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Praxis
Gefährdungsbeurteilung
Vorschrift gilt auch für Apotheken
Zunächst muss jeder Arbeitgeber feststellen, ob die Beschäftigten in seinem Betrieb Tätigkeiten mit gefährlichen Stoffen durchführen oder ob Gefahrstoffe bei diesen Tätigkeiten entstehen oder freigesetzt werden (Tab. 2). Diese Vorschrift gilt im Pharmabereich nicht nur für industrielle Arzneimittelhersteller, sondern für alle Betriebe und Institute, in denen Tätigkeiten mit gefährlichen Stoffen ausgeübt werden, z. B. auch für Apotheken, Arztpraxen, PTA-Lehranstalten sowie pharmazeutische und chemische Institute an Hochschulen.
Tätigkeiten mit gefährlichen Stoffen in der Apotheke sind z. B. das Herstellen einer Triamcinolonsalbe, das Lagern gefährlicher Stoffe und Zubereitungen, das Abfüllen von Hoffmannstropfen, das Mischen zweier Zytostatika oder das Befördern des hochentzündlichen Ethers aus dem Arzneikeller ins Labor. Werden Tätigkeiten mit gefährlichen Stoffen in der Apotheke ausgeführt, so hat der Apothekenleiter vorher alle Gefährdungen für die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten zu beurteilen (§ 7 Abs. 1 GefStoffV). Er darf eine Tätigkeit mit Gefahrstoffen erst aufnehmen lassen, nachdem eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen worden ist und die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen wurden.
Wie geht man in der Apotheke am besten vor?
Der Apothekenleiter verschafft sich zunächst einen Überblick über die in der Apotheke vorhandenen gefährlichen Stoffe und Zubereitungen. Die meisten gefährlichen Stoffe befinden sich im Reagenziensatz im Labor. Alle weiteren gefährlichen Stoffe und Zubereitungen können aus einem gut geführten Gefahrstoffverzeichnis, das in jeder Apotheke vorhanden sein muss, leicht ermittelt werden [2, 3].
Das gesamte Personal über Gefahren aufklären
Dann bespricht der Apothekenleiter mit den Beschäftigten die gefährlichen Eigenschaften der häufig in der Apotheke verwendeten Stoffe und Zubereitungen. Fast alle gefährlichen Stoffe sind mit Gefahrensymbolen und Gefahrenbezeichnungen gekennzeichnet. Diese geben einen ersten plakativen Eindruck von den Gefahren, die von den jeweiligen Gefahrstoffen ausgehen, und sollten auch dem nicht-pharmazeutischen Personal in der Apotheke bekannt sein. Eine Begebenheit in einem chemischen Labor soll dies unterstreichen:
Eine medizinisch-technische Assistentin hat in einem Labor nach Dienstschluss Geräte mit Chromschwefelsäure gereinigt. Chromschwefelsäure ist eine sehr stark ätzende Flüssigkeit und entsprechend gekennzeichnet. Um der Gefahr der Beschädigung der Glasflasche vorzubeugen, hat die MTA die Flasche mit der Chromschwefelsäure auf den Fußboden unter dem Labortisch abgestellt, das Labor verlassen und die Tür abgeschlossen. Dann kamen die Putzfrauen, zertrümmerten beim Reinigen des Fußbodens mit einem Schrubber die Flasche, wischten die Chromschwefelsäure mit ihren Scheuertüchern auf und verätzten sich dabei die Hände.
Gegen die MTA wurde von der Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung eingeleitet. Hätten die Putzfrauen die Gefahrensymbole gekannt, hätten sie den Kontakt mit der verschütteten Flüssigkeit wahrscheinlich vermieden und sich nicht verletzt.
Genaueren Aufschluss über die Gefahren geben die "Bezeichnungen der besonderen Gefahren bei gefährlichen Stoffen und Zubereitungen" nach Anhang III der Richtlinie 67/548/EWG, vereinfacht auch R-Sätze oder Risiko-Sätze genannt. Sie werden ergänzt durch Sicherheitsratschläge (kurz: S-Sätze) nach Anhang IV derselben Richtlinie.
Die CMR-Stoffe
Eine besondere Gruppe stellen die krebserzeugenden, erbgutverändernden und fortpflanzungsgefährdenden Gefahrstoffe nach Anhang VI Nr. 4 RL 67/548/EWG dar (synonym CMR-Stoffe: carcinogen, mutagen, reproduktionstoxisch). Sie sind jeweils in drei Kategorien eingeteilt, wobei die 1. Kategorie die höchste ist. Die CMR-Stoffe der Kategorien 1 und 2 tragen das Giftsymbol und die Gefahrenbezeichnung "Giftig", die der Kategorie 3 das Andreaskreuz und die Gefahrenbezeichnung "Gesundheitsschädlich". Ihnen sind bestimmte R-Sätze zugeordnet (Tab. 3). Wegen der großen Gefahr, die von den CMR-Stoffen ausgeht, sind sie gemäß § 11 GefStoffV in der höchsten Schutzstufe 4 zusammengefasst worden.
Das Sicherheitsdatenblatt
Sobald die Stoffe und Zubereitungen mit gefährlichen Eigenschaften in der Apotheke ermittelt sind, werden weitere Informationen der Hersteller und Inverkehrbringer zur Beurteilung der Gefahren dieser Stoffe herangezogen. Dies geschieht insbesondere mit Hilfe der Sicherheitsdatenblätter. Wer als Hersteller, Importeur oder erneuter Inverkehrbringer (z. B. als Großhändler) gefährliche Stoffe oder Zubereitungen in Verkehr bringt, hat dem beruflichen Verwender bei der ersten Lieferung kostenlos ein Sicherheitsdatenblatt in deutscher Sprache zu übermitteln (§ 6 GefStoffV). Dieses Sicherheitsdatenblatt muss nach der Richtlinie 91/155/EWG von einer fachkundigen Person erstellt sowie fachlich richtig und vollständig ausgefüllt worden sein.
Das Sicherheitsdatenblatt ist die wichtigste Informationsquelle für gefährliche Stoffe (Abb. 4). Es gibt u. a. Hinweise auf besondere Gefahren, Erste-Hilfe-Maßnahmen und macht genaue Angaben, welche Schutzausrüstung (z. B. Qualität der Schutzhandschuhe) bei bestimmten Arbeiten erforderlich ist. Außerdem finden wir Hinweise zur Toxikologie, zur Entsorgung der gefährlichen Stoffe und unter Ziffer 15 die einschlägigen Vorschriften mit genauen Angaben, welche Symbole und welche R- und S-Sätze angegeben werden müssen. Die Sicherheitsdatenblätter aller in der Apotheke verwendeten gefährlichen Stoffe und Zubereitungen müssen den Beschäftigten zugänglich sein.
Exposition gegenüber Gefahrstoffen
Der Apothekenleiter muss Ausmaß, Art und Dauer der Tätigkeiten mit gefährlichen Stoffen und Zubereitungen beurteilen und die notwendigen Schutzmaßnahmen veranlassen. Es sind Fälle bekannt, bei denen gegen diese Vorschriften in unverantwortlicher Weise verstoßen worden ist. So hat zum Beispiel eine schwangere Apothekerin tagein, tagaus Salben mit dem fruchtschädigenden mikronisierten Stoff Triaminolonacetonid herstellen müssen [4]. Ein derartiger Verstoß gegen die Arbeitsschutzvorschriften kann gravierende Folgen und damit erhebliche straf- und zivilrechtliche Konsequenzen für den Arbeitgeber haben.
In der Apotheke sind insbesondere die mit den Tätigkeiten verbundenen inhalativen, dermalen und physikalisch-chemischen Gefährdungen zu beurteilen (§ 7 Abs. 5 GefStoffV; Punkt 3 und 4 in Tab. 1). Das physikalisch-chemische Gefährdungspotenzial in der Apotheke mag die folgende Begebenheit illustrieren:
Die Ehefrau eines Apothekers füllte in einem Abguss des Labors unter einem Gasboiler mehrere Flaschen Wundbenzin ab. Dabei bildete sich ein Benzin-Luft-Gemisch, das sich an der Gasflamme entzündete und explodierte. Die Frau wurde tödlich verletzt und starb, das Labor wurde verwüstet.
Arbeitsplatzwerte und biologische Grenzwerte
Die Zahl der gefährlichen Stoffe, für die es Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW, früher Maximale Arbeitsplatzkonzentration, MAK) und biologische Grenzwerte (BGW, früher Biologischer Arbeitsplatztoleranzwert, BAT) gibt (Punkt 7 in Tab. 1), ist noch relativ gering. Die bereits bestehenden AGW- und BGW-Werte sind in den TRGS 900 und 903 aufgelistet (Technische Regeln für Gefahrstoffe) und müssen beachtet werden. Das trifft beispielsweise für Mittel zur Begasung von Medizinprodukten im Krankenhaus zu (z. B. Formaldehyd im Bereich der Sterilisatoren). Im Zweifelsfall sollte unter einem gut funktionierenden Abzug gearbeitet werden.
Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen
Bei Arbeiten mit gefährlichen Stoffen ist häufig das Tragen von Schutzkleidung vorgeschrieben. Hier muss unbedingt auf die Hinweise im Sicherheitsdatenblatt geachtet werden, denn es sind z. B. nicht alle Schutzhandschuhe für alle Arbeiten geeignet. Das zeigt ein schwerer Unfall, über den in der Zeitschrift "Sichere Chemiearbeit" [5] berichtet wurde:
Eine Professorin benutzte Dimethylquecksilber als Standard für die NMR-Spektroskopie. Bei der Zugabe einer geringen Menge in ein NMR-Röhrchen unter dem Abzug geriet ein Tropfen auf den Latex-Einmalhandschuh. Sie verschloss das Röhrchen mit der Kappe und zog dann die Handschuhe aus. Nach einigen Tagen bemerkte sie Gleichgewichts- und Sprachstörungen. Eine Untersuchung zeigte extrem überhöhte Quecksilberwerte in ihrem Blut. Eine intensivmedizinische Behandlung konnte sie vor einem schleichenden Tod durch Zerstörung des Zentralnervensystems nicht mehr retten. Die Durchbruchzeiten von Dimethylquecksilber durch Latex-Einmalhandschuhe liegen im Bereich weniger Sekunden. Um derartige Unfälle zu vermeiden, ist es ganz wichtig, bei Arbeiten mit gefährlichen Stoffen und Zubereitungen nur geeignete Schutzkleidung zu tragen.
Arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen
Nach § 16 in Verbindung mit Anhang V Nr. 2.2 GefStoffV muss der Arbeitgeber Beschäftigten, die u. a. Tätigkeiten mit Begasungsmitteln oder mit krebserzeugenden und erbgutverändernden Stoffen der Kategorien 1 oder 2 ausführen, arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen anbieten.
Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung
Der Arbeitgeber hat die Gefährdungsbeurteilung unabhängig von der Zahl der Beschäftigten zu dokumentieren, und zwar bevor diese ihre Tätigkeit aufnehmen (§ 7 Abs. 6 GefStoffV). Die Gefährdungsbeurteilung darf nur von fachkundigen Personen durchgeführt werden (§ 7 Abs. 7 GefStoffV), was von dem Apothekenleiter wohl vorausgesetzt werden darf. Der Arbeitgeber muss wie bisher ein Gefahrstoffverzeichnis führen, in dem jetzt auch auf die entsprechenden Sicherheitsdatenblätter hingewiesen werden muss (Beispiele siehe Tab. 4 und 5). Das Gefahrstoffverzeichnis muss ebenso wie das Sicherheitsdatenblatt allen betroffenen Beschäftigten zugänglich sein (§ 7 Abs. 8 GefStoffV).
Unterrichtung der Mitarbeiter
Wie geht der Apothekenleiter bei der Übermittlung der Ergebnisse an die Beschäftigten vor? Ideal ist es, wenn er alle Beschäftigten nach Dienstschluss z. B. in ein Nebenzimmer eines Restaurants zu einem Meeting einlädt; denn eine derartige Unterrichtung sollte in einer angenehmen Atmosphäre vonstatten gehen. Wer muss an der Besprechung teilnehmen? Alle Personen, die in der Apotheke Tätigkeiten mit gefährlichen Stoffen und Zubereitungen vornehmen oder mit diesen Stoffen in Berührung kommen können, also auch Hilfskräfte, Raumpflegerinnen (s. o.: Unfall mit Chromschwefelsäure) und ggf. Angehörige des Arbeitsgebers.
Die Gefährdungsbeurteilung kann nach einem vorgegebenen oder einem selbst erarbeiteten Schema Punkt für Punkt abgearbeitet werden (siehe Anlage "Gefährdungsbeurteilung" auf den beiden folgenden Seiten). Als Beweis für die Teilnahme tragen sich alle Beschäftigten in eine Teilnehmerliste ein. Materialien, die an die Mitarbeiter ausgegeben wurden, sollten ebenfalls in der Gefährdungsbeurteilung festgehalten werden.
Fazit
- Eine gut durchgeführte Gefährdungsbeurteilung ist für alle Beteiligten ein Gewinn; denn sie trägt dazu bei, körperliche und materielle Schäden zu vermeiden.
- Da die Gefährdungsbeurteilung einen hohen Stellenwert in der neuen Gefahrstoffverordnung einnimmt, ist davon auszugehen, dass der Ausschuss für Gefahrstoffe in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRG-S)Erläuterungen dazu erarbeiten wird.
- Es soll nicht verschwiegen werden, dass derjenige, der gegen diese oder weitere Vorschriften der Gefahrstoffverordnung 2005 vorsätzlich oder fahrlässig verstößt, nach § 25 GefStoffV mit einem Bußgeld bis zu 50.000 Euro rechnen muss.
Anschrift des Verfassers:
Helmut Hörath,
Postfach 35 38,
95001 Hof
Literatur
[1] Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung – GefStoffV) vom 23. Dezember 2004. BGBl. I S. 3758! ! ! ! – ! ! ! ! 3816.
[2] Hörath, Helmut: Gefährliche Stoffe und Zubereitungen. 6. Aufl., Stuttgart 2002.
[3] Hörath, Helmut: Gefahrstoff-Verzeichnis. 5. Aufl., Stuttgart 2003.
[4] Hörath, Helmut: Steroide in der Rezeptur. Dtsch. Apoth. Ztg.
142, 2349 – 2352 (2002).
[5] N.N.: Nur ein winziger Tropfen. Sichere Chemiearbeit, April 1999, S. 44.
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