Prävention arterieller Thrombosen

Rivaroxaban bei koronarer Herzkrankheit und Schaufensterkrankheit zugelassen

Berlin - 24.08.2018, 16:40 Uhr

Gute Nachrichten für Bayer: Die EMA hat eine weitere Indikation für Xarelto genehmigt.  ( r / Foto: Imago)

Gute Nachrichten für Bayer: Die EMA hat eine weitere Indikation für Xarelto genehmigt.  ( r / Foto: Imago)


Verkaufsschlager Xarelto® erhält in Europa eine neue Indikation: Und zwar ist 2,5 Milligramm Rivaroxaban in Kombination mit ASS zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse bei koronarer Herzkrankheit oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit zugelassen. Die Indikationsvielfalt bei den Gerinnungshemmern birgt auch Verwechslungsgefahr. Apotheker sollten daher bei unklaren Antikoagulations-Verordnungen lieber einmal zu viel als einmal zu wenig Rücksprache mit dem Arzt halten.

Der Gerinnungshemmer Xarelto® erweitert sein Indikationsspektrum auf die Prävention arterieller Thrombosen. Am heutigen Freitag teilte Bayer laut Nachrichtenagentur dpa mit, dass die Europäische Arzneimittelagentur EMA den Wirkstoff Rivaroxaban in Kombination mit Acetylsalicylsäure (ASS) zur vorbeugenden Behandlung Erwachsener mit koronarer Herzkrankheit (KHK) oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK), die auch als Schaufensterkrankheit bekannt ist, zugelassen habe. Die Zulassung in den USA wird ebenfalls angestrebt.

Signifikant weniger kardiovaskuläre Ereignisse

Die positive Behördenentscheidung basiert auf der Phase-III-Studie COMPASS mit 27.395 Patienten, deren positive Ergebnisse vor einem Jahr auf dem europäischen Kardiologenkongress (ESC) in Barcelona vorgestellt wurden. 91 Prozent der Patienten litten an KHK und 27 Prozent an pAVK. Die Schnittmenge von 18 Prozent ist durch die häufige Koinzidenz der beiden Erkrankungen zu erklären. Während bei den pAVK-Patienten die Diagnose als Einschlusskriterium genügte, mussten die KHK-Patienten älter als 65 Jahre sein oder zusätzliche Risikofaktoren wie etwa Diabetes oder Herzinsuffizienz aufweisen. Patienten mit Vorhofflimmern waren ausgeschlossen, weil diese eine Vollantikoagulation benötigen würden und mit den niedrigen Rivaroxaban-Dosierungen unterversorgt gewesen wären.

In der dreiarmigen Studie wurden die Therapieschemata 2,5 Milligramm Rivaroxaban (zweimal täglich) plus 100 Milligramm ASS (einmal täglich) versus 5 Milligramm Rivaroxaban (zweimal täglich) versus ASS (einmal täglich) miteinander verglichen. Der primäre Kombinationsendpunkt bildete das Auftreten von Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod. Als einer der sekundären Endpunkte wurde in der Auswertung die Gesamtmortalität herangezogen.

Die Studie wurde im Februar des vergangenen Jahres vorzeitig abgebrochen, weil der primäre Endpunkt bereits erreicht wurde. Nach einer durchschnittlichen Beobachtungsdauer von 23 Monaten senkte die Kombination aus 2,5 Milligramm Rivaroxaban und 100 Milligramm ASS das Risiko für den kombinierten Endpunkt um 24 Prozent im Vergleich zu ASS alleine. Der Studienarm mit 5 Milligramm brachte keinen signifikanten Vorteil.

Weniger Schlaganfälle und Amputationen

Die Überlegenheit der Rivaroxaban-ASS-Kombination ist vorwiegend durch die Reduktion der Schlaganfälle getriggert, die gegenüber ASS alleine um 42 Prozent reduziert wurden. Die Risikoreduktion für das Auftreten des kardiovaskulären Todes betrug 22 Prozent. Bei der Auswertung der Herzinfarkte verlor das Gewinnerschema allerdings die Signifikanz. Die Gesamtmortalität war um 18 Prozent vermindert.

Neben der Gesamtanalyse haben sich die Investigatoren auch die Gruppe der 7.470 pAVK-Patienten angeschaut. In dieser Subgruppe kam es beim 2,5 Milligramm-Schema zu fünf und unter ASS alleine zu 17 größeren Amputationen. Dies entsprecht einer Risikoreduktion von 70 Prozent, wobei die insgesamt geringe Fallzahl zur berücksichtigen ist.

Kein Gießkannenprinzip für KHK-Patienten

Schätzungen der deutschen Herzstiftung zufolge leiden in Deutschland 6 Millionen Patienten unter KHK. Etwa jeder vierte weist noch eine weitere arterielle Gefäßerkrankung wie etwa pAVK auf. Die Dunkelziffer könnte deutlich größer sein. Ein attraktiver Markt für den Pharma- und Agrarkonzern. Ob nun jeder KHK-Patient künftig zusätzlich zum Herz-ASS eine Niedrigdosis-Xarelto-Tablette verordnet bekommen wird, ist aufgrund der Preisgestaltung und des Blutungsrisikos zu bezweifeln.  

Denn erwartungsgemäß traten in beiden Rivaroxaban-Armen signifikant mehr schwere Blutungen auf als bei ASS alleine. Hirnblutungen, tödliche Blutungen  oder kritische Organblutungen waren nicht signifikant erhöht. Bei einer dauerhaften Einnahme gilt es, gegen den Nutzen abzuwägen, bei welchen Patienten das erhöhte Blutungsrisiko in Kauf genommen werden sollte.

Ein spezifisches Patientenbild für diese neue Medikation existiert in den Leitlinien noch nicht. Bei der Auswertung der Subgruppen zeigte sich, dass der klinische Nutzen bei Rauchern sowie bei Patienten, die jünger als 65 Jahre sind und weitere Risikofaktoren hatten, am größten war.

Vielfalt führt zur Verwechslungsgefahr

Für die 2,5 Milligramm Rivaroxaban-Dosierung besteht in Europa bereits eine Zulassung und zwar in Kombination mit ASS und Clopidogrel zur Sekundärprävention beim akuten Koronarsyndrom bei erhöhten Biomarkern. Allerdings hat Bayer diese Indikation nur zurückhaltend vorangetrieben, weil der Kombinationspartner Clopidogrel in seiner Bedeutung von Ticagrelor und Prasugrel abgelöst wurde. Bekannter sind dagegen die höheren Dosierungen wie etwa 20 Milligramm, 15 Milligramm und 10 Milligramm sowie die Indikationen Vorhofflimmern, Venenthrombose, Lungenembolie und Thromboseprophylaxe nach Hüft- und Knie-Operationen.

Apotheker sollten bedenken, dass die Dosier- und Indikationsvielfalt das Risiko für Verwechslungen bei den verschreibenden Ärzten erhöht – zum einen innerhalb der einzelnen Rivaroxaban-Dosierungen als auch unter den Gerinnungshemmern. So kommt es dem Vernehmen nach immer wieder vor, dass etwa 2,5 Milligramm Apixaban durch 2,5 Milligramm Rivaroxaban auf Rezepten vertauscht werden oder umgekehrt. Zur Erinnerung: 5 Milligramm beziehungsweise 2,5 Milligramm (reduzierte Dosis) Apixaban werden zur Vorbeugung von Schlaganfällen bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern eingesetzt.

Verwechslung kann verheerende Folgen haben

Da die beiden Präparate bei unterschiedlichen Anwendungsgebieten eingesetzt werden, kann eine Verwechslung verheerende Folgen für den Patienten haben – von Ausbleiben der Wirksamkeit bis zur Blutungskomplikationen. Erhält beispielsweise ein Patient nach einem Herzinfarkt statt 2,5 Milligramm Rivaroxaban versehentlich 2.5 Milligramm Apixaban, was einer deutlich höheren antikoagulatorischen Potenz entspricht, und nimmt noch zwei Plättchenhemmer zusätzlich ein, erhöht sich sein Blutungsrisiko drastisch. Umgekehrt wäre ein Vorhofflimmern-Patient, der normalerweise 2,5 Milligramm Apixaban erhalten würde, mit 2,5 Milligramm Rivaroxaban zum Schutz vor Schlaganfällen unterversorgt.

Bei der Abgabe von 2,5 Milligramm Rivaroxaban ist künftig zu beachten, dass Xarelto hier zweimal täglich angewendet wird, im Gegensatz zu den meisten anderen Indikationen des Bayer-Präparats. Apotheker sollten zudem darauf achten, dass NSAR, wie sie ältere Patienten häufiger gegen Gelenkschmerzen auch langfristig nehmen, das Blutungsrisiko auch bei der niedrigen Rivaroxaban-Dosierung erhöhen können. 

Xarelto bleibt auf Expansionskurs

Auch wenn der Patentablauf nur noch wenige Jahre entfernt liegt, könnte Bayer demnächst noch weitere Indikationen mit Xarelto belegen: So werden auf dem diesjährigen ESC-Kongress, der ab dem kommenden Samstag bis kommenden Mittwoch in München stattfindet, Studiendaten bei dekompensierter Herzinsuffizienz sowie zur Thromboseprohylaxe bei internistisch kranken Patienten vorgestellt.

Für Bayer ist Xarelto ist ein wichtiger Umsatztreiber. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa steigerte das Antikoagulanz im vergangenen Jahr seinen Umsatz um 12,6 Prozent auf 3,3 Milliarden Euro. Das entspricht fast einem Fünftel des Umsatzes der Pharmasparte und mehr als 9 Prozent des Konzernumsatzes.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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