Motorischer Kortex – Schlüssel zur Schmerzlinderung?

Wie Hirnstimulation bei chronischen Schmerzen helfen könnte

Düsseldorf - 25.01.2023, 17:50 Uhr

Mit bildgebenden Verfahren konnten Forscher die Aktivität der Nervenbahnen in Mäusegehirnen genau verfolgen. (Foto: Universitätsklinikum Heidelberg)

Mit bildgebenden Verfahren konnten Forscher die Aktivität der Nervenbahnen in Mäusegehirnen genau verfolgen. (Foto: Universitätsklinikum Heidelberg)


Wissenschaftler am Universitätsklinikum Heidelberg konnten jetzt an Mäusen zeigen, dass Bereiche des motorischen Cortex direkt mit den Emotionszentren im Gehirn verbunden sind. Damit ergeben sich Möglichkeiten, etwa chronische Schmerzen durch gezielte Stimulation der motorischen Bereiche zu therapieren.

Sport und Bewegung haben heilende Wirkungen – für diese althergebrachte Weisheit haben Forscher aus Heidelberg nun möglicherweise den ersten Ansatz eines wissenschaftlichen Nachweises erbracht. Die Forscher rund um Professorin Dr. Rohini Kuner, Direktorin des Pharmakologischen Instituts an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, konnten zeigen, dass bestimmte Areale im motorischen Cortex direkt mit Zentren der Emotionsverarbeitung in den tieferen Schichten des Gehirns verbunden sind. Damit bewirkt eine Stimulation der für die Motorik (also die Bewegungssteuerung) zuständigen Bereiche auch die Verarbeitung von Schmerzinformationen sowie von Schmerzemotionen, sodass die Schmerzempfindung reduziert wird. Diese an Mäusegehirnen gefundenen Erkenntnisse veröffentlichten die Forscher jetzt im Fachmagazin Science.

Gezieltere Stimulation des motorischen Cortex möglich

„Dass Sport und Bewegung auf das körpereigene Belohnungssystem wirkt und damit schmerzlindernd wirkt, ließe sich so erklären. Da gibt es einen Kontext“, sagt Kuner. Unter anderem in dieser Richtung setze man große Hoffnungen auf weitere Forschung, erklärt die Professorin. Allerdings ist der konkrete Zusammenhang zwischen Sport, Bewegung und Schmerzlinderung bislang noch spekulativ, auch wenn er nahe liegt und eine Hypothese für künftige Forschung ist. Denn in ihrer wissenschaftlichen Arbeit nahmen die Forscher nun zunächst einmal die direkte Stimulation des motorischen Cortex durch elektrische oder magnetische Impulse als Grundlage. Bislang gilt diese Form der Hirnstimulation als eine mögliche, aber noch unverstandene und unzuverlässige Methode, etwa chronische Schmerzen zu lindern, die nicht mehr auf Arzneimittel ansprechen. 

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Chronischen Schmerz besiegen

Dabei nutzt man etwa eine nichtinvasive Elektrodenhaube, die auf der Kopfhaut platziert wird. Mittels dieser werden dann Bereiche der motorischen Großhirnrinde elektrisch oder magnetisch stimuliert. Bislang basierten diese Behandlungen eher auf Erfahrung, denn auf einer kausalen Evidenz. Die Heidelberger Forscher fanden dazu mit ihren Erkenntnissen nicht nur eine mögliche Erklärung, sondern auch den Ansatz, diese Behandlungen zukünftig gezielter durchführen zu können.

„Es gibt großen Verbesserungsbedarf bei dieser Therapie, da man kaum etwas über die Funktionsweise der Stimulation weiß, zum Beispiel wo die Sonden am besten platziert werden sollten, über welche Nervenbahnen die Schmerzlinderung erreicht wird und wie diese Schaltkreise auf die Stimulation reagieren“, sagt Kuner. „Unsere Ergebnisse sind ein wichtiger Beitrag, um die neurobiologischen Grundlagen der Hirnstimulation bei chronischen Schmerzen zu erklären und als therapeutisches Verfahren weiterzuentwickeln.“

Untersuchungen an Mäusen per Genmodulation

Dass die Stimulation des motorischen Cortex bislang den besten nachweisbaren Effekt bei chronischen Schmerzen hatte, war bereits bekannt. Dementsprechend untersuchten die Forscher genauer, welche Bereiche in diesem aus sechs unterschiedlich vernetzten Schichten bestehenden Cortex den größten Einfluss hat. Der Erstautor der Studie, Zheng Gan, Wissenschaftler in Kuners Arbeitsgruppe, und das Forscher-Team schalteten bei den untersuchten Mäusen mithilfe genetischer Veränderungen bestimmte Nervenbahnen und Schichten an oder aus, um ihren Einfluss auf das Schmerzempfinden zu überprüfen. „Wir haben gezeigt, dass tatsächlich der motorische Kortex, genauer die Region M1, der Schlüssel zur Schmerzlinderung ist. Das wurde bisher zwar vermutet, war aber nicht wissenschaftlich belegt“, sagt Zheng.

Außerdem konnten die Wissenschaftler zwei Nervenzellschaltkreise in den beiden untersten Schichten des Motorkortex identifizieren, die zentral für die Schmerzlinderung verantwortlich sind.

Tiefe Hirnschichten involviert, die mit Schmerzemotion verknüpft sind

In der vorletzten Schicht fünf sind das Nervenzellen, die über das Rückenmark die Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung beeinflussen. Aktiviert man diese, so die Erkenntnis der Forscher, mindert das zunächst die Überempfindlichkeit der zentralen Schmerzbahnen. Reizunabhängiges chronisches Schmerzempfinden ließ sich allerdings erst ausschalten, wenn auch bestimmte Nervenzellen der untersten Schicht sechs aktiv waren. „Wir waren überrascht, dass diese Nervenbahnen mit dem Belohnungssystem in tieferen Gehirnbereichen, die Emotionen verarbeiten, verbunden sind“, sagt Kuner. „Sie beeinflussen wahrscheinlich die emotionale Komponente des Schmerzerlebens. Diese Verbindung war bisher nicht bekannt und wirft interessante neue Fragestellungen auf.“

Für ihre Arbeit wendeten die Forscher dabei verschiedene Methoden der Bildgebung an, die die Aktivierung der einzelnen Bereiche anzeigen konnte. Auf diese Art könne man aktuell auch bereits die Therapie verbessern, sagt Kuner. „Wenn man mit bildgebenden Methoden wie etwa der Magnetresonanztomografie oder ähnlichen Methoden beobachtet, welche Bereiche durch die nichtinvasiven Elektroden aktiviert werden, lässt sich die Stimulation optimieren. Wenn die tiefen Schichten, die wir als ausschlaggebend identifiziert haben, dabei aktiviert werden, hat man den richtigen Effekt“, erklärt Kuner.

Um die Stimulationstherapie generell zu optimieren, sei allerdings noch Forschung notwendig. So ließe sich etwa optimieren, wo Elektroden angesetzt werden sollten. Außerdem ließen sich auf Basis der Erkenntnisse nun Parameter zur Therapiekontrolle entwickeln und die Methode damit insgesamt verbessern.

Unter Umständen könne man auch in der Zukunft mit gezielt wirkenden Wirkstoffen auf pharmazeutischem Wege die entsprechenden Areale stimulieren und diese als Zielorte für Therapeutika setzen. Das sei allerdings noch Zukunftsmusik. „Derzeit wäre mir da kein Wirkstoff bekannt, der sich so gezielt einsetzen ließe“, sagt Kuner.


Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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