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Molekularbiologie
P. Beck, T. WincklerDas Wandern ist der Transposons
Junk-DNA – Müll im Genom?
In den vergangenen Jahren konnten die vollständigen Genome zahlreicher biologischer Modellorganismen entschlüsselt werden, etwa das der Bäckerhefe, der Fruchtfliege Drosophila, des Fadenwurms Caenorhabditis oder der Reispflanze. Große Aufmerksamkeit zog auch die im Jahr 2000 publizierte Sequenz des menschlichen Genoms auf sich [1, 2]. Enttäuschend fast, dass der komplexe Mensch mit nur rund 35 000 Genen auskommt, während selbst die "primitive" Bäckerhefe bereits 6000 Gene besitzt. Erste Vergleiche der Genome von Vertretern aller großen Reiche der belebten Natur bestätigen eine alte Beobachtung: Es gibt keine direkte Korrelation zwischen der Komplexität eines Organismus und der Zahl seiner Gene oder der Größe seines Genoms.
Der Mensch besitzt mit etwa drei Milliarden Basenpaaren ein 200fach größeres Genom als die Bäckerhefe, hat jedoch nur etwa sechsmal so viele Gene. Offenbar trägt der Mensch also viel DNA mit sich herum, die nicht für Proteine kodiert. Dieser Anteil macht insgesamt immerhin 98% unseres Genoms aus. Hat diese große Menge DNA Funktionen für unser Wohlbefinden? Oder ist sie "junk", also evolutionärer Schrott? In den letzten Jahren hat, ähnlich wie der Fortschritt in der Genomik, auch das Wissen um diese "junk"-DNA reichlich zugenommen. Es stellt sich heraus, dass auch nicht-kodierende DNA eine wichtige Rolle für die Funktion und Integrität unseres Genoms spielt. Noch relativ leicht verständlich ist die Funktion von Introns, die etwa 30% des Genoms ausmachen [1].
Introns sind nicht-kodierende DNA-Sequenzen, die zwischen die kodierenden Exons eingeschoben sind und quasi Platzhalter für die Kombination von Exons sind (man spricht von Mosaikgenen). Da mehrere Exons an der Synthese eines Proteins beteiligt sind, bilden sie zusammen einen modularen Bausatz, der durch Neukombinationen nur leicht verändert wird, aber Proteine mit völlig neuen Funktionen hervorbringt und dadurch zur Evolution beiträgt.
Transposons – die springenden Gene
Transposons kommen in allen genetisch untersuchten Organismen vor, von Bakterien bis zum Menschen. Im Gegensatz zur Funktion der Introns in den Genen ist der mögliche Sinn "mobiler DNA" in unserem Genom weniger leicht verständlich. Dass jedoch bestimmte DNA-Sequenzen nicht immer an ihrem bestimmten Platz auf einem Chromosom bleiben, sondern von einem Ort zum anderen "springen" können, hat Barbara McClintock durch genetische Experimente mit Mais bereits in den 1940er-Jahren gezeigt [3], also lange vor der Aufklärung der DNA-Struktur Ende der 1950er-Jahre durch J. D. Watson und F. H. C. Crick. McClintock hat dafür 1983 den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie erhalten. Mobile DNA-Sequenzen, Transposons genannt, nehmen in jedem untersuchten Organismus einen mehr oder weniger großen Anteil des Genoms ein. Transposons können in erster Näherung als molekulare Parasiten aufgefasst werden, die ein Genom "infizieren" und sich in diesem ausbreiten.
Die lange gemeinsame Evolution der Transposons mit den infizierten Zielzellen hat jedoch eine Art molekularer Symbiose hervorgebracht, in der auch die einstigen Parasiten ihrem Wirt einige positive Eigenschaften hinzuaddieren [4 – 6]. So ist zum Beispiel gezeigt worden, dass die Vorläufer zellulärer Funktionen wie etwa der Neukombination von Gensegmenten bei der Antikörperbildung oder dem Erhalten der Integrität unserer Chromosomenenden (Telomere) von Enzymen gewährleistet wird, die sich aus Transposons ableiten. Außerdem ist bekannt, dass Transposons bei ihrer Mobilisierung flankierende DNA-Sequenzen mitschleppen und zu anderen Orten im Genom transportieren können [4 – 6].
Es scheint eine relativ starke Korrelation zwischen der Zahl von Genen pro definiertem DNA-Abschnitt (Gendichte) und der Anzahl tolerierter Transposon-Kopien zu geben. So hat beispielsweise die Bäckerhefe eine sehr hohe Gendichte und toleriert nur sehr wenige Transposons (ca. 3%). Warum ist das so?
- Einerseits ist die Hefe einer ständigen Selektion auf schnelles Wachstum ausgesetzt. Aber je größer das Genom ist, desto mehr Zeit benötigt dessen Replikation. Also ist das Mitschleppen von Transposons in dieser Hinsicht ein Nachteil.
- Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, eine Zelle durch eine Transposition zu schädigen, umso größer, je höher die Gendichte ist.
Zwei verschiedene "Sprung-Techniken" – DNA-Transposons und Retrotransposons
In der Welt der mobilen DNAs unterscheidet man den Transpositionsmechanismen entsprechend die DNA-Transposons von den Retrotransposons.
- DNA-Transposons werden direkt als DNA-Doppelstrang aus dem Genom ausgeschnitten und an anderer Stelle wieder eingefügt. In Anlehnung an die Terminologie aus der Computer-gestützten Textverarbeitung wird diese Art der Transposition auch als "cut and paste" bezeichnet (Abb. 1).
- Retrotransposons dagegen bleiben immer an der gleichen Stelle im Genom, sie bilden aber Kopien durch normale Transkription in eine RNA-Zwischenform, die anschließend in eine DNA zurückverwandelt (revers transkribiert) wird. Diese DNA-Kopie wird an einer neuen Position in das Genom derselben Zelle eingebaut, wodurch das Genom zugleich vergrößert wird. Dieser Mechanismus wird als "copy and paste" bezeichnet (Abb. 1).
Sowohl DNA-Transposons als auch Retrotransposons besitzen in der Regel alle Gene für die enzymatischen und strukturellen Proteine, die sie für ihre eigene Mobilisierung benötigen. Man nennt sie deshalb autonom. DNA-Transposons kodieren zumeist nur ein Enzym, die Transposase (Abb. 2). Diese erkennt sequenzspezifisch die Enden eines Transposons und schneidet es aus der DNA heraus, um es an einer anderen Stelle wieder zu integrieren.
Retrotransposons können in zwei Gruppen unterteilt werden: Die LTR-Retrotransposons sind von identischen Wiederholungssequenzen umschlossen (Long Terminal Repeats, LTRs). Den Nicht-LTR-Retrotransposons (auch Long Interspersed Nuclear Elements, LINEs) fehlen dagegen die LTRs (Abb. 2). Alle autonomen Retrotransposons kodieren die für ihren Transpositionsmechanismus typische Reverse Transkriptase in einem Polymerase-Gen (pol, Abb. 2). Bei den LTR-Retrotransposons kodiert pol auch eine Integrase, die das Pendant zur Transposase der DNA-Transposons ist und zur Integration mobilisierter Retrotransposons dient. Die Integrase wird zunächst als Fusionsprotein mit der Reversen Transkriptase hergestellt und von einer spezifischen Protease gespalten, die von dem Gen pro kodiert wird. Das Gen gag kodiert ein Capsid-Protein, das das RNA-Genom des Retrotransposons in eine virusähnliche Hülle verpackt (Abb. 2).
Retroviren, wie z. B. das AIDS-verursachende HIV, sind im Prinzip nichts anderes als infektiöse LTR-Retrotransposons. Sie haben die zusätzliche Eigenschaft erworben, eine Zelle zu verlassen, um in eine benachbarte Zelle einzudringen und sich dort in das Genom zu integrieren. Interessanterweise ist diese Eigenschaft an den Erwerb nur eines weiteren Gens gebunden, das als envelope-Gen (env) bezeichnet wird (Abb. 2). Solche Gene kodieren in der Regel Liganden für Oberflächenrezeptoren auf den Zielzellen der infektiösen Viruspartikel.
Die Nicht-LTR-Retrotransposons sind einfacher aufgebaut als die LTR-Retrotransposons. Sie scheinen nur die Reverse Transkriptase-Domäne mit den LTR-Retrotransposons gemeinsam zu haben, obwohl sie normalerweise ein oder zwei Gene tragen. Über die Funktionen der dort kodierten Proteine ist allerdings noch relativ wenig bekannt. Manche mobilen DNA-Elemente "springen" eindeutig durch die Ausbildung revers transkribierter RNA-Intermediate, kodieren jedoch keine Proteine. Solche nicht-autonomen Transposons (z. B. die SINEs, Abb. 2) können sich wahrscheinlich als molekulare "Trittbrett-Fahrer" die Proteine autonomer Nicht-LTR-Retrotransposons der gleichen Zelle ausleihen und dadurch von einem Ort zum anderen springen.
Transposons im menschlichen Genom
Die im Jahr 2000 veröffentlichte DNA-Sequenz des menschlichen Genoms brachte die überraschende Erkenntnis, dass knapp die Hälfte unseres Genoms entweder aus Transposons besteht oder DNA-Sequenzen enthält, die durch die Aktivität von Transposons entstanden sind. Fast alle diese Transposons sind heute inaktiv, und somit besteht kaum Gefahr, durch Transposon-bedingte Insertionsmutagenesen eine Erbkrankheit zu entwickeln (Ausnahmen siehe unten).
Das menschliche Genom besteht zu etwa 3% aus DNA-Transposons in sieben verschiedenen Gruppen (Abb. 2). Genaue Sequenzanalysen dieser Elemente führen zu der Ansicht, dass es in der Stammesgeschichte der Hominiden in den zurückliegenden 50 Millionen Jahren keine neue Transposition mehr gab und heute keine aktiven DNA-Transposons mehr existieren [1].
Das Nicht-LTR-Retrotransposon L1 ist das häufigste Retrotransposon im menschlichen Genom (Abb. 2). Es gibt mehr als 850 000 L1-Kopien in unserem Genom, von denen allerdings nur schätzungsweise 4000 vollständig erhalten wurden [1]. Davon sind wiederum nur 61 Elemente nicht durch Mutationen inaktiviert worden und potenziell Retrotranspositions-kompetent; sie gehören alle zu einer kleinen Untergruppe der L1Hs-Elemente und heißen Ta-Elemente.
Es sind zurzeit 14 verschiedene Integrationen von Ta-Elementen in Strukturgene identifiziert, die in der Folge zu einer Erbkrankheit geführt haben (s. u.). Daher wird vermutet, dass einige Ta-Elemente auch heute noch aktiv sein könnten [7]. Die nicht-autonomen SINEs sind in unserem Genom mit der größten Kopienzahl aller Transposons vorhanden. Sie sind sehr klein und kodieren keine eigenen zur Retrotransposition benötigten Proteine. Das häufigste Element in dieser Gruppe ist Alu, das in verschiedenen Zelltypen stark transkribiert wird und möglicherweise auch einen kompletten Retrotranspositionszyklus durchlaufen kann.
Alu-Elemente haben ähnliche Enden wie L1Hs (Abb. 2), weshalb anzunehmen ist, dass die Alu-Retrotransposition durch L1-kodierte Proteine vermittelt wird [8]. Es sind zahlreiche Fälle von durch Alu-Retrotransposition ausgelösten Mutationen dokumentiert, die zu vererbbaren Krankheiten geführt haben (s. u.).
Zerstörung von Genen mit harmlosen Folgen ...
Da sich die meisten Transposons ungerichtet in das Genom einer Zelle integrieren, haben sie eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Kapazität zur Zerstörung von Genen. Sie verursachen Mutationen in Genen, sodass die von ihnen kodierten Proteine anders oder gar nicht exprimiert werden. Die Folgen können sehr unterschiedlich sein. Harmlos ist z. B. die Änderung der Blütenfarbe einer Pflanze oder der Fellfarbe eines Tieres. So ist die Agouti-Maus eine Variante der Hausmaus (Mus musculus), bei der das Retrotransposon VL30 in ein Intron des Gens agouti inseriert ist, was die Expression eines bestimmten Enzyms so verringert, dass die ursprünglich schwarze Fellfarbe heller wird (Abb. 3).
Transposons sind auch für die Farbmuster einiger Pflanzen verantwortlich, wie z. B. die Blau- und Gelb-Färbung der Körner bestimmten Mais-Sorten (Zea mays) oder die Rot- und Weiß-Färbung der Blütenblätter des Löwenmauls (Antirrhinum majus). Eine helle Färbung kommt dadurch zustande, dass ein Transposon in ein bestimmtes Gen springt, das ein Enzym zur Herstellung eines blauen bzw. roten Pigmentes kodiert, und funktionsunfähig macht. Verlässt das Transposon das entsprechende Gen wieder, kann der Farbstoff wieder gebildet werden. Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Phase der Entwicklung der Pflanze das Farbpigment-Gen durch ein Transposon aktiviert oder inaktiviert wird, kommt es zur Färbung oder Entfärbung verschieden großer Areale der entsprechenden Pflanzenteile. Auf diese Weise können beispielsweise einzelne Maiskörner komplett blau oder gelb gefärbt oder blau-gelb gesprenkelt sein (Abb. 3) [9].
... und schweren Folgen
Wenn Transposons Gene in der Keimbahn zerstören, können sie vererbbare Krankheiten auslösen. Insgesamt sind bis heute über 30 schwere menschliche Erbkrankheiten dokumentiert, deren Ursache auf die Mobilität von L1 oder von Alu zurückzuführen ist (Tab. 1). So hat z. B. L1 durch Integration in das Gen, das den Gerinnungsfaktor VIII kodiert, eine vererbbare Hämophilie A hervorgerufen. Andere dokumentierte L1-Integrationen betrafen das Dystrophin-Gen (Muskel-Dystrophie) oder das β-Globin-Gen (β-Thalassämie). Von der Mutation können Eizellen oder Spermien Erwachsener ebenso betroffen sein wie die Zellen des frühen Embryonalstadiums. Gut dokumentiert ist auch die Induktion eines Kolon-Karzinoms durch somatische L1Hs-Integration in das APC-Gen von Dickdarm-Epithelzellen [10].
Spezifische Integration – Retrotransposons mit Treffsicherheit
Die Zerstörung von Genen durch Transposons kann zum Tod der Zelle und damit auch der Transposons selbst führen. Manche Retrotransposons haben jedoch im Laufe der Evolution die Fähigkeit entwickelt, sich nur in nicht-kodierende Bereiche des Genoms zu integrieren und dadurch tödliche Insertions-Mutagenesen zu vermeiden. So können bestimmte Retrotransposons in der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae und im zellulären Schleimpilz Dictyostelium discoideum in einer bestimmten Distanz zu Transfer-RNA-Genen inserieren [11, 12]. Aus experimentellen Untersuchungen ist bekannt, dass die Umgebung von tRNA-Genen in aller Regel weder kodierende noch regulatorische DNA-Sequenzen enthält und somit die transposablen Elemente hier keinerlei Schaden anrichten können.
In vielen Insekten, z. B. der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, integrieren bestimmte Retrotransposons stets an die exakt gleiche Stelle im Gen für ribosomale 28S RNA. Das stellt jedoch für die Zelle keine Gefahr dar, weil rRNA-Gene mit hoher Redundanz in jeder Zelle vorhanden sind und somit die Zerstörung einer einzigen Genkopie keine große Rolle spielt [13]. Wie bereits erwähnt, sind spezifisch integrierende Retrotransposons vorwiegend in Organismen zu finden, welche eine hohe Gendichte aufweisen und somit wenig nicht-kodierende DNA für eine nicht-desaströse Integration anbieten können. Das Genom von Dictyostelium discoideum beispielsweise besteht zu ca. 67% aus kodierenden Sequenzen [14], sodass sich hier durch evolutionäre Selektion nur Retrotransposons mit "Treffsicherheit" ausbreiten konnten [12].
Prinzipien und Probleme der Gentherapie
Beim Stichwort "Gentherapie" denkt man zunächst an die Therapie von monogenisch bedingten Erbkrankheiten. In der Tat sind viele wegweisende Studien an Erbkrankheiten wie der Zystischen Fibrose oder Hämophilie durchgeführt worden [15, 16]. Andererseits haben eben diese Studien auch die Probleme und Risiken der Gentherapie deutlich werden lassen [17, 18]. Sie bestehen insbesondere in starken allergischen Reaktionen auf den Vektor, insbesondere wenn Adenoviren verwendet werden [17, 18].
Die weitaus größte Zahl klinischer Gentherapie-Studien zielt heute auf die Behandlung von Tumoren (Abb. 4). Man erhofft sich hier, durch vorübergehende oder langdauernde Expression von Zytokinen, Tumorantigenen oder Tumorsuppressor-Proteinen das Immunsystem des Patienten für die Tumorzellen zu sensibilisieren oder die Tumorzellen in ihrem Wachstum zu hemmen. Die Bemühungen zur Entwicklung einer zuverlässigen und ethisch vertretbaren Gentherapie werden von einigen bisher ungelösten Problemen behindert.
Hauptprobleme sind derzeit
- der ineffiziente Transfer der therapeutischen DNA in die erkrankte Zelle sowie
- die instabile und ungerichtete Integration der therapeutischen DNA in das Genom der Zielzelle.
Eine effiziente Transfektion und stabile Integration kann durch die Verwendung viraler Gentransfer-Vektoren erzielt werden, da Viren die evolutionär geschärfte Fähigkeit besitzen, Zellen höchst effektiv zu infizieren und ihre DNA nachhaltig ins Genom der befallenen Zelle einzubauen. In mehr als zwei Dritteln aller bislang durchgeführten Studien wurden Retroviren als Genfähren benutzt, gefolgt von Adenoviren und Plasmid-DNA (Abb. 4). Selbst HIV wird als Vektor erprobt [19], da es auch ruhende Zellen infizieren kann, während andere Retroviren nur proliferierende Zellen infizieren können.
Der Gentransfer mithilfe von Retroviren führt zwar zu einer langanhaltenden Expression der therapeutischen DNA in der erkrankten Zelle, aber die Vektoren werden mehr oder weniger zufällig an einer beliebigen Stelle in das Genom inseriert, sodass dabei andere wichtige Gene (z. B. Tumorsuppressor-Gene) zerstört werden können. Das Problem der heutigen Gentherapie besteht letztlich darin, dass die verwendeten Vektoren mit dem Makel der ungerichteten Integration behaftet sind. Es wäre also aus ethischen Erwägungen geradezu zwingend, nach alternativen Genfähren mit geringem Mutagenesepotenzial zu suchen.
Lösung des Problems durch Retrotransposons?
An dieser Stelle könnten die spezifisch integrierenden Retrotransposons aus Saccharomyces cerevisiae oder Dictyostelium discoideum eine Lösung der Problematik anbieten. Diese mobilen DNA-Abschnitte haben im Laufe die Evolution einen ausgeklügelten Mechanismus entwickelt, mit welchem sie ausnahmslos in die unproblematischen Regionen in der Nähe von tRNA-Genen springen und somit die Zerstörung von Genen ausschließen (s. o.).
Prinzipiell könnte man diese spezifischen Transpositionsmechanismen in Gentransfer-Vektoren übertragen und damit die therapeutische DNA zu tRNA-Genen dirigieren. Immerhin existieren im menschlichen Genom rund 500 tRNA-Gene, die auf allen Chromosomen verstreut sind. Aktuelle Forschungen mit dieser Fragestellung laufen derzeit im Institut für Pharmazeutische Biologie an der Universität Frankfurt. Dabei liegt der Schwerpunkt zurzeit auf der Aufklärung der Retrotranspositions-Mechanismen tRNA-Gen-gerichteter Retrotransposons im Genom von Dictyostelium discoideum. Es gilt, sowohl die für die Mobilisierung essenziellen Strukturelemente der Retrotransposons zu definieren als auch die benötigten zellulären Faktoren zu identifizieren.
Sobald die komplexen Zusammenhänge der spezifischen Integration der Dictyostelium-Retrotransposons aufgeklärt sind, könnte dies die Entwicklung einer neuen Generation retroviraler Gentransfer-Vektoren ermöglichen. Durch Hinzufügen der relevanten Retrotransposon-Sequenzen zu den Retroviren könnten in Zukunft spezifisch integrierende Genfähren für eine effiziente und ethisch vertretbare Gentherapie konstruiert werden. Von dem Konzept bis zu ersten klinischen Prüfungen solcher neuer Gentransfer-Vektoren würden allerdings noch Jahre vergehen.
Vor gut einem Jahrzehnt begann die klinische Erprobung der Gentherapie. Nach anfänglicher Euphorie befindet sie sich heute wegen zum Teil erheblicher Risiken in einer Krise, doch ist sie sicherlich nicht aufzuhalten. Es gilt den Hauptmechanismus der Gentherapie, die gezielte Integration von therapeutischer DNA in das Genom erkrankter Zellen, zu verbessern. Um das Ziel zu erreichen, sind Kenntnisse über die Transposons von Nutzen. Transposons sind springende Gene, die sich natürlicherweise im Genom aller Lebewesen befinden, ohne Schaden anzurichten.
Infektiöse und endogene Retroviren
Es gibt nur wenige Retroviren, die menschliche Zellen infizieren und sich in ihnen vermehren können. Zu diesen gehören HTLV (Humane T-Zell-Leukämie-Viren) und HIV (Humane Immundefizienz-Viren). Allerdings enthält das menschliche Genom eine große Zahl endogener Retroviren (HERVs), die zusammen ca. 8% des Gesamtgenoms ausmachen (s. Abb. 2).
HERVs sind aus ehemals aktiven Retroviren entstanden. Sie sind in der Regel strukturell noch relativ intakt und besitzen alle retroviralen Gene, haben jedoch zahlreiche Mutationen insbesondere im Gen env akkumuliert. Einige HERVs werden stark transkribiert und bilden sogar virusähnliche Partikel, haben allerdings ihre Infektiosität verloren. Nach phylogenetischen Berechnungen haben bei Hominiden in den letzten 40 Millionen Jahren keine neuen Retrotranspositionen von HERVs stattgefunden [1].
Gentherapie in der Krise
Ist die Gentherapie als Prinzip zur Behandlung von Erbkrankheiten am Ende? Noch vor zwei Jahren wurde die erste wirklich gelungene Gentherapie von Kindern mit einem schweren Immundefekt (SCID) von der Wissenschaftsgemeinde als der große Durchbruch gefeiert. In dieser und vielen anderen Studien wurden Gene mithilfe von Retroviren (Vektoren) in die therapierten Zellen eingeschleust und in deren Erbgut integriert, wo sie erfolgreich exprimiert wurden (somatischer Gentransfer).
Befürchtungen, die unbeabsichtigte Integration von Vektoren in Tumorsuppressor-Gene könne sekundär zu Tumoren führen, wurden als wenig wahrscheinlich abgetan. Doch letztes Jahr ist in einer französischen Gentherapie-Studie nach der Behandlung von gerade einmal elf SCID-Patienten ein Fall von Leukämie aufgetreten. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA hat daraufhin alle in den USA laufenden, ähnlich gelagerten Gentherapie-Versuche ausgesetzt.
Der Fall der SCID-X1-Kinder
Vor etwa zwei Jahren hat eine Studie zur Gentherapie von SCID-X1 Aufsehen erregt: Zwei Kindern mit der schweren Immunschwäche SCID-X1 wurden hämatopoetische Vorläuferzellen entnommen und ex vivo mit einem Retrovirus als Gen-Vektor infiziert, der die Expression der gc-Untereinheit des Zytokinrezeptors wiederherstellte und damit die Entwicklung von T-Lymphozyten erheblich verbesserte [20]. Die therapierten Kinder konnten wenige Wochen nach der Behandlung aus ihrer sterilen Umgebung nach Hause entlassen werden und leben bis heute ohne Beschwerden.
Der große Erfolg dieser Studie veranlasste die Autoren, weitere SCID-Kinder gentherapeutisch zu behandeln. Doch zeigt dieses Beispiel in tragischer Weise das Risiko der Verwendung von Retroviren, die das übertragene Gen zufällig in das Genom integrieren: Von den elf in beiden Studien erfolgreich therapierten SCID-Kindern entwickelte eins eine ungewöhnliche Form von Leukämie [21]. Molekularbiologische Untersuchungen ergaben als Ursache der Leukämie, dass in einer der transfizierten hämatopoetischen Vorläuferzellen der Vektor in das Onkogen LM02 inseriert worden war. Von LM02 war bereits bekannt, dass es in vielen T-Zell-Leukämien überexprimiert wird [21].
Als erste Reaktion auf diese aus Frankreich stammende Studie hat die amerikanische FDA zunächst alle ähnlich gelagerten Studien ausgesetzt. In Großbritannien dagegen hat man entschieden, die laufenden Studien nicht zu unterbrechen. Es wurde auf das ethische Dilemma hingewiesen, dass die benötigte Zeit zur Untersuchung des Falles in Frankreich die Lebenserwartung der zu behandelnden SCID-Patienten überschreiten könnte. Es wäre unethisch, diesen Kindern eine potenziell wirksame Therapie zu verweigern [21].
Literaturhinweis
Gentechnik, Biotechnik. Lehrbuch und Kompendium für Studium und Praxis. Von Theodor Dingermann unter Mitarbeit von Ilse Zündorf. XVI, 632 Seiten, 505 Abb., 53 Tab. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1999. 85,90 Euro. ISBN 3-8047-1597-4
Aktualisierung im Internet unter www.Deutscher-Apotheker-Verlag.de, dann in der rechten Spalte unter der Überschrift "Aktualisierung von Büchern" den Buchtitel anklicken.
Die Autoren
Dr. Peter Beck (Jg. 1973) studierte von 1993 bis 1999 Pharmazie in Frankfurt und war von 1999 bis 2003 Doktorand im Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt; Thema: Untersuchungen zur Mobilität tRNA-Gen-gerichteter Retrotransposons in Dictyostelium. E-Mail: Peter_Beck@t-online.de
HD Dr. habil. Thomas Winckler (Jg. 1961) studierte von 1982 bis 1987 Biologie in Konstanz; dort 1991 Promotion. Seit 1992 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt, 2000 Habilitation, seit Juli 2002 Hochschuldozent.
Forschungsgebiete: Molekulare Mechanismen der positionsspezifischen Integration von Dictyostelium Retrotransposons; Funktionsanalyse einer konservierten Domäne des menschlichen Chromatinregulators "Jumonji" durch genetische Untersuchungen eines Jumonji-Homologen in Dictyostelium. E-Mail: winckler@em.uni-frankfurt.de
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