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Gesundheitsreform: Ministerium feilt noch immer an Formulierungshilfe
Sind es nun technische Schwierigkeiten, die das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) plagen? Oder gibt es vielleicht noch Unstimmigkeiten in den Fraktionen der SPD und der Grünen? Möglicherweise ist das Ministerium auch tatsächlich dabei, in den GMG-Entwurf Kompromisse einzuarbeiten, die die Union versöhnlich stimmen sollen?
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass Schmidt "heimlich" Grundlinien für eine kompromissfähige "Reform der Reform" entwerfe. So könnte die geplante Zulassung des Arzneimittelversandhandels fallen – in der Hoffnung, der Versand komme auch ohne weiteres Zutun aufgrund europäischer Vorgaben.
Ebenso denke die Ministerin über mehr Wahlfreiheit durch die Möglichkeit der Kostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach, so der Spiegel. Außerdem werde geprüft, ob an Stelle des "Zentrums für Qualität in der Medizin" eine Stiftung treten könne, in der sich Ärzte und Krankenkassen gemeinsam auf Leitlinien einigten.
Dies soll den Vorwurf der Staatsmedizin entkräften, meint das Nachrichtenmagazin erfahren zu haben. Der Pressesprecher des BMGS Klaus Vater dementierte diese Meldungen bereits am Wochenende. Die Ministerin werde mit der Union über ein Gesamtpaket verhandeln – weiche Punkte oder Kompromisslinien seien im neuen GMG-Entwurf nicht vorgesehen, so Vater.
Änderungen bei der Arzneimittelversorgung
Mögen die Umstände, warum der letzte Arbeitsentwurf noch nicht publik gemacht wurde, auch im Dunkeln liegen. Die wesentlichen Inhalte sind bekannt. Eine Baustelle im GMG ist die Arzneimittelversorgung. Sie soll "modernisiert und geänderten Rahmenbedingungen angepasst" werden.
Dazu wird der Mehrbesitz zugelassen und die Arzneimittelpreisverordnung liberalisiert: Die Möglichkeiten für vertragliche Vereinbarungen über Handelsspannen werden ausgeweitet und die Handelszuschläge für Apotheker auf einen preisunabhängigen Festzuschlag von 7,30 Euro je Packung in Verbindung mit einem preisbezogenen Zuschlag von 3 Prozent umgestellt.
Zudem wird der gesetzliche Rahmen für Vereinbarungen zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen über Rabatte auf die Listenpreise von Arzneimitteln ausgeweitet. "Unter Wahrung der Arzneimittelsicherheit" wird der Versandhandel für apothekenpflichtige Arzneimittel zugelassen. Weiterhin sollen Analog-Arzneimittel künftig in die Festbetragsregelung einbezogen werden.
Weitere Reform-Eckpunkte
Neben der Arzneimittelversorgung stehen zehn weitere Punkte auf der Reformagenda: die Verbesserung der Qualität der Patientenversorgung, die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und des ärztlichen Vergütungs- und Abrechnungssystems, die Modernisierung der Steuerung des Systems, die Verbesserung der Patientensouveränität und der Patientenrechte, Boni für Versicherte bei eigenverantwortlichem und gesundheitsbewusstem Verhalten, eine verbesserte Transparenz, die Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen, eine Neuordnung der Finanzierung sowie Neuregelungen bei Zuzahlungs- und Befreiungsmöglichkeiten.
Verbesserung der Versorgungsqualität
Das Ganze regelt der GMG-Entwurf auf rund 400 Seiten. Kurz gefasst stecken dahinter beispielsweise folgende Vorhaben: Für eine bessere Versorgungsqualität soll etwa das "Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin" sorgen. Seine wichtigste Aufgabe ist, Nutzen-Kosten-Bewertungen von Arzneimitteln vorzunehmen sowie Empfehlungen für eine zeitgemäße Fortschreibung des GKV-Leistungskatalogs und Leitlinien und pflegerische Standards für ausgewählte Krankheiten zu erarbeiten.
Auch eine Fortbildungspflicht für Vertragsärzte soll eingeführt werden. Für mehr Arzneimittelsicherheit soll das elektronische Rezept sowie die elektronische Gesundheitskarte sorgen.
Weiterentwickelte Versorgungsstrukturen
Unter der Weiterentwicklung der GKV-Versorgungsstrukturen versteht die Ministerin vor allem die Zulassung von Einzelverträgen zwischen Krankenkassen und Ärzten. Die kollektivvertraglich organisierte Sicherstellungsverpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) gilt künftig grundsätzlich nur für die haus-, frauen- und augenärztliche Versorgung.
Im Übrigen wird der Sicherstellungsauftrag zwischen KVen und Krankenkassen geteilt. Weiterhin werden die Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherten ein Hausarztsystem anzubieten. Als Bonusanreiz ist für freiwillig eingeschriebene Patienten eine reduzierte Zuzahlung für Arznei- und Verbandmittel vorgesehen. Zudem wird eine Praxisgebühr von 15 Euro bei Facharztbesuchen ohne Überweisung des Hausarztes eingeführt. Ausnahmen sind vorgesehen.
Bei der Modernisierung der Steuerung der medizinischen Versorgung hat die Ministerin etwa neue Organisationsstrukturen der KVen und Krankenkassen vor Augen. Vorgesehen ist, dass kleinere KVen zu größeren Einheiten zusammengelegt werden. Auch werden organisationsrechtliche Privilegien einzelner Kassenarten abgeschafft. Ab 2007 sollen auch kassenartenübergreifende Fusionen von Krankenkassen möglich werden.
Für mehr Patientenrechte – gegen Korruption
Nicht zuletzt sollen die von Schmidt erklärtermaßen im Mittelpunkt stehenden Patienten in ihrer Souveränität und ihren Rechten gestärkt werden. Geplant ist, die Beteiligungs- und Anhörungsrechte von Patientenorganisationen weiter auszubauen – so etwa im Deutschen Zentrum für Qualität in der Medizin und in den Bundesausschüssen.
Die Korruption im Gesundheitswesen, die in der vergangenen Zeit immer wieder spektakulär öffentlich wurde, will Schmidt mit der Einführung eines Korruptionsbeauftragten bekämpfen. Dieser soll als Ansprechpartner für Bürger sowie für Einrichtungen und Beschäftigte des Gesundheitswesens zur Verfügung stehen – ausgestattet mit Prüfrechten zum Einsatz der Finanzmittel in der GKV.
Bei möglichem Verdacht auf strafbare Handlungen leitet er die jeweiligen Fälle an die Staatsanwaltschaft weiter. Auch KVen und Krankenkassen werden verpflichtet, Prüf- und Ermittlungseinheiten zur Korruptionsbekämpfung einzurichten. Zudem sollen im Heilmittelwerbegesetz die Sanktionen verschärft werden.
Detailänderungen am Gesetzespaket können nun noch einen Monat lang vorgenommen werden: Am 8. Juli soll das Reformpaket in zweiter und dritter Lesung im Bundestag verabschiedet werden. Weitere Nachbesserungen folgen dann erst in der Auseinandersetzung mit der Opposition im Vermittlungsausschuss.
Bis zum Redaktionsschluss der DAZ war der neueste Arbeitsentwurf zum Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz (GMG) noch immer nicht veröffentlicht. Nachdem das Kabinett am 28. Mai beschlossen hatte, den Reformentwurf von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt als Formulierungshilfe zu verwenden, sollten noch letzte Nachbesserungen vorgenommen werden – doch diese dauern offenbar länger als erwartet. Im Ministerium spricht man von "technischen Problemen" – doch die Situation nährt auch andere Spekulationen.
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