Antikörper-Messung in Studie

Antibiotikagabe bei Kindern mit verringerter Impfantwort assoziiert

Stuttgart - 29.04.2022, 14:00 Uhr

Bei Kindern unter zwei Jahren ist – unabhängig von einer Antibiotikagabe und Krankengeschichte – die Darmflora noch in der Entwicklung. (x / Foto: Pavlo / AdobeStock)

Bei Kindern unter zwei Jahren ist – unabhängig von einer Antibiotikagabe und Krankengeschichte – die Darmflora noch in der Entwicklung. (x / Foto: Pavlo / AdobeStock)


Wie wichtig ist das Darmmikrobiom für die Entwicklung unseres Immunsystems? Und wie sehr können Antibiotika sich dabei nachteilig auswirken? Darüber diskutiert aktuell die Wissenschaft anlässlich einer Studie, die zeigt, dass Kinder auf Standardimpfungen mit verringerten Antikörperspiegeln reagierten, wenn sie bis zu einem Alter von zwei Jahren (mehrfach) Antibiotika erhalten hatten. Welche Antibiotika wurden untersucht und würde eine Verkürzung der Therapie helfen?

US-amerikanische Forscher:innen haben untersucht, inwiefern sich bei Kindern der Einsatz von Antibiotika auf Antikörper-Spiegel nach Impfungen auswirkt. Denn während Daten an Erwachsenen zuvor bereits gezeigt haben sollen, dass zwischen der Einnahme von Antibiotika und der impfinduzierten Immunität bei Erwachsenen wahrscheinlich ein negativer Zusammenhang besteht, fehlten solche Daten bislang für junge Kinder. 

Die am vergangenen Mittwoch erschienene Studie im Journal „Pediatrics“ der „American Academy of Pediatrics“ ist jetzt zu dem Schluss gekommen, dass auch bei Kindern unter zwei Jahren die Einnahme von Antibiotika mit niedrigeren Antikörperspiegeln gegen verschiedene Impfstoffe assoziiert ist.

Für die Studie waren zwischen 2006 und 2016 Kinder zwischen sechs und 24 Monaten in einer Kohortenstudie beobachtet worden. Wie das Science Media Center (SMC) erklärt, handelte es sich dabei um prospektiv aufgenommene Kohorten, die auf akute Atemwegsinfektionen – einschließlich akuter Mittelohrentzündung – untersucht wurden. Parallel dazu wurde zusätzlich eine (ungeplante) Sekundäranalyse der Krankenakten der Kinder durchgeführt – und zwar hinsichtlich Antibiotikaverordnungen und Impfstoff-Antikörpermessungen. Blutproben, die im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen im Alter von 6, 9, 12, 15, 18 und 24 Monaten sowie bei Auftreten einer akuten Mittelohrentzündung entnommen wurden, wurden retrospektiv ausgewertet. 

Je mehr Antibiotika, desto schlechter?

Laut Zusammenfassung der Studie wurden Antikörpermessungen in Bezug auf Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten (DTaP), Polio (IPV), Haemophilus influenzae Typ b (Hib) und Pneumokokken (PCV) durchgeführt.

Schließlich wurden Daten von 342 Kindern mit Antibiotikaverordnungen und 218 ohne Antibiotika miteinander verglichen. Es wurde beobachtet, dass die Anzahl der Antibiotikagaben im Laufe der Zeit in einem negativen Zusammenhang mit den impfinduzierten Antikörpern stand: Mit jeder Antibiotikatherapie verringerten sich die Antikörperspiegel

  • gegen DTaP-Antigene vor der Auffrischung um 5,8 Prozent,
  • gegen Hib um 6,8 Prozent,
  • gegen IPV um 11,3 Prozent und
  • gegen PCV um 10,4 Prozent.

Nach der Auffrischimpfung verringerten sich außerdem die Antikörperspiegel

  • gegen DTaP- Antigene um 18,1 Prozent
  • gegen Hib um 21,3 Prozent,
  • gegen IPV um 18,9 Prozent und
  • gegen PCV m 12,2 Prozent.

Besonders häufig sollen die Antikörperlevel zu den Messzeitpunkten neun und zwölf Lebensmonate unter dem nötigen Schutzniveau gelegen haben, wenn die Kinder Antibiotika erhalten hatten.

Wie sich Wissenschaftler:innen die Ergebnisse erklären

Die Autor:innen der Studie vermuten, dass die Antibiotika das Darmmikrobiom verändern und Bakterien töten, die sonst das Immunsystem stärken. Könnten Probiotika einem solchen Effekt entgegenwirken? Dr. Cornelia Gottschick (Arbeitsgruppenleitung Infektionsepidemiologie am Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Profilzentrum Gesundheitswissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) gab gegenüber dem SMC in einer Einordnung der Studie zu bedenken, dass das Darmmikrobiom in der Studie nicht untersucht wurde, sodass dieser Zusammenhang – und damit auch eine mögliche Therapie – theoretisch bleibe.

Professor Ulrich Schaible (Direktor des Programmbereichs Infektionen, Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften (FZB), Borstel) spricht insgesamt von einer wissenschaftlich fundiert durchgeführten Studie und mahnt: „Das wichtigste Ergebnis ist, dass besonders bei Kindern mit Antibiotikagaben zwischen dem 9. und 24. Lebensmonat signifikant geringere Antikörpertiter gemessen wurden. Diese liegen unter den Konzentrationen, die generell für einen Immunschutz als relevant angesehen werden. Damit hätten sie ein erhöhtes Risiko, an Infektionen zu erkranken, die durch die Erreger, gegen die geimpft wurde, ausgelöst werden.“

Besser kürzere Antibiotika-Gaben?

Bemerkenswert findet Schaible, dass Amoxicillin alleine keinen negativen Effekt auf die Antikörperspiegel gezeigt haben soll, Amoxocillin zusammen mit Clavulansäure aber schon. Aus der Studie geht hervor, dass auch Ceftriaxon und Cefdinir die Antikörperspiegel bedenklich senken können. Zudem zeichnete sich ab, dass kürzere Antibiotikagaben einen geringeren negativen Effekt hatten: Amoxicillin/Clavulansäure war laut der Diskussion der Studie das einzige Antibiotikum mit ausreichend Daten, um Fünf- und Zehn-Tages-Regime miteinander zu vergleichen. Ein Zehn-Tages-Regime war dabei negativ mit protektiven Antikörperspiegeln assoziiert – 30 Tage nach Ende der Therapie –, ein Fünf-Tages-Regime hingegen nicht.

Allerdings gibt Schaible zu bedenken, dass der Einfluss der Krankheiten, wegen derer die Antibiotika gegeben wurden, in Zukunft auch unabhängig von der Antibiotikagabe analysiert werden müsste: „Es bleibt noch die Frage, inwieweit kleine Kinder, die häufiger bakterielle Infektionskrankheiten haben und damit häufiger mit Antibiotika behandelt werden, vielleicht generell eine schlechtere Immunantwort aufbauen. Damit könnte bei diesen Kindern die schlechtere Antikörperantwort gegen die Impfstoffe auch ein intrinsisches immunologisches Problem darstellen.“ 

Solche Zusammenhänge waren auch den Autor:innen der Studie bewusst: Jedoch sollen Immundefizite in Kindern, die anfällig für Mittelohrentzündungen sind und auf die Impfungen schlecht ansprachen, nur bei 10 bis 15 Prozent der Studien-Kohorte aufgetreten sein. Reduzierte Antikörperspiegel sollen hingegen vor allem Kinder betroffen haben, die normale Immunantworten zeigten. „Daher führen wir den hier berichteten Effekt auf die Auswirkungen der Antibiotikaexposition zurück“, erklären die Autor:innen. Frühere Studien hätten gezeigt, dass sich eine leichte Erkrankung nicht nachteilig auf die Impfstoffreaktion auswirkt.

Doch Schaible gibt auch zu bedenken, dass nur die Menge an erregerspezifischen Antikörpern erfasst worden sei, „nicht jedoch die Bindungsaffinität“ oder „wie hoch die Anzahl an Gedächtniszellen ist, die durch die Impfung ausgelöst wurde, sowohl innerhalb der T- als auch der B-Zellen“. Der Immunschutz der Kinder könnte also besser sein, als aus der Studie der Eindruck entsteht.

Konsequenzen für die Praxis?

Für die Praxis fände Schaible es sinnvoll, wenn Probiotika getestet würden, die das Mikrobiom nach der Antibiotikagabe schneller wiederherstellen. „Die Impfungen während der Antibiotikagabe auszusetzen und nach Therapieende nachzuholen, könnte auch eine Konsequenz der Studie sein“, meint er.

Dr. Cornelia Gottschick hält es für denkbar, „dass ein verminderter Immunschutz durch eine weitere Impfung ausgeglichen werden kann“. Dafür müsse jedoch eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Rechnung durchgeführt werden. „Ob die Kinder nochmals nachgeimpft (geboostert) werden sollten, kann aktuell nicht auf Grundlage dieser Studie gesagt werden – möglicherweise wäre eine Nachkontrolle zum dritten oder fünften Lebensjahr hilfreich, um den Bedarf nach einem Booster zu erkennen“, meint dazu Dr. Claudius Meyer (Leiter der Arbeitsgruppe Pädiatrische Immunologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mainz). „Ob dann nach einer Auffrischimpfung die Kinder mit Antibiotikagabe noch von der Kontrollgruppe zu unterscheiden wären, kann nur eine Nachfolgestudie mit den gleichen Kindern zeigen.“

Entwicklung der Darmflora und Probiotika

Zur Darmflora bei Kindern erklärte Meyer allgemein, dass Kinder unter zwei Jahren – unabhängig von einer Antibiotikagabe und Krankengeschichte – noch in der Entwicklung sind: „Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass erst im Alter zwischen drei und fünf Jahren bei Kindern die Entwicklung der Darmflora abgeschlossen ist.“ Ab der Geburt verlaufe die Entwicklung der Darmflora individuell sehr unterschiedlich – damit könnten auch die Effekte von Antibiotika sehr unterschiedlich ausfallen. „Eine Erholung findet mutmaßlich statt, jedoch ist aktuell noch unklar, ob die Erholung jeweils vollständig verläuft und zu einer günstigen Artzusammensetzung führt.“ 

Bei der Gabe von Probiotika seien noch viele Fragen offen.

Aus Tiermodellen und klinischen Studien gebe es viele Hinweise darauf, „dass das ‚Ökosystem Darmflora‘ einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung und die Konstitution des Immunsystems hat“. Ohne eine Auseinandersetzung mit einer sich entwickelnden Darmflora sei ein Kind nach Geburt nicht in der Lage, ein leistungsfähiges Immunsystem zu entwickeln. „Vor dem Hintergrund unseres aktuellen Wissens zu Immunität, Darmflora und Vakzinierung vermittelt die vorgelegte Studie einen eleganten Nachweis für die problematischen Nebenwirkungen von Antibiotika“, meint er. Nicht nur die Resistenzentwicklung bei Antibiotikagabe, sondern auch die physiologischen Effekte müssten zu einem sorgfältigen und beschränkten Einsatz von Antibiotika im Kindesalter führen. Doch es besteht noch viel Forschungsbedarf.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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