Minoxidil als Omeprazol

Babys erhalten falsches Arzneimittel und entwickeln „Werwolfsyndrom“

Stuttgart - 29.08.2019, 07:00 Uhr

Chaos bei der Abfüllung von Bulkware bei einem spanischen Pharmaunternehmen führte dazu, dass es sich beim als Omeprazol deklarierten Wirkstoff in Wirklichkeit um Minoxidil handelte. 17 Babys entwickelten nach Gabe des falschen Wirkstoffes eine ausgeprägte Hypertrichose. (s / Foto: zilvergolf / stock.adoeb.com)

Chaos bei der Abfüllung von Bulkware bei einem spanischen Pharmaunternehmen führte dazu, dass es sich beim als Omeprazol deklarierten Wirkstoff in Wirklichkeit um Minoxidil handelte. 17 Babys entwickelten nach Gabe des falschen Wirkstoffes eine ausgeprägte Hypertrichose. (s / Foto: zilvergolf / stock.adoeb.com)


„Pharmaunternehmen aus Málaga verursacht Werwolfsyndrom bei 17 Babys“. So titelte El País, die größte spanische Tageszeitung, am Mittwoch. Was nach reiner Effekthascherei und Horrorfilm klingt, wird jedoch von der spanischen Arzneimittelbehörde (AEMPS) bestätigt – als Hypertrichose. Der Schrecken der Nachricht bleibt allerdings: Denn die Babys sollten eigentlich Omeprazol gegen Reflux erhalten, aufgrund eines „internen Fehlers“ beim Wirkstofflieferanten Farma-Química Sur war jedoch der als Omeprazol deklarierte Wirkstoff in Wirklichkeit Minoxidil.

Werwölfe kennt man nur aus Horrorfilmen, früher wurden Menschen mit ausgeprägter Hypertichose und Gesichtsbehaarung allerdings wohl sogar als „Werwolf-Attraktion“ auf Jahrmärkten vorgeführt. Mittlerweile ist man schlauer und weiß, dass der starken Körperbehaarung unter anderem hormonelle Ursachen zugrunde liegen, sie als Symptom anderer Grunderkrankungen auftreten kann oder auch als Nebenwirkung von Arzneimitteln.

Babys erhalten Minoxidil statt Omeprazol

El País, die größte und international bekannteste Tageszeitung Spaniens, wählte für ihre Schlagzeile dennoch das Wort „Werwolf-Syndrom“: „Pharmaunternehmen aus Málaga verursacht Werwolf-Syndrom bei 17 Babys“. Die Babys entwickelten eine ausgeprägte Hypertrichose, nachdem sie eigentlich Omeprazol zur Behandlung ihres Refluxes bekommen sollten. Erste Hypertrichose-Meldungen bei Babys gingen beim spanischen Pharmakovigilanzsystem bereits vor Wochen ein. Die spanische Arzneimittelagentur Agencia Española de Medicamentos y Productos Sanitarios (AEMPS) wurde aktiv und fand als gemeinsame Ursache, dass alle Babys in Apotheken hergestellte omeprazolhaltige Individualrezepturen erhalten hatten – der Wirkstoff stammte jeweils von Farma-Química Sur aus Málaga. Dort hat ein „interner Fehler“ letztlich dafür gesorgt, dass die Babys das falsche Arzneimittel erhielten.

Eine von AEMPS durchgeführte Analyse ergab, dass die als Omeprazol dekarierte Bulkware von Farma-Química Sur in Wirklichkeit Minoxidil enthielt. Minoxidil wurde ursprünglich als Antihypertonikum entwickelt, seine bekannteste Nebenwirkung – Hypertrichose – wird mittlerweile als Hauptwirkung genutzt, bei Alopezie. Bereits am 11. Juli ordnete AEMPS an, dass Farma-Química Sur eine Charge der vermeintlichen Omepraol-Bulkware zurückruft. Am 6. August, nachdem weitere Fälle von Hypertrichose auftraten (13 Meldungen bis zu diesem Zeitpunkt), weitete die Behörde den Rückruf auf weitere 22 Chargen aus. Nach Information der Agencia Española de Medicamentos y Productos Sanitarios ist bei Farma-Química Sur die Genehmigung zur Herstellung, zum Import und Vertrieb von pharmazeutischen Wirkstoffen seit Juli ausgesetzt. Der Deutschen Presse-Agentur liegen Informationen vor, dass Farma-Química Sur wegen „schwerer Nichteinhaltung der Kontrollregeln“ für unbestimmte Zeit geschlossen wurde.

„Schlimmes Chaos“ bei der Chargen-Abfüllung der indischen Bulkware

Die ursprüngliche Ware stammt nach Informationen von El País aus Indien. Allerdings war die nach Spanien importierte Ware wohl in tadellosem Zustand, und der Fehler passierte erst intern bei Farma-Química Sur. Informationsquellen, auf die sich El País bezieht, erklären demnach: „Die ursprüngliche Charge des Omeprazol-Bulks  aus Indien wurde analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass Omeprazol in perfektem Zustand war. Das Problem lag in der weiteren Portionierung zu kleineren Chargen“. Wie El País weiter schreibt, herrschte dabei offenbar „ein schlimmes Chaos“.

Omeprazol nicht mit Minoxidil verunreinigt

Omeprazol sei dabei jedoch nicht mit Minoxidil vermischt worden. Anscheinend ist eher die Zuordnung von Packungsbeilage zum richtigen Wirkstoff schief gelaufen. „In der Packungsbeilage stand zwar ein Wirkstoff, das Medikament war aber ein anderes“, erklärt El País hierzu.

Keine Hypertrichose bei Tieren

Nach Angaben der spanischen Arzneimittel-Agentur lieferte Farma-Química Sur den vermeintichen Omeprazol-Wirkstoff nicht nur zur Herstellung von Humanarzneimitteln, sondern auch zur Verwendung bei Tieren aus. Hier kann die Behörde jedoch entwarnen. Bisher sind wohl keine Hypertrichosefälle bei Tieren bekannt geworden, es lägen zum jetzigen Zeitpunkt keine Verdachtsmeldungen zu unerwünschten Wirkungen bei der für Veterinärarzneimittel zuständigen Behörde vor.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Ausgangsstoffprüfung

von Dr Keil Mathias am 30.08.2019 um 16:36 Uhr

Dieser eklatante Verstoß gegen cGMP hat mit Apotheken nichts zu tun, da der Fehler eindeutig beim Phsrm.Hersteller verursacht wurde: Bulk gem. EU Anforderung in EU vollumfänglich geprüft und entsprechend, allerdings Nichteinhaltung von grundlegenden Qualitätssicherungsmassnahmen bei nachfolgender primär und Sekundärverpackung. Für Apotheken ist dieser Produktionsfehler praktisch nicht zu erkennen, da in der Offizin keine analyt. Stichprobenprüfung durchgeführt wird sondern rein optisch visuelle Bewertung auf Unversehrtheit, Variable Daten, Beschriftung und BPZ

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Ausgangsstoffprüfung

von Dr. Sabine Beck am 29.08.2019 um 8:06 Uhr

Ich kenne das spanische Apothekenwesen zu wenig, aber trotzdem stellt sich die Frage warum der falsch deklarierte Wirkstoff nicht einer Prüfung vor der Verarbeitung unterzogen wurde. Spätestens bei der Prüfung mit dem NIR wäre das völlig falsche Spektrum aufgefallen und hätte weitere Nachforschungen angestoßen!?

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