Viertes Bevölkerungsschutzgesetz

Kabinett bereitet Weg für „Bundes-Notbremse“

Berlin - 13.04.2021, 16:45 Uhr

Die Bundesregierung zieht die Notbremse: Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner sollen künftig einheitliche Maßnahmen greifen. (Foto: Robert / stock.adobe.com)

Die Bundesregierung zieht die Notbremse: Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner sollen künftig einheitliche Maßnahmen greifen. (Foto: Robert / stock.adobe.com)


Das Bundeskabinett hat heute Formulierungshilfen für Änderungen am Infektionsschutzgesetz beschlossen: Künftig soll die „Notbremse“, die Bund und Länder eigentlich schon am 3. März beschlossen hatten, keine Auslegungssache der Länder mehr sein. Vielmehr werden die Maßnahmen, die ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt zu ergreifen hat, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz der SARS-CoV-2-Infektionen an drei aufeinander folgenden Tagen den Schwellenwert von 100 pro 100.000 Einwohner übersteigt, bundeseinheitlich festgelegt werden. 

Die Bundesregierung hat den Regierungsfraktionen Formulierungshilfen für ein Viertes Bevölkerungsschutzgesetz vorgelegt. Im Wesentlichen geht es um eine weitere Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes. Die Bundeskanzlerin hat ganz offensichtlich genug von den weiten Interpretationen der Bund-Länder-Beschlüsse durch einige Länderchefs. Künftig soll ein neuer § 28b IfSG bestimmen: Liegt die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 pro 100.000 Einwohner:innen, gelten dort ab dem übernächsten Tag bestimmte Maßnahmen. 

So sind dann im öffentlichen oder privaten Raum Zusammenkünfte nur gestattet, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person teilnehmen – einschließlich der zu deren Haushalt gehörenden Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs. Bei Todesfällen sollen bis zu 15 Personen zusammenkommen dürfen.

Zudem ist eine Ausgangsbeschränkung vorgesehen: „Der Aufenthalt von Personen außerhalb einer Wohnung oder einer Unterkunft und dem jeweils dazugehörigen befriedeten Besitztum ist von 21 Uhr bis 5 Uhr des Folgetags untersagt“, heißt es in der Formulierungshilfe. Ausnahmen bestätigen die Regel (zum Beispiel berufliche Gründe, Wahrnehmung des Sorgerechts, Tierversorgung). 

Apotheken bleiben offen

Ferner müssen die allermeisten Geschäfte und Märkte schließen. Ausnahmen gelten hier für den Lebensmittelhandel, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte. Hier gibt es aber ebenfalls gewisse Beschränkungen, etwa zur Kundenzahl. Zudem gilt die Maskenpflicht. 

Auch Freizeit und Kultureinrichtungen sowie die Gastronomie dürfen nicht öffnen. Ebenso sollen Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken verboten sein. Körpernahe Dienstleistungen werden ab der 100er-Inzidenz ebenfalls untersagt. Ausgenommen sind Dienstleistungen, die medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken dienen sowie Friseurbetriebe. Hier gilt aber FFP2-Maskenpflicht. Vor dem Friseurbesuch ist zudem ein negatives Testergebnis vorzulegen, das nicht älter als 24 Stunden ist.

Sofern Maßnahmen in einem Land strenger sind als der Katalog des neuen § 28b IfSG, gelten diese im Übrigen fort.

Schulen: Keine Präsenzpflicht ab Inzidenz 200

Schüler:innen und Lehrpersonal an allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen sind bei Teilnahme am Präsenzunterricht zweimal in der Woche auf SARS-CoV-2 zu testen. Bei einer Inzidenz von über 200 in einem Landkreis ist es vorbei mit der Präsenz.

Vorgesehen ist zudem, dass der Bund über eigene Verordnungen die Corona-Maßnahmen vor Ort steuern kann – dazu bräuchte es aber jeweils die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat.

Nach dem Kabinettsbeschluss dringt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nun auf eine zügige Verabschiedung des Gesetzes: „Ich kann aus meiner Perspektive nur sagen: Je schneller es geht, umso besser ist das natürlich – sowohl im Bundestag als auch dann im Bundesrat“, sagte sie am heutigen Dienstag.

Einen Gesetzesbeschluss im Schnellverfahren soll es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aber nicht geben. Im Bundestag wollen die Fraktionen einen grundsätzlich möglichen Verzicht auf bestimmte Beratungsfristen nicht erteilen, der einen Parlamentsbeschluss noch in der laufenden Woche ermöglicht hätte.

Unumstritten sind die geplanten Regelungen, die an die 100er-Inzidenz anknüpfen nicht – vor allem die Ausgangsbeschränkungen. „Im weiteren Verfahren werden wir nochmal intensiv prüfen, dass neben dem Inzidenzwert weitere Kriterien herangezogen werden“, kündigte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese an.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte, die geplanten Ausgangsbeschränkungen nicht aufzuweichen. Ausgangssperren hätten in Portugal, England und Frankreich eine wichtige Rolle bei der Pandemiebekämpfung gespielt, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. Studien hätten auch eine klare Wirksamkeit nachgewiesen.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

Kopfschütteln

von Karl Friedrich Müller am 13.04.2021 um 18:29 Uhr

das Firmen geschlossen werden, wird nicht erwähnt. So treibt man kleine Firmen, Geschäfte; Lokale unsinnig in den Ruin. Sie haben alle gute Hygienekonzepte und der Betrieb ist nicht groß.
Große Firmen und Konzerne bleiben unbehelligt. Fast zumindest. Schulen und Kindergärten, wo viele Personen aufeinandertreffen, bleiben offen.
Augenwischerei, die nichts bringen wird. So wird es einen ewigen Schaukellockdown geben um plusminus 100.
Mit vielen Toten und Schwerkranken am Ende fürchte ich.
Wir werden aus der Sache nicht herauskommen, dafür werden die Kranken, je nach Impffortschritt, immer jünger. Da kommt eine Riesenherausforderung auf das Gesundheitswesen und den Staat zu, auch finanziell.
Lockdown, wenn schon, dann für alle, bis auf die, die bisher auch immer erreichbar sein mussten.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Kopfschütteln

von Karl Friedrich Müller am 13.04.2021 um 18:59 Uhr

man könnte es auch so umschreiben:
Mit der Priorisierung für die Großen macht man die Kleinen kaputt, damit die Großen maximale Gewinne einfahren.
Der Bürger zählt nach wie vor nicht. Und die Nöte der Ärzte und Pflegenden in den Krankenhäusern ignoriert man auch.
Man könnte sich auch mal überlegen, dass dort zu viel Geld sitzt, dass nun für die Bekämpfung der Pandemie eingefordert wird.
Furchtbare Politik, menschenverachtend.

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