien getestet und daraufhin zugelassen sein, es sei denn, dass sie nur für sehr wenige Patienten in Frage kommen.

Studien der Phase I, die bei Arzneimitteln gegen Tumoren an austherapierten Krebspatienten vorgenommen werden, dienen nur dazu, eine gut oder maximal tolerable Dosis zu ermitteln. Erst in der Phase II wird das Arzneimittel an Patienten der angestrebten Zielgruppe erprobt, um den therapeutischen Effekt, die kurzfristige Verträglichkeit und eine angemessene Dosis abzuschätzen, doch sind die Kollektive zahlenmäßig nicht repräsentativ.

In Studien der Phase III wird das neue Präparat im Vergleich zur etablierten Standardtherapie getestet, um Nutzen und Risiko gegeneinander abzuwägen und über die Zulassung entscheiden zu können. Für Indikationen, die bisher nicht behandelbar sind, können Arzneimittel ausnahmsweise bereits auf der Grundlage von Phase-II-Studien zugelassen werden.

Studien der Phase IV, d. h. nach der Zulassung, sind erforderlich, um weitere Informationen zur Nutzen-Risiko-Abschätzung in realistischen Anwendungssituationen zu gewinnen. Denn in Phase-III-Studien werden meist große Patientengruppen, insbesondere die in der Praxis besonders wichtigen älteren Patienten, ausgeschlossen.

Welche großen Überraschungen Phase-III-Studien bieten können, erläuterte de Wit am Beispiel Gefitinib. Dies dient zur Blockade der EGF-Rezeptoren und erwies sich in Phase-II-Studien als wirksam bei Bronchialkarzinomen. Doch verlängerte es in Phase-III-Studien im Vergleich zur Standard-Chemotherapie weder das Gesamtüberleben noch das progressionsfreie Überleben noch die Zeit bis zur Symptomverschlechterung.

Was können Apotheker leisten?

Michael Höckel, Hamburg, stellte praxisorientierte Hinweise für die Beratung von Tumorpatienten in Apotheken vor, die in allen Apotheken umsetzbar sein dürften. Die Beratung sollte nur von erfahrenem Personal angeboten werden und darf das Vertrauensverhältnis der Patienten zum Onkologen nicht tangieren. Sie sollte darauf zielen, die Hoffnung der Patienten zu erhalten. Der Einsatz von Handzetteln sollte möglichst mit den Ärzten abgesprochen werden. Oft ist die Wiederholung der ärztlichen Empfehlung wichtig, damit sich die Patienten daran erinnern. Fragen sollen individuell beantwortet werden, um eine Alternative zur Informationsflut aus dem Internet zu bieten. Um genügend Hintergrundinformationen über die Patienten zu erfahren, bietet es sich an, möglichst immer wieder Gegenfragen, bevorzugt offene Fragen, zu stellen. Bereits die Frage nach dem Befinden kann als Einstieg in eine kontinuierliche Beratung dienen. Außerdem sollten die Patienten an Selbsthilfegruppen herangeführt werden.

Zu den Aufgaben der Apotheken gehören das Management therapiebedingter Nebenwirkungen, die Identifizierung arzneimittelbezogener Probleme, die Erstellung einer Arzneimitteldokumentation, die Beratung zur richtigen Anwendung der Arzneimittel, Hinweise über praxisrelevante Nebenwirkungen und die Ernährungsberatung für enterale und parenterale Ernährung. Um die Compliance zu sichern, sollte Trinknahrung kühl gestellt und vor dem Trinken nicht zu sehr erwärmt werden, damit sie appetitlich und erfrischend bleibt.

Supportivtherapie – für Lebensqualität und Behandlungserfolg

Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Beratung von Tumorpatienten in der Apotheke ist die Supportivtherapie, die viele Therapiekonzepte erst ermöglicht, weil sie deren Nebenwirkungen mindert. Einen besonders hohen Stellenwert hat die Supportivtherapie in der palliativen Behandlung. Sie kann mit darüber entscheiden, ob es einem Patienten ermöglicht wird, in seiner vertrauten heimischen Umgebung zu sterben.

Zu den Supportivmaßnahmen gehört beispielsweise die antiemetische Therapie. In der ambulanten Versorgung betrifft dies insbesondere das verzögerte zytostatikainduzierte Erbrechen, das meist zwei bis fünf Tage nach der Chemotherapie eintritt. Starkes Erbrechen kann die Patienten so schwächen, dass sie sich bis zum nächsten Chemotherapie-Zyklus nicht hinreichend erholen. Nach Anwendung schwach emetogener Zytostatika empfiehlt sich die dreimal tägliche Gabe von MCP, Alizaprid oder Dexamethason. Bei der Abgabe von MCP sollte das unterschiedliche Tropfenvolumen der verschiedenen Handelspräparate beachtet werden, um Fehldosierungen zu vermeiden.

Bei der Therapie mit 5-HT3-Antagonisten sind die unterschiedlichen Halbwertszeiten und Dosierungen von Belang. Alle antiemetischen Arzneimittel sollten regelmäßig und keinesfalls erst "bei Bedarf" eingesetzt werden. Denn die Therapie zielt wesentlich darauf, das antizipatorische Erbrechen zu verhindern, das bereits durch die Erwartung einer neuen Chemotherapie ausgelöst wird und diese stark erschweren kann.

Den Patienten mit Thrombozytopenie sollten weiche Zahnbürsten zur Vorbeugung von Zahnfleischbluten und Handschuhe bei Gartenarbeiten empfohlen werden. ASS ist hier streng kontraindiziert. Akute Blutungen, z. B. Nasenbluten, bei diesen Patienten können ein Hinweis auf innere Blutungen sein und sollten daher unbedingt sofort abgeklärt werden.

Die als Fatigue bezeichnete Leistungsschwäche und Erschöpfung vieler Krebspatienten kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Die Patienten interpretieren sie oft als Zeichen für eine Verschlechterung der Krankheit, doch kann sie auch nach einigen Monaten noch als Folge einer Chemotherapie bestehen bleiben. Sie kann beispielsweise durch eine Schädigung des Knochenmarks, aber auch durch die Stoffwechselprodukte eines abgebauten Tumors ausgelöst werden. Daher sollte reichliches Trinken empfohlen werden. Wenn Fatigue aber durch Schmerzen, Anämie oder eine Depression ausgelöst wird, muss die jeweilige Ursache angemessen behandelt werden.

Eine durch die Therapie geschädigte Mundschleimhaut kann zur Eintrittspforte für Krankheitserreger werden, insbesondere für Pilze. Außer einer weichen Zahnbürste kann Gurgeln mit Kamille oder Salbei empfohlen werden. Dagegen ist der Einsatz von Chlorhexidin bei diesen Patienten nach Einschätzung von Wörmann unbedingt abzulehnen, weil dies als sehr unangenehm empfunden wird. Alkohol, Nicotin sowie heiße und scharfe Speisen sollten gemieden werden.

Bei Durchführung einer Strahlentherapie sollte die Haut möglichst wenig gereizt werden. Das noch vor Jahren übliche und weiterhin von einigen Ärzten propagierte absolute Waschverbot gilt aber als nicht mehr angemessen. Zur Hautpflege bieten sich Puder, Cremes und Lotionen an, zur Behandlung geschädigter Haut eignen sich Hydrokolloidverbände.

So kann individuelle Beratung helfen, die Therapie und deren Verträglichkeit zu verbessern und Ängste durch bessere Information abzubauen. Sie setzt aber voraus, dass der Apotheker über die jeweilige Therapie des Patienten informiert ist. Denn nach Darstellung von Höckel kann unzureichende Kommunikation zwischen den Leistungserbringern im Gesundheitswesen tödlich wirken.

Thomas Müller-Bohn

 

Das Wichtigste in Kürze

  • Neben Operation, Strahlen- und Chemotherapie sind inzwischen andere Therapiekonzepte je nach Tumorart und -stadium als Standardtherapien etabliert.
  • Etwa die Hälfte der Krebspatienten wird zunächst mit kurativem Anspruch behandelt.
  • Für unterschiedliche Tumorarten kann der Heilungserfolg erst nach unterschiedlicher Zeit beurteilt werden. Brustkrebs kann noch nach über 15 Jahren rezidivieren.
  • Molekularbiologische Methoden lassen differenziertere Klassifizierungen von Tumoren erwarten, die bessere Aussagen über die Prognose, aussichtsreiche Therapien und mögliche Resistenzen gestatten könnten.
  • Die Beratung von Krebspatienten in der Apotheke soll Fragen individuell für den jeweiligen Patienten beantworten, Hoffnung erhalten und Ängste abbauen.
  • Ein wesentliches Betätigungsfeld für Apotheker ist die Supportivtherapie, die manche Behandlungen erst ermöglicht, und die dazugehörige Beratung. Zur Supportivtherapie gehören beispielsweise die antiemetische Therapie, die Behandlung von Fatigue, Anämie und Mundschleimhautentzündungen und die Pflege strahlengeschädigter Haut.

Surftipps 

Deutsche Gesellschaft für Onkologische Pharmazie: www.dgop.org Umfangreiches deutschsprachiges Internetforum für Patienten und Angehörige: www.inkanet.de Manuale des Tumorzentrums München über die Behandlung verschiedener Tumorentitäten: http://tzm.web.med.uni-muenchen.de (pdf-Dateien) Hinweise zur Supportivtherapie: www.nw-suppo.de

Literaturtipp

Michael Höckel, Ulrike Heckl und Gerd A. Nagel (Herausgeber) Der Krebs-Patient in der Apotheke Therapiestandards, Unkonventionelle Mittel, Pharmazeutische Betreuung XVII, 330 Seiten, 31 Abb., 38 Tab., kt. 37,– E.

Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2003. ISBN 3-7692-2955-X

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