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- DAZ 31/2005
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Die Seite 3
Was ist Bürokratie wert?
Wer ein neues Arzneimittel auf den Markt bringen will, muss sich die Frage nach der Nutzenbewertung gefallen lassen. Damit ist neben der Evaluation des medizinischen Nutzens und der Nutzen-Risiko-Abwägung auch die ökonomische Rationale gemeint. In vielen Ländern ist dies als vierte Hürde institutionalisiert, doch auch anderswo – beispielsweise in Deutschland – wird in diesem Sinne über den Wert von Innovationen diskutiert. Pharmakoökonomische Kosten-Effektivitäts-Analysen bieten dafür ein wissenschaftliches Instrumentarium. Die ökonomische und ethische Rechtfertigung für ein solches Vorgehen ergibt sich aus der Knappheit der Mittel im Gesundheitswesen und der Finanzierung zu Lasten der Allgemeinheit oder einer Versichertengemeinschaft.
Die gleiche Konstellation ist aber bei allen öffentlich finanzierten Aufgaben anzutreffen. Was von den Gesundheitsleistungen erwartet wird, sollte in gleicher Weise von staatlichen Leistungen auf anderen Gebieten erwartet werden. Für die Existenz jeder Behörde und für jede Verwaltungsregelung gibt es irgendeine gut gemeinte Begründung, aber ist sie deshalb wirklich notwendig? Bietet sie "value for money", wie es die zentrale Forderung und der international verwendete Schlüsselbegriff der Pharmakoökonomie ist? Gegen eine solche Fragestellung werden Kritiker einwenden, dass der Wert ordnungsrechtlicher Maßnahmen nicht vordergründig in Geldeinheiten gemessen werden kann. Das gilt aber für die Gesundheit mindestens ebenso gut. Dort hat die Pharmakoökonomie Werkzeuge entwickelt, mit denen eine solche Bewertung möglich wird. Mit etwas Phantasie könnten sie auf staatliche Regularien übertragen werden, etwa so: Wie viel Euro belasten den Staatshaushalt, damit ein Euro in Form von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe bei den Bedürftigen tatsächlich ankommt? Wie viele Subventionen werden für einen Arbeitsplatz aus den verschiedensten Förderquellen bezahlt? Wie hoch ist der Anteil der staatlich verursachten Verwaltungskosten an Leistungen der privaten Wirtschaft, vom Bau eines Hauses bis zum Gehalt eines Arbeitnehmers? Was kostet die Ausweisung eines Quadratkilometers Naturschutzgebiet oder der Bau eines Kilometers Straße einschließlich Planung und Genehmigung? Dabei sollten die Kosten bei Bürgern und Unternehmen einbezogen werden. Es bietet sich ein internationales Benchmarking an: Wenn andere Länder effektiver arbeiten, wäre zu untersuchen, was dort anders ist und ob dies ein Vorbild für Deutschland sein kann.
Die Arbeit des Staates selbst sollte hinterfragt werden – und nicht immer nur die Leistungen für die Bürger. Ob bei Hartz IV, bei den Finanzmitteln für Schulen, Universitäten und den Straßenbau und natürlich im Gesundheitswesen – gespart wird immer an den Leistungen für die Bürger, aber wann spart der Staat an sich selbst? Das würde höchstwahrscheinlich zur Abschaffung von vielen Verwaltungsbehörden und -vorgängen führen. Kurzfristig würden dabei Arbeitsplätze verloren gehen, aber die Verwaltung ist als Beschäftigungsprogramm viel zu teuer. Subventionierte Arbeitsplätze in Pflegeberufen würden wahrscheinlich mehr "value for money" bieten. Dies wäre zugleich ein Beispiel für einen interessanten Nutzenvergleich zwischen verschiedenen staatsnahen Mittelverwendungen.
Die Bürger sollten nach der Abschaffung vieler bürokratischer Vorschriften aber auch nicht immer nach dem Staat schreien, wenn irgendetwas nicht bis ins Detail geregelt ist und im Einzelfall nicht ihren Wünschen entspricht. Denn es gibt für jede Regel irgendeinen Grund, aber ist der auch wirklich gut genug?
Wesentliche Regeln für eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung sind einer ständigen Diskussion ausgesetzt, aber für den Betrieb eines noch so kleinen Unternehmens und die Beschäftigung von Arbeitnehmern werden immer wieder neue Vorschriften erlassen. Ich bin überzeugt, dass die meisten Wähler in vielen anderen Gebieten lieber auf einen Teil des staatlichen Schutzes und der ordnungspolitischen Sicherheit verzichten würden als ausgerechnet im Gesundheitswesen. Wenn der Verzicht auf manche Bürokratie die Staatsausgaben verringert und Steuersenkungen ermöglicht, hätten nicht nur die unmittelbar Betroffenen etwas davon. Der Wahlkampf ist eine gute Zeit, die Politiker für solche Ideen zu gewinnen.
Thomas Müller-Bohn
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