- DAZ.online
- News
- Wirtschaft
- Wie Amazon den ...
Mögliche Einstiegskonzepte
Wie Amazon den Apothekenmarkt umkrempeln könnte
Der Onlinehändler und IT-Gigant Amazon baut sein Universum kontinuierlich aus. Auch in Richtung Arzneimittelversand hat der Konzern seine Fühler ausgestreckt. In den USA gibt es nun sehr konkrete Gerüchte, nach denen Amazon direkt mit den Versicherungskonzernen über die Arzneimittelbelieferung verhandeln will. Wie genau könnten die Strategien von Amazon im Apothekenmarkt aussehen?
Die Anzeichen, dass der Internetkonzern Amazon künftig auch im Gesundheitsmarkt und Arzneimittelversand eine wichtige Rolle spielen wird, mehren sich. Nachdem bereits 2016 Meldungen aufkamen, das Unternehmen bereite einen Einstieg in die umsatzträchtige Branche vor, berichteten zuletzt mehrere US-Medien, dass Amazon eine Reihe von Fachleuten aus dem Gesundheitssektor eingestellt habe. Zudem habe der Konzern ein Projekt namens 1492 ins Leben gerufen, das Anwendungen in der Telemedizin entwickeln soll. Zuvor hatte Unternehmenschef Jeff Bezos selbst erklärt, dass Amazons digitale Assistenten Echo und Alexa in der Kommunikation mit Ärzten und Patienten eingesetzt werden könnten.
Neben solchen technischen Anwendungen könnte den Konzern insbesondere das Geschäft mit dem Arzneimittelversand locken. Erste Schritte in diese Richtung hat der Onlineriese, der seinen Jahresumsatz zuletzt um 27 Prozent auf 137 Milliarden Dollar – davon 14,1 Milliarden in Deutschland - gesteigert hat, bereits in Europa unternommen: Seit einigen Monaten testet Amazon unter dem Titel „Prime Now“ in München unter anderem die schnelle Lieferung von Drogerieartikeln und rezeptfreien Arzneimitteln.
CNBC-Redakteurin: Arzneimittel per Drohne wären mein Traum
Doch einer Recherche des US-Fernsehsenders CNBC könnte der erste, große Coup von Amazon nun schon bald in den USA bevorstehen: Dort befinde sich Amazon derzeit in den „finalen Überlegungen“ zu einem Einstieg ins das „560-Milliarden-Dollar-Geschäft“ des Apothekenmarktes. Dem Bericht zufolge hat Amazon im vergangenen Jahr eine Experten-Mannschaft zusammengestellt, um den Einstieg ins Apothekengeschäft zu untersuchen. Der neue „Healthcare-Manager“ sei nur per Titel für Gesundheit zuständig, eigentlich gehe es nur um Arzneimittel, berichtet CNBC.
Für die CNBC-Journalistin Christina Farr gibt es nun zwei Alternativen für Amazon: Im ersten Fall agiert der Versender selbst als Unterhändler und verhandelt für Millionen US-Versicherte direkt mit den großen Krankenversicherungen eigene Belieferungsmodalitäten aus. Dieser Schritt wäre sicherlich eine große Herausforderung, weil es in den USA seit Jahrzehnten sogenannte „Pharmacy Benefit Manager“ gibt, die genau auf dieses Geschäft spezialisiert sind. Die PBM-Konzerne gehören meistens den Apothekenketten-Konzernen und handeln für die eigenen Ketten die Konditionen aus.
„Sollte es dazu kommen, könnten Sie als Prime-Kunde ihre Medikamente innerhalb von Stunden erhalten. Und irgendwann gibt es die Arzneimittel per Drohne, was mein persönlicher Traum wäre“, kommentiert Farr. Die zweite Amazon-Alternative für den Markteinstieg ist offenbar, einen PBM-Konzern schlichtweg zu übernehmen und somit die Expertise einfach einzukaufen. Farrs Bericht hat in den USA am vergangenen Freitag für sinkende Aktienkurse bei den großen Apothekenkonzernen Walgreens Boots Alliance, Express Scripts und CVS/Caremark gesorgt.
Mögliches Szenario: Einstieg in den Pharmavertrieb
Schon vor ein paar Wochen hat die US-Bank Goldman Sachs in einer Untersuchung analysiert, wie ein nachhaltiger Eintritt von Amazon in den Gesundheitsmarkt und insbesondere in den Arzneimittelversand im Detail aussehen könnte. Dabei haben die Analysten fünf verschiedene Szenarien aufgezeichnet. Die Annahmen sind zwar überwiegend aus der US-Perspektive beschrieben, könnten in ähnlicher Form aber auch auf den europäischen Markt angewendet werden.
Einen besonderen Fokus richteten die Autoren auf den Pharmavertrieb. Insbesondere der Markt der verschreibungspflichtigen Arzneimittel würde für Amazon ein lukratives Geschäftspotenzial darstellen. Zudem sei diese Branche wie geschaffen für den Handelsriesen: Bestellungen von Arzneimitteln aufnehmen, diese verarbeiten und den Versand nachverfolgen sei ein Geschäft, das Amazon im Kern beherrsche. Andererseits gebe es aber auch einige Besonderheiten, nämlich eine hohe Konzentration von Anbietern oder die Notwendigkeit zur Größe, um erfolgreich zu sein. Hinzu komme, dass es sich um eine stark regulierte Branche handele.
Um bei einem Eintritt in den Arzneimittelversand nicht ins Schlingern zu geraten, halten es die Analysten für am wahrscheinlichsten, dass sich Amazon mit einem erfahrenen Partner zusammentun könnte – ein Vorgehen, das der Konzern bereits bei früheren Gelegenheiten angewendet habe. Auf diese Weise könne Amazon lernen, wie die Branche funktioniert, ehe das Unternehmen auf eigene Faust aktiv wird. In diesem konkreten Fall, so die Goldman Sachs-Analysten, könnte Amazon beispielsweise ein Online-Portal für Patienten zur Verfügung stellen, über das diese verschreibungspflichtige Arzneimittel bestellen. Der Partner übernehme dann die Auslieferung.
Aufbau einer Online-Apotheke
In einem weiteren Szenario haben die Bankanalysten den Aufbau einer eigenen Online-Apotheke durch Amazon unter die Lupe genommen. Der US-Umsatz im Bereich der stationären und Versandapotheken biete mit jährlich 72 Milliarden Dollar das höchste Umsatzvolumen im Bereich des Arzneimittelvertriebs und habe vergleichsweise geringe Markteintrittsbarrieren. Andererseits sei der Marktanteil von Rx-Arzneien, die bestellt und dann direkt zum Kunden nach Hause geliefert werden, nach Angaben von Goldman Sachs in den USA von 17 Prozent im Jahr 2010 auf 12 Prozent in 2016 gesunken. Dies liege unter anderem daran, dass keiner der existierenden Arzneimittel-Versender in den USA das Geschäft optimiert und exakt auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten habe. Hinzu komme, dass es für Patienten oft nicht teurer sei, ihre Arzneimittel bei einer stationären Apotheke abzuholen.
Amazon könnte laut Goldman Sachs in diesem Umfeld gleich mehrere Vorteile ausspielen: So könnte der Konzern die besten Anwendungen seiner Webseite auf den Online-Verkauf von Arzneimitteln übertragen und dabei die bislang durchschnittliche Lieferzeit in den USA von 3,5 Tagen auf 2,5 Tage verkürzen. Ein einfacher Bestellprozess und die genaue Nennung des Lieferzeitpunktes beim Kunden wären weitere Vorzüge. Auch nach einem Bericht des Brancheninformationsdienstes HealthcareITNews sei es nicht unwahrscheinlich, dass Amazon bei Arzneimitteln die gleiche Marketing-Vorgehensweise wiederhole, die der Konzern mit Büchern und anderen Artikeln bereits erfolgreich praktiziert habe.
Schnappt sich Amazon einen PBM-Konzern?
Dennoch beherbergt auch das Arzneimittel-Versandgeschäft Herausforderungen, die Amazon meistern müsste. So ist laut Goldman Sachs eine erhebliche Einkaufsmacht nötig. Außerdem sei ein guter Zugang zu Entscheidern und Kunden wichtig – ein Geschäft, das in den USA stark in den Händen der erwähnten Pharmacy Benefit Manager liegt. Aus Sicht der Bankanalysten wäre es deshalb am wahrscheinlichsten, dass sich Amazon – sollte der Konzern in dieses Geschäft einsteigen wollen – mit einem dieser PBM zusammentun könnte. Nebeneffekt: Amazon würde Zugang zu Patientendaten erhalten und hätte außerdem die Möglichkeit, Produkte, die mit der Gesundheitsbranche verwandt sind, dieser Klientel anbieten zu können.
Wer käme als Partner in Frage?
Allerdings räumen die Autoren der Studie auch ein, dass die Suche nach einem derartigen PBM-Partner nicht einfach sein dürfte. In den USA gebe es fünf PBMs mit einer ausreichenden Größe, nämlich Express Scripts, CVS, OptumRx, Humana und Prime. Zusammen deckten sie mehr als 90 Prozent des Marktes ab. Diese Unternehmen würden ihre Versandapotheken als zentrale Profitbringer betrachten und könnten daher wenig Lust verspüren, Teilfunktionen an Amazon zu vergeben.
Interessanterweise hat Tim Wentworth, Vorstandschef von Express Scripts, kürzlich in einem Analystengespräch gesagt: „Wenn Amazon nach einem effizienten Anbieter im Arzneimittelvertrieb suchen würde, würden wir diese Gelegenheit begrüßen. Wir glauben, dass Amazon ein toller Partner für uns wäre.“
Neben diesen Varianten hat Goldman Sachs auch den Aufbau einer eigenen Kombination aus Pharmacy Benefit Manager und Onlinehandel sowie die Entwicklung eines direkten Belieferungsdienstes von Apotheken (nicht Versand) unter die Lupe genommen. Die Analysten halten diese Szenarien aber für wenig wahrscheinlich, weil sie entweder zu weit weg von Amazons Kernkompetenzen liegen, einen zu hohen Kapitaleinsatz erfordern, die Markteintrittshürden sehr hoch sind oder die Margen zu gering seien.
Hürde: Amazons junge Kunden
Auch die wahrscheinlichste Variante, nämlich ein Einstieg Amazons in den Vertrieb mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, wäre kein Selbstläufer. Ein Hindernis könnte beispielsweise die sogenannte Alterslücke sein. Während die Kunden von Amazon meist der jüngeren und damit auch gesünderen Generation von durchschnittlich 37 Jahren angehören, sind die Kunden von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit durchschnittlich 54 Jahren deutlich älteren Datums.
Goldman Sachs selbst weist darauf, dass sich nach Veröffentlichung des Reports zahlreiche andere Analysten und Branchenkenner zu Wort gemeldet und sich eher zurückhaltend zu den möglichen Plänen Amazons geäußert hätten. Angesichts der Barrieren, die bei einem Markteintritt in den Arzneimittelvertrieb zu überwinden wären, fragten sich manche, ob dieser Schritt bei Amazon weit oben auf der Prioritätenliste steht. Stattdessen könnte sich der Konzern erstmal weniger stark regulierten Branchen zuwenden, ehe er mit einem energischen Schritt in das Geschäft mit Arzneimitteln einsteigt.
Bei allem Abwägen dürfte jedoch eines klar sein: Es ist weniger eine Frage, ob Amazon den Schritt auf den Arzneimittelmarkt tun wird, sondern wann.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.