Arzneistoffporträt

S. Brody et al.Vitamin C gegen Stress – Ascorb

Sehr hohe bzw. lang andauernde physiologische Reaktionen auf Stress beeinträchtigen auf lange Sicht die Gesundheit. Bei Labortieren wurde eine Senkung der stressinduzierten Cortisolfreisetzung und anderer Stressindizes sowie der stressbedingten Mortalität [6, 19, 24] durch eine Behandlung mit hochdosierter Ascorbinsäure beobachtet. In einer aktuellen Studie [4] wurde der Frage nachgegangen, ob dieses Ergebnis auf den Menschen übertragen werden kann. Wenn sich mit Ascorbinsäure die physiologischen und psychischen Reaktionen auf Stress sicher, wirksam und dabei relativ einfach beeinflussen ließen, wären die Auswirkungen auf Morbidität und Mortalität sowie die finanziellen Einsparungen beträchtlich [23].

Was ist Stress?

Stress ist der Reaktionszustand des Organismus bei Über- bzw. Fehlbeanspruchung [11]. Die Beanspruchung kann viele Gesichter haben, äußere Faktoren können Lärm und Reizüberflutung sein. Innere Auslöser sind Leistungsdruck, körperliche Überanstrengung, Krankheit, Angst und Ärger.

Unabhängig vom Auslöser ist die körperliche Reaktion bei Stress immer gleich: Typische Stresshormone (z. B. Cortisol) werden vermehrt produziert, und es kommt zu einer Blutdrucksteigerung (Abb. 1). Weitere Reaktionen auf die Stresshormone und die Blutdruckveränderung können Kopfschmerz, Verspannungen, Schlaflosigkeit, Herzbeschwerden, Magenschmerzen, Durchfall, gereizte Haut und Allergien sein. Die typischen psychischen Stressreaktionen sind nervöse Unruhe, Gereiztheit, Angst und Schlafstörungen.

Zunächst mögen diese Symptome nicht so schwerwiegend erscheinen, jedoch ist zu beachten, dass der menschliche Körper desto stärker reagiert, je länger oder häufiger er Stress ausgesetzt ist. Chronischer Stress, insbesondere wenn er als unkontrollierbar wahrgenommen wird, kann dazu führen, dass sich eine Depression entwickelt, die wiederum ein erhöhtes Risiko darstellt, an einer koronaren Herzkrankheit oder Krebs zu erkranken. Es ist demnach von hoher Notwendigkeit, Stress zu minimieren oder zumindest die körperlichen Reaktionen auf Stress zu reduzieren.

In einigen, aber nicht allen Studien über die kardiovaskuläre Reaktivität auf Stress fand sich, dass die Reaktion als Prädiktor für eine spätere Erhöhung des arteriellen Blutdrucks interpretiert werden konnte [3, 16]. Die wiederholte stressbedingte Erhöhung des Blutdrucks kann zu einer manifesten Hypertonie führen. Diese wird als eine der wichtigsten Ursachen für Atherosklerose angesehen, welche wiederum schwerwiegende Folgeerkrankungen, wie beispielsweise Schlaganfall, Herzinsuffizienz, koronare Herzkrankheit oder Niereninsuffizienz bewirken kann.

Stress führt zu einer vermehrten Freisetzung von Cortisol. Erhöhte Cortisolspiegel werden mit Funktionsstörungen der Neuronen im Hippokampus und einer damit einhergehenden Verschlechterung der Gedächtnisfunktion [15, 18] in Verbindung gebracht. Dieser Zusammenhang wurde bereits bei depressiven Patienten [21] beobachtet. Die Verschlechterung bezieht sich jedoch nicht auf die Gedächtnisfunktion allgemein, sondern explizit auf den Teil, der für die bewusste und willkürliche Erinnerung erlernter Informationen verantwortlich ist. Bei insgesamt gesunden Menschen scheint die Reduktion der Gedächtnisleistung jedoch reversibel zu sein.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Stress mit Folgeerkrankungen und damit mit der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen [2] und mit einer Erhöhung der Mortalität einhergeht [23].

In den verschiedenen Studien wurden Hinweise darauf gefunden, dass eine Ascorbinsäuresubstitution

  • zu einer Besserung der Funktion des Immunsystems und zu einer schnelleren Erholung der Serumcortisolspiegel zum Ruhewert führt [7] und
  • die verhaltensmäßige Reaktion auf Stress und das endokrine Stresskorrelat Cortisol beeinflusst [25].

Die randomisierte und kontrollierte klinische Doppelblindstudie

An 120 gesunden Erwachsenen (durch Aushänge rekrutiert) wurde im Rahmen einer plazebokontrollierten Doppelblindstudie die Wirkung von 14-tägiger Substitution von Ascorbinsäure in Retardform (3 x 1000 mg/d in Form von 3 x 2 Kapseln Cetebe®) und von Plazebo auf die physiologischen Reaktionen auf Stress untersucht.

Es wurden insgesamt 12 Probanden ausgeschlossen, sechs aus jeder Gruppe. Vier Probanden waren am Tag des Stresstestes bereits bevor sie ins Labor kamen ungewöhnlich großem Stress ausgesetzt und hatten daher keine normalen Ausgangswerte. Weitere vier Probanden waren mit Personen, die den Stresstest durchführten, persönlich bekannt, wodurch die Stressreaktion eventuell abgemildert wurde.

Ein Proband nahm parallel an einer anderen Studie teil, in der Glucocorticoide verabreicht wurden, ein weiterer hatte weniger als 80% der erforderlichen Kapseln eingenommen. Ein Proband stand am Tag des Stresstestes offensichtlich unter Drogeneinfluss, eine Probandin (aus der Plazebogruppe) wurde während des Stresstestes ohnmächtig. Dadurch wurden letztendlich die Werte von 108 Probanden analysiert.

Methodik

Als Kriterien dienten

  • die Höhe des arteriellen Blutdrucks im Verlaufe des Stresstestes,
  • die Höhe der Cortisolspiegel im Verlaufe des Stresstestes,
  • die Cortisolreaktion nach Provokation mit 1 µg ACTH und
  • subjektive Parameter für akuten psychischen Stress im Verlaufe des Stresstestes.

Hier dienten Fragebögen (Die deutsche Version der Spielberger State Anxiety Scale [14] und eine Ein-Item-Skala, auf der die Probanden ihr momentanes Stressempfinden von null bis zehn einschätzen sollten) der Ermittlung des subjektiven Empfindens.

Als Stresstest wurde der Trier Social Stress Test TSST (s. Kasten) eingesetzt, ein standardisiertes Verfahren zur Induktion von psychischem Stress. Zu den Zeitpunkten –10, –1, +1, +10, +20, +30 und +40 min (vor bzw. nach dem TSST) wurden die folgenden Untersuchungen durchgeführt: Entnahme einer Speichelprobe zum Nachweis von Cortisol, Blutdruckmessung und subjektive Stressbeurteilung (Abb. 2).

Der Test wurde einmalig am zweiten Labortermin nach der 14-tägigen Gabe von Vitamin C oder Plazebo durchgeführt, da Wiederholungstests mit dem TSST zu einer beträchtlichen Gewöhnung führen können [13].

Ergebnisse

  • Nach der 14-tägigen Behandlung war der Ascorbinsäurespiegel in der Verumgruppe signifikant höher, während sich in der Plazebogruppe kein Unterschied zum Ausgangswert zeigte.

  • Hinsichtlich der im Verlauf der Studie beobachteten unerwünschten Ereignisse waren keinerlei Gruppenunterschiede nachweisbar.

  • Im Vergleich zur Plazebogruppe war das subjektive Stressempfinden während des TSST bei den mit Ascorbinsäure behandelten Probanden weniger stark ausgeprägt (Abb. 3). Darüber hinaus wurde bei diesen Patienten zwar kein geringerer Cortisolanstieg insgesamt, aber eine schnellere Erholung des Cortisolspiegels im Speichel nach dem Stressor festgestellt (Abb. 6).

  • Im Vergleich zu der mit Plazebo behandelten Gruppe fiel der Anstieg des diastolischen (Abb. 4) und systolischen (Abb. 5) Blutdrucks in der Ascorbinsäuregruppe geringer aus. Die Erhöhung des systolischen Blutdrucks betrug 23 vs. 31 mm Hg, was eine 26%ige Reduktion des stressbedingten Blutdruckanstiegs bedeutet.

    Außerdem sank der Blutdruck bereits nach 10 Minuten wieder annähernd auf Normalniveau, wohingegen die Plazebo-Probanden auch nach 40 Minuten noch erhöhte Blutdruckwerte aufwiesen.

  • Die Höhe des Ascorbinsäurespiegels im Plasma, der durch die 14-tägige Vitamin C-Substitution am Ende der Studie erreicht wurde – nicht aber der Ascorbinsäurespiegel vor Beginn der Studie – korrelierte mit einer geringeren Veränderung des systolischen und diastolischen Blutdrucks und von subjektiven Stressparametern sowie mit einer schnelleren Erholung des Cortisolspiegels im Speichel.

    Dies deutet darauf hin, dass stressprotektive Plasmaspiegel nur durch hochdosierte Substitution und nicht mit den üblichen Vitamin C-Quellen aus der Nahrung erreicht werden können.

  • Hinsichtlich der Reaktion des Plasmacortisolspiegels nach ACTH-Provokation fand sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen, was den Ausschluss einer möglichen Modifikation der Reaktivität der Nebennierenrinde erlaubt.

  • Es zeigte sich, dass weder Geschlecht und Alter noch Tabak- oder Coffeinkonsum einen Einfluss auf die hier dargestellten Gesamtergebnisse hatten.

Diskussion

Neben den in dieser Studie beobachteten Auswirkungen auf das subjektive Stressempfinden und die Erholung des Cortisolspiegels sind unter klinischen Gesichtspunkten insbesondere die Effekte auf den Blutdruck beachtenswert [4].

Denn die Ausprägung des Effekts der Vitamin C-Substitution auf die Reaktivität des systolischen Blutdrucks ist vergleichbar mit dem Unterschied einer positiven vs. negativen Familienanamnese für Hypertonie [1] oder auch mit dem günstigen Einfluss, den Anwesenheit vs. Fehlen sozialer Unterstützung ausmacht [5] – beides sind Faktoren, deren prognostischer Wert für eine spätere Hypertonie seit längerem bekannt ist.

Die durch Stress induzierte Blutdruckerhöhung fällt unter Ascorbinsäure-Substitution ebenfalls niedriger aus, als es durch Gabe von Betablockern erreicht werden könnte [17].

Darüber hinaus wurde in der mit Plazebo behandelten Gruppe im Vergleich zu den mit Ascorbinsäure behandelten Probanden eine wesentlich langsamere Rückkehr des Blutdrucks auf das Niveau vor Beginn des Stressors beobachtet (eine langsamere Erholung geht mit einem höheren kardiovaskulären Risiko einher; [10]). Für alle Patienten, die zusätzlich andere Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben, hätte diese günstige Beeinflussung des Blutdrucks eine große Bedeutung.

Der genaue Mechanismus, mittels dessen Ascorbinsäure vor den Auswirkungen von Stress schützt, ist nicht bekannt. Angesichts der breit gefächerten stressreduzierenden Wirkungen (subjektiv, kardiovaskulär und – in geringerer Ausprägung – neuroendokrin) erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass diese nicht nur auf unmittelbaren Wirkungen der Ascorbinsäure auf das Herz-Kreislauf-System beruhen.

Es gilt zwar als nachgewiesen, dass Ascorbinsäure die endotheliale vasomotorische Funktion beeinflusst, jedoch ist noch nicht klar, auf welchem Weg dies geschieht [8]. Ascorbinsäure ist nicht nur ein Antioxidans, sondern sie moduliert darüber hinaus die Wirkungen zentralnervös wirkender Dopaminagonisten und -antagonisten [9, 20]. Jedoch ist auch hierbei der genaue Mechanismus noch ungeklärt. Eine Verstärkung der hemmenden Wirkung von Dopamin auf die Prolactinfreisetzung [26] wurde im Tierversuch bei Ratten beobachtet.

Zusätzlich spielt Ascorbinsäure eine Rolle bei der glutamatabhängigen Neurotransmission, bei Ausschüttung und Reuptake. Die Modifikation der stressabhängigen zentralen Neurotransmission [22] durch eine hochdosierte Ascorbinsäuresubstitution bietet neue therapeutische Möglichkeiten.

Es ist nicht bekannt, ob die beobachteten Wirkungen auch mit einer anderen als der in dieser Studie verwendeten Retardzubereitung erzielt werden können. In zukünftigen Studien könnten die langfristigen Wirkungen einer derartigen Substitution sowie die Wirkungen bei anderen interessanten Subpopulationen oder mit anderen Dosierungen untersucht werden.

Dabei ließen sich beispielsweise der Prolactinspiegel und die Konzentrationen von anderen wichtigen Markern für die Aktivität der zentralen Neurotransmission messen [4].

Nach wie vor bleiben noch Fragen offen, die es durch weitere Studien zu lösen gilt. Es wird sich zeigen, welche theoretischen Ansätze verworfen werden müssen und welche gefestigt werden können.

Der Trier Social Stress Test [12] Bei dem TSST handelt es sich um eine standardisierte Technik zur Induktion von psychischem Stress. Dabei wird dem Probanden nach der Messung zum Zeitpunkt –10 min mitgeteilt, dass er vor einem unbekannten und aus je einem Mitglied beiderlei Geschlechts bestehenden Gremium einen fünfminütigen Vortrag über seine persönliche Eignung für eine bestimmte Aufgabe halten soll, die seinem Interessenbereich entspricht.

Daran anschließend soll er weitere 5 min laut Kopfrechenaufgaben lösen. Nachdem sich die Probanden allein vorbereitet haben, werden die Messungen zum Zeitpunkt –1 min durchgeführt (zur Untersuchung der Stressbelastung bei der Vorbereitung auf den tatsächlichen Stressfaktor). Danach begibt sich der Proband in den TSST-Raum, in dem sich das Beobachtergremium (ein Mitglied jeden Geschlechts), eine gut sichtbar angebrachte Videokamera und ein Mikrophon befinden.

Bei Pausen während des Vortrags wird der Proband an die noch verbleibende Zeit erinnert. Nach 5 min erhält der Proband die Aufgabe, beginnend bei der Zahl 2023 immer wieder 17 abzuziehen. Bei Fehlern ist von vorn zu beginnen. Unmittelbar danach wird die Messung zum Zeitpunkt +1 min vorgenommen, und der Proband begibt sich in den Wartebereich, wo er erneut die Spielberger State Anxiety Scale ausfüllt und anschließend die Messungen zu den Zeitpunkten +10, +20, +30 und +40 min durchgeführt werden.

Fazit Eine 14-tägige hochdosierte Therapie mit einem Ascorbinsäurepräparat in Retardform führt zu einer Senkung des Blutdrucks, geringerer subjektiver Stressbelastung und Angstreaktion auf einen akuten interpersonalen Stressfaktor sowie zum schnelleren Abfall des Speichelcortisols nach Beendigung der Stresssituation.

Diese Effekte lassen sich nicht durch eine Veränderung der Ansprechbarkeit der Nebennierenrinde begründen. Da diese Stressprotektion breitgefächert ist und sich offensichtlich nicht nur auf den Blutdruck beschränkt, können modulierende Effekte der Ascorbinsäure auf die stressabhängige zentrale Neurotransmission angenommen werden.

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