Welt-Tollwut-Tag

Ist ein Ende der tödlichen Erkrankung in Sicht?

stuttgart - 27.09.2024, 17:30 Uhr

(Foto: Trsakaoe / AdobeStock)

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Da in den Ländern des globalen Südens die Tollwut nach wie vor eine weit verbreitete und gefürchtete Infektionskrankheit ist, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den 28. September zum Welt-Tollwut-Tag benannt. Mit dem Projekt „Zero by 30“ soll die Tollwut bis 2030 weltweit als Gesundheitsproblem eliminiert werden. Da in den Ländern des Globalen Südens rund 90% aller Tollwuterkrankungen durch Hunde verursacht werden, steht diese Tierart im Mittelpunkt des strategischen Plans. 

Die WHO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) und die globale Allianz für die Bekämpfung der Tollwut haben gemeinsam das Projekt „Zero by 30“ lanciert. Damit soll die Tollwut bis 2030 weltweit als Gesundheitsproblem eliminiert werden. Da in den Ländern des Globalen Südens rund 90% aller Tollwuterkrankungen durch Hunde verursacht werden, steht diese Tierart im Mittelpunkt des strategischen Plans. Untersuchungen haben gezeigt, dass, wenn Hunde systematisch gegen Tollwut geimpft werden, die Zahl der Tollwuterkrankungen bei Hund und Mensch kontinuierlich abnimmt. Sind 70% aller Hunde geimpft, tendiert die Zahl der Tollwutfälle beim Menschen gegen 0 [1].

Spezialisiertes Virus

Das Tollwut-Virus (auch Lyssa-Virus genannt) gilt als der gefährlichste aller Krankheitserreger. Das Virus gehört zur Familie Rhabdoviridae, Gattung Lyssa-Virus. Lyssa-Viren werden in sieben Genotypen mit insgesamt 17 Arten unterteilt. Die Zahl der jährlichen Todesfälle durch Tollwut wird auf 30.000 bis 70.000 geschätzt [2].  
Im Laufe seiner Evolution hat sich das Lyssa-Virus an ein breites Spektrum von Säugetieren – von Fledermäusen über die Tüpfelhyäne bis zum Polarfuchs – angepasst und über alle Kontinente mit Ausnahme der Antarktis verbreitet. Zugrunde liegt der Anpassungsfähigkeit ein für die Weiterverbreitung des Virus notwendiges Prinzip: Wird ein Tier sehr schnell tollwütig und stirbt bereits wenige Tage, nachdem sich das typische aggressive Verhalten mit Zuschnappen und Beißen einstellt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Erreger durch infizierten Speichel auf ein anderes Säugetier übertragen wird. Entwickeln sich die Tollwut-bedingten Verhaltensänderungen dagegen langsam – und sind damit schwieriger zu erkennen – steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein anderes Tier oder ein Mensch mit Speichel des erkrankten Tieres in Kontakt kommen und sich dabei infizieren. Virologen sehen die verschiedenen Varianten des Lyssa-Virus dementsprechend als evolutionäre Anpassung an die jeweilige Tierart [3].

Während in Mitteleuropa der Fuchs das größte Infektionsrisiko darstellt, sind es in Afrika und Asien Hunde, in Nordamerika Waschbären und in den Tropen früchtefressende Fledermäuse. Eine aktuelle Studie aus Kolumbien zeigt, dass in den Anden Katzen der wichtigste Überträger der Tollwut sind [4]. Bereits 2004 ergaben epidemiologische Studien, dass unter bestimmten Umweltbedingungen auch Vampirfledermäuse das Tollwutvirus übertragen. Im Bundesstaat Pará im Amazonastiefland verstarben damals innerhalb weniger Wochen 22 Menschen an Tollwut, nachdem sie nachweislich von Vampirfledermäusen gebissen wurden. Ähnliche Beobachtungen wurden später im Distrikt Baja Baujó im kolumbianischen Teil des Amazonastieflandes gemacht. Vampirfledermäuse leben normalerweise im tropischen Regenwald abseits von Siedlungen und saugen Blut von großen Vögeln. Dass sie Menschen anfallen, galt bis dato als Horrorlegende à la Dracula.  
Experten vermuten, dass großflächige Abholzungen mit dem Ziel, Soja anzubauen, die Vampirfledermäuse aus ihrem ursprünglichen Habitat verdrängt haben. Da die Wildtiere, von denen sie normalerweise Blut saugen, verschwunden sind, müssen die Vampirfledermäuse nach anderen Nahrungsquellen suchen. Da es in den abgelegenen Weilern keine festen Häuser gibt, sondern die Menschen in mit Palmstroh gedeckten Hütten leben, haben die nur etwa 9 cm großen Vampirfledermäuse einen leichten Zugang zu schlafenden Personen. 

Übertragung Biss oder Kratzen 

Bislang ist nur eine Tierart bekannt, die die Fähigkeit besitzt, sich mit dem Tollwutvirus zu infizieren, ohne zu erkranken: die Tüpfelhyäne. Die Tiere innerhalb eines Clans beißen und lecken sich häufig gegenseitig. Etwa 40% der Tiere haben Tollwut-neutralisierende Antikörper. Phylo­genetische Untersuchungen zeigen, dass das Tollwutvirus der Tüpfelhyäne den im Nahen Osten bei Hunden gefun­denen Varianten sehr ähnlich ist, nicht aber den Varianten, die in der ostafrikanischen Wildtierpopulation zirkulieren [3]. 
Die Übertragung erfolgt nahezu immer durch Biss oder Kratzen eines mit dem Lyssa-Virus infizierten Tier. Eine Infektion durch Inhalation von Aerosolen, über Schleimhäute oder via offene Wunden ist sehr selten. Tollwut nach Organtransplantation sind Ausnahmefälle (s. Kasten „Übertragung durch Transplantation“).  
Gelangt der Erreger über einen Biss in eine Muskelzelle, bindet sich das Virus an den Acetylcholinrezeptor der motorischen Endplatte. Anschließend wird er entlang der Mikrotubuli eines Axons in Richtung Zentralnervensystem transportiert und breitet sich mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 100 mm pro Tag aus. Bereits während des Transports repliziert sich das Virus. Daraus folgt, dass Bisse im Gesicht oder an den Schultern das zentrale Nervensystem schneller erreichen, als wenn das Virus beispielsweise am Fuß durch einen Biss in den Körper gelangt. Sobald das Virus das zentrale Nervensystem erreicht hat, wird es entlang neuronaler Schaltkreise verbreitet. Gleichzeitig wird es über efferente Nervenfasern in die Speicheldrüsen transportiert. 

Ein Fall: Übertragung durch ­Transplantation­

Anfang 2004 erkrankten vier Patienten im Baylor University Medical Centre in Houston, Texas, nach einer Lebertransplantation nahezu gleichzeitig an einer Gehirnentzündung. Sie waren zunehmend verwirrt, entwickelten generalisierte Muskelkrämpfe und fielen nach einigen Tagen ins Koma. Da die vorangegangene Lebertransplantation mit Komplikationen verlaufen war, dachten die Ärzte zunächst, dass die neurologischen Symptome eine Folge der Organtransplantation sein könnten. Erst die Autopsie brachte Klarheit: In Gehirnschnitten ließen sich sogenannte Negri-Körperchen, die für mit Lyssa-Viren befallene Zellen charakteristisch sind, nachweisen. 
Alle Patienten hatten bei der Transplantation ein Segment aus der Oberschenkelarterie eines Spenders erhalten. Der Spender war einige Monate zuvor von einer Fledermaus gebissen worden. Er war allerdings bei einem Unfall gestorben, bevor er tollwutverdächtige Symptome entwickelt hatte. Die Ärzte des Transplantationszentrums hatten die Oberschenkelarterie entnommen, sie in mehrere Stücke geteilt und die Segmente dann bei den Lebertransplantationen verwendet.  Bei der virologischen Untersuchung eines Stücks der übrig gebliebenen Arterie wurde Lyssa-Virus nachgewiesen. 
Bis dahin war man davon ausgegangen, dass sich das Tollwutvirus nur in Neuronen vermehren kann und durch Speichel übertragen wird. Die Fälle aus Houston zeigen jedoch, dass das Lyssa-Virus aus dem zentralen Nervensystem nicht nur in die Speicheldrüsen, sondern über das autonome Nervensystem auch in die Peripherie, in diesem Fall ein Blutgefäß des Beins, transportiert werden kann.

Rasante vs. paralytische Form

Entsprechend den Symptomen werden zwei Formen der Tollwut unterschieden: Bei der sogenannten rasanten Tollwut stehen eine vom Patienten nicht kontrollierbare Hyperaktivität und Aggressivität im Vordergrund (daher die Bezeichnung Tollwut). Typisch sind Halluzinationen, der Verlust der Koordination von Muskelaktivitäten, Hydrophobie (Angst vor Wasser) und Aerophobie (Angst vor frischer Luft). In etwa 20 Prozent der Fälle verläuft die Tollwut dagegen paralytisch mit fortschreitender Lähmung der Muskulatur. Die Lähmung breitet sich von der Bissstelle in Richtung Kopf aus. Die paralytische Krankheitsform verläuft eher schleichend, die rasante Tollwut führt dagegen in kurzer Zeit zum Tod des Patienten. 
Bei einem rasanten Krankheitsverlauf beträgt die Inkubationszeit nur ein bis zwei Wochen. Bei der paralytischen Verlaufszeit kann die Inkubationszeit bis zu einem Jahr betragen. Ist der Patient erst einmal erkrankt, sinken seine Überlebenschancen – trotz intensivmedizinischer Behandlung – auf gegen 0.  

Derzeit gibt es keine von der WHO zertifizierte diagnostische Methode, um eine Infektion vor Auftreten von Tollwut-assoziierten Symptomen zu erkennen. Die Diagnose ist deshalb immer klinisch und basiert auf einem erinnerten Kontakt mit einem tollwütigen Tier. Ob ein Tier tatsächlich mit Lyssa-Virus infiziert ist, untersucht der Amtstierarzt.  
Reisende in Länder, in denen die Tollwut bei streunenden Hunden häufig ist (dazu zählt auch die Türkei), wird vor Ausreise eine Tollwutimpfung empfohlen. Generell wird von Streicheln von Tieren, die beispielsweise in Ferienanlagen frei herumlaufen oder vor der Tür eines Restaurants auf einen „Leckerbissen“ hoffen, dringend abzuraten. Ist es zu einem Kontakt mit einem Tier gekommen, empfiehlt die WHO eine abgestufte Vorgehensweise (s. Tabelle).

STIKO-Empfehlungen und Vorgehen gegen Tollwut

Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut präzisierte 2024 das Vorgehen bei Kontakt mit einem möglicherweise mit Lyssa-Virus infiziertem Tier in Deutschland [6]. Möglicherweise kontaminierte Körperstellen und Wunden sind unverzüglich und großzügig über mindestens 15 Minuten mit Seife oder Detergenzien zu reinigen, mit Wasser gründlich zu spülen und mit 70%igem Alkohol oder einem Jodpräparat zu behandeln. Wunden dürfen nicht durch eine Naht verschlossen werden. 

  • Ab Expositionsgrad II erfolgt die Immunisierung mit einem Tollwut-Impfstoff  
  • Bei Expositionsgrad III bekommen Personen, die keinen aktuellen Tollwut-Impfschutz haben, zusätzlich zur aktiven Immunisierung humane Tollwut-Immunglobuline verabreicht (20 IE/kg Körpergewicht). Dazu wird vom Tollwut-Immunglobulin so viel wie möglich intramuskulär und um die Wunde instilliert und die verbleibende Menge in den Oberschenkelmuskel (Musculus vastus lateralis) verabreicht. 
  • Falls die Gabe von Tollwut-Immunglobulin beim ersten Impftermin versäumt wurde, kann diese bis zu sieben Tage nach der ersten Tollwut-Impfdosis nachgeholt werden. 
  • Auch präexpositionell Geimpfte sollen nach möglicher Tollwut-Exposition möglichst schnell eine Präexpositionsprophylaxe erhalten. Bei Anwendung eines aus zwei Impfstoffdosen bestehenden PrEP-Schemas sollte nach einem Jahr eine dritte Impfstoffdosis verabreicht werden. Grundsätzlich ist bei einer PEP keine Gabe von Immunglobulinen erforderlich, wenn eine PrEP (mit 2 oder 3 Impfstoffdosen) verabreicht wurde. 
  • Bei gegebener Indikation ist die Immunprophylaxe unverzüglich durchzuführen; kein Abwarten bis zur Klärung des Infektionsverdachts beim Tier. Wird der Tollwutverdacht beim Tier durch tierärztliche Untersuchung entkräftet, kann die Impfserie abgebrochen oder als präexpositionelle Impfung weitergeführt werden. 
  • Aufgrund der großen Variabilität der Inkubationszeit, die zwischen acht Tagen und einem Jahr betragen kann, ist bei begründetem Verdacht eine PEP auch Wochen bis Monate nach Exposition noch sinnvoll. 

In Deutschland sind drei Totimpfstoffe auf Basis inaktivierter Tollwutviren zugelassen: Rabipur und Tollwut-Impfstoff HDC bzw. Verorab. Die aus drei Impfstoffdosen bestehende Grundimmunisierung wird im Schema Tag 0, Tag 7, Tag 21 oder 28 durchgeführt. Die Impfstoffe sind innerhalb einer Impfserie sowohl zur Präexpositionsprophylaxe (PrEP) als auch im Falle einer notwendigen Postexpositionsprophylaxe (PEP) miteinander kombinierbar [7]. Die präexpositionelle Impfung mit drei Impfstoffdosen führt zu einer sogenannten Boosterfähigkeit, die Jahrzehnte anhält. Boosterfähigkeit bedeutet, dass im Fall der Verabreichung einer PEP hinreichend schnell eine ausreichende Immunantwort induziert wird, um eine Erkrankung zu verhindern.

Literatur 
[1] Akinsulie OC et al. Holistic application of the one health approach in the prevention and control of rabies: plausible steps towards achieving the 2030 vision in Africa. One Health Outlook 2024;6(22), https://doi.org/10.1186/s42522-024-00108-6 ;
[2] Karunarathna I et al. Rabies Epidemiology: A Global Perspective on Disease Control. Research Gate Januar 2024, DOI: 10.13140/RG.2.2.15975.46243; www.researchgate.net/profile/Indunil-Karunarathna/publication/383494169_Rabies_Epidemiology_A_Global_Perspective_on_Disease_Control/links/66cfe4d72390e50b2c1d67df/Rabies-Epidemiology-A-Global-Perspective-on-Disease-Control.pdf ;
[3] Yildiz DA, Alkan F. Molecular Epidemiology of Rabies in the Eastern and Southeastern Anatolian Regions of Türkiye, 2016-2021. Kafkas Univ Vet Fak Derg 2024;30(1):117-123, DOI: 10.9775/kvfd.2023.30430  
[4] Meriño-Olivella S et al. Human cat borne rabies as the new epidemiology of the disease in the Andes mountains. Zoonoses and Public Health 2024;71(5):600-608, https://doi.org/10.1111/zph.13141 ;
[5] Fact Sheet Rabies. World Health Organization, www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/rabies ;
[6] Schutzimpfung gegen Tollwut. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI), Stand: 4. April2024, www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/Tollwut/Tollwut.html ;
[7] Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und Globale Gesundheit e.V. (DTG) zu Reiseimpfungen. Epidemiologisches Bulletin 2024;14:1-93, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/14_24.pdf?__blob=publicationFile


Prof. Dr. Hermann Feldmeier


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