- DAZ.online
- News
- Politik
- Kontroverse um „Bundes-...
Viertes Bevölkerungsschutzgesetz
Kontroverse um „Bundes-Notbremse“
Die „Bundes-Notbremse“, die bundeseinheitliche Schutzvorkehrungen ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 bestimmen soll, nimmt nun doch einen beschleunigten Weg durch den Bundestag. Am heutigen Montagmorgen fand im Bundestag die erste Lesung des Entwurfs für ein „Viertes Bevölkerungsschutzgesetz“ statt. Am Nachmittag folgte die öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Hier wie dort zeigte sich: Die geplanten Regelungen sind höchst umstritten – allen voran die geplante nächtliche Ausgangssperre.
Zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 soll künftig bundesweit eine automatische Notbremse gelten: Sie greift, wenn ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 aufweist. Das sieht der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Entwurf des Vierten Bevölkerungsschutzgesetzes vor, das heute Thema im Bundestag war. Die bundesweit einheitlichen Schutzvorkehrungen sollen demnach in einem neuen Paragrafen 28b des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) konkret aufgeführt werden. Dies sind unter anderem Kontaktbeschränkungen sowie Auflagen für Freizeiteinrichtungen, Geschäfte, Kultur, Sport oder Gaststätten. Vorgesehen ist überdies eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr – mit wenigen Ausnahmeregelungen. Schüler:innen und Lehrpersonal an allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen sind bei Teilnahme am Präsenzunterricht zweimal in der Woche auf SARS-CoV-2 zu testen. Bei einer Inzidenz von über 200 in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt ist der Präsenzunterricht untersagt.
Mehr zum Thema
Viertes Bevölkerungsschutzgesetz
Kabinett bereitet Weg für „Bundes-Notbremse“
Die Regelungen sollen außer Kraft treten, wenn die 100er-Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Werktagen unterschritten wurde. Die Bundesregierung soll zudem ermächtigt werden, bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 durch Rechtsverordnungen Gebote und Verbote zu erlassen. Solche Rechtsverordnungen bedürfen der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte heute anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag den Ernst der Lage deutlich. „Es führt kein Weg daran vorbei, wir müssen die dritte Welle der Pandemie bremsen und den rapiden Anstieg der Infektionen stoppen.“ Dazu müssten die Kräfte von Bund und Ländern besser gebündelt werden. Die bundesweite Notbremse sei überfällig, denn die Lage sei sehr ernst. „Die dritte Welle der Pandemie hat unser Land fest im Griff.“ Das zeigten unter anderem die belegten Intensivbetten. Merkel betonte: „Die Intensivmediziner senden einen Hilferuf nach dem anderen“ und fügte hinzu: „Wer sind wir denn, wenn wir diese Notrufe überhören würden?“
Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 sei die mit den Ländern bereits vereinbarte Notbremse künftig nicht mehr Auslegungssache, sondern greife automatisch. Die Kanzlerin räumte ein, dass damit harte Einschränkungen verbunden seien und nannte die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Die Einwände dagegen nehme sie ernst, es gehe aber darum, Kontakte und Mobilität zu reduzieren, darunter „abendliche Besuchsbewegungen“. Dies sei zwar kein Allheilmittel, könne aber zusammen mit anderen Auflagen eine Wirkung entfalten. Sie halte die Auflagen für geeignet, verhältnismäßig und erforderlich, um die Infektionswelle zu brechen. Merkel betonte, die Pandemie habe gezeigt, dass das Virus keine Halbherzigkeiten verzeihe. „Es verzeiht auch kein Zögern, das Virus versteht nur die Sprache der Entschlossenheit.“ Das helfe am Ende allen. Die Notbremse sei das geeignete Instrument, um die drohende Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.
Kritik aus der Opposition, Zweifel von Juristen
Trotz kritischer Haltung versicherte auch FDP-Chef Christian Lindner der Koalition Zustimmung für eine größere Rolle des Bundes. „Es ist richtig, dass nun bundeseinheitlich gehandelt wird“, sagte er. Mit Blick auf die geplanten Ausgangsbeschränkungen kündigte Lindner Vorschläge an, das Gesetz „verfassungsfest“ zu machen. Die FDP werde vors Bundesverfassungsgericht ziehen, wenn auf die Bedenken nicht eingegangen werde
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sprach von einem Angriff auf Grund- und Freiheitsrechte und einer „Notstandsgesetzgebung durch die Hintertüre“. „Sie misstrauen den Bürgern, deshalb wollen Sie sie tagsüber gängeln und nachts einsperren“, sagte sie. Die Regierung nutze die Corona-Krise, um sonst unmögliche Eingriffe durchzusetzen.
Grüne und Linke warfen der Regierung außerdem vor, das Wirtschaftsleben in dem Gesetz nicht ausreichend zu berücksichtigen. In der Wirtschaft gebe es faktisch null Beschränkung, kritisierte der Linken-Politiker Klaus Ernst. Linksfraktions-Chef Dietmar Bartsch warf der Regierung Scheitern vor. „Wir haben seit November einen permanenten Halb-Lockdown, und Sie sind immer nach der Welle.“ Bartsch stellte raschere Fortschritte beim Impfen wie in den USA und eine nationale Teststrategie als Lösungen dagegen. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei (CDU) entgegnete: „Das ist an Linkspopulismus nicht zu überbieten.“
Kritik gab es auch bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss, die am Nachmittag stattfand. Vor allem die Regelung zur Ausgangssperre halten Juristen in der jetzigen Form für bedenklich und angreifbar. Das gilt auch für den Umstand, dass das Gesetz keine Ausnahmen für Geimpfte vorsieht, Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags meldet bei diesen beiden Punkten ebenfalls Bedenken an.
Nun muss sich zeigen ob und wie die Fraktionen an dem Gesetzentwurf nachfeilen. Bereits am kommenden Mittwoch (21. April) ist die zweite und dritte Lesung im Bundestag eingeplant. Am 24. April soll es in einer Sondersitzung vom Bundesrat beschlossen werden.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.