- Die pharmakologische Wirkung eines Erzeugnisses ist zwar ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Funktionsarzneimittels fällt.
- Eingriffe in die Körperfunktionen, die völlig unerheblich sind, können die Zuordnung zu den Arzneimitteln nicht rechtfertigen; die erhebliche Beeinflussung der Funktionsbedingungen des menschlichen Körpers und das Vorliegen erheblicher pharmakologischer Wirkungen müssen durch belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse belegt sein.
- Die Einstufung eines Produktes als Funktionsarzneimittel verlangt positiv die Feststellung einer pharmakologischen Wirkung in nicht unerheblichem Maß; lediglich ein entsprechender Verdacht reicht nicht aus.
- Eine hinreichende pharmakologische Wirkung melatoninhaltiger Lebensmittel lässt sich aktuell nicht nachweisen.
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Erlaubt oder nicht?
Melatonin in Nahrungsergänzungsmitteln
Ist Melatonin ein Arzneimittel oder ein Nahrungsergänzungsmittel? Darüber streiten Behörden und Hersteller schon seit einigen Jahren vor Gericht. Eine abschließende Bewertung, die weitere Gerichtsverfahren unnötig machen würde, gibt es nicht. Und so kommen immer wieder neue Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt, die Melatonin enthalten und teilweise auch apothekenexklusiv vertrieben werden – zuletzt Cefanight. DAZ.online wollte von der zuständigen Aufsichtsbehörde wissen, warum Cefanight ein NEM sein darf.
Die Cefak KG bewirbt derzeit ein neues und apothekenexklusives Melatonin-Nahrungsergänzungsmittel: Cefanight®. Es soll dazu beitragen, die Einschlafzeit zu verkürzen und subjektive Jetlag-Empfindung zu lindern. In einer Kapsel sind 0,5 mg Melatonin enthalten. Erwachsene sollen ein bis zwei Kapseln kurz vor dem Schlafengehen einnehmen. So weit so gut – aber ist Melatonin in Deutschland nicht eigentlich, unabhängig von der Dosierung, verschreibungspflichtig?
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Im Juli 2018 berichtete DAZ.online über einen Beitrag des Verbrauchermagazins Stiftung Warentest – es ging um Schlafmittel. Das Fazit zu Nahrungsergänzungsmitteln (NEM), die Melatonin enthalten, lautete damals: „besser abraten“. Warum? Zum einen enthielten drei der sechs getesteten NEM und diätetischen Lebensmittel nur Vorstufen des „Schlafhormons“ Melatonin: Tryptophan und 5-HTP (5-Hydroxytryptophan), und Stiftung Warentest fand keinen Nachweis, dass deren künstliche Zufuhr die Schlafqualität verbessert. Zum anderen gibt es für Melatonin zwar mehr Evidenz – allerdings falle es in Deutschland unter die Rezeptpflicht, schrieb damals auch Stiftung Warentest.
Doch das hindert viele NEM-Hersteller offensichtlich nicht daran, entsprechende Präparate auf den Markt zu bringen: Kritisch merkte Stiftung Warentest beispielsweise damals an, dass drei Melatonin-Präparate mit Dosierungen ab 0,5 mg rezeptfrei zu erhalten waren. Eigentlich dürften alle drei NEM so gar nicht im Handel sein, hieß es damals: 2017 habe der Bundesgerichtshof nämlich die Revision gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle nicht zugelassen: NEM, die Melatonin enthalten, sind „Funktionsarzneimittel“, das Inverkehrbringen ohne Zulassung sei somit nicht erlaubt.
Ganz so klar scheint die Lage aber nicht zu sein: DAZ.online hat bei der zuständigen Aufsichtsbehörde von Cefanight®, der Regierung von Oberbayern, nachgefragt: Was hat es mit der Neueinführung des NEM aktuell auf sich? Kurz zusammengefasst: Man weiß in Oberbayern noch nicht, wie NEM mit Melatonin rechtlich einzustufen sind. Man wartet noch auf ein entsprechendes Gerichtsurteil.
Melatonin – ein Funktionsarzneimittel? Eine Einzelfallentscheidung!
Zum Verständnis hilft es, die grundsätzliche Problematik zu kennen, die sich bei NEM ergibt – sie wurde in der DAZ 45/2018 dargestellt: Für die Marktrücknahme von NEM sind nicht Bundesbehörden wie BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) zuständig, sondern die Lebensmittelüberwachungsbehörden der einzelnen Bundesländer. Damit diese eingreifen können, müssen die im Markt befindlichen Präparate von der Arzneimittelüberwachungsbehörde des Bundeslandes, in dem der jeweilige Hersteller beziehungsweise Vertreiber seinen Sitz hat, im Rahmen einer Einzelfallentscheidung als Arzneimittel eingestuft werden. Bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts können die Präparate aber weiter vertrieben werden: „Diese Situation zeigt ein erhebliches regulatorisches Defizit, das zu gut dokumentierten Gesundheitsrisiken in der Bevölkerung führt“, hieß es in der DAZ 45/2018.
Und so heißt es auch in der Antwort der Pressestelle der Regierung von Oberbayern an DAZ.online:
Die Frage, ob ein Erzeugnis als Nahrungsergänzungsmittel ohne therapeutische Auslobung oder als zulassungspflichtiges Funktionsarzneimittel einzustufen ist, bedarf jeweils einer Einzelfallprüfung, bei der alle Merkmale des Erzeugnisses berücksichtigt werden müssen.“
Als Kriterium für die Entscheidung dienten vor allem die pharmakologischen Eigenschaften: „Kann ein Erzeugnis bei bestimmungsgemäßer Anwendung die physiologischen Funktionen nicht nachweisbar und in nennenswerter Weise durch eine pharmakologische (oder immunologische oder metabolische) Wirkung wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen, kommt eine Einstufung als Funktionsarzneimittel nicht in Betracht.“
Allerdings: Die Regierung von Oberbayern hat im Rahmen eines Verfahrens zur Untersagung des Inverkehrbringens vergleichbarer Produkte die Funktionsarzneimitteleigenschaft eigentlich bereits bejaht.
Juristisches Hin und Her um pharmakologische Wirkung
Jedoch sei das Verwaltungsgericht München diesen Ausführungen in einem Urteil vom 17. Oktober 2018 unter Bezugnahme auf die im Verfahren von der Klägerseite vorgelegten Sachverständigengutachten nicht gefolgt: „Der Nachweis einer relevanten pharmakologischen, die Arzneimitteleigenschaft und damit die Zulassungspflicht begründenden Wirkung, wird hier verneint.“
Konkret ist im Urteil (VG München, Urteil v. 17.10.2018 – M 18 K 15.4632) zu lesen:
Das Gericht sieht somit den Nachweis einer hinreichenden pharmakologischen Wirkung der streitgegenständlichen Produkte für nicht gegeben an und „schließt sich insoweit der aktuellen wohl überwiegenden Rechtsprechung zu melatoninhaltigen Lebensmitteln an (vgl. LG München, Urt. vom 26.4.2016 - 33 O 5198/14; LG Berlin, Urt. vom 11.6.2018 - 101 O 31/14 - jeweils den Parteien bekannt, unveröffentlicht)“, heißt es in dem Urteil. Die entgegenstehenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. April 2017 (Az.: 7 K 3110/14) sowie des Landgerichts Stuttgart vom 17. November 2014 (Az.: 36 O 23/14) überzeugen das Gericht nicht und seien auch mit Rechtsmitteln angegriffen.
Was bedeutet das für Cefanight?
Gegen das Urteil hat die Regierung von Oberbayern Antrag auf Zulassung der Berufung zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellt, die Entscheidung steht jedoch noch aus, heißt es in der schriftlichen Antwort an DAZ.online. Die Regierung von Oberbayern werde das von der Cefak KG zum Vertrieb vorgesehene Produkt unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der bayerischen Verwaltungsgerichte einstufen und hinsichtlich der Zulässigkeit des Vertriebs überprüfen.
Durch die in das Verfahren eingeführten Gutachten wurde hinreichend belegt, dass eine Aufnahme von 1 mg Melatonin auch durch den Verzehr einer angemessenen Menge von Lebensmitteln erreicht werden kann.“
Der Streit um Pistazien
In dem Urteil des Landgerichts München, auf das die Regierung von Oberbayern in ihrer Stellungnahme gegenüber DAZ.online verweist, wird auch auf den Gutachter Prof. Dr. med. H. H. verwiesen. Dieser führte am 14. August 2015 aus, dass durch die gezielte Aufnahme von 5 g Pistazien am Tag eine Tagesdosis von 1 mg Melatonin erreichbar wäre und eine solche Aufnahme gesundheitlich unbedenklich sei: „Pistazien würden jedoch nicht zu den in Deutschland üblichen und in größeren Mengen verzehrten Lebensmitteln gehören; der tägliche Durchschnittsverzehr liege rechnerisch deutlich unter 1 Gramm pro Person. Als Ergebnis hielt der Gutachter daher fest, dass eine Melatonin-Zufuhr von 1 mg pro Tag mit einer ausgewogenen, gesundheitsförderlichen Ernährungsweise mit Lebensmitteln des in Deutschland üblichen Verzehrs nicht zu erreichen sei.“
Das Gericht zeigte sich von dieser Einschätzung aber wenig beeindruckt und betrachtete es als ausreichend, dass die Aufnahme von Melatonin durch Lebensmittel ohne Gesundheitsbedenken möglich ist.
1 mg Melatonin – eine Pfifferlingsmahlzeit?
Am 29. September 2017 äußerte sich der Gutachter Dr. W. H. in einer ergänzenden Stellungnahme. Die Aufnahme von 1 mg Melatonin durch die streitgegenständlichen Produkte gehe nicht nennenswert über eine Aufnahme bei einem Verzehr einer angemessenen Menge melatoninhaltiger Lebensmittel hinaus, hieß es dann: Beispielhaft könnten 1 mg Melatonin mit einer Pfifferlingsmahlzeit aus rund 270 g Frischpilz – was einer üblichen Verzehrmenge entspreche – aufgenommen werden; andere Lebensmittel könnten aufgrund kleinerer Gehalte für zusätzliche Zufuhrmengen sorgen.
Zweifel an der Pistazien-Argumentation
Auch das Nachrichtenportal MedWatch hat sich schon mehrfach mit der rechtlichen Situation rund um Melatonin befasst. Dort wird unter anderem auf ein Gerichtsverfahren des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verwiesen. Über eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz beim BVL erhielt MedWatch Einsicht in die Unterlagen. Und auch das BVL selbst erklärt sich auf seinem Internetauftritt dazu: „Die Einstufung melatoninhaltiger Erzeugnisse als Lebens- oder Arzneimittel ist aktuell eine sehr umstrittene Frage. Auch die Rechtsprechung hierzu ist sehr uneinheitlich.“
Das Verfahren, in dem es ebenfalls um die Einstufung eines Melatonin-NEM ging – und an dem das BVL beteiligt war –, war vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig bis zum 25. April 2018 anhängig gewesen. Das betroffene Präparat war vom BVL als Funktionsarzneimittel eingestuft worden. Die Klägerin war aber anderer Ansicht: Die im Erzeugnis enthaltene Menge von 3 mg Melatonin könne auch über herkömmliche Lebensmittel aufgenommen werden.
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Konkret wurde vom BVL daraufhin auf eine Studie zu Melatonin-Gehalten in Pistazien verwiesen – bei der das BVL aus mehreren Gründen gewichtige Zweifel hinsichtlich der Validität und Richtigkeit hatte. Zur Beweiserhebung wurde ein Gutachten zur Bewertung des Melatoningehaltes von Pistazien erstellt – durch die InphA GmbH – und am 12. Mai 2017 veröffentlicht: „Untersuchung von acht Proben Pistazien auf ihren Melatoningehalt“. Die InphA GmbH konnte laut BVL keine Melatonin-Gehalte feststellen, wobei die Nachweisgrenze 55 ng/g betrug; die zitierte Studie hätte 5000 mal höhere Werte von 230 µg/g ausgewiesen.
Da das verwaltungsgerichtliche Verfahren durch eine Klagerücknahme beendet wurde, kam es allerdings letztlich zu keiner Entscheidung in der Sache.
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