Arzneimittel und Therapie

Stabile Angina pectoris: Ivabradin blockiert Funny-Ionenkanal

Innovative Wirkprinzipien sind im Bereich der medikamentösen Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen seit längerem Mangelware. Mit Ivabradin kommt nun voraussichtlich im nächsten Jahr ein Wirkstoff auf den Markt, der als bislang einziger den If-Kanal blockiert. Servier hat von der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA in London am 25. Oktober die Zulassung für Ivabradin (Procoralan®) erhalten.
Ivabradin hemmt selektiv und spezifisch If-Kanäle an den Schrittmacherzellen am Sinusknoten des Herzens und senkt so die Herzfrequenz.

Ivabradin bindet an den Schrittmacherzellen des Sinusknotens selektiv im If-Ionenkanal und hemmt dadurch spezifisch den für die diastolische Depolarisation und damit für die Modulation der Herzfrequenz verantwortlichen If-Strom. Dies verlangsamt die diastolische Depolarisation und führt dadurch zu einer exklusiven Herzfrequenzreduktion. Ivabradin unterscheidet sich von herkömmlichen Medikamenten durch den Erhalt der myokardialen Kontraktilität, der AV-Überleitung, der ventrikulären Repolarisation (konstante QTc-Zeit) sowie der Hämodynamik. Erreicht wird so eine spezifische, selektive und sichere Senkung der Herzfrequenz und damit eine weitere Option für die Behandlung der stabilen Angina pectoris.

Senkung der Herzfrequenz reduziert Mortalität

Die Herzfrequenz gilt bei Patienten mit stabiler Angina pectoris als stärkster Stimulus für eine Ischämie. Dass ein direkter Zusammenhang zwischen Pulsrate und kardiovaskulärer Mortalität besteht, ist aus epidemiologischen Studien bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit, aber auch bei Gesunden längst bekannt und wurde durch Ergebnisse der Framinghamstudie erhärtet. Eine aktuelle Auswertung von 16 Studien mit etwa 150.000 Herzpatienten bestätigte nun die Korrelation einmal mehr. Sie ergab, dass Patienten mit einer Herzfrequenz von weniger als 62 Schlägen pro Minute ein deutlich geringeres Risiko für Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität besitzen als Patienten mit einer Herzfrequenz von mehr als 83 Schlägen pro Minute. Der Grund für den Zusammenhang liegt auf der Hand: Bei einer myokardialen Ischämie besteht ein Ungleichgewicht zwischen Sauerstoffbedarf und Sauerstoffangebot. Die Herzfrequenz aber ist die Schlüsseldeterminante des myokardialen Sauerstoffverbrauchs. Wird der Puls langsamer, sinkt auch der Sauerstoffbedarf. Eine hohe Herzfrequenz steigert aber nicht nur den Sauerstoffbedarf. Sie erhöht auch Scher-Stress und hämodynamischen Stress in den Gefäßen und damit das Risiko für Arteriosklerose und Plaqueruptur.

Auch aus Studien mit Betablockern sind diese Zusammenhänge bekannt. So korreliert bei Patienten nach einem Myokardinfarkt die Senkung der Herzfrequenz unter Betablockertherapie mit der Reduktion der Mortalität.

Vergleichbare Reduktion der Herzfrequenz

Erreichen lässt sich eine Senkung der Herzfrequenz mit Betablockern und Calciumantagonisten, die gleichzeitig aber auch andere Effekte besitzen. Ein neues Prinzip zur Pulssenkung ist die Blockade des unspezifischen Funny-Ionenkanals If durch Ivabradin (siehe Kasten). Damit lässt sich die Herzfrequenz spezifisch und selektiv senken ohne Blutdruck, Herzkontraktilität und linksventrikuläre Funktion zu verändern. Wie wirksam dieses neue Prinzip bei stabiler Angina pectoris ist, zeigen die Ergebnisse eines groß angelegten Studienprogramms mit mehreren tausend Patienten. Hier dokumentieren direkte Vergleichsstudien mit dem Betablocker Atenolol (n = 939) und dem lang wirksamen Calciumantagonisten Amlodipin (n = 1200), dass Ivabradin die Herzfrequenz mindestens ebenso effektiv reduziert. Die körperliche Belastbarkeit der Patienten besserte sich vergleichbar gut wie unter Amlodipin, ischämische Attacken wurden ebenso wirksam reduziert.

Sehstörungen meist nur vorübergehend

Sinusbradykardien und Sehstörungen, Folge der Ionenkanalblockade in der Retina, sind die beiden häufigsten Nebenwirkungen des If-Inhibitors. Das Risiko für Bradykardien wird mit 2 bis 4% angegeben. Schwere Bradykardien mit einer Herzfrequenz unter 40 sind selten (Ivabradin: 0,5%; Atenolol: 1,7%). Häufiger treten transiente visuelle Störungen mit 13% unter 5 mg Ivabradin und 18% unter 7,5 mg Ivabradin auf. Die Fahrtauglichkeit soll jedoch nicht beeinflusst werden. Und: Nach Absetzen der Therapie sind sie immer reversibel.

 

Der "Funny-Ionenkanal"...

... trägt seine Bezeichnung, weil er sich anders verhält als andere Ionenkanäle. Im Gegensatz zu den spannungsaktivierten Calcium- und Natriumkanälen der Herzmuskelzelle, die sich aufgrund einer Depolarisation der Zellmembran öffnen, öffnet sich der unspezifische Funny-Ionenkanal, der in den Schrittmacherzellen des Sinusknotens aktiv ist, durch eine Hyperpolarisation der Zellmembran.

Der in die Zelle gerichtete Ioneneinstrom steuert in den Schrittmacherzellen den Verlauf der langsamen diastolischen Depolarisation, die die Herzfrequenz entscheidend reguliert. Zudem vermittelt der Kanal die sympathische und die parasympathische Modulation der Herzfrequenz. Der Ioneneinstrom durch den If-Kanal führt zu einer positiv chronotropen Wirkung. Der If-Blocker Ivabradin hemmt den Kanal von der intrazellulären Seite und blockiert so den Ioneneinstrom. Die Herzfrequenz verlangsamt sich.

BeautIful: Ivabradin bei KHK und Herzinsuffizienz?

Tierexperimentelle Untersuchungen und erste klinische Daten weisen auf einen günstigen Effekt von Ivabradin bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) und leichter bis moderater Herzinsuffizienz hin. So zeigte die zusätzliche Gabe von Ivabradin zur konventionellen Therapie (ohne Betablocker) bei KHK-Patienten mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) unter 35% eine 5-prozentige Zunahme der LVEF (Placebo: -0,5%). Die BeautIful (morBidity-martality EvAlUaTion of the Ifinhibitor ivabradine in patients with coronary disease and left ventricULar dysfunction)-Studie untersucht nun den Effekt einer Add-on-Therapie mit Ivabradin bei KHK-Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion auf die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse.

Apothekerin Dr. Beate Fessler

 

Quelle 
R. Ferrari, Ferrara; Philippe Steg, Paris; Jeffrey Borer, New York; Alan John Camm, London: Satellitensymposium „If inhibition: from pure heart rate reduction to treatment of stable angina“, Stockholm, 6. September 2005, veranstaltet von 
der Servier Deutschland GmbH, München. 
Europäische Zulassung für Herzmedikament Procoralan®, Pressemitteilung der Servier Deutschland GmbH, Oktober 2005.

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