Interview

Herausforderung nachhaltige Arzneimittelverpackungen

Stuttgart - 04.09.2023, 07:00 Uhr

Dr. Elmar Kroth und Dr. Dennis Stern vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (Fotos: BAH / Svea Pietschmann)

Dr. Elmar Kroth und Dr. Dennis Stern vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (Fotos: BAH / Svea Pietschmann)


Im November 2022 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Verpackungsverordnung veröffentlicht, die für eine bessere Recyclingfähigkeit von Verpackungen sorgen soll. Vor welche Herausforderungen die Umsetzung die Pharmaindustrie stellen würde und welche Materialien Potenzial für nachhaltigere Arzneimittelverpackungen haben, erläutern Elmar Kroth und Dennis Stern vom BAH im DAZ-Interview.

DAZ: Warum brauchen wir mehr Recycling bei Arzneimittelverpackungen?

Stern: Das wird am Beispiel von Blistern deutlich: Diese gewähren eine hohe Produktsicherheit, können nach jetzigem Stand aber nur verbrannt werden, da es sich um fest verbundene Materialkombinationen handelt. Gemäß dem Vorschlag einer neuen Verpackungsverordnung der EU-Kommission müssen Verpackungen künftig recyclingfähig sein.

Welche Änderungen für Arzneimittelverpackungen ergeben sich aus diesem Vorschlag?

Stern: Der Vorschlag sieht vor, dass Verpackungen von Arzneimitteln, In-vitro-Diagnostika und Medizinprodukten ab dem Jahr 2035 zu mindestens 70 Prozent recyclingfähig sein müssen. Wir begrüßen, dass bei diesen drei Produktkategorien eine um fünf Jahre längere Übergangsfrist vorgesehen ist als bei anderen Produkten. Allerdings können wir davon ausgehen, dass bei einem Großteil der Arzneimittel die Verpackung umgestellt werden muss, wenn der Vorschlag umgesetzt wird.

Die Verpackung ist Teil der jeweiligen Arzneimittelzulassung. Vor welche Hürden stellt es Hersteller, wenn neue Regularien Änderungen bei Arzneimittelverpackungen vorschreiben?

Kroth: Im Bestandsmarkt bedeutet ein Wechsel des Verpackungsmaterials, regulatorisch in vielen Punkten wieder bei Null anzufangen. Zeit- und ressourcenintensive Untersuchungen wie Stabilitätsprüfungen müssen wiederholt werden. In Gesprächen mit Politikern hören wir bisweilen, bis 2035 sei noch sehr viel Zeit. Die vergeht aber schnell, wenn man sein gesamtes Produktportfolio dreijährigen Stabilitätsuntersuchungen unterziehen muss. Einige Generikahersteller haben Zehntausende zugelassene Produkte.

Welche Ansätze auf regulatorischer oder politischer Ebene sind denkbar, um Hersteller bei der Umstellung der Verpackungen zu unterstützen?

Kroth: Denkbar ist etwa, Anforderungen gemeinschaftlich abzuarbeiten und zum Beispiel wirkstoffspezifische Untersuchungen zu beauftragen. Ebenfalls sehen wir Potenzial für regulatorische Vereinfachungen. Muss beispielsweise jede Verpackungsart an jeder Darreichungsform getestet werden oder genügt ein gemeinsamer Test für die 200, 400 und 600 mg Zäpfchen? Zu solchen Vereinfachungen haben wir kürzlich ein Papier mit dem Titel „Verwaltungsvereinfachung“ vorgelegt. Gerade mittelständische Unternehmen werden die Herausforderungen in der verfügbaren Zeit und unter den aktuell geltenden rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen nicht allein bewältigen können.

Da sich Verbraucher:innen nicht aktiv für nachhaltigere Produkte entscheiden können, ist Nachhaltigkeit im Rx-Bereich kein Wettbewerbsvorteil. Welche Anreizsysteme sind in diesem Segment vorstellbar?

Kroth: Ein wichtiger Anreiz wäre, wenn in Ausschreibungsverfahren nebst dem Preis auch nachhaltiges Wirtschaften berücksichtigten würde. Wir sind hierzu mit den Krankenkassen im Dialog, stehen aber vor dem Problem, dass Nachhaltigkeit nicht klar definiert ist. Bedeutet nachhaltige Produktion den Einsatz erneuerbarer Energie, die Kontrolle von Lieferketten, den Ausschluss von Kinderarbeit oder den Einsatz von in der Umwelt unauffälligen Wirkstoffen – oder alles davon? Im OTC-Bereich könnte Nachhaltigkeit durchaus ein Wettbewerbsvorteil sein. Aktuell dürfen Unternehmen entsprechende Informationen aber nicht auf dem Etikett anbringen und die Verbraucher so informieren, ob ein Produkt etwa plastikfrei verpackt, vegan, halal oder bio ist. Hier bräuchte es eine entsprechende Gesetzesänderung hin zu einem gut verständlichen, festen Deklarierungssystem. 

An welchen Lösungen für nachhaltigere Verpackungen arbeiten Arzneimittelhersteller bereits?

Stern: Es gibt verschiedene Ansätze, etwa Tiefziehblister aus Monomaterialen oder Papierblister. Auch Röhrchen für Brausetabletten aus biobasierten Materialien oder Sekundärverpackungen aus Graspapier wurden entwickelt. Allerdings sind diese Ansätze in der Regel teurer als herkömmliche Verpackungsmaterialien. Die erforderlichen Preisaufschläge können im GKV-System von den Herstellern nicht weitergegeben werden.

Mehr Geld für nachhaltigere Arzneimittel?

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei Arzneimitteln für die Verbraucher und sind sie dafür bereit, mehr Geld auszugeben? Mit dieser Frage beschäftigte sich der BAH Gesundheitsmonitor „Nachhaltigkeit“, der im Dezember 2022 veröffentlicht wurde.

Ein transparentes Nachhaltigkeitslogo wäre für zwei Drittel der Befragten ein Grund, entsprechend gekennzeichnete Produkte bevorzugt zu kaufen. Mehr als 40 Prozent waren bereit, für nachhaltig produzierte Arzneimittel mehr Geld auszugeben. Ein Preisaufschlag von 5 oder 10 Prozent fand breite Akzeptanz unter ihnen.

Mehr als 80 Prozent der Teilnehmenden schätzten die Recyclingfähigkeit von Arzneimittelverpackungen als (sehr) wichtig ein. Gezielt Arzneimittel einkaufen, deren Verpackung recycelt werden kann, würden sieben von zehn Befragten.

Ließe sich auch Rezyklat, also aufbereitetes Recycling-Plastik, in Arzneimittelverpackungen einsetzen?

Stern: Rezyklat lässt sich für viele Produktgruppen einsetzen und damit sinnvoll im Stoffkreislauf halten. Allerdings kann Rezyklat auch Einschlüsse von Fremdmaterialien enthalten, was bei Arzneimittelverpackungen fatal sein kann. Insofern ist es gut, dass die EU-Kommission in dem Verordnungsvorschlag Arzneimittel, In-vitro-Diagnostika und Medizinprodukte vom verpflichtenden Einsatz von Rezyklat ausgenommen hat.

NovoNordisk hat im Vereinigten Königreich ein Rücknahmesystem für leere Pens geschaffen. Welches Potenzial haben solche spezifischen Recyclingsystem für Pharmazeutika?

Kroth: Solche Systeme zu organisieren, ist nicht trivial. Damit die Wertigkeit der Kunststoffe erhalten bleibt, sollte sortenrein gesammelt werden. In den Apotheken müssten entsprechende Sammelbehälter aufgestellt werden. Soll großflächig produktrein gesammelt werden, würden sehr viele Behälter benötigt. Bevor man diesen Aufwand eingeht, sollte zunächst die Ökobilanz des gesamten Prozesses überprüft werden. Schließlich müssen die zurückgenommenen Materialien auch transportiert, gereinigt und aufgearbeitet werden. Das ist nicht in allen Fällen die ökologisch beste Lösung.

Inwiefern ist Glas eine besser recyclebare und nachhaltigere Verpackungsalternative im Vergleich zu Blistern?

Kroth: Glas ist sehr gut recyclebar. Gegen Glas spricht allerdings das hohe Gewicht, durch welches beim Transport höhere Emissionen anfallen. Ähnlich wie bei Getränkeflaschen müssten Arzneimittelbehältnisse aus Glas ausreichend oft wiederverwendet werden, bevor sie ökologisch vorteilhaft sind. Geht ein Gefäß vorher kaputt, geht die Rechnung nicht mehr auf. Es bleibt eine Einzelfallfrage.

Stern: Einige Unternehmen testen derzeit den Einsatz von Glas- statt Kunststofftiegeln für Kosmetika. Der CO2-Fußabdruck der Produkte wird dadurch nicht unbedingt kleiner. Auch wenn wir es uns wünschen: Einfach ist die Frage nach nachhaltigeren Verpackungen leider nicht zu beantworten.

Im Gespräch mit der DAZ

Dr. Dennis Stern – Molekularbiologe und Referent Nachhaltigkeit und Umwelt beim Bundesverband der Arzneimittelhersteller

Dr. Elmar Kroth – Chemiker und Geschäftsführer Wissenschaft beim Bundesverband der Arzneimittelhersteller


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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