DAZ aktuell

Wettbewerbsverband klagt gegen weitere Versender

(cr). Das Urteil des Kammergerichts Berlin zeigt Wirkung: Inzwischen hat der Verband Sozialer Wettbewerb e.V. weitere Unterlassungsklagen gegen zwei niederländische Arzneimittelversender, die "Europa Apotheek Venlo" und die "Apotheke für den Mann", erhoben. Gegen einen weiteren Versender soll in Kürze geklagt werden. Damit wären – soweit bekannt – alle niederländischen Versandapotheken, die nach Deutschland Arzneimittel liefern, abgemahnt. Außerdem hat der Verband vor dem Sozialgericht Berlin ein Verfahren gegen die City BKK Hamburg anhängig gemacht, die ihre Mitglieder zur Bestellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel bei der Europa Apotheek auffordert. Die DAZ sprach mit dem Berliner Rechtsanwalt Roland Jahn, der für den Verband Sozialer Wettbewerb e.V. das Urteil des Kammergerichts zur Illegalität des grenzüberschreitenden Arzneimittelverkehrs erstritten hat.

 

DAZ

Herr Jahn, mit Ihrem vor dem Kammergericht Berlin erwirkten Urteil gegen den DocMorris-Mitbegründer Jacques Waterval haben Sie für Schlagzeilen gesorgt. Erstmalig hat ein deutsches Obergericht festgestellt, dass der grenzüberschreitende Arzneimittelversand aus den Niederlanden nach Deutschland rechtswidrig ist, da die niederländische Gesetzgebung nicht deutschen Sicherheitsstandards entspricht.

Wie man mit der Berliner Entscheidung umgehen soll, wird jedoch durchaus unterschiedlich gesehen: Die Juristen der ABDA haben zuerst geschwiegen und hängen das Urteil jetzt, da es publik wurde, ziemlich tief. Die standeseigene Pharmazeutische Zeitung bedauert sogar, dass in der Öffentlichkeit darüber überhaupt diskutiert wird. Wie interpretieren Sie die Berliner Entscheidung?

Jahn:

Das Urteil des Kammergerichts Berlin, das wir für den Verband Sozialer Wettbewerb e.V. erwirkt haben, schafft über das konkrete Verfahren hinaus Rechtsklarheit und hat deshalb enorme Bedeutung. Die Auswirkungen, die die Entscheidung haben kann, dürfen nicht unterschätzt werden – insbesondere deshalb nicht, weil die Berliner Gerichtsbarkeit (und damit das Kammergericht) unter dem Gesichtspunkt des Begehungsortes auch für alle anderen Fälle zuständig ist, in denen aus den Niederlanden bundesweit Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln betrieben wird.

Selbstverständlich ist es vor diesem Hintergrund richtig und wichtig, dass die Entscheidung des Kammergerichts samt seiner Begründung, die weit über den konkreten Einzelfall hinaus geht, öffentlich gemacht wird. Jahrelang ist von interessierter Seite fälschlich der Eindruck erweckt worden, als sei der hier betriebene grenzüberschreitende Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln legal. Das Berliner Urteil tritt dieser Irreführung nunmehr mit klaren Worten entgegen.

Die Entscheidung ist deshalb so gewichtig, weil sich die Urteilsgründe des Kammergerichts nahtlos auch auf alle anderen niederländischen Arzneimittelversender übertragen lassen und die Berliner Richter ihr Urteil unter Berücksichtigung der DocMorris-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und der seit 1. Januar 2004 geltenden deutschen Rechtslage (GKV-Modernisierungsgesetz) gefällt haben.

DAZ

Welche Kontakte gibt es zwischen Ihrem Wettbewerbsverband und den Berufsvertretungen?

Jahn:

Der von uns vertretene Wettbewerbsverband ist unabhängig und lässt sich im Rahmen seiner satzungsmäßigen Tätigkeit keine Vorgaben oder Weisungen von dritter Seite erteilen. Er wird tätig, wenn ihm Beschwerden vorliegen. Hieraus ergibt sich mitunter weiterer Handlungsbedarf. Deshalb ist die Tatsache, dass das jetzt vom Kammergericht entschiedene Verfahren ohne unmittelbare Beteiligung der von Ihnen genannten Kammern und Verbände geführt wurde, zunächst nichts Ungewöhnliches. In verschiedenen anderen Fällen sind örtliche Kammern und Verbände beschwerdeführend tätig gewesen – auch im Zusammenhang mit illegalem Arzneimittelversand.

DAZ

Haben die ABDA, die Apothekerkammer Berlin oder der Berliner Apothekerverein nach Verkündung bzw. Veröffentlichung des Kammergericht-Urteils mit Ihnen Verbindung aufgenommen?

Jahn:

Nein, bisher nicht.

DAZ

Ist Ihr Verband bereit, nunmehr auch noch gegen die weiteren niederländischen Versandapotheken vorzugehen, die apothekenpflichtige Arzneimittel nach Deutschland versenden?

Jahn:

Natürlich. Inzwischen setzen wir als Rechtsvertreter des Verbandes Sozialer Wettbewerb die durch das Urteil des Kammergerichts gewonnenen Erkenntnisse auf entsprechende Bitten auch schon tatkräftig um. Das dortige Verbot richtet sich ja zunächst gegen den niederländischen Apotheker und DocMorris-Mitbegründer Jacques Waterval. Gegen ihn war bereits im vorausgegangenen Verfahren der einstweiligen Verfügung durch Beschluss des Kammergerichts vom 23. Mai 2003 ein Ordnungsgeld in Höhe von 25.000 Euro festgesetzt worden.

Die Festsetzung eines weiteren Ordnungsmittels wegen Verstoßes gegen das gerichtliche Verbot im Hauptsacheverfahren ist beantragt. Gegen die DocMorris N.V. sowie ihren Vorstand, Ralf Däinghaus, wurde inzwischen beim Landgericht Berlin Unterlassungsklage erhoben. Eine weitere Unterlassungsklage, die sich ebenfalls gegen den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach Deutschland richtet, ist nunmehr auch gegen die Europa Apotheek Venlo B.V. sowie ihren Geschäftsführer Michael Köhler erhoben worden. Von dieser Klage ist gleichzeitig die niederländische "Apotheke für den Mann" betroffen, da diese vom gleichen Unternehmen betrieben wird.

Im Falle eines weiteren niederländischen Versandhandelsunternehmens werden von uns zurzeit die Firmen- und Inhaberverhältnisse ermittelt, um dann ebenfalls aktiv werden zu können. Außerdem führen wir inzwischen vor dem Sozialgericht Berlin ein Verfahren gegen die City BKK Hamburg, die ihre Mitglieder zur Bestellung verschreibungspflichtiger Arzneimittel bei der Europa Apotheek Venlo B.V. aufgefordert hat.

DAZ

Was halten Sie von der Auffassung, dass das Urteil des Kammergerichts möglicherweise obsolet sei, wenn es erst einmal die vom BMGS angekündigte "Länder-Liste" zum Versandhandel gebe?

Jahn:

Diese Auffassung teile ich nicht. Sie wäre auch verfassungsrechtlich kaum haltbar. In § 73 Abs. 1 Satz 3 des Arzneimittelgesetzes ist von einer "aktualisierten Übersicht" der betreffenden Länder die Rede, die das Bundesministerium in regelmäßigen Abständen veröffentlicht. Eine "aktualisierte Übersicht" fällt jedoch in keine einzige derjenigen rechtlichen Kategorien, die unser Grundgesetz für allgemein verbindliche Regelungen vorsieht.

DAZ

Wenn Sie eine Prognose wagen müssten: Wie geht es mit dem grenzüberschreitenden Versandhandel aus den Niederlanden nach Deutschland weiter?

Jahn:

Nach derzeitiger Rechtslage wäre ein zulässiger grenzüberschreitender Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus den Niederlanden nur dann denkbar, wenn der niederländische Gesetzgeber die dortigen Sicherheitsstandards für den Arzneimittelhandel dem deutschen Niveau angleichen würde. Im Hinblick auf die zurzeit bestehenden grundlegenden Unterschiede scheint mir dies jedoch eher unwahrscheinlich zu sein.

DAZ

Herr Jahn, vielen Dank für das Gespräch. Und viel Glück und Erfolg bei Ihren weiteren Gerichtsverfahren zum grenzüberschreitenden Versandhandel.

Entscheidung im Wortlaut Das Urteil finden Sie im Wortlaut bei DAZonline unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de in der Rubrik Recht/Urteile Benutzername: apotheke, Kennwort: daz

Es geht voran

DocMorris, Europa Apotheek, Apotheke für den Mann – inzwischen hat der Berliner Verband Sozialer Wettbewerb e.V. Nägel mit Köpfen gemacht und die drei wichtigsten niederländischen Internetapotheken, die apothekenpflichtige Arzneimittel nach Deutschland versenden, vor dem Landgericht Berlin verklagt. Die Abmahnung eines weiteren Versenders soll folgen. Es geht voran. Damit haben die Wettbewerbshüter die Gelegenheit beim Schopf gepackt, den juristischen Sack möglichst schnell zuzumachen – und zwar in Berlin, wo mit der Entscheidung des Kammergerichts ein Urteil vorliegt, das geeignet ist, in überschaubarer Zeit den grenzüberschreitenden Arzneimittelversandhandel aus den Niederlanden insgesamt zum Erliegen zu bringen (oder zumindest verbraucherschutzrechtlich hohe Hürden aufzubauen). Das berufspolitische Ziel muss es jetzt sein, das Urteil des Kammergerichts gegen Jacques Waterval (einschließlich der deckungsgleichen Folgeentscheidungen gegen DocMorris & Co.) möglichst schnell rechtskräftig werden zu lassen. Die Chancen hierfür stehen nicht schlecht. Ob der Bundesgerichtshof nämlich eine Revision gegen die Berliner Entscheidung zulassen wird, ist höchst ungewiss. Die Chancen dürften bei maximal 50 Prozent liegen. Ist das Urteil des Kammergerichts jedoch erst einmal rechtskräftig, so ist es völlig unerheblich, wie andere Zivilgerichte entscheiden. Die Berliner Entscheidungen wären gegen die niederländischen Versandhändler – so oder so – vollstreckbar. Und betroffen wäre der Arzneimittelversand von den Niederlanden nach Deutschland insgesamt. Deshalb war und ist es so wichtig, die Gerichtsverfahren in Berlin anhängig zu machen.

Weiterhin eigenwillig ist in Sachen Versandhandel dagegen die rechtlich-politische Strategie der ABDA. Man scheint in der Jägerstraße ausschließlich auf das Frankfurter DocMorris-Verfahren zu setzen, auch wenn dessen endgültige Entscheidung im Ergebnis offen ist und zeitlich in ferner Zukunft liegt. Ein koordiniertes Vorgehen mit dem Berliner Wettbewerbsverband bzw. deren Rechtsvertretern erfolgte bislang jedenfalls nicht. Kontra- produktiv ist auch die weiterhin vertretene Auffassung, dass das Urteil des Kammergerichts „unverbindlich“ sei, wenn es erst einmal die vom Gesundheitsministerium angekündigte „Länder-Liste“ zum Versandhandel gebe. Mit dieser gleichermaßen apodiktischen wie fragwürdigen These steht die ABDA-Rechtsabteilung – von DocMorris abgesehen – ziemlich allein da und beraubt sich selbst wichtiger rechtlicher Argumente. Verstärkte Aktivitäten wurden an anderer Stelle sichtbar: In einigen (bei weitem nicht in allen) Kammer- und Verbandsrundschreiben wurde uns in den letzten Tagen vorgeworfen, bei der Interpretation des Berliner Versandurteils mit

„Unterstellungen“ zu arbeiten und einen „publizistischen Trommelwirbel“ zu betreiben. Die Artikel in den Rundschreiben gleichen – Ostern steht vor der Tür – wie ein Ei dem anderen und wurden den Berufsvertretungen offensichtlich von eifrigen Jägerstraßen-Hasen ins Nest gelegt. Wem nützt eine solche Meinungsmache?

Mit Scharmützeln und Eifersüchteleien sollte jetzt Schluss sein. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Blicken wir nach vorne. Wir sind dazu gerne bereit.

Christian Rotta

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.