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Gesundheitspolitik
E. ChristmannDisease-Management-Programme – Te
Ursachen der Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen
Disease-Management-Programme wurden schon vor etwa zwanzig Jahren als Steuerungsinstrument gegen ständig wachsende Kosten im Gesundheitswesen in den USA eingeführt. Andere europäische Länder griffen diese Strategie auf. Auch wenn die gesundheitspolitischen Gegebenheiten in den USA, in der EU und in Deutschland nicht deckungsgleich sind, zeigen sich doch grundsätzliche Übereinstimmungen bei den Ursachen der Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen.
Neben Fehlallokationen ist hier vor allem die Veränderung der Altersstruktur zu nennen: In der westlichen Welt erreichen immer mehr Menschen ein immer höheres Alter, und im Verhältnis dazu stehen immer weniger Menschen als Beitragszahler aktiv im Berufsleben. Mit zunehmendem Alter wächst die Wahrscheinlichkeit, an einer oder sogar mehreren (chronischen) Krankheiten zu leiden und damit hohe Kosten zu verursachen. Innovative, aber teure Therapien steigern diese Kosten nochmals.
Auf der anderen Seite werden die Sozialabgaben der berufstätigen Pflichtversicherten als zu hoch empfunden und stellen ein Problem für die Beschäftigungspolitik dar. Dramatisch sind die Folgen für die Einnahmen der Krankenkassen: "Bei konstantem Beitragssatz gehen die Einnahmen im günstigsten Fall bis 2050 nur um zwölf Prozent, im schlechtesten Fall um bis zu 28 Prozent zurück. Die ungünstigste Prognose für den Beitragssatz lieferte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung: 34 Prozent im Jahr 2040, allerdings unter Einbezug des medizinischen Fortschritts." [21]
DMPs sollen bei chronischen Erkrankungen sparen
Der Sachverständigenrat des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) hat in Deutschland für die Gesundheitsleistung eine Über-, Unter- und Fehlversorgung konstatiert. Derzeit werden in Deutschland knapp achtzig Prozent der GKV-Mittel für etwa zwanzig Prozent der Versicherten aufgewendet. Zu diesen "teuren" Versicherten gehören vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetiker und Asthmatiker.
Die Prävention, Diagnostik und Therapie chronischer Erkrankungen könnten unter verschiedenen Aspekten wesentlich optimiert werden, wenn alle eingesetzten Mittel besser aufeinander abgestimmt würden. Genau darin liegt die Aufgabe der DMPs: Durch sie soll es gelingen, die vorhandenen Ressourcen über die Grenzen der einzelnen Leistungserbringer hinweg und über den gesamten Verlauf einer Krankheit, von der Prävention bis zur Nachbehandlung, koordiniert und optimiert unter aktiver Beteiligung des Patienten einzusetzen (Tab. 1) [2].
Die DMPs sind also nicht primär unter kurzfristigen Kostenaspekten zu sehen. Die Verbesserung der individuellen gesundheitlichen Betreuung chronisch kranker Patienten, unter anderem mithilfe evidenzbasierter Therapieleitlinien, muss Vorrang vor allen anderen Überlegungen haben.
Entwicklung von DMPs
Im Herbst 2001 wurde ein aus
- den Bundesverbänden der Krankenkassen,
- dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sowie
- dem Ausschuss Krankenhaus
zusammengesetzter Koordinierungsausschuss berufen, der die Anforderungen für die DMPs erarbeitet (s. Kasten). Seine Vorschläge zu Diabetes mellitus Typ 2 und Brustkrebs bildeten die Grundlage für die zustimmungsfreie "Rechtsverordnung DMP" (früherer Arbeitstitel: "Rechtsverordnung über Krankheiten und Anforderungen für die Ausgestaltung der DMPs"), die kurzfristig am1. Juli 2002 in Kraft getreten ist.
Der Koordinierungsausschuss bestimmt insbesondere die Krankheiten, die für DMPs geeignet sind. Vorgeschlagen sind bisher Diabetes, Asthma und COPD, KHK und Brustkrebs. Außerdem erarbeitet er die Rahmenbedingungen, ist für die Abstimmung von Behandlungsleitlinien und Versorgungsstandards zuständig und bestimmt die Parameter für die Beurteilung der Behandlungsergebnisse.
Risikostrukturausgleich der Krankenkassen
Der Risikostrukturausgleich (RSA) versucht, unterschiedliche Risikostrukturen der einzelnen Krankenkassen durch entsprechende Finanztransfers auszugleichen. Die Reform des RSA soll unter anderem Krankenkassen dazu bewegen, chronisch Kranke aufzunehmen, indem sie für ihre in DMPs eingeschriebenen Versicherten einen den tatsächlichen Kosten angemessenen RSA erhalten.
Ab dem 1. 1. 2003 wird ein Risikopool für solche Versicherten eingerichtet, die pro Jahr mehr Behandlungskosten aufweisen als 20 450 Euro. Krankenkassen mit vielen Chronikern sollen keine Nachteile mehr haben, sondern möglicherweise sogar deutliche Vorteile erzielen, wenn sie entsprechende DMPs anbieten (s. Beispiel auf Seite 42) [4].
Denkbar ist jedoch, dass die Einsparungen bei den vorhandenen chronisch kranken Mitgliedern durch die Aufwendungen für neu hinzu kommende Chroniker aufgebraucht bzw. überkompensiert werden (z. B. Diabetes versus HIV). Ab 1. 1. 2007 soll für den RSA die Morbidität der Versicherten als Basis zugrunde gelegt werden.
Akkreditierung durch das BVA
Nach Inkrafttreten der "Rechtsverordnung DMP" erfolgt die Akkreditierung der DMPs auf Antrag der einzelnen Krankenkassen oder deren Verbände durch das Bundesversicherungsamt (BVA). Vielleicht ist es nicht uninteressant zu wissen, dass etwa die Hälfte der BVA-Mitarbeiterstellen von Krankenkassen finanziert werden. Das BVA muss Stichproben-Kontrollen für mindestens 2% der Fälle durchführen. Darauf basierend wird die Fehlerquote hochgerechnet, von der wiederum abhängt, ob der höhere RSA-Transfer gerechtfertigt ist. Wenn beispielsweise ein Versicherter die erforderliche Mitwirkung im DMP vermissen lässt, muss der Ausgleich eingestellt werden. Dies bringt die Kassen in erhebliche Interessenkonflikte.
Der Grad der Verbindlichkeit sowie der Geltungsbereich sind durch das BVA im Zuge des Akkreditierungsverfahrens zu regeln. Bisher fehlen allerdings noch konkrete Indikatoren.
Für die Beurteilung der Effizienz von DMPs müssen medizinische und ökonomische Parameter zur Evaluation herangezogen werden. Die Dokumentation und Nutzung von ausgewählten Qualitätsindikatoren für das Controlling bildet die Basis für eine begleitende Qualitätssicherung und die Kosten-Nutzen-Bewertung [1].
Entsprechend soll der Koordinierungsausschuss Qualitätskriterien formulieren, die es ermöglichen, Prozesse, Ergebnisse und Strukturen zu bewerten. Dazu gehören die Leitlinien, die Standards für sektorübergreifende Betreuung, die Dokumentationsqualität, aber auch die Dropout-Rate der DMP-Patienten.
Dokumentation und Evaluation der DMPs
Für die Evaluation der DMPs sieht der Gesetzgeber eine Arbeitsgemeinschaft vor, der z. B. Vertreter der Krankenkassen, Ärzteschaft und spezieller Studienzentren angehören. Diese Studienzentren werden per Ausschreibung vom BVA ausgewählt.
Die Arbeitsgemeinschaft muss festlegen, welche Parameter/Daten relevant sind, wer sie erhebt und wie sie einer Evaluation zugeführt werden. Sie kooperiert mit allen Gesundheitsdienstleistern (Ärzte, Apotheker; ambulant, stationär), Kostenträgern (Krankenkassen), Apotheken-Rechenzentren, KV-Abrechnungsstellen und den vom BVA akkreditierten Studienzentren. Zwischen den Kooperationspartnern muss ein Standard für das Erfassen und den Austausch von Daten eindeutig festgelegt werden. Standard sind beispielsweise: Idf-Nr.; PZN/ATC-Code; ICD10-Code; Maßeinheiten (BMI; BZ; HbA1c; RR); Kosten in Euro.
Der Datenaustausch muss grundsätzlich auf zwei unterschiedlichen Ebenen erfolgen, nämlich
- für die Datenlieferung an Krankenkassen und
- für die Sammlung von Daten für Evaluationszwecke.
Dies ist auch aus den Anlagen 2 a, 2 b und 4 a, 4 b der "Rechtsverordnung DMP" zu entnehmen [5].
Startprobleme der DMPs
Die DMPs können nur durch eine koordinierte Zusammenarbeit aller am Behandlungsprozess Beteiligten funktionieren, nicht zuletzt der Apotheker, auch wenn diese bisher als Mitakteure nicht ausdrücklich genannt werden [4]. Die Koordination kann Aufgabe des jeweiligen Hausarztes sein. Zwischen ihm und dem Patienten besteht ein besonderes Vertrauensverhältnis. Qualitätszirkel vor Ort werden für die Kommunikation der einzelnen Leistungserbringer unverzichtbar sein.
Bevor die DMPs anlaufen können, müssen Verträge zwischen Kassen und Leistungserbringern geschlossen werden. Nur so ist ein Minimum an Planungssicherheit gewährleistet. Daraus ergeben sich verschiedene Probleme, z. B., wie Kollektivverträge mit möglicherweise von Kassen angestrebten Einzelverträgen oder auch Verträgen nach § 140 (integrierte Versorgung) in Einklang zu bringen sind.
Ein weiteres kontrovers diskutiertes Thema mit beträchtlichen Konsequenzen ist der Datenschutz, die Transparenz und die Nutzung der Daten. Die mögliche Einflussnahme der Kassen auf die Leistungserbringer und die Versicherten durch datenbasierte Informationen und Vorgaben muss geklärt sein.
Besonders in der Startphase wird von den Leistungserbringern viel verlangt, was ihre Motivation zur Teilnahme mindert. Schon die Pflicht zur Dokumentation wird abschrecken, ebenso die voraussichtlich nötigen Investitionen in EDV bzw. Personal und der Zeitdruck, unter dem die Einführung der ersten DMPs steht. Versicherte könnten das Angebot von DMPs ablehnen, wenn dadurch die freie Arzt- und Apothekenwahl und die freie Wahl der Krankenkassen eingeschränkt werden sollte.
Lassen sich die datenschutzrechtlichen Bedenken der Versicherten und der Leistungserbringer so lösen, dass die Evaluation der DMPs gewährleistet ist, die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen aber nicht verletzt werden? Auch hieraus ergeben sich Probleme für Akzeptanz und Motivation.
Ausblick
Bisher gibt es in Deutschland wenig praktische Erfahrung zu DMPs – eine Ausnahme ist z. B. der Strukturvertrag Diabetes in Nordrhein. Wissenschaftliche Gutachten, Überlegungen aktiver Gesundheitsdienstleister und Absichtserklärungen von Politik, Kostenträgern und Leistungserbringern ergeben nur unsichere Szenarien.
Die nächste Bundestagswahl und ein möglicher Regierungswechsel eröffnen zudem viele Spekulationen zum Thema DMP. Trotzdem kann grundsätzlich festgestellt werden, dass bei der Versorgung chronisch Kranker erhebliche Defizite aufzuarbeiten sind. Daher ist die Idee der DMPs für chronisch kranke Menschen zu begrüßen. Die Realisierung wird aber viel Geduld und Durchhaltevermögen von den Beteiligten verlangen.
Kastentext: Wozu DMPs?
"Ziel des Disease Managements ist die ständige Verbesserung aller Maßnahmen während der einzelnen Phasen chronischer Erkrankungen, um vor allem Versorgungs- und Steuerungsdefizite zu beseitigen. Dies soll erreicht werden durch:
- systematische Verbesserung der Versorgungsqualität,
- systematische Optimierung der Kosteneffizienz,
- systematische sektorenübergreifende Koordination aller am Versorgungsprozess Beteiligten." [1]
Kastentext: Anforderungen für DMPs*
- Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien unter Berücksichtigung des jeweiligen Versorgungssektors
- Kriterien für zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung nach § 137e SGB V
- Qualitätssicherungsmaßnahmen
- Einschreibungsvoraussetzungen für Versicherte und Teilnahmedauer
- Schulungen von Leistungserbringern und Versicherten
- Dokumentation
- Bewertung der Wirksamkeit und der Kosten (Evaluation)
*Nach § 137 f Abs. 2 Satz 2 SGB V [3]
Literatur im 3. Teil.
Am 1. Juli 2002 trat die Vierte Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung in Kraft. Sie regelt unter anderem die Einführung und Durchführung von strukturierten Behandlungsprogrammen, die besser unter dem englischen Begriff Disease Management Programme und dem Kürzel DMP bekannt sind. Wir stellen die Ziele der DMPs und ihre praktische Umsetzung, an der auch die Apotheke beteiligt sein wird, vor.
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