BPhD-Kolumne

Wie der Gender Data Gap die Gesundheit von Frauen im Sport gefährdet

02.09.2024, 13:45 Uhr

BPhD-Präsidentin Anika Balkheimer (l.) und die BPhd-Beauftragte für Fort- und Weiterbildung Clara Prasch. (Foto: BPhD)

BPhD-Präsidentin Anika Balkheimer (l.) und die BPhd-Beauftragte für Fort- und Weiterbildung Clara Prasch. (Foto: BPhD)


Obwohl die Zahl der Athletinnen bei Sportwettkämpfen seit Jahrzehnten kontinuierlich ansteigt, hinkt die Forschung hinterher: Frauen werden in wissenschaftlichen Studien oft übersehen, was ihre Gesundheit gefährdet. Es ist höchste Zeit, diesen „Gender Data Gap“ zu schließen.

Bei den Olympischen Spielen ist dieses Jahr erstmals eine vollständige Geschlechterparität der antretenden Athlet*innen zu verzeichnen[i]. So erfreulich diese Entwicklung auch ist, so wird die Anpassung der Forschung daran immer dringlicher. Noch immer sind Frauen in wissenschaftlichen Erhebungen häufig unterrepräsentiert, was zu einer erheblichen Datenlücke führt. Man spricht auch vom „Gender Data Gap“.

Die Tatsache, dass Frauen keine „kleinen Männer“ sind, ist durch anatomische, physiologische und endokrinologische Unterschiede gut belegt. Muskelkraft, Verletzungsrisiko und kardiopulmonale Leistungsfähigkeit sind nur einige von zahlreichen Differenzierungsmerkmalen[ii]. In der Praxis werden Daten dennoch überwiegend an Männern erhoben und die Ergebnisse auch auf Frauen übertragen.

Genauere Zahlen liefert eine Studie, bei der der Stichprobenanteil männlicher und weiblicher Teilnehmender in über 5.000 Publikationen in Sportjournalen untersucht wurde: 63 Prozent der untersuchten Publikationen enthielten Daten, die anhand beider Geschlechter erhoben wurden, 31 Prozent beschränkten sich auf Daten von Männern und nur 6 Prozent enthielten ausschließlich Daten von Frauen. Von insgesamt 12,5 Millionen Teilnehmenden waren rund zwei Drittel männlich. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass lediglich 0,6 Prozent der Studien, die nur an Männern durchgeführt wurden, tatsächlich männerspezifische Probleme wie z. B. Prostatakrebs, behandeln[iii]. Dass dennoch so viele Studien ohne weibliche Stichproben durchgeführt werden, ist bedenklich.

Durch Training geschwächt

Insbesondere im Sport können die Folgen dieser ernüchternden Datenlage gravierend sein: Trainingspläne und Ernährung, die nicht auf die Bedürfnisse von Frauen abgestimmt sind, führen dazu, dass diese durch das Training eher geschwächt als gestärkt werden. Dies wird durch Faktoren wie den Hormonzyklus – der sich nicht wie bei Männern über 24 Stunden, sondern über 28 Tage erstreckt –, die Einnahme von Kontrazeptiva, Schwangerschaft und Menopause weiter verschärft, da diese in der Regel keinerlei Berücksichtigung in Trainingsplänen finden[iv].

Die Konsequenz kann eine verminderte Energieverfügbarkeit sein, deren pathophysiologische Auswirkungen als RED-S (Relative Energy Deficiency in Sport) bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um ein klinisches Syndrom, von dem sowohl Frauen als auch Männer betroffen sein können. Bei Frauen ist die Prävalenz jedoch deutlich höher[v]. Die Symptomatik umfasst unter anderem eine Abnahme der Knochendichte, ein erhöhtes Verletzungsrisiko und Veränderungen der Hormonlevel. Die Auswirkungen können sich auf vielfältige Art bemerkbar machen; neben Zyklusstörungen kommt es häufig zu immunologischen, gastrointestinalen, psychischen, hämatologischen und kardiovaskulären Funktionsstörungen[vi].

Dass sich RED-S auch auf die sportliche Leistungsfähigkeit negativ auswirkt, ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich.

Athlet*innen in einigen Sportarten öfter betroffen

In einigen Sportarten sind Athlet*innen auffällig oft von RED-S betroffen. Dazu zählen ästhetische Sportarten wie Turnen oder Eiskunstlauf; solche, bei denen mit einem geringeren Gewicht Leistungsvorteile einhergehen, wie Ski- und Hochsprung, und Ausdauersportarten mit hohem Trainingsumfang[vii].

Das Körperideal im Laufsport orientiert sich stark an männlichen Maßstäben und ist geprägt von einem niedrigen Körperfettanteil[viii]. Während Männer mindestens drei Prozent Körperfett für die grundlegende Funktion des Nervensystems und der Organe benötigen, sind bei Frauen mindestens zehn Prozent erforderlich[ix]. Bereits aus diesem Unterschied geht deutlich hervor, dass der weibliche Körper keineswegs darauf ausgelegt ist, diesem Ideal zu entsprechen. Auch dass der Versuch, dies dennoch zu tun, das Risiko an RED-S zu erkranken erhöht, liegt nahe.

Bewusstsein und Behandlungskompetenz in Bezug auf RED-S lassen aktuell zu wünschen übrig. 2020 wurden im Rahmen einer Studie Angehörige verschiedener Gesundheitsberufe auf einer Sportmedizinkonferenz zu diesem Thema befragt. 29 Prozent der Befragten gaben an, ein Bewusstsein für das Syndrom zu haben und gerade einmal 13 Prozent hielten sich für kompetent in der Behandlung von RED-S[x].

Diese Zahlen erschrecken – insbesondere mit Hinblick auf die Zielgruppe der Befragung.

Behandlungsempfehlungen für RED-S fehlen

Allgemeine Behandlungsempfehlungen für RED-S fehlen bislang. Ziel ist die Wiederherstellung einer ausgeglichenen Energiebilanz. Hier kann eine spezialisierte Ernährungsberatung Unterstützung bieten. Nährstoffmängel sollten überprüft und mit Nahrungsergänzungsmitteln behandelt werden. Wenn die Amenorrhoe dennoch bestehen bleibt und eine weitere Abnahme der Knochendichte festgestellt wird, kann eine Hormonsubstitution Abhilfe schaffen[xi].

Höchsten Stellenwert hat die Prävention. Es gilt zu vermeiden, dass ein Energiedefizit überhaupt zustande kommt. Dafür sind gut gefüllte Glykogenspeicher unabdinglich. Gerade bei längeren Ausdaueraktivitäten von über 90 Minuten sollten daher nicht nur vor und nach, sondern auch während des Trainings Kohlenhydrate zugeführt werden. Dafür sind wenig komplexe Kohlenhydrate mit einem hohen glykämischen Index gut geeignet, da auf diese Weise die geleerten Glykogenspeicher schnell wieder gefüllt werden können.

Apotheken können in ihrer beratenden Funktion einen erheblichen Beitrag zur Prävention leisten. Je früher erste Symptome von RED-S erkannt werden und bei Patient*innen eine Sensibilität für die Erkrankung geschaffen wird, desto effektiver kann gegengesteuert werden.

Langfristig muss Geschlechtergerechtigkeit in Form der Aufarbeitung des Gender Data Gap gewährleistet werden – und das nicht nur im Sport. Diese Datenlücke birgt ein Risiko für die Gesundheit von Frauen, das nicht mehr zeitgemäß ist.

Der BPhD möchte dieser Thematik auch in Zukunft weitere Aufmerksamkeit schenken und hat deshalb das Thema „Sportmedizin“ als zentrales Thema des PharmaWeekends, das im nächsten Jahr in Heidelberg stattfindet, ausgewählt.

 

Anmerkung: Der BPhD erkennt an, dass es auch andere Geschlechtsidentitäten über das Binär von Mann und Frau hinaus gibt. Da sich die meisten Daten an diesem binären System orientieren, wurde sich im Text darauf bezogen.


Quellen:

[i] Volle Gleichberechtigung der Geschlechter auf dem Spielfeld von Paris 2024. Website der Olympischen Spiele https://olympics.com/de/paris-2024/videos/celebrating-full-gender-parity-field-play-paris-2024-genderequalolympics

[ii] Bassett, A. et al. (2020): The Biology of Sex and Sport. DOI: 10.2106/JBJS.RVW.19.00140 https://journals.lww.com/jbjsreviews/fulltext/2020/03000/the_biology_of_sex_and_sport.10.aspx

[iii] Cowley, E. et al. (2021): „Invisible Sportswomen”: The Sex Data Gap in Sport and Exercise Science Research. DOI: 10.1123/wspaj.2021-0028

[iv] Sims, S (2023).: Women are not small men: How gender dictates nutritionale needs during training and recovery. VELO Magazine. https://velo.oursideonline.com/road/road-racing/women-are-not-small-men/

[v] „Nur ein kleiner Unterschied”? – Die Entdeckung der Gendermedizin. Video von ARD Wissen vom 27. Februar 2023. https://www.ardmediathek.de/video/ard-wissen/ein-kleiner-unterschied-gendermedizin/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2FyZC13aXNzZW4vMjAyMy0wMi0yN18yMi01MC1NRVo?xtor=CS1-231

[vi] Baumgartner, S. (2021): Management der „female athlete triad”/RED-S. Artikel aus dem Journal für Gynäkologische Endokrinologie/Schweiz. DOI: 10.1007/s41975-021-00179-y https://link.springer.com/article/10.1007/s41975-021-00179-y

[vii] Areta, J. et al. (2020): Low energy availability: history, definition and evidence of its endocrine, metabolic and physiological effects in prospective studies in females and males. DOI: 10.1007/s00421-020-04516-0 https://link.springer.com/article/10.1007/s00421-020-04516-0

[viii] Siehe Endnote 5

[ix] Medeiros, D. et. al. (2000): Advanced Human Nutrition. Boca Raton, Florida: CRC Press Books.

[x] Tenforde, A. et al. (2020): Awareness and Comfort Treating the Female Athlete Triad and Relative Energy Deficiency in Sport among Healthcare Providers. DOI: 10.5960/dzsm.2020.422 https://www.germanjournalsportsmedicine.com/fileadmin/content/archiv2020/Heft_3/DtschZSportmed_ShortReport_Tenforde_Female_Athlete_Triad_and_Relative_Energy_Deficiency_in_Sport_2020-03.pdf

[xi] Siehe Fußnote 6


Clara Prasch, BPhd-Beauftragte für Fort- und Weiterbildung


Anika Balkheimer, BPhD-Präsidentin


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