- DAZ.online
- News
- Pharmazie
- Melatonin ist kein ...
Schlaf-Experte warnt vor unkritischem Gebrauch
Melatonin ist kein Schlafhormon
Eine geruhsame Nacht ist der Traum vieler. Wenn das Thema Schlaf aber eher zum Albtraum wird, klingen Werbeaussagen über das „natürliche Schlafhormon“ Melatonin verlockend. Ohne ärztliche Begleitung ist der Einsatz entsprechender Nahrungsergänzungsmittel kritisch zu sehen, insbesondere bei Heranwachsenden, wie der Schlafmediziner und Kinder- und Jugendarzt Dr. Alfred Wiater im Interview mit der DAZ erläutert.
Melatonin ist ein Hormon, das während der Dunkelheit ausgeschüttet wird – auch bei nachtaktiven Tieren – und sollte laut Wiater nicht als Schlafhormon bezeichnet werden. Der Vorstandsreferent der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) verdeutlicht, dass physiologische Zusammenhänge zwischen Melatonin-Ausschüttung und Schlaf bestehen, womöglich über ein Absinken der Körperkerntemperatur, dies bedürfe aber noch weiterer Forschung.
Mehr zum Thema
Erfahrungen eines Kinder- und Jugendarztes
„Melatonin ist kein Schlafhormon!“
Nicht ohne ärztliche Begleitung
Wiater warnt davor, Hormone, die bekanntermaßen vielfältige Wechselwirkungen im Organismus ausüben, unkontrolliert und in hoher Dosierung einzunehmen. „Niemand käme auf die Idee, eigenmächtig Schilddrüsenhormone einzunehmen oder sich einfach so Insulin zu spritzen“, lautet sein Vergleich. Wird das Chronotherapeutikum zur falschen Zeit angewendet, könnten im schlimmsten Fall circadiane Rhythmusstörungen resultieren.
Wer seinen TSH-Wert prüfen lassen sollte
Wie beeinflusst die Schilddrüse die Fertilität?
Bevor ein Behandlungsversuch mit Melatonin unternommen werde – wohlgemerkt ärztlich indiziert und überwacht –, sollten sich andere nicht medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen als unwirksam erwiesen haben.
Langzeitfolgen sind nicht absehbar
Gerade bei Kindern und Jugendlichen müsse man sorgsam mit dem Einsatz von Melatonin umgehen. Die unkontrollierte Einnahme eines Chronotherapeutikums sei aufgrund noch nicht absehbarer Langzeitfolgen strikt abzulehnen. Eltern, deren Kinder schlecht schlafen, sollten also keine Selbstversuche unternehmen, sondern sich zur Abklärung möglicher Schlafstörungen an den Kinderarzt wenden. Dass hier vielfältige Ursachen in Betracht kommen, weiß der ehemalige Chefarzt einer Kinderklinik mit angeschlossenem Kinderschlaflabor aus jahrelanger Erfahrung. Seiner Einschätzung nach sind Eltern schlafgestörter Kinder aber vorsichtig bei der Verabreichung von Medikamenten.
Zugelassen bei Autismus-Spektrum-Störungen
Dr. Wiater erläutert im DAZ-Interview, dass Melatonin bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen und dem seltenen Smith-Magenis-Syndrom zugelassen ist und in kindgerechter Darreichungsform vorliegt (Slenyto). Der familiäre Alltag sei bei Schlafstörungen betroffener Kinder oft massiv belastet, und hier könnten sich positive Effekte einer Melatonin-Anwendung auf die Schlafdauer, die Häufigkeit nächtlichen Aufwachens und die Schlaflatenz lindernd auswirken. Es sei jedoch wichtig, spätestens drei Monate nach Therapiebeginn den Behandlungserfolg zu bewerten und danach halbjährlich über die Fortsetzung der Therapie zu entscheiden.
Off-Label bei ADHS und fetaler Alkoholspektrumstörung
Der Schlaf-Experte weist darauf hin, dass auch bei ADHS mehr als jeder Zweite Schlafstörungen habe. Dies läge sowohl an der zugrundeliegenden Regulationsstörung als auch an der Psychostimulanzien-Gabe. Er bedaure, dass keine systematischen Metaanalysen zum Einsatz von Melatonin bei Kindern mit ADHS publiziert seien, einige Untersuchungen zeigten aber positive Effekte auf Schlafparameter, die aber nicht immer mit einer Verbesserung des Verhaltens und der Lebensqualität einhergingen.
Der Off-Label-Einsatz von Melatonin stellt laut Dr. Wiater vor allem bei Kindern mit fetalen Alkoholspektrumstörungen eine Option dar. Diese Kinder seien sehr häufig von Schlafstörungen betroffen und hätten oft auffällige Melatonin-Profile.
INTERPHARM Online 2022
Was vermag Melatonin bei Schlafstörungen zu leisten?
G-BA stellt klar
Wann zahlt die Krankenkasse Melatonin?
Gefragt nach einem Erfolgsrezept bei chronisch müden Jugendlichen, appelliert Wiater an die Eigenverantwortlichkeit der Heranwachsenden. „Unnötige Verzögerungen des Einschlafens, zum Beispiel durch Mediennutzung, sind zu vermeiden“, lautet seine Botschaft, und er empfiehlt Jugendlichen, sich am Abend und in der Nacht eine mediale Auszeit zu gönnen.
1 Kommentar
Unkritisch....
von Ramona L. am 12.04.2022 um 22:01 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.