Gastkommentar

Gedanken zum Chaos um die Grippeschutzimpfungen – ein Lösungsvorschlag

Altdorf - 04.12.2020, 17:50 Uhr

Warum denken wir die Grippeimpfung nicht einfach mal grundsätzlich neu? (c / Foto: imago images / Arnulf Hettrich)

Warum denken wir die Grippeimpfung nicht einfach mal grundsätzlich neu? (c / Foto: imago images / Arnulf Hettrich)


Vorab zwei Fragen: Sind wir uns einig, dass die Impfung gegen Influenza empfehlenswert ist? Und besteht Konsens, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Grippeimpfstoff in den letzten Jahren regelmäßig eine groteske Katastrophe war? Wenn beide Fragen mit „ja“ beantwortet werden, dann muss konsequenterweise Frage drei folgen: Warum wird nicht endlich das ganze System neu organisiert? Lesen Sie hier einen Vorschlag von Dr. Ralf Schabik, der sich selbst als Apotheker aus Leidenschaft beschreibt und sich in vielen gesellschaftlichen Gremien ehrenamtlich engagiert.

Jahr für Jahr tobt in den Apotheken und Arztpraxen das Impfstoff-Chaos, wird wertvoller Impfstoff nach Abschluss der Saison auf Kosten der Apotheken und der Umwelt in die Tonne getreten, kommen zusätzlich geradezu kriminelle Retaxationen und Regresse von den Krankenkassen. Und das alles nur, weil diejenigen, für die wir das Theater veranstalten, außen vor sind: Die Patient:innen. 

Denken wir die Grippeimpfung mal grundsätzlich neu: Zum Jahreswechsel schicken die Krankenkassen ihren Versicherten einen Wertscheck „Grippeimpfung“ – mittelfristig das Ganze gerne digital. Diesen Scheck reichen die Versicherten, die sich impfen lassen möchten, in der Vor-Ort-Apotheke ihrer Wahl bis Mitte Februar ein. Die Apotheken sammeln die Schecks und bestellen Ende Februar bei der Industrie die Impfstoffe in der erforderlichen Menge. Welche Impfstoffe? Kein Problem – steht auf den Wertschecks, denn das haben die Krankenkassen vorher mit der Industrie ausgehandelt, einschließlich Preis pro Dosis. Die Industrie hat erstmals Planungssicherheit, produziert die Impfstoffe (plus Überschuss „x“ für Nachzügler) und liefert punktgenau im Oktober an den PhaGro aus, der seinerseits die Apotheken versorgt. Die Patienten holen ihren Impfstoff ab (oder bitten die Apotheke, zu liefern) und gehen in die Arztpraxis ihres Vertrauens. Die Apotheke rechnet die Wertschecks mit den Kassen ab und erhält die Logistikpauschale, der Arzt rechnet seine Leistung ganz regulär über Versichertenkarte ab. Die Kassen überweisen der Industrie die vereinbarte Vergütung. Fertig.

Dr. Ralf Schabik: Apotheker mit Ideen für eine bessere Grippeimpfstoffversorgung

Natürlich stecken in den Details viele Tücken: Insbesondere seitens der Patienten gibt es Unwägbarkeiten. Die sind aber zu definieren – und allesamt lösbar. Keinesfalls hören möchte ich das Argument „Das haben wir ja noch nie gemacht“. Stimmt. Deshalb hatten wir ja auch von Jahr zu Jahr größeres Chaos. Und sich zurückzuziehen auf „kann man den Patienten nicht zumuten“ ist auch keine Option. Warum denn nicht? 

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Wir Apotheken sind in der Lage, Adhärenz zu vermitteln – und die Patienten planen derart viele Begebenheiten im Privatleben, dass sie sich halt daran gewöhnen müssen, ihre Grippeimpfung auch vorzuplanen. Unterstützen kann man die Compliance ja dadurch, dass Patienten, die ihren Wertscheck einlösen, sich dann aber mutwillig nicht impfen lassen, 10 Euro zahlen müssen. Hinfällig wäre durch eine derartige Vorplanung übrigens auch die Notwendigkeit, dass seitens einer Landesregierung „Reserven“ angeschafft werden. Spart viel Geld und vermeidbaren Ärger!

Überlegenswert? Dann sei die Diskussion eröffnet!


Dr. Ralf Schabik, Apotheker
redaktion@daz.online


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12 Kommentare

Der Kollege...

von Dr.Diefenbach am 05.12.2020 um 13:12 Uhr

....Schabik macht sich GEDANKEN!! Ob man diese umsetzen kann, in Teilen oder nicht, das ist doch gar nicht die Frage im Augenblick!Es geht darum, nicht gleich wieder alle Vorschläge auseinanderzupflücken,jeder weiss was Besseres.Es stellt sich doch die Frage;WENN so ein Desaster erkennbar ist/sein sollte oä.,dann ist es eigentlich Sache des DAV hier Ideen zu entwickeln.Der Stand sollte froh sein um jeden der Ideen erst mal einbringt und sich GEDFANKEN macht, nix passiert "oben" sehen wir leider oft genug.Vielleicht erhält ja Kollege Schabik einen Anruf vom neuen DAV Vorsitzer...

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AW: Der Kollege

von Dr.Diefenbach am 05.12.2020 um 13:14 Uhr

Das F bitte streichen

Nicht zu kompliziert denken ...

von Reinhard Herzog am 05.12.2020 um 10:21 Uhr

Lieber Herr Kollege Schabik,

wenn ich Sie richtig verstehen, möchten Sie schon im Winter für die nächste Saison vorbestellen lassen? Anders geht es ja bei den Vorlaufzeiten nicht ...

Schön gedacht, aber eben doch administrativ-verkopft.
Vor allem, wenn Sie dann 10 € von den "Vergesslichen" einkassieren wollen ... da begeben Sie sich auf juristisch dünnes Eis.
Wenn Sie negativ konditionieren wollen, dann richtig: Nur wer alle STIKO-Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen macht, zahlt den Standard-Kassenbeitrag, Verweigerer eben einen spürbaren Risikozuschlag. Das wäre ein ganz anderes System, wahrscheinlich (noch) nicht mehrheitsfähig, aber da käme dann Zug in den Kamin ...

Ansonsten gibt es einen ganz pragmatischen Ansatz:

Die Impfstoff-Produktionskosten sind so minimal, dass man im Grunde auch 60 oder 70 Mio. Dosen bestellen könnte (und einen sich abzeichnenden Überschuss dann lieber verschenkt - irgendwo gibts immer Bedarf ..., zur Not eben vernichtet).
Gesundheitsökonomisch wären wir immer noch ganz hoch im Plus (die Rechnungen von Uwe May et al. u.a. zur Grippeimpfung in Apotheken dürften nutzenmäßig zwar etwas überzeichnet sein, illustrieren aber klar die Richtung).

Bei gewissen Dingen lohnt es sich einfach, zur Not auf Halde und Überschuss zu produzieren, auch wenn das dem sparsamen Schwaben zuwider ist. Weil einfach eine bedarfsgerechte Administration viel zu aufwändig ist und der Nutzen auf der Hand liegt.

Bei Corona macht man das ja jetzt auch. Die ganzen Impfstoffe werdet Ihr in wenigen Monaten nachgeschmissen bekommen, Firmen der zweiten Reihe überlegen schon, gar nicht mehr an den Markt zu gehen ...

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AW: Nicht zu kompliziert denken

von Dr. Ralf Schabik am 07.12.2020 um 8:03 Uhr

Absolut spannender Einwurf, Überschuss zu produzieren und im Zweifel Millionen Dosen zu verwerfen.Wenn wir alle uns einig sind, dass wir den Verwurf finanzieren (sollte machbar sein), bin ich dabei. Selbst ökologisch sehe ich das unkritisch, weil die Schlacke aus der Müllverbrennung in diesem Falle ungefährlich wäre. Nur: Sie schreiben selber, dass "Firmen der zweiten Reihe ...". JA, das unterschreibe ich auch. Schlussendlich könnte am Ende EIN Hersteller übrig bleiben, der den Preis diktiert. Und dann könnte es sehr teuer werden.
Aber letztlich ist Ihr Vorschlag extrem unbürokratisch und wirklich unkompliziert, sehr schön :-)

Was das Eintreiben der 10 Euro anbelangt, habe ich Anleihe in anderen Branchen genommen: "no-show-fee" im Hotel- und mittlerweile auch Seminarbereich. Auch die ersten Ärzte berechnen Einen Obolus, wenn Patienten trotz Termin nicht erscheinen ...

So, nun mein Senf dazu...

von Felix Maertin am 05.12.2020 um 7:19 Uhr

Die Idee von Ihnen, Herr Schabik, stellt eine Möglichkeit dar. Für mich kommt noch zu viel Apotheke drin vor. Seit die Vergütung auf 1€/Impfdosis „angepasst“ wurde, bin ich als Kaufmann raus.
Auf Grund der besonderen Situation und unserer hohen Leistungsfähigkeit haben wir nochmal alles gegeben und so viele Patienten versorgt, wie wir konnten (1000 Impfdosen aus dem BMG-Kontingent). Finanzielles Risiko unfassbar hoch, Ertrag = Aufzahlgeschäft.

Herr Spahn hat mit seinem 1€/Impfstoff bereits die Weichen gestellt und wird die Logistik aus den Apotheken abziehen. Bisher hat es nicht geklappt und in Zukunft wird das nicht anders sein. Ich bin überaus froh darüber und werde in Zukunft den Impfstoff bestellen, den ich als Impfender Apotheker selbst benötige.
Weg mit den kostenlosen Allgemeinwohlaufgaben.

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AW: So, nun mein Senf dazu

von Dr. Ralf Schabik am 05.12.2020 um 7:46 Uhr

Herzlichen Dank für den Senf ! Gegenfrage: Blieben Sie bei Ihrer Meinung, wenn wir gegenhalten, dass meine Idee sowohl den extremen Aufwand wie auch das unternehmerische Risiko (beides war ja bisher vollkommen aberwitzig und unfassbar !) reduziert und wir dann mit einer fairen Aufwandspauschale (die ich übrigens bewusst nicht beziffert habe) leben könnten ? Das "Kaufmännische" wäre raus, und die Logistik dieses anspruchsvollen Produkts können wir allemal besser als irgendwelche Versender ...

AW: So, nun mein Senf dazu

von Felix Maertin am 05.12.2020 um 7:51 Uhr

Absolut!

Doch sehen wir der Realität ins Auge:
Für unseren aktuellen enormen Aufwand erhalten wir den symbolischen Euro. Wenn das alles „schlanker“ wird, was wird die Politik zu einer Vergütung sagen: Sind 50 Cent nicht zu viel?
Ich behaupte mal ganz frech:
Wenn die Regierung mit der eigenen Logistik scheitert und sieht, wie teuer sowas ist, wird sie sich Hilfesuchend an uns wenden und das ganze fair bezahlen. Und wenn die Regierung das besser hinbekommt, dann ist dem deutschen Volke gut gedient. ;)

Grippe und anderes

von Hardt am 04.12.2020 um 22:16 Uhr

Ihr lieben Engagierten mit Ideen, wie die Apothekenwelt und das Gesundheitswesen rational organisiert werden könnten: Danke für das Engagement in Einzelfragen. Aber solange ganz oben Jens Spahn und Schmitz/Tisch agieren, sollten alle Engagierten nur ein Ziel haben: Nach Wegen suchen, diese Totengräber einer Arzneimittelversorgung für selbständige Bürger durch selbständige Heilberufler (Niedergelassene Einzelapotheken mit persönlicher Verantwortung) abzulösen und die GKV-Amazon-rxVersand Zukunft abzuwehren. Beratungspflichtige Arzneimittel gehören in die persönliche Haftung und nicht in die US-Konzern-Gewinnmaximierung. Das klingt wohl heute noch etwas nach "Die Linke", aber so wird es kommen wenn alle sich mit "VOASG" ver... lassen.
Sorry
Aber natürlich gehören dazu auch flächendeckend Apotheken, die nicht nur mit "Black Friday Preisen" sondern mit verantwortlicher Versorgung glänzen!
nochmal sorry!

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AW: Grippe und anderes

von Dr. Ralf Schabik am 05.12.2020 um 1:21 Uhr

Wieso "sorry" ? Gehört AUCH zur Diskussion !!! :-) Und die angesprochenen Themen passen letztlich sehr gut zum Thema "Impfstoffe": Denn das alljährliche Chaos macht die wackeren vor-Ort-Apotheken mürbe und torpediert die zu Recht geforderte "verantwortliche Versorgung". Genau diese Versorgung möchte ich gerne leisten - bei Ibuprofen kann ich zu erwartende Engpässe durch Bevorratung abfangen, bei Baclofen kaufe ich Substanz und stelle Kapseln her - aber bei Impfstoffen bin ich jedes Jahr der Depp, der von allen geprügelt wird - und am Ende jämmerlich draufzahlt. und deshalb fordere ich ein Umdenken in solchen Details - weil die "großen" Strukturen nur langsam, wenn überhaupt, beeinflussbar sind.
Stichwort "selbständiger Bürger" ... IST er das wirklich ? Viele Patienten sind es leider nicht (mehr). Weil sie gesundheitlich angeschlagen hilflos sind. Aber auch ein zunehmender Teil der Bevölkerung, der sich "selbständig" fühlt, ist es nicht. Die Leute sind APP-hängig und merken gar nicht, wie sie gesteuert durch's Leben latschen. Alles just in time verfügbar. Vorratshaltung ? Wozu ? Tja, und dass bei Stromausfall der ganze smarte Haushalt zusammenbricht oder in der Pandemie plötzlich das Toilettenpapier ausgeht ... ojeojeoje ... mimimi ...

Grippeimpfstoff

von Gregor Huesmann am 04.12.2020 um 18:37 Uhr

Auf dem Weg zur Planwirtschaft! Wer hätte im Februar 2020 gewußt, dass er sich im Oktober gegen Grippe impfen lassen wird, nicht zuletzt wegen Corona. Mir gefällt die ganze Planerei nicht. Hat ihr Bäcker sie schon gefragt, wieviele Brötchen sie gedenken im nächsten Jahr bei ihm zu kaufen? Der Rohimpfstoff kann nicht so extrem teuer sein. (Demnächst vielleicht auch als RNA-Impfstoff?) Warum wollen wir der Pharmaindustrie das Geschäftsrisiko abnehmen? Jeder von uns weiß, dass - wenn er zuviel einkauft das Risiko der Vernichtung trägt und wenn er zu wenig einkauft keinen Umsatz machen kann. Das Risiko hat die Industrie gefälligst selbst zu übernehmen. Wenn die Firma X keinen Impfstoff mehr hat, macht halt die Firma Y das Geschäft - wie in der Marktwirtschaft bewährt.

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AW: Grippeimpfstoff

von Dr. Ralf Schabik am 04.12.2020 um 20:46 Uhr

Schönes Beispiel mit dem Bäcker: Genau DA gehen die Bürgerinnen und Bürger hin und bestellen die Baguette für die (Silvester-)Party, ebenso wie den Braten für Weihnachten. Was ist daran Planwirtschaft ? Ich habe im Februar 2020 ALLEN Patienten, derer ich habhaft geworden bin, geraten, sich beim Arzt ihre Grippeimpfung reservieren zu lassen. Mit ein bisschen Weitblick war damals zu erkennen, was passieren würde. Und mal unabhängig von Corona ... in all den Vorjahren ohne Corona ist das Theater doch auch von Jahr zu Jahr schlimmer geworden. Und das hat nichts damit zu tun, was Rohstoffe kosten. Ehrliche Frage mit der Bitte um ehrliche Antwort: Wollen Sie weitermachen wie bisher ? Jedes Jahr wieder diesen Wahnsinn ausbaden ? Dann lassen wir es laufen wie bisher. Aber ohne mich. Ich bin unendlich überrascht, ausgerechnet von Ihnen, den ich als Branchenkenner seit Langem sehr schätze, zu hören, dass dann halt "Firma Y das Geschäft macht" ... welche Firma Y kann denn jetzt noch Grippe-Impfstoffe liefern ?

AW: Grippeimpfstoff

von Dr. Helmut Strohmeier am 05.12.2020 um 10:38 Uhr

also ich bestelle meine Weihnachtsgans bei der Gänsefarm bereits im Dezember für das nächste Jahr - denn die Gans braucht halt ein Jahr um zu wachsen - wo ist das Problem ?

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