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Arzneimittel und Therapie
Migräneprophylaxe mit Pestwurz-Extrakt
Einige Artikel in deutschsprachigen Periodika, die über Hepatitisverdachtsfälle im Zusammenhang mit der Einnahme des Pestwurz-Extraktes berichtet hatten, führten zu Verunsicherungen bei Apothekern, Ärzten und Patienten. Die Publikation einer randomisierten und plazebokontrollierten Studie mit dem Pestwurz-Spezialextrakt Petadolex® zur Migräne-Prophylaxe in der Zeitschrift Neurology und die Ergebnisse einer Studie zum Einsatz von Pestwurz bei Kindern, gerade in der Fachzeitschrift Headache erschienen, waren der Anlass für eine kurze Nutzen-Risiko-Analyse von Petadolex®.
Lebertoxische Verbindungen nicht nachweisbar
Unter den Inhaltsstoffen der Pestwurz (Petasites hybridus) werden hauptsächlich Sesquiterpene vom Petasintyp für die pharmakologische Wirkung verantwortlich gemacht [1, 6, 12, 13]. Neben den Sesquiterpenen kommen in der Pflanze auch Pyrrolizidinalkaloide vor. Diese als potenziell lebertoxisch beschriebenen Verbindungen sind durch entsprechende Behandlungen des Extraktes selektiv abgereichert und deswegen im Pestwurz-Spezialextrakt Petadolex® nicht mehr nachweisbar. Ein Risiko durch Pyrrolizidinalkaloide ist folglich ausgeschlossen.
Zur Migräneprophylaxe empfohlen
Zur Wirksamkeit und Verträglichkeit des Pestwurz-Spezialextrakts in der Migräneprophylaxe sind zwei randomisierte und plazebokontrollierte Studien in peer-reviewten Fachzeitschriften erschienen [2, 7]. Eine offene Studie bei Kindern erschien gerade in der Fachzeitschrift Headache [9]. Der Pestwurz-Spezialextrakt Petadolex® ist als Migräneprophylaktikum in die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und in die im September 2005 erscheinende neue Version der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) aufgenommen.
Eine Aufnahme in die bevorstehenden überarbeiteten Leitlinien der Europäischen Neurologischen Fachgesellschaft ist verabschiedet. Sowohl in den beiden Studien mit 60 und 245 erwachsenen Patienten wie auch in der Studie mit 108 Kindern und Jugendlichen konnten die Migräneanfälle mit Pestwurz-Extrakt deutlich und signifikant im Vergleich zu Plazebo gesenkt werden. In der ersten der beiden randomisierten und plazebokontrollierten Erwachsenenstudien erfolgte die Behandlung über drei Monate mit zweimal täglich 50 mg des Pestwurz-Spezialextrakts.
In der zweiten Studie erhielten die Patienten über vier Monate entweder zweimal täglich 50 mg oder 75 mg Pestwurz-Spezialextrakt. Die Anzahl der Migräneattacken konnte maximal um 52% (Studie 1) bzw. 58% (Studie 2, 2 x 75 mg Dosierung) gesenkt werden. Unter Plazebo waren es 8% (Studie 1) bzw. 26% (Studie 2). Am Ende des jeweiligen Behandlungszeitraums betrug die Zahl der Therapieresponder – das heißt der Patienten mit einer Attackenreduktion von mindestens 50% – in der ersten Studie 45% und in der zweiten Studie 68%; unter Plazebo waren es 15% (Studie 1) bzw. 49% (Studie 2) der Patienten.
Auch der Verbrauch an zusätzlichen Arzneimitteln zur Behandlung akuter Migräneattacken konnte durch den Pestwurz-Spezialextrakt deutlich gesenkt werden. So sank in der ersten Studie die Einnahme von Akutmedikation um mehr als die Hälfte (von 44% auf 18%) in der Verum-Gruppe, während sie in der Plazebo-Gruppe beinahe konstant blieb (von 27% auf 26%). Die neueste Studie, die offen durchgeführt wurde, umfasste Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 17 Jahren mit schwerer Migräne, die seit mindestens einem Jahr bestand.
Die Dosierung des Pestwurz-Spezialextrakts betrug je nach Alter zwischen 2 x 1 Kapsel (á 25 mg) bis maximal 3 x 2 Kapseln. Nach der viermonatigen Behandlung mit dem Pestwurz-Spezialextrakt sank die Attackenhäufigkeit von 9,4 (6- bis 9-jährige) bzw. 9,7 (10- bis 17-jährige) in der Baseline auf 4,0 (6- bis 9-jährige) bzw. auf 5,8 (10- bis 17-jährige). Insgesamt war bei 85,7% (18 von 21) der jüngeren und 74,1% (43 von 58) der älteren Patienten die Zahl der monatlichen Migräneattacken um mindestens 50% reduziert. Eine Analyse verschiedener publizierter Studien zeigt, dass die Wirksamkeit des Pestwurz-Spezialextrakts vergleichbar mit der anderer synthetischer Migräneprophylaktika ist [3, 4, 10].
Transaminasen-Werte kontrollieren
In allen Studien wurde der Pestwurz-Spezialextrakt sehr gut vertragen. Im Vergleich zu Plazebo war nur Aufstoßen signifikant häufiger. Außerhalb von Studien sind bis heute sechs Verdachtsfälle von Hepatitis im Zusammenhang mit der Einnahme von Petadolex® gemeldet worden, darunter ein Fall einer schweren Leberschädigung mit notwendiger Lebertransplantation. Der Hersteller hat bereits nach Bekanntwerden des ersten Hepatitis-Verdachtfalls in der Gebrauchs- und Fachinformation ab April 2002 eine Transaminasenkontrolle bei längerer Anwendung als vier Wochen empfohlen.
Diese eigenverantwortliche Maßnahme führte zu keiner erhöhten Inzidenz von UAW-Meldungen über erhöhte Transaminasen, so dass es sich bei den Hepatitisverdachtsfällen um plötzlich auftretende Ereignisse unbekannter Genese handelt. Die Verdachtsfälle wurden von unabhängigen, ausgewiesenen Experten der Hepatologie und Histopathologie bewertet. Lediglich in zwei reversiblen Fällen wurde durch das Expertengremium der Zusammenhang mit dem Pestwurz-Spezialextrakt Petadolex® als wahrscheinlich beurteilt. Der Kausalzusammenhang der Leberschädigung/Transplantation mit der Einnahme von Petadolex® wurde als unwahrscheinlich gewertet.
Bei insgesamt etwa 763.000 Patienten (Stand 30. Juli 2004: Periodical Safety Update Report) ergeben die sechs Hepatitis-Verdachtsfälle eine Inzidenz für Petadolex® von 0,8 pro 100.000.
Positive Nutzen-Risiko-Bewertung
Pharmakologisch wirkt Petadolex® über die Hemmung der Lipoxygenase und Cyclooxygenase entzündungshemmend. Zum Vergleich weisen nicht-steroidale Antiphlogistika wie Ibuprofen oder Diclofenac und Paracetamol höhere Inzidenzraten an schwerwiegenden Hepatitis-Fällen auf. Laut Teschke [11] liegt die Inzidenz einer Hepatitis bei der Einnahme von Ibuprofen bei 1,6 pro 100.000 und von Diclofenac bei 3,8 pro 100.000. In einer Untersuchung an 625.307 Anwendern in England/Wales wurde eine Inzidenz einer Hepatitis bei der Einnahme von nicht-steroidalen Antiphlogistika von 3,7 pro 100.000 beschrieben [5]. In der kanadischen Provinz Saskatchewan mit 228.392 Anwendern wurde eine Inzidenz von 7,0 pro 100.000 dokumentiert [8].
Die Wirksamkeits- und Verträglichkeitsdaten der drei klinischen Studien sowie die geringe Inzidenz der Hepatitisverdachtsfälle ergeben eine positive Nutzen-Risiko-Bewertung für den Pestwurz-Spezialextrakt Petadolex®.
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr Hans-Christoph Diener, Universi- tätsklinik für Neurologie, Universität Duis- burg-Essen, Hufelandstr 55, 45122 Essen, E-Mail: h.diener@uni-essen.de
Quelle
[1] Bickel, D.; Roder, T.; Bestmann, H. J.; Brune, K.: Identification and characterization of inhibitors of peptido-leukotriene-synthesis from Petasites hybridus. Planta. Med. 60, 318 – 322 (1994). [2] Diener, H. C.; Rahlfs VW, Danesch U. The First Plazebo-Controlled Trial of a Special Butterbur Root Extract for the Prevention of Migraine: Reanalysis of Efficacy Criteria. Eur Neurol. 51: 89 – 97 (2004). [3] Diener, H. C.; Hartung, E.; Chrubasik, J.; Evers, S.; Schoenen, J.; Eikermann, A.; Latta, G.; Hauke, W.: Study Group. A comparative study of oral acetylsalicyclic acid and metoprolol for the prophylactic treatment of migraine. A randomized, controlled, double-blind, parallel group phase III study. Cephalalgia. 21, 120 – 128 (2001). [4] Diener, H. C.; Matias-Guiu, J.; Hartung, E.; Pfaffenrath, V.; Ludin, H. P.; Nappi, G.; De Beukelaar, F.: Efficacy and tolerability in migraine prophylaxis of flunarizine in reduced doses: a comparison with propranolol 160 mg daily. Cephalalgia. 22, 209 – 221 (2002). [5] Garcia R. L. A.; Williams, R.; Derby, L. E.; Dean, A. D.; Jick, H.: Acute liver injury associated with nonsteroidal anti-inflammatory drugs and the role of risk factors. Arch. Intern. Med. 154, 311 – 316 (1994). [6] Ko, W.; Lei, C.; Lin, Y.; Chen, C.: Mechanisms of relaxant action of S-petasine and S-Isopetasin, sesquiterpenes of Petasites formosanus, in isolated guinea pig trachea. Planta Med. 67, 224 – 229 (2001). [7] Lipton, R. B.; Göbel, H.; Einhäupl, K. M.; Wilks, K.: Mauskop A. Petasites hybridus root (butterbur) is an effective preventive treatment for migraine. Neurology, 63, 2240 – 2244 (2004). [8] Pérez, G. S.; Garcia, R. L. A.: The increased risk of hospitalizations for acute liver injury in a population with exposure to multiple drugs. Epidemiology. 4, 496 – 501 (1993). [9] Pothmann, R.; Danesch, U.: Migraine Prevention in Children and Adolescents. Results of an Open Study With a Special Butterbur Root Extract. Headache 45, 196 – 203 (2005). [10] Silberstein, S. D.; Neto, W.; Schmitt. J.; Jacobs, D.: MIGR-001 Study Group. Topiramate in migraine prevention: results of a large controlled trial. Arch Neurol. 61, 490 – 495 (2004). [11] Teschke, R.: Arzneimittelbedingte Lebererkrankungen. In: Toxische Lebererkrankungen. Stuttgart; New York; Thieme Verlag (2001). [12] Thomet, O.A.; Wiesmann, U. N.; Blaser, K.; Simon, H. U.: Differential inhibition of inflammatory effector functions by petasin, isopetasin and neopetasin in human eosinophils. Clin. Exp. Allergy 31, 1310 – 20 (2001). [13] Wang, G.-.J.; Shum, A. Y.-C.; Lin, Y.-L.; et al.: Calcium channel blockade in vascular smooth muscle cells: major hypotensive mechanism of S-petasine, a hypotensive sesquiterpene from Petasites formosanus. J. Pharm. Exp. Ther. 297, 240 – 246 (2001).
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