Orale Rehydratation entscheidend

Leitlinie zur akuten infektiösen Gastroenteritis bei jungen Patienten aktualisiert

25.07.2024, 17:50 Uhr

Für die orale Rehydratation sollten keine coffeinhaltigen Getränke, Limonaden oder Fruchtsäfte verwendet werden. (Foto: herlanzer / AdobeStock)

Für die orale Rehydratation sollten keine coffeinhaltigen Getränke, Limonaden oder Fruchtsäfte verwendet werden. (Foto: herlanzer / AdobeStock)


Für die Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der akuten infektiösen Gastroenteritis (AGE) im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter ist im März dieses Jahres die neue Version der S2k-Leitlinie erschienen. Ein Schwerpunkt der Aktualisierung liegt auf dem praktischen Nutzen. Die neuen Empfehlungen berücksichtigen auch die Möglichkeiten und Erwartungen der Eltern.

Die akute infektiöse Gastroenteritis ist eines der häufigsten pädiatrischen Krankheitsbilder. Säuglinge und Kleinkinder durchlaufen ein bis zwei Episoden im Jahr. Eine Abnahme der Stuhlkonsistenz und erhöhte Stuhlfrequenz können mit Fieber und Erbrechen einhergehen. 

In diesem Alter ist die Stuhlfrequenz ein schwieriges Diagnosemerkmal, da sie bei gesunden Kindern stark variiert. Wegen mangelnder Flüssigkeitsaufnahme, Elektrolyt-Entgleisungen und zunehmender Dehydratation kommt es oft zur Hospitalisierung. Am häufigsten werden als Ursache bei den unter Fünfjährigen Norovirus- gefolgt von Rota­virus-Infektionen gemeldet. Seltener sind Campylobacter- und Salmonellen-Infektionen.

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Leitsymptome der infektiösen Gastroenteritis im Kindes- und Jugendalter sind plötzliche Abnahme der Stuhlkonsistenz und Zunahme der Stuhl­frequenz, mit und ohne Erbrechen oder Fieber. Das Erbrechen endet meistens nach ein bis drei Tagen, während die Durchfälle üblicherweise fünf bis sieben Tage oder länger anhalten.

Der vermehrte Stuhlgang kann allerdings auch bis zu zwei Wochen bestehen. Neben der bewährten klinischen Diagnostik ist die Multiplex-PCR eine neue Möglichkeit der Erregerdiagnostik.

Risiken für schweren Verlauf

In den meisten Fällen beruhigt sich die Erkrankung innerhalb kurzer Zeit. In selteneren Fällen sind Bakterien die Krankheitsursache und erfordern den Einsatz eines Antibiotikums. Risikofaktoren für einen schweren Verlauf sind chronische, entzündliche Darmerkrankungen, Malnutrition, Immundefizite, onkologische Erkrankungen und Säuglinge bis zum Alter von sechs Monaten oder einem Gewicht unter acht Kilogramm.

Wann einen Arzt aufsuchen?

Trotz unterschiedlicher Empfehlungen besteht Einigkeit darüber, dass ein Arztbesuch bei hohem Fieber, Vigilanzminderung, starken Bauchschmerzen und relevanten Flüssigkeitsverlusten nötig ist. Schwere Grunderkrankungen, anhaltende Trink- und Nahrungsverweigerung oder blutige und länger anhaltende Durchfälle gelten als „red flags“, einen Arzt aufzusuchen. Zusätzliche Warnsignale sind Kurzatmigkeit, Tachypnoe, Nackensteifigkeit, vorgewölbte Fontanelle, gestörtes Bewusstsein, galliges Erbrechen, Abdominalschmerzen, intestinale Obstruktion und blutige oder schleimige Stühle. Aufgrund des erhöhten Komplikationsrisikos wird in der Leitlinie darauf hingewiesen, dass jeder Säugling beim Arzt vorgestellt werden sollte.

Orale Rehydratation wichtig

Metaanalysen bestätigen, dass die orale Rehydratation mit einer Glucose-Elektrolytlösung (Natrium 60 mmol/l, Glucose 74 bis 111 mmol /l) oder einer polymer basierten Elektrolytlösung den gleichen Erfolg zeigt wie die intravenöse Variante. Infusionen sind mit Risiken verbunden. Zwischen der oralen Rehydratation und der intravenösen Therapie gibt es keine Unterschiede bei dem Auftreten von Hypo- oder Hypernatriämie, der Dauer des Durchfalls und der angestrebten Gewichtsentwicklung. Für die orale Rehydratation sollten keine coffeinhaltigen Getränke, Limonaden oder Fruchtsäfte verwendet werden.

Bei einer Dehydratation mit Erbrechen sollen von der oralen Rehydrations­lösung 5 ml alle ein bis zwei Minuten zugeführt werden. Neugeborene und Säuglinge werden dabei mithilfe einer Spritze, ältere Kinder mit Teelöffel oder Tasse versorgt. Alternativ wird eine nasogastrale Sonde verwendet, falls die orale Rehydratation nicht möglich ist. Beim Scheitern der oralen oder nasogastralen Rehydratation, einem Schockzustand, schwerer Dehydratation (mehr als 10% Verlust des Körpergewichtes), Symptomen eines Ileus, Passage-Störung, galligem Erbrechen, Vigilanzminderung und Aspirationsgefahr sollte die Rehydratation intravenös erfolgen.

Welche Rezepturen als Alternative dienen können

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Die orale Rehydratation mit einer (Glucose-)Elektrolytlösung hat in der Therapie der infektiösen Gastroenteritis im Säuglings- und Kindesalter einen sehr hohen Stellenwert. Aufklärung und Anweisung der betreuenden Personen können die Wahrscheinlichkeit für Dehydrierung, Komplikationen und Krankenhauseinweisungen signifikant reduzieren.

Antidiarrhoika nicht empfohlen

Laut Leitlinie werden Antidiarrhoika auf Basis von Tannin, Kohle oder Gelatine aufgrund unzureichender Evidenz nicht empfohlen. Für Tannine konnten zwar Effekte in kontrollierten Studien gezeigt werden, doch sind weitere erforderlich, um die Evidenz zu sichern. Das Polysaccharid Xyloglucan schützt durch seine filmbildenden Eigenschaften die Darmschleimhaut. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass eine Kombination der oralen Rehydratationslösung mit Xyloglucan und Gelose (Agar-Agar) im Vergleich zu Placebo die Gesamtzahl der Durchfälle verringerte. Innerhalb von sechs Stunden verbesserten sich die Symptome be­zogen auf Apathie, Erbrechen, Blähungen und Blut im Stuhl. Um eine Empfehlung auszusprechen, sind laut den Autoren der Leitlinie aber weitere Studien notwendig, die den Nutzen belegen. Zurzeit ist in Deutschland ohnehin kein Produkt mit Xyloglucan und Gelose für die Indikation der infektiösen Gastroenteritis verfügbar.

Racecadotril (Tiorfan®, verschreibungspflichtig, keine klinischen Studien zur Anwendung bei Säuglingen unter drei Monaten) kann mit seiner antisekretorischen Wirkung zur Therapie der akuten infektiösen Gastroenteritis, insbesondere bei ausgeprägter Diarrhö, erwogen werden. Es erhält in vielen Leitlinien starke Empfehlungen. Der Wirkstoff Loperamid soll bei Säuglingen und Kindern unter drei Jahren nicht eingesetzt werden. Es kann zu schweren Nebenwirkungen wie Ileus, Bewusstseins­störungen oder Tod kommen.

Keine pauschale Empfehlung zur Probiotika-Therapie

Probiotika als heterogene Gruppe mit verschiedenen Mikroorganismen sollten nicht pauschal empfohlen werden. In einem 2020 aktualisierten Cochrane-Review kamen die Gutachter zu dem Schluss, dass Probiotika im Allgemeinen keinen Einfluss auf das Risiko haben, an Durchfall mit einer Dauer von mehr als 48 Stunden zu erkranken. Auch haben Probiotika demnach keinen Einfluss auf die Dauer des Durchfalls.

Bei Bewertung der drei Bakterienstämme Lactobacillus rhamnosus GG,Saccharomyces boulardii und Lactobacillus reuteri reduzierte sich durch L. rhamnosus GG das Risiko, an einem Durchfall zu erkranken, der länger als 48 Stunden anhält. Die Dauer des Durchfalls verringerte sich durch die Gabe von L. rhamnosus GG,Saccharomyces boulardii und L. reuteri. Im Positionspapier der Interessengruppe für Darmmikrobiota und Modifikationen der European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutritions aus dem Jahre 2023 gibt es eine Empfehlung zur Behandlung der akuten Gastroenteritis bei Kindern mit Probiotika. Dieser Empfehlung schließen sich die Autoren der aktuellen Leitlinie nicht an.

Therapie der Übelkeit

Dimenhydrinat reduziert die Rate an Erbrechen signifikant, aber nicht die Rate an Krankenhausaufnahmen. Es erschwert allerdings durch seinen sedierenden Effekt die orale Flüssigkeitsaufnahme. Deshalb sollten Antiemetika nicht routinemäßig zur Therapie der akuten Gastroenteritis ver­wendet werden. Für Kinder hat Dimenhydrinat ein relevantes, toxikologisches Potenzial. Neben der Dosisbeschränkung auf 5 mg/kg Körpergewicht am Tag enthält die Fachinformation Warnhinweise, und der Wirkstoff soll ausdrücklich nicht bei einer banalen akuten infektiösen Gastroenteritis verabreicht werden. 

Warnhinweise und Zulassungseinschränkungen sollen Kinder schützen

Problematische Antihistaminika

Gegen starkes Erbrechen wird Ondansetron im Off-Label-Use empfohlen. Die Dosierung kann nach den Angaben im Kinder­formularium erfolgen, mit einer Dosis von 0,1 mg/kg Körpergewicht bei starkem Erbrechen. Die Gabe darf maximal dreimal täglich im Abstand von vier Stunden oder in einer maximalen Einzeldosis von 8 mg erfolgen.

Ingwer wird seit Langem als traditionelles Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen verwendet. Entsprechende Zubereitungen sind laut Leitlinie wirksam und sicher für die Verbesserung des Erbrechens bei Kindern mit infektiöser Gastroenteritis.

Supplementation mit Zink

Das essenzielle Spurenelement Zink ist wichtig für die Regeneration der Mukosa, die Immunregulation und Wundheilung. Es verbessert im Darm die Integrität der Mukosa als Barriere, die Enzymwirkung in der Bürstensaummembran und die Produktion von Antikörpern gegen pathogene Keime. Der Körper speichert kein Zink, deshalb können Malnutrition und Diarrhö zu einem Zinkmangel führen. Bei Kindern mit gutem Ernährungszustand ist laut Leitlinie keine Supplementierung mit Zink erforderlich. Bei untergewichtigen Kindern kann ab dem sechsten Lebensmonat die Gabe von Zink sinnvoll sein.

Literatur

S2k Leitlinie akute infektiöse Gastroenteritis im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter der Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE), Version 4.0 März 2024, AWMF Registernummer 068/003


Alexandra Hinsken, Apothekerin, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


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