Arzneimittel und Therapie

Veränderte Viren zerstören Krebszellen

Seit längerer Zeit haben die Krebsforscher eine Vision: eine Therapie, die bei allen Tumorarten wirkt, im Körper des Patienten zwischen Feind (den Krebszellen) und Freund (gesunden Körperzellen) exakt unterscheidet und sich dabei auch noch selbst vermehrt, so dass eine einmalige Anwendung ausreicht. Das Zauberwort heißt Virotherapie, auch virale Onkolyse genannt.

Dabei spüren gentechnisch manipulierte Viren Tumorzellen auf, dringen in diese ein, vermehren sich und zerstören dabei die Krebszelle. Durch deren Untergang werden neue Viruspartikel freigesetzt, die ihrerseits mit demselben tödlichen Potenzial ausgestattet sind. Der Clou: der Tumor selbst wird zu einer Produktionsstätte von Anti-Tumor-Medikamenten, deren Nachschub erst stoppt, wenn die letzte Krebszelle vernichtet ist. Die übrig gebliebenen "Biowaffen" werden durch körpereigene Enzyme "entschärft" und anschließend in Form von Proteinbruchstücken entsorgt.

In dem neuen Forschungsgebiet herrscht wissenschaftliche Goldgräberstimmung. Ausgestattet mit einer immer raffinierteren Palette molekularbiologischer Werkzeuge, mit denen Viren quasi maßgeschneidert werden können, hofft die neue Generation von Onkologen in kürzester Zeit den großen Durchbruch zu schaffen. In nahezu atemberaubendem Tempo werden künstliche Vektoren, für die Virotherapie am Reißbrett entworfene Virusvehikel, hergestellt und auf ihre Wirksamkeit bei unterschiedlichen Tumorarten getestet. In den USA laufen derzeit rund 20 Phase-II-Studien, bei denen modifizierte Herpes-, Vaccinia- und Adeno-Viren gegen so unterschiedliche Tumore wie Haut-, Dickdarm-, Bauchspeicheldrüse- und Prostatakrebs eingesetzt werden.

Mit Adenoviren gegen Krebs

Adenoviren sind vielleicht die aussichtsreichsten Kandidaten der Virotherapeuten. Viren dieser Familie befallen typischerweise die Schleimhaut der oberen Luftwege und verursachen beim Menschen eine banale Erkältung. Warum gerade diese Erreger als ideale Instrumente im Kampf gegen den Krebs gelten, ist leicht verständlich. Adenoviren integrieren ihre DNA grundsätzlich nicht in das Erbmaterial der Wirtszelle. Auch ist ihre Erbsubstanz ausgesprochen stabil und gilt deshalb auch langfristig als unbedenklich. Viren mit einer hohen Mutationsrate wie beispielsweise Influenza-Viren wären dagegen für eine Virotherapie völlig ungeeignet. Gleichzeitig ist das Reproduktionspotenzial von Adenoviren enorm: aus einem Erreger entstehen während der Vermehrung in der Wirtszelle einige Tausend Kopien. Wenn sich Adenoviren in einer Zelle vermehrt haben, führt dies unweigerlich zum Aufplatzen der Zellwand, der Zytolyse. In Analogie geht auch jede erfolgreich "besetzte" Tumorzelle zugrunde. Schließlich kennt man das virale Genom, seine Funktions-, Struktur- und Hüllproteine bis ins Effeff – ein "Abfallprodukt" aus gentherapeutischen Experimenten, bei denen man sich auch immer der Adenoviren als Vehikel bediente. Die neueste, zweite Generation dieser smarten Anti-Tumor-Therapeutika wird als bedingt replikative Adenoviren (conditionally replicative adenoviruses, CRAD) bezeichnet, weil sie sich ausschließlich in Tumorzellen vermehren können.

  • p>In drei Bereichen werden die in den letzten Jahren in der Virotherapie erzielten Fortschritte besonders deutlich:
  • einer erhöhten Wirksamkeit genetisch modifizierter Viren bei definierten Krebsarten,
  • dem Einbau von Sicherheitsbarrieren (um zu verhindern, dass die Viren auch normale Körperzellen schädigen), und
  • dem "Tracing", der Möglichkeit zu überprüfen, wo sich die gedrillten Winzlinge im Körper eines Patienten nun wirklich aufhalten, nach dem sie beispielsweise über die Baucharterie injiziert wurden.

 

Manipulation der Virushülle

Damit Viren in eine Zelle eindringen können, benötigen sie einen Rezeptor, eine molekulare Andockstation, die wie ein Sesam-öffne-Dich den Weg in das Zellinnere freimacht. Adenoviren nutzen den so genannten CAR-Rezeptor. Je höher die Dichte von CAR auf einer Zellmembran, umso größer ist die Chance für das Virus, die Andockstation zu finden. Jedoch besitzen nicht alle Krebszellen diesen Rezeptor. Was liegt da näher als durch molekular-chirurgische Eingriffe die Hülle des Adenovirus so zu verändern, dass für nahezu jede denkbare Andockstation die entsprechende Ankervorrichtung vorhanden ist. Dies geschieht, indem man bestimmte Teile der Hülle durch Komponenten von anderen Adenoviren austauscht, die völlig andere Eintrittspforten als CAR nutzen. Oder es werden einzelne Hülleiweiße durch bestimmte Proteine ersetzt, die wie eine Art Universalkleber mit nahezu allen Rezeptoren auf der Oberfläche einer Krebszelle eine Verbindung eingehen können. Eine weitere Möglichkeit die Schlagkraft der viralen Einsatztruppe zu verbessern, ist ein Adenovirus so zu verändern, dass es nicht nur seine eigene Erbinformation, sondern auch noch Gensequenzen in sich trägt, die für bestimmte Enzyme codieren, die ihrerseits gezielt den Stoffwechsel von Tumorzellen lahm legen. Gebastelt wird auch an Vektoren, die den biochemischen Apparat einer Krebszelle so verändern, dass sich eine Resistenz gegen chemische Tumormittel erst gar nicht entwickeln kann – sozusagen ein therapeutisches trojanisches Pferd der Extraklasse.

Sicherheit muss gewährleistet sein

Es leuchtet ein, dass eine wie auch immer geartete Virotherapie nur dann eine Zulassung als Medikament bekommt, wenn sicher gestellt ist, dass die veränderten Viren im menschlichen Organismus keine Schaden ausrichten können. Hier haben die Forscher allerdings noch eine harte Nuss zu knacken, denn je nach Virusart und Tumortyp müssen die "internen" Sicherheitsvorkehrungen anders konstruiert sein. Das Beispiel Melanom zeigt, wie schwierig es ist, Sicherheitsmaßnahmen vom Reißbrett in das Reagenzglas zu bringen. Damit in einer Zelle die Produktion von Melanin anläuft, muss ein so genannter Promotor für das schwarze Pigment angeschaltet werden. Das geschieht normalerweise nur in den Melanozyten, den Pigment-produzierenden Zellen der Haut und wird in allen anderen Zelltypen durch eine Reihe molekularer Bremsen verhindert. Melanomzellen setzen dagegen ständig Substanzen frei, die den Melanin-Promoter freischalten, eine Gensequenz, die für die Abschrift einer bestimmten DNA-Einheit erforderlich ist. "Transplantiert" man nun den Melanin-Promoter so in ein Adenovirus, dass nur über diesen Promoter jene Gene freigeschaltet werden können, die das Virus für seine Replikation benötigt, ist das therapeutische Vehikel auf Dauer lahm gelegt. Mit anderen Worten, die modifizierten Adenoviren können sich in keiner normalen Körperzelle entwickeln, es sei denn, in einer, in der der "Hauptschalter" für den Promoter permanent "umgelegt" ist, also in einer Melanom-Krebszelle.

Den Weg der Viren verfolgen

Wie in einem Hochhaus mit einer komplizierten Brandschutztechnik auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass in einer versteckten Ecke ein Feuer entsteht, so wird man auch bei der Virotherapie mit Milliarden winziger, mit tödlicher Fracht gefüllter Virusvehikel trotz ausgeklügelter Sicherheitsbarrieren nie ganz ausschließen können, dass sich die trojanischen Pferde in Zellen einnisten, in denen sie eigentlich nichts zu suchen haben. Um das zu überprüfen, tüfteln die Virotherapeuten derzeit an genetischen Methoden, mit denen die veränderten Virusvehikel eine sichtbare Spur im Körper hinterlassen. So kodieren so genannte Reportergene für fluoreszierende Proteine, die durch geeignete optische Detektionsmethoden sichtbar gemacht werden könnten.

Die Zukunft der Virotherapie liegt vermutlich in der Kombination mit Chemo- und/oder Strahlentherapie. Für dieses Konzept spricht, dass chemische Tumormedikamente und energiereiche Strahlen Krebszellen auf eine andere Weise schädigen als die onkolytischen Viren es tun. Die verschiedenen Wirkungsmechanismen sind also komplementär. So ist denkbar, dass zukünftig mit einer Strahlentherapie der Patient gleichzeitig auch konditionierte Viren verabreicht bekommt, oder dass, nach dem eine Chemotherapie den Großteil eines Tumors vernichtet hat, die viralen Spürnasen zum Einsatz kommen und auch das letzte Krebsnest ausräumen.

Prof. Dr. med. Hermann Feldmeier

 

Quelle
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