Praxis

Impfberatung in der Apotheke – ein Bei

Die Impfraten in der deutschen Bevölkerung sind immer noch unzureichend. Durch eine gut konzipierte und umfassende Impfberatung in der Apotheke ist es möglich, die Personen, die durch bestimmte Infektionserkrankungen besonders gefährdet sind, für Schutzimpfungen zu sensibilisieren. Nach wie vor ist eine Schutzimpfung eine der wirksamsten und wichtigsten Präventivmaßnahmen.

Hohe Impfraten garantieren einen ausreichenden Schutz für die gesamte Bevölkerung und bieten gleichzeitig die Möglichkeit, einzelne Krankheitserreger regional zu eliminieren und schließlich auch weltweit auszurotten. Beispielhaft ist hier die Poliomyelitis zu nennen, die seit einigen Jahren nicht mehr in Europa auftrat, sodass dieses Gebiet im Juni 2002 von der WHO als poliofrei erklärt wurde [1].

Aufklärung der Bevölkerung

In Deutschland besteht keine generelle Impfpflicht, sondern nur Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass medizinische und pharmazeutische Fachkräfte die Patienten über die für sie indizierten Impfungen informieren. Handlungsbedarf besteht schon deshalb, weil die Impfraten hierzulande vergleichsweise niedrig sind. So waren im November 2001 die Personen, denen die STIKO eine Pneumokokken-Impfung empfiehlt, in den neuen Bundesländern nur zu 22% und in den alten Bundesländern sogar nur zu 7% geimpft [2].

Zum Vergleich: In den USA waren im Jahr 1999 50% der 65- bis 74-Jährigen und 61% der über 75-Jährigen gegen Pneumokokken geimpft [3]. Schätzungen zufolge führen Pneumokokken-Erkrankungen in Deutschland jedes Jahr zu 12.000 Todesfällen [4] und zu 80.000 bis 135.000 Klinikaufenthalten, wobei die Altersgruppe der über 60-Jährigen und die chronisch Kranken die Hauptbetroffenen sind [5].

Für einen effektiven Schutz vor invasiven Infektionen durch Pneumokokken steht seit Jahren eine 23-valente Pneumokokken-Vakzine zur Verfügung [6]. Auch gegen andere Erkrankungen wie Influenza, Tetanus und Diphtherie gibt es gut wirksame Impfstoffe, wobei auch hier die Impfraten nicht befriedigend sind [2, 7, 8, 9].

Impfberatung in der Apotheke

Mit dem Ziel, die Patienten für Impfungen zu gewinnen, wurde vom 15. September bis 17. Oktober 2003 in der Apotheke am Nollendorfer Hof in Jena eine Impfberatung speziell zu Standardimpfungen durchgeführt. Schon im Vorfeld wurde durch Flyer, Plakate und Anzeigen auf diesen Service aufmerksam gemacht. Gleichzeitig erfolgte eine aktive Ansprache der Patienten durch das pharmazeutische Personal der Apotheke. Etwa 2500 Personen wurden an den Beratungstagen über Nutzen und mögliche Risken von Impfungen informiert und gegebenenfalls dazu angehalten, sich durch ihren Arzt impfen zu lassen.

Von den 2500 Personen erhielten 312 Personen (im Folgenden: Teilnehmer) eine dokumentierte Impfberatung anhand der mitgebrachten Impfausweise oder anderer schriftlicher Belege (Beratungsdauer 2 bis 22 min, durchschnittlich 9 min). Dabei wurde für die laut STIKO vom Juli 2003 empfohlenen Impfungen (Tab. 1) der Impfstatus mit folgenden Informationen erstellt:

  • Datum der letzten Impfung,
  • Datum der nächsten Auffrischungsimpfung,
  • Beurteilung des Impfstatus.

Der Impfstatus – im Format eines DIN-A6-Blattes – wurde jedem der 312 Teilnehmer in den Impfausweis geheftet. Falls jemand keinen Ausweis besaß, was häufiger vorkam, wurde ihm kostenlos ein neues Exemplar ausgehändigt, sodass jeder Teilnehmer die Apotheke mit einem gültigen Impfausweis verließ. Lose Blätter mit Impfbelegen wurden selbstverständlich ebenfalls im Impfpass fixiert.

Höhere Impfrate in den neuen Bundesländern

Zum Zeitpunkt unserer Impfberatung waren die 312 Teilnehmer 4 bis 98 Jahre alt, wobei das mittlere Alter 58 Jahre betrug. Etwa zwei Drittel waren weiblich (62,2%), und die Mehrzahl hatte ihren Wohnsitz in Jena (89,8%). 55,8% der Teilnehmer besaßen einen Impfschutz gegen Diphtherie und 73,1% gegen Tetanus. Innerhalb der jeweiligen Zielgruppen laut STIKO besaßen 32,4% einen Impfschutz gegen Pneumokokken-Erkrankungen, 31,9% gegen FSME und 46,5% gegen Influenza (Tab. 2).

Im Vergleich zu den Impfraten gegen Diphtherie und Tetanus in Gesamtdeutschland von 9% bzw. 43% (repräsentative Emnid-Umfrage, n = 3103 [9]) waren die Impfraten bei den Teilnehmern erfreulicherweise bedeutend höher, was sicherlich in der besseren Impfakzeptanz in den neuen Bundesländern begründet ist. Zudem kann angenommen werden, dass die Teilnehmer sich schon früher über Schutzimpfungen beraten ließen. Bei Influenza waren die Impfraten der Teilnehmer ähnlich hoch wie bei den 730 Personen einer Telefonumfrage in den neuen Bundesländern im November 2001, bei Pneumokokken etwa um die Hälfte höher [2] (Tab. 2).

Pharmazeutische Impfberatung steigert Impfraten

Nach Beendigung der Aktionswochen wurde während eines halben Jahres, von November 2003 bis April 2004, erfasst, wie viele der 312 Teilnehmer sich von ihrem behandelnden Arzt die empfohlenen Impfungen verabreichen ließen. Die meisten Teilnehmer kamen nach erfolgter Impfung in die Apotheke, um sich hier ihren Impfausweis durch einen aktuellen Ausdruck des Impfstatus aktualisieren zu lassen. Weitere Teilnehmer wurden persönlich angesprochen oder telefonisch kontaktiert, doch konnten nicht alle 312 Teilnehmer nochmals befragt werden.

Bis Ende April 2004 stiegen die Impfraten der Teilnehmer signifikant, was die p-Werte unterhalb von 0,05 belegen (Tab. 2). Dabei wurde die Impfrate der Pneumokokken-Impfung auf 62,8% fast verdoppelt. Auch gegen Influenza wurden sehr viele Teilnehmer neu geimpft, sodass die Impfrate immerhin 74,7% betrug. Auch wenn die Steigerungsraten bei den weiteren drei Impfungen etwas geringer waren, konnten diese dennoch in jedem Fall um 10 bis 15% signifikant erhöht werden.

Bei Diphtherie und Tetanus ist der geringere Anstieg im Vergleich zu Influenza und Pneumokokken in den bedeutend höheren Ausgangswerten begründet. Dagegen wurden die Impfungen gegen FSME in der Regel erst nach Aktualisierung der anderen Impfungen durchgeführt, wodurch eine weitere Erhöhung des Impfschutzes im Laufe des Jahres 2004 anzunehmen ist. Auch die kürzlich erfolgte Einstufung zweier benachbarter Landkreise von Jena als FSME-Risikogebiete (Saale-Holzland-Kreis 2002 [12] und Saale-Orla-Kreis 2003 [10]) dürfte die Bereitschaft zur FSME-Impfung steigern.

Nutzen der Impfberatung

Weil Impfungen Kosten verursachen – zum einen durch das Impfen selbst, zum anderen durch gelegentliche, meist nur leichte Nebenwirkungen –, stellt sich die Frage nach deren ökonomischem Nutzen. Eine Reihe von Kosten-Nutzen-Untersuchungen gibt es für die Impfungen gegen Pneumokokken und Influenza.

Die Arbeitsgruppe von Kristin L. Nichol im Veterans Affairs Medical Center in Minneapolis (USA) ermittelte eine Kostenersparnis pro gegen Influenza geimpftem Patienten von 42,9 US Dollar [13]. Dabei wurden die Ausgaben für 66.435 geimpfte und nicht geimpfte Personen über einen Zeitraum von sechs Jahren (1990 – 1996) in die Berechnung einbezogen. In weiteren Publikationen wird von ähnlich hohen Einsparungen bei gegen Influenza Geimpften berichtet [14, 15]. Übertragen auf deutsche Verhältnisse, ist aufgrund unserer umfangreicheren Sozialversicherungsleistungen mit einem noch höheren Nutzen zu rechnen [16].

Der ökonomische Nutzen der Pneumokokken-Impfung ist bedeutend größer als bei der Influenza-Impfung, weil an Pneumokokken Erkrankte häufiger im Krankenhaus behandelt werden müssen. Nichol et al. errechneten anhand einer Untersuchung von 1898 Patienten Einsparungen von 147 US Dollar pro Patient und Jahr [17]. Weil der Pneumokokken-Impfschutz bei Erwachsenen mit Ausnahme von Asplenie-Patienten 6 Jahre anhält [11], summiert sich der finanzielle Vorteil je Geimpften über den genannten Zeitraum auf 882 US Dollar. Weitere Veröffentlichungen bestätigen die bedeutendenden Ersparnisse durch die Pneumokokken-Impfung [18 – 22].

Von den 58 Personen, die durch unsere Beratung erstmals einen Impfschutz gegen Pneumokokken erhielten bzw. den 61 zusätzlich gegen Influenza geimpften Patienten kann in den kommenden Jahren eine finanzielle Entlastung unseres Gesundheitswesens erwartet werden. Berücksichtigt man, dass neben den 312 dokumentierten Impfberatungen fast achtmal mehr Personen im Beratungsgespräch für Impfungen sensibilisiert wurden, so muss der ökonomische Wert dieser pharmazeutischen Beratung noch wesentlich höher eingestuft werden.

Darüber hinaus sind Dominoeffekte in Form von zusätzlich geimpften Personen zu berücksichtigen, weil beratene Patienten ihre Angehörigen und Bekannten auf Impfungen aufmerksam machten, aber auch durch die eingangs beschriebenen Werbemaßnahmen der Apotheke.

Diphtherie und Tetanus

Für Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und FSME gibt es wegen kleiner Fallzahlen keine Kosten-Nutzen-Untersuchungen wie für Influenza und Pneumokokken. In Deutschland traten seit dem Jahr 2000 glücklicherweise keine Diphtheriefälle mehr auf, und die Anzahl der Tetanus-Erkrankten pro Jahr liegt unter 15 [7].

Vor Einführung der Diphtherie-Impfung im Jahr 1895 waren in Deutschland auf 100.000 Einwohner ca. 150 Todesfälle jährlich zu verzeichnen [23]. Eine Diphtherie-Impfung empfiehlt sich auch heute, zumal diese Krankheit in den letzten Jahren in einigen Ländern (z. B. Russland) wieder vermehrt auftritt [24].

Im Zeitraum von 1962 bis 1969 gab es in beiden Teilen Deutschlands zusammen jährlich 170 gemeldete Tetanusfälle, heute aufgrund der Impfung weniger als 15 [7, 23]. Da die Behandlung eines Tetanus-Patienten ca. 35.000 Euro kosten kann [25], erspart die Impfung nicht nur persönliches Leid, sondern ist auch ökonomisch sinnvoll.

Zusammenfassung

 

  • Mithilfe einer gut strukturierten pharmazeutischen Impfberatung in der Apotheke ist es möglich, die Impfraten bei den von der STIKO empfohlenen Standardimpfungen signifikant zu steigern.
  • Viele Patienten, die noch nicht den empfohlenen Impfschutz besitzen, lassen sich nach umfassender Information in der Apotheke durch ihren Arzt impfen.
  • Apotheken können auf diese Weise persönliches Leid durch Erkrankungen verhindern, vor allem aber Therapiekosten sparen.

 

Danksagung: An dieser Stelle sei allen Kolleginnen der Apotheke am Nollendorfer Hof in Jena für ihr Engagement in der Durchführung der Impfberatung herzlich gedankt.

 

Literatur

[1] Robert Koch-Institut: Zum Welt-Poliomyelitistag 2002: Endphase der globalen Eradikation ist zu bewältigen. Epidemiol. Bull. 43/2002, 357. [2] Robert Koch-Institut: Teilnahme an Influenza- und Pneumokokken-Schutzimpfung – Bundesweite Querschnittsstudie zur Situation in der Saison 2001/2002. Epidemiol. Bull. 16/2002, 127 – 131. [3] N.N.: Influenza and pneumococcal vaccination levels among persons aged 65 years – United States, 1999. Morb. Mort. Wkly. Rep. June 29 (2001), 532 – 537. [4] Hülße, C., et al.: Epidemiologische und serologische Untersuchungen von Pneumokokken-Infektionen im Hinblick auf die neuen STIKO-Empfehlungen. Gesundheitswesen 61 (1999), 393 – 397. [5] Fedson, D. S.: Pneumokokkenimpfung bei älteren Menschen. Immunologie & Impfen 2 (1999), 128 – 133. [6] Christenson, B., et al.: Effects of large scale intervention with influenza and 23-valent pneumococcal vaccines in adults aged 65 years or older; a prospective study. Lancet 357 (2001), 1008 – 1011. [7] Robert Koch-Institut: Zur Situation bei wichtigen Infektionskrankheiten – Impfpräventable Krankheiten in Deutschland bis zum Jahr 2000. Epidemiol. Bull. 7/2002, 50 – 57. [8] Reiter, S.: Expertentreffen "Impfen" im Robert Koch-Institut. InfFo 3 (1997), 24 – 26. [9] BKK Bundesverband: BKK-Umfrage zeigt: Jeder zweite Erwachsene noch nie gegen Diphtherie geimpft, jeder fünfte noch nie gegen Wundstarrkrampf. www.bkk.de/bkk/presse mitteilungen/powerslave,id,2,nodeid,15,ps_lo,60.html am 16. 10. 2004. [10] Robert Koch-Institut: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut, Stand: Juli 2003. Epidemiol. Bull. 32/2003, 245 – 254. [11] Robert Koch-Institut: Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut, Stand: Juli 2004. Epidemiol. Bull. 30/2004, 235 – 250. [12] Robert Koch-Institut: Risikogebiete der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) in Deutschland – Bewertung des örtlichen Erkrankungsrisikos ermöglicht gezielte Prävention für Exponierte. Epidemiol. Bull. 26/2002, 212 – 215. [13] Nichol, K. L., et al.: Cost effectiveness of influenza vaccination for healthy persons between ages 65 and 74 years. Vaccine 20 (2002), 21 – 24. [14] Bridges, C. B., et al.: Effectiveness and cost-benefit of influenza vaccination of healthy working adults - a randomized controlled trial. J. Am. Med. Assoc. 284 (2000), 1655 – 1663. [15] Nichol, K. L., et al.: The effectiveness of vaccination against influenza in healthy, working adults. N. Engl. J. Med. 333 (1995), 889 – 893. [16] Robert Koch-Institut: Ist die Grippeimpfung für jedermann kosteneffektiv? InfFo 4 (1995), 23 – 24. [17] Nichol, K. L., et al.: The health and economic benefits associated with pneumococcal vaccination of elderly persons with chronic lung disease. Arch. Intern. Med. 159 (1999), 2437 –2442. [18] Gable, C. B., et al.: Pneumococcal vaccine – efficacy and associated cost savings. J. Am. Med. Assoc. 264 (1990), 2910 –2915. [19] Nichol, K. L., et al.: The efficacy and cost effectiveness of vaccination against influenza among elderly persons living in the community. N. Engl. J. Med. 331 (1994), 778 – 784. [20] Baltussen, R., et al.: Cost-effectiveness of vaccination against pneumococcal pneumonia in the Netherlands. Eur. J. Public Health 7 (1997), 153-161. [21] Sisk, J. E., et al.: Cost-effectiveness of vaccination against pneumococcal bacteremia among elderly people. J. Am. Med. Assoc. 278 (1997), 1333 – 1339. [22] Ament, A., et al.: Cost-effectiveness of pneumococcal vaccination of older people: a study in 5 western European countries. Clin. Infect. Dis. 31 (2000), 444-450. [23] Pöhn, H. P., et al.: Statistik meldepflichtiger übertragbarer Krankheiten. MMV Medizin Verlag, München (1994). [24] Robert Koch-Institut: Populationsimmunität gegen Diphtherie und Pertussis – Ergebnisse einer Seroprävalenzstudie in Deutschland. Epidemiol. Bull. 1/1999, 1 – 4. [25] Freising, S.: Der aktuelle Fall – Tetanus. Die Gelben Hefte 33 (1993), 42.

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