Wirkstoff-Lexikon

Lacosamid

04.10.2022, 07:01 Uhr

Strukturformel Lacosamid (Quelle: DAZ)

Strukturformel Lacosamid (Quelle: DAZ)


Die funktionalisierte Aminosäure Lacosamid (ein Analogon der Aminosäure Serin) steht seit September 2008 als Antiepileptikum zur Behandlung von fokalen Anfällen zur Verfügung. Während sie zu Beginn lediglich als Add-on-Therapie ab 16 Jahren zugelassen war, ist das Einsatzgebiet von Lacosamid seither gewachsen. Lesen (oder hören Sie hier alles, was es zu wissen gibt). 

Epilepsien sind eine Gruppe von unterschiedlichen Krankheitsbildern, die durch anfallsartig auftretende, wiederkehrende epileptische Anfälle gekennzeichnet sind. Sie beruhen auf einer gesteigerten Erregbarkeit zentraler Neurone, was eine Erniedrigung der Krampfschwelle verursacht. Bei den Patient:innen resultiert dies in motorischen Reaktionen sowie Bewusstseinsstörungen. Eine Heilung ist mit der großen Arzneimittelklasse der Antiepileptika zwar nicht möglich. Sie dient aber der symptomatischen Behandlung der verschiedenen Epilepsieformen. Bei vielen Patient:innen ist das Ziel der Anfallsfreiheit erst durch den gleichzeitigen Einsatz mehrerer Antiepileptika möglich.


Lacosamid steht ab 2 Jahren für Epilepsien mit fokalen Anfällen, mit oder ohne sekundäre Generalisierung zur Verfügung. Darüber hinaus wird Lacosamid in dieser Indikation sowie bei primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen ab 4 Jahren auch als Zusatztherapie angewendet. Das Mittel der ersten Wahl ist Lacosamid laut Leitlinie bei Erwachsenen mit fokalen Epilepsien bei der Ersttherapie zwar nicht. So werden „trotz fehlender relevanter Unterschiede in der Effektivität“ wegen besserer Verträglichkeit und geringerem Interaktionsrisiko Lamotrigin und Levetiracetam bevorzugt – Oxcarbazepin (mit Ausnahme von Epilepsien im höheren Lebensalter), Eslicarbazepinacetat, Lacosamid und Zonisamid sind aber Alternativen.

Wirkmechanismus 

Lacosamid gehört zu der Gruppe der Antiepileptika, die vorwiegend an spannungsabhängigen Natriumkanälen angreifen. Natriumkanäle können durch Depolarisation geöffnet werden, wobei Natriumionen in die Zelle fließen. Die Natriumkanäle besitzen einen schnellen und einen langsamen inaktivierten Zustand. Bei ersterem werden innerhalb weniger Millisekunden die Kanäle von der Innenseite der neuronalen Zellmembran her geschlossen– so können sie nicht aktiviert werden, durch Repolarisation gelangen sie zurück zum Ruhezustand. Zweiterer wird durch eine langsame Depolarisation oder wiederholte neuronale Aktivität erreicht: Der Natriumkanal kann so innerhalb von Sekunden oder Minuten in den „langsamen inaktivierten Zustand“ übergehen, wobei der Kanal im Inneren der Pore geschlossen wird.

Wirkmechanismus Lacosamid  (Quelle: DAZ)

Der genaue Wirkmechanismus, über den Lacosamid seine antiepileptische Wirkung ausübt, ist noch nicht vollständig geklärt. In-vitro-Studien haben aber gezeigt, dass Lacosamid selektiv die beschriebene langsame Inaktivierung der spannungsabhängigen Natriumkanäle verstärkt und dadurch zur Stabilisierung hypererregbarer Neurone beiträgt. Die überschießende Nervenreaktion wird gedämpft, ohne dass dabei die normale Kommunikation der Nervenzelle gestört wird.

Arzneimittel wie Lokalanästhetika blockieren den geöffneten Natriumkanal, während „klassische“ Antikonvulsiva die schnelle Inaktivierung verstärken. Zusätzlich zur Verstärkung des langsamen inaktivierten Zustands soll Lacosamid an ein Phosphoprotein binden, das an der neuronalen Differenzierung und Vernetzung beteiligt ist.

Pharmakokinetik

Die Resorption von Lacosamid aus dem Gastrointestinaltrakt erfolgt schnell. Der First-Pass-Effekt von Lacosamid ist vernachlässigbar. Die orale Bioverfügbarkeit beträgt fast 100 Prozent und wird auch durch eine gleichzeitige Nahrungszufuhr nicht beeinflusst. Maximale Plasmaspiegel werden nach ca. ½ - 4 Stunden erreicht. Die Elimination erfolgt renal.

Nebenwirkungen

Zu den am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen unter der Therapie mit Lacosamid zählen Schwindelgefühl, Kopfschmerzen, Übelkeit sowie das Doppelsehen. Diese Nebenwirkungen sind jedoch meist nur leicht bis mäßig ausgeprägt und können durch die Reduktion der Dosis abgemildert werden. Außerdem wurde beobachtet, dass das Auftreten und der Schweregrad der Nebenwirkungen auf das zentrale Nervensystem in der Regel mit der Zeit abnehmen.

Da die Anwendung von Lacosamid mit einer Verlängerung des PR-Intervalls im Elektrokardiogramm (auch bekannt als PQ-Zeit) in Verbindung gebracht wird, können möglicherweise Nebenwirkungen wie atrioventrikulärer Block, Synkope oder Bradykardie auftreten.

Bei Patient:innen, die unter einer Lacosamid-Therapie eine schwere Herzrhythmusstörung entwickeln, sollte eine Nutzen-Risiko-Abwägung durchgeführt werden und Lacosamid bei Bedarf auch abgesetzt werden.

Wechselwirkungen

Die vorhandenen Daten deuten darauf hin, dass Lacosamid nur ein geringes Potenzial für Wechselwirkungen mit CYP-Enzymen aufweist. Lediglich bei sehr starken Inhibitoren oder Induktoren von CYP2C9 und CYP3A4 ist Vorsicht geboten. Sie könnten die systemische Lacosamid Konzentration beeinflussen.

Bei gleichzeitiger Behandlung mit anderen Antiepileptika, die als Enzyminduktoren wirken, kann eine Verringerung der systemischen Lacosamid Konzentration auftreten. Hierzu zählen Carbamazepin, Phenytoin oder Phenobarbital.

Wechselwirkungen können darüber hinaus auftreten bei Arzneimitteln, die eine Verlängerung des PR-Intervalls verursachen sowie bei Patient:innen, die mit Antiarrhythmika behandelt werden.

Da Lacosamid nur eine geringe Proteinbindung aufweist, sind Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln infolge einer kompetitiven Verdrängung an den Proteinbindungsstellen unwahrscheinlich. Während einige Antiepileptika laut Leitlinie mit der Wirksamkeit von oralen Kontrazeptiva interferieren, bestehen beispielsweise bei Lacosamid keine Interaktionen.

Obwohl keine Daten zu Wechselwirkungen zwischen Lacosamid und Alkohol vorliegen, kann ein pharmakodynamischer Effekt nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Kontraindikationen

Die Anwendung von Lacosamid darf nicht bei Überempfindlichkeit gegen diesen Wirkstoff erfolgen. Auch bei Herzrhythmusstörungen, genauer gesagt bei einem atrioventrikulärem Block (AV-Block) 2. oder 3. Grades, ist die Anwendung kontraindiziert.

Dosierung

Die Dosierung von Lacosamid sollte sich am Körpergewicht orientieren. Es stehen dafür Fertigarzneimittel in verschiedenen Konzentrationen und Darreichungsformen zur Verfügung. Erhältlich sind Filmtabletten in Konzentrationen von 50, 100, 150 und 200 mg sowie ein Sirup und eine Infusionslösung mit einer Konzentration von 10mg/ml.

Generell erfolgt die Einnahme von Lacosamid zweimal täglich mit einem Abstand von etwa 12 Stunden.

Beim Einsatz für die Behandlung fokaler Anfälle im Rahmen einer Monotherapie, beträgt die empfohlene Anfangsdosis für Jugendliche und Kinder ab 50 kg sowie Erwachsene zweimal täglich 50mg. Nach einer Woche wird diese dann auf zweimal täglich 100 mg erhöht. Sollte mit dieser Dosis nur eine unzureichende Reduktion der Krämpfe erreicht werden, kann die Dosis wochenweise in Schritten von 50 mg pro Dosis erhöht werden. Die Erhöhung kann bis zur maximalen Dosis von 300 mg zweimal täglich erfolgen. Bei Patient:innen, die eine höhere Dosis benötigen, sollte die Zusatzbehandlung mit einem weiteren Antiepileptikum in Erwägung gezogen werden.

Im Rahmen einer Zusatztherapie für die Behandlung fokaler Anfälle oder für die Behandlung primär generalisierter tonisch-klonischer Anfälle beträgt die Dosis zu Behandlungsbeginn ebenfalls 50 mg zweimal täglich. Und auch hier wird nach einer Woche auf 100 mg zweimal täglich erhöht. Je nach Bedarf kann auch hier die Dosis wöchentlich in Schritten von 50 mg zweimal täglich gesteigert werden. Die maximale Tageshöchstdosis beträgt bei der Add-On-Therapie 200 mg zweimal täglich.

Für Kinder ab 2 Jahren und Jugendliche mit einem Körpergewicht unter 50 kg wird die Dosis in Abhängigkeit vom Körpergewicht festgelegt. Hierfür empfiehlt sich daher die Behandlung mit dem Sirup. Die Infusionslösung ist eine Alternative für Patient:innen, wenn die orale Anwendung vorübergehend nicht möglich ist.

Falls Lacosamid abgesetzt werden muss, sollte dies ausschleichend geschehen.

Schwangerschaft und Stillzeit

Generell wurde für die Gruppe der Antiepileptika eine erhöhte Prävalenz von Missbildungen nachgewiesen. Unklar ist dabei jedoch, in welchem Maße hierfür die Therapie und oder die Krankheit verantwortlich ist.

Die Studienlage zur Anwendung des Antiepileptikums Lacosamid in der Schwangerschaft ist unzureichend. Das potenzielle Risiko ist daher nicht bekannt. Lacosamid darf während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. Wenn der Nutzen für die Mutter aber das potenzielle Risiko für das ungeborene Kind eindeutig übersteigt, kann in Absprache mit dem behandelten Arzt, die Therapie mit Lacosamid erfolgen. Es sollte berücksichtigt werden, dass ein Abbruch einer wirksamen antiepileptische Therapie zu einer Verschlimmerung der Krankheit führen kann, was sich sowohl für die Mutter als auch den Fötus nachteilig auswirkt.

Frauen im gebärfähigen Alter sollten auf die möglichen Auswirkungen von Lacosamid hingewiesen werden und über Verhütungsmethoden aufgeklärt werden. Wenn eine Patientin eine Schwangerschaft plant, muss die Anwendung von Lacosamid erneut sorgfältig abgewogen werden.

Wie sich eine Lacosamid-Therapie in der Stillzeit auswirkt, ist ebenfalls nicht bekannt. Ein Risiko kann nicht ausgeschlossen werden. Tierexperimentelle Studien haben gezeigt, dass Lacosamid in die Muttermilch übergeht, deshalb sollte während der Behandlung mit Lacosamid auf das Stillen verzichtet werden.

 

Quellen

  • Fachinformation – Vimpat®, Stand: März 2022
  • Geisslinger G., Menzel S. Mutschler Arzneimittelwirkungen. Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2020
     

Annika Piepenburg, Apothekerin
redaktion@daz.online


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