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„Der Staat muss den Einzelnen einschränken“

Aktionen gegen die Zigarette werden in diesen Wochen heftig diskutiert. Kaum ein Politiker, der hierzu nicht etwas zu sagen oder vorzuschlagen hätte: Rauchverbot am Steuer, Raucheinschränkungen an öffentlichen Orten, totales Zigarettenverbot, Werbeverbot für Zigaretten, Verbot von Fremdstoffen in Zigaretten usw. Sinnvolle Maßnahmen oder blinder Aktionismus? Die DAZ sprach hierzu mit dem Risikoforscher Prof. Dr. Klaus Heilmann, der sich seit über zwei Jahrzehnten mit der Beurteilung und Abwägung von Risiken beschäftigt.

 

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Viele Vorschläge werden derzeit gemacht, sind sie alle sinnvoll?

Heilmann:

Jedenfalls sind sie medienwirksam. Ob sinnvoll oder nicht, die Diskussionen zeigen, dass ein Interesse an den aufgeworfenen Fragen besteht und der Bürger – was die Risikobewertung anbelangt – verunsichert ist. Den meisten Vorschlägen gemeinsam ist, dass sie sich darauf berufen oder vorgeben, jemanden schützen zu wollen. Kinder und Jugendliche eignen sich hierfür natürlich am besten.

Aber gehen wir bei der Frage nach dem Sinn der Vorschläge systematisch vor. Wenn es um die Abwägung von Risiken geht, muss immer zwischen individuellen und allgemeinen Risiken unterschieden werden, also zwischen denen, die wir freiwillig auf uns nehmen und solchen, denen wir unfreiwillig ausgesetzt sind.

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Was wären Beispiele hierfür?

Heilmann:

Der Einzelne hat es normalerweise selbst in der Hand, ob er das Risiko eines Fallschirmabsprungs, ungeschützten Sexualverkehrs oder unvernünftiger Lebensweise auf sich nehmen will oder nicht. Aber er hat keine Möglichkeit, sich vor den Gefahren eines verunreinigten Trinkwassers oder von erhöhtem Feinstaub in der Atemluft zu schützen. Hier müssen die Organe des Staates schützend tätig werden und der Bürger muss sich absolut auf sie verlassen können.

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Und die Zigarette, in welche der beiden Risikogruppen gehört sie?

Heilmann:

Einerseits ist sie ein individuelles, also freiwilliges Risiko, andererseits kann sie zu einem unfreiwilligen allgemeinen Risiko werden und ist dies auch meist. Zunächst zum ersteren. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Zigarette nicht irgendein Risiko für Gesundheit und Leben ist, sondern das größte Einzelrisiko in unserem Leben überhaupt. Da es aber jedem selbst überlassen bleiben muss und soll, auf welche Weise er sich gesundheitlich schaden und sein Leben verkürzen will, ist es unsinnig, die Zigarette ganz verbieten zu wollen.

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Der gesundheitliche Schaden des Einzelnen verursacht aber dem Gesundheitswesen auch Kosten. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk, verwies darauf, dass durch die Folgen des Rauchens "den Krankenkassen Kosten von mindestens 20 Milliarden Euro jährlich" entstehen.

Heilmann:

Auch wenn ich die Richtigkeit dieser Zahl nicht bestätigen kann, die Belastung des Gesundheitswesens durch die Folgen des Rauchens ist ganz sicher hoch. Und damit ergibt sich auch bereits eine Einschränkung des zuvor Gesagten. Es ist nämlich zu fragen, ob es akzeptabel ist, dass die Allgemeinheit die Folgekosten persönlichen Fehlverhaltens zu tragen hat. Ich sage nein. Allerdings ist es auch schwer oder unmöglich, dem Einzelnen den der Gemeinschaft entstandenen Schaden nachzuweisen. Wenn also die Solidargemeinschaft im Krankheitsfall helfen soll, muss man dem Staat auch die Möglichkeit zubilligen, die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen einzuschränken.

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Also durch gesetzliche Bestimmungen und Verbote.

Heilmann:

Richtig, anders geht es nicht. Gleiches gilt prinzipiell auch für andere individuelle Risiken, die jemand freiweillig auf sich nimmt, zum Beispiel im Extremsport. Niemand ist gezwungen, mit einem Hängegleiter von einem Berggipfel zu springen, aber er erwartet, dass die Allgemeinheit im Falle eines Unfalls für die Folgekosten aufkommt. Wieso eigentlich?

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Kommen wir zum Passivrauchen, ein reales oder ein hochgespieltes Risiko? 

Heilmann:

Ein reales, und um es gleich zu sagen, ein völlig unakzeptables Risiko. Wer andere zum Passivrauchen zwingt, begeht eine Körperverletzung. Der Aufdruck auf den Zigarettenpackungen "Rauchen kann tödlich sein" ist sinnlos, weil der Hinweis den Raucher nicht interessiert und ihn auch nicht nachdenklich macht. Schon wesentlich besser ist der Aufdruck "Rauchen schadet dir und deiner Umgebung". Dies schützt den Nichtraucher zwar auch nicht, erinnert den Raucher aber immerhin daran, dass er anderen bewusst Schaden zufügt.

Um es noch einmal klar zu sagen: Die Zigarette ist ein freiwilliges, aber in wesentlich höherem Maß auch ein unfreiwilliges Risiko. Wo Nichtraucher unfreiwillig dem Rauch anderer ausgesetzt werden, ist der Staat verpflichtet, durch Gesetze, Auflagen und Verbote schützend einzugreifen.

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Stichwort Rauchverbot im Auto. Politiker der Regierung und der Opposition haben sich kürzlich dafür ausgesprochen, der ADAC, der AvD und der österreichische Autoclub ÖAMTC sind dagegen.

Heilmann:

Die Diskussion hierüber ist m. E. bereits beendet, mit Recht, denn sie ist absurd. Welche Tätigkeit wie Telefonieren und Sprechen, Essen oder Küssen während des Autofahrens das Unfallrisiko erhöht, ist weitgehend unbekannt. Es gibt sogar ein Argument für das Rauchen, da ein Rauchverbot im Auto unter bestimmten Umständen die Unfallgefahr erhöhen kann. Jeder tagsüber unter Dauerstress stehende Berufstätige kann abends bemerken, dass er sich in Ruhe schlechter fühlt als unter Stress. Das hängt mit den abfallenden Adrenalinspiegeln zusammen. Wenn man in dieser Phase einem nikotingewöhnten Körper die Zigarette entzieht, kann es zu plötzlichen gefährlichen Kreislaufstörungen kommen. Was dem einen schaden kann, kann dem anderen eben nützen.

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Nun ist ja nicht nur das Nicotin gefährlich, auch die Zusatzstoffe sind es. Was halten Sie in diesem Zusammenhang von den Vorschlägen von Verbraucherministerin Künast, Untersuchungen über gefährliche Zusatzstoffe in Auftrag zu geben und diese Stoffe gegebenfalls in Zigaretten zu verbieten?

Heilmann:

Genau so wenig wie vom Totalverbot der Zigarette. Solche Untersuchungen sind sinnlos, kosten nur Geld und sollen zeigen, dass die Verantwortlichen auch verantwortlich sind. Für den, der freiwillig raucht, spielt es keine Rolle, ob er sich durch Nicotin oder Zusatzstoffe wie Menthol schadet. Und für den, der unfreiwillig mitrauchen muss, ist es auch egal, wodurch er geschädigt wird. Es ist doch nicht so, dass die Zigarette nach Eliminierung von gesundheitsschädigenden Zusatzstoffen unbedenklich würde. Also, das ist Aktionismus, und zwar nicht blinder, sondern bewusster, um wie in anderen Situationen – nehmen Sie BSE und die Massenschlachtungen – zu zeigen, dass man für die Sicherheit der Bevölkerung etwas tut. Nach allen Erfahrungen, die mit Maßnahmen dieser Art bisher gemacht wurden, ist festzustellen, dass sie wenig dazu beitragen, das Leben der Bürger sicherer, aber viel dazu, es teurer zu machen.

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Plädieren Sie also für ein totales Rauchverbot an öffentlichen Plätzen, so wie es andere Länder, z. B. Irland und Italien, schon haben?

Heilmann:

Ja. Nur die Trennung der Raucher von den Nichtrauchern bringt dem Nichtraucher etwas, und das bedeutet, Rauchverbot an öffentlichen Orten wie Restaurants, Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln u. ä. Was in anderen Ländern möglich ist, sollte eigentlich auch hierzulande möglich sein. Doch was tut man bei uns? Man ist stolz darauf, Schadstofflisten anzulegen und mit dem Gaststättengewerbe freiwillige Abmachungen für Nichtraucherzonen getroffen zu haben.

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Thema Werbung. Das Bundeskabinett hat dem umstrittenen Werbeverbot für Tabakprodukte in Zeitungen und bei Sportveranstaltungen zugestimmt. Mit dem Gesetzentwurf muss eine EU-Richtlinie umgesetzt werden, gegen die Deutschland allerdings beim Europäischen Gerichtshof Klage eingereicht hat. Ist es denn wirklich so, dass ein Werbeverbot den Zigarettenkonsum vermindert?

Heilmann:

Man wird nicht zum Raucher durch die Zigarettenwerbung. Deshalb ist nicht zu erwarten, und Erfahrungen in anderen Ländern zeigen dies auch, dass es auf Grund eines Werbeverbots zu einem Rückgang des Zigarettenkonsums kommt. Werbung ist doch hauptsächlich dazu da, den Raucher zum Umsteigen von einer Marke auf eine andere zu motivieren. Man wird auch nicht durch Werbung Autofahrer. Aber man kann durch Werbung vom Audi- zum BMW-Fahrer werden.

DAZ

Aber sind Jugendliche nicht besonders anfällig für die Werbung?

Heilmann:

Das wird immer behauptet, ich glaube es nicht, auch wenn es die eine oder andere Studie gibt, die dies zu belegen scheint. Nein, ein Jugendlicher wird nicht durch Werbung zum Raucher, ganz andere Motive stehen bei ihm im Vordergrund: Das Erwachsen-Sein-Wollen, Emanzipation und – vor allem bei den Mädchen – das Gefühl, dass wer raucht auch schlank bleibt. Und leider stimmt das auch. Das sind die zum Rauchen verleitenden Motive, nicht die Werbung. Wenn auf Schumachers Ferrari nicht mehr Marlboro steht, geht deswegen doch nicht der Zigarettenkonsum zurück.

Jugendliche gehen nicht für eine Camel meilenweit, sondern nur bis zum nächsten Automaten oder Kiosk und kaufen sich das Billigste, was es zum Rauchen gibt. Wichtig ist auch das Cliquenverhalten. Wenn rauchen cool ist, wird geraucht, man will nicht abseits stehen. Und wenn Nicht-rauchen in ist, versucht man wieder aufzuhören, um nicht zum Außenseiter zu werden. Erste Studien zeigen übrigens, dass es bei Jugendlichen wieder einen Trend zum Nichtrauchen gibt. Ich will mit den Beispielen sagen, dass der Einfluss dieser Verhaltensmechanismen sicherlich größer ist als die Wirkung der Zigarettenwerbung.

DAZ

Was also ist Ihrer Meinung nach das Wichtigste, um Jugendliche zu schützen?

Heilmann:

Den Zugang zu Zigaretten zu erschweren und die Rauchmöglichkeiten drastisch einzuschränken.

DAZ

Herr Professor Heilmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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