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Interview Klaus Gritschneder (Europa Apotheek Venlo)
„Wenn das Verbot kommt, ist für uns Schicht im Schacht“
Die Europa Apotheek Venlo bietet seit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung Rabatte von bis zu 30 Euro pro Rezept. DAZ.online wollte vom EAV-Mitgründer Klaus Gritschneder wissen, was die europäischen Versender vorhaben, wenn das Rx-Versandverbot kommt. Gritschneder ist auch Verbandsvertreter der EU-Versandapotheken und meint: Warum sollten Ärzte auf dem Land nicht dispensieren dürfen?
Klaus Gritschneder ist ein alter Hase der Versandapotheken-Branche. Der studierte Kommunikationswissenschaftler gründete im Jahr 2001 die Europa Apotheek Venlo, die heute nach DocMorris die Nummer zwei im Markt der EU-Versandapotheken ist. 2012 stieg Gritschneder aus dem operativen Geschäft bei der EAV aus, ist aber weiterhin als externer Berater und Gesellschafter für das Unternehmen tätig. Gritschneder vertritt die EU-Versandapotheke beispielsweise bei politischen Veranstaltungen in Berlin. Außerdem ist der gebürtige Bayer Vizepräsident des Verbandes der europäischen Versandapotheken (EAMSP), der gegenüber der Politik die Interessen von DocMorris und Co. vertritt.
DAZ.online: Sehr geehrter Herr Gritschneder, die europäischen Versandapotheken scheinen die Politik beeindruckt zu haben. Laut Georg Nüßlein (CSU) sind Ihre Argumente „nicht vom Tisch zu wischen“. Was haben Sie den Politikern erzählt?
Gritschneder: Dass das Rx-Versandverbot gleich gegen mehrere Gesetze verstoßen würde. Einerseits verstößt es gegen die Lissaboner Verträge, die den freien Warenverkehr innerhalb der EU ermöglichen. Andererseits würde das Verbot auch hierzulande verfassungswidrig sein, es würde nämlich gegen die verfassungsrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit verstoßen. Interessant ist, dass der Bundesregierung aus den Jahren 2008 und 2012 Gutachten vorliegen, in denen nachgewiesen wird, dass das Rx-Versandverbot verfassungsrechtlich bedenklich ist und wegen denen die Bundesregierung ein solches Verbot in diesen Jahren noch ausgeschlossen hatte.
DAZ.online: Niemand will Ihnen Ihren Beruf verbieten. Sie könnten nach wie vor OTC-Arzneimittel versenden…
Gritschneder: Auch die Europa Apotheek Venlo hat einen Rx-Anteil von etwa 80 Prozent. Wenn das Verbot kommt, ist für uns Schicht im Schacht. Es geht um unsere Existenz als Unternehmen.
DAZ.online: Sie haben sich ein Unternehmen mit etwa 400 Mitarbeitern aufgebaut. Dieses Verbot gehört zum Spektrum des Möglichen. Da müssen Sie doch einen Plan B erarbeitet haben.
Gritschneder: Natürlich sind wir auf alle Szenarien vorbereitet. Wir werden zunächst alle rechtlichen Mittel ausschöpfen. Während dieser juristischen Phase müssen wir uns aber fragen, ob wir das kaufmännisch überleben können, beziehungsweise wie lange wir ohne das Rx-Geschäft kaufmännisch überleben können.
Wirken sich Rx-Boni auf die Apothekenstruktur aus?
DAZ.online: Viele namhafte Politiker sind sich einig, dass der Rx-Versandhandel samt Boni-Gewährung die Apothekenstruktur gefährden könnte. Das sehen Sie vermutlich nicht so?
Gritschneder: Absolut nicht. Zwischen 2004 und 2012 haben wir bereits Rx-Boni gewährt. Und genau in der Mitte dieses Zeitraums, also im Jahr 2008, war die Apothekenzahl auf einem Höhepunkt angekommen, bei 21.602 Apotheken. Seit ein paar Jahren sinkt die Apothekenzahl, das hat aber nichts mit dem Versandhandel zu tun. Es gibt sogar eine Umfrage des Institutes für Handelsforschung, an der ausschließlich Apotheker teilgenommen haben. Der Umfrage zufolge fühlen sich Apotheker aus kaufmännischer Sicht am meisten durch ein zu geringes Apothekenhonorar und zu viel Bürokratie belastet. Nur 14 Prozent sehen den Versandhandel als Ursache. Außerdem haben wir ein strukturelles Problem: Macht in Deutschland eine Arztpraxis zu, ist auch die Apotheke in Gefahr. Ein Versandhandelsverbot würde den Rückgang der Apothekenzahlen also überhaupt nicht beeinflussen.
DAZ.online: Sind Sie denn der Meinung, dass der Versandhandel die Apotheken vor Ort einfach ersetzen könnte?
Gritschneder: Nein, das haben wir auch nie gesagt. Wir können die Apotheken nicht ersetzen, aber beispielsweise gerade für Chroniker eine echte Alternative sein. In der Akutversorgung kann der Versandhandel alleine nicht ausreichen. Deswegen muss man die Strukturprobleme auch anders lösen.
DAZ.online: Wie denn?
Gritschneder: Warum denken wir beispielsweise nicht darüber nach, dass Hausärzte in gewissen schwierigen Versorgungsituationen Akutarzneimittel dispensieren können? In Regionen, in denen es keine Apotheke mehr gibt, wäre das eine Alternative… Außerdem könnte man Klinikapotheken befähigen, ambulante Leistungen zu erbringen.
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DAZ.online: Viele Menschen wollen aber auf ihre Apotheke vor Ort nicht verzichten. Warum ist es dann falsch, alles zu unternehmen, um die Apotheken zu schützen?
Gritschneder: Apotheker sind auch Kaufmänner. Wenn sie nicht genug verdienen, können manche halt nicht weiter machen. Natürlich sollte aber versucht werden, insbesondere Apotheken auf dem Land vor dem Untergang zu bewahren. Der Bundesverband Deutscher Versandapotheken hat ja dazu einen Vorschlag unterbreitet, nämlich die Nacht- und Notdienstpauschale zu verdoppeln. Wir zahlen auch heute schon in den Fonds ein.
„Die Apotheker müssen versuchen, an uns heranzukommen“
DAZ.online: In seinem Referentenentwurf schreibt das Bundesgesundheitsministerium, dass die Beratung in der Apotheke vor Ort durch die Beratung beim Versandhandel nicht zu ersetzen sei. OTC-Testkäufe zeigen, dass Versandapotheken auch zu große Mengen OTC verschicken, ohne die Patienten darauf hinzuweisen. Kommt der Verkauf bei Ihnen vor der Beratung?
Gritschneder: Ich würde sagen, dass die Apotheker erst einmal versuchen sollten, an unsere Beratungsqualität heranzukommen. Unsere Computer melden uns automatisch, wenn bei den Bestellungen Probleme mit Neben- oder Wechselwirkungen aufkommen, wir bieten einen 24-Stunden-Service mit einem Notdienstapotheker an, der immer erreichbar ist. Und wir bieten diverse, spezialisierte, kostenlose Beratungsprogramme zu gewissen Indikationen an.
„Wir haben diesen Prozess nicht in Gang gesetzt“
DAZ.online: In einem Interview hat der Minister außerdem gesagt, dass er niemals zu einem Rx-Versandverbot gekommen wäre, wenn die Versandapotheken mit dem EuGH-Verfahren und den Rx-Boni nicht den „Kompromiss“ aufgekündigt hätten.
Gritschneder: Das Gegenteil ist der Fall. Wir, also die EAV, haben nach 2012, also nachdem Rx-Boni verboten wurden, keine Rabatte mehr angeboten. Wir haben auch den ganzen Prozess nicht in Gang gesetzt, sondern die Gegenseite, also die Wettbewerbszentrale.
DAZ.online: Und trotzdem nutzen Sie und Ihre Kollegen von den deutschen Versandapotheken nun die Gelegenheit, die komplette Aufhebung der Rx-Preisbindung zu fordern.
Gritschneder: Der EuGH hat ja nun festgestellt, dass es keine Verbindung zwischen der flächendeckenden Versorgung und den festen Preisen gibt. Aber richtig ist: Wir würden vorschlagen, dass alle Boni gewähren dürfen. Ob man die Boni nun deckelt oder nicht, müsste man im Detail aushandeln. Landapotheken müssten in diesem Fall ja keine Boni gewähren. Wir sind gesprächs- und kompromissbereit, die ABDA derzeit nicht.
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DAZ.online: Apotheker werfen Ihnen ohnehin schon vor, finanziell vom grenzüberschreitenden Handel und ihrem Standort zu profitieren. Wenn das stimmt, fällt es Ihnen natürlich leichter, Boni zu gewähren.
Gritschneder: Wir haben die gleichen Einkaufsbedingungen wie Apotheker in Deutschland. Wir kaufen bei den gleichen Großhändlern und Herstellern ein. Bei Großhändlern sind die Rabatte gesetzlich begrenzt, bei Herstellern haben wir natürlich mehr Spielraum. Aber auch die Apotheker bündeln sich in Einkaufsgemeinschaften. Wir zahlen auch unsere Mehrwertsteuer ganz normal in Deutschland, ab einem Jahresumsatz von 100.000 Euro müssen wir das auch. Unsere Boni finanzieren wir also aus unserer Marge. Und dass wir uns in den Niederlanden niedergelassen haben, hat historische Gründe. Schließlich war und ist es nicht möglich, dass Kapitalgesellschaften in Deutschland Apotheken eröffnen.
17 Kommentare
"Apotheke"
von Marius am 07.02.2017 um 13:11 Uhr
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Falsche Fragen
von Andreas B am 03.02.2017 um 17:34 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten
AW: Falsche Fragen
von Christian Becker am 03.02.2017 um 21:38 Uhr
AW: Falsche Fragen oder kann hier jemand nicht rechnen?
von Christian Timme am 04.02.2017 um 13:44 Uhr
AW: Zu falschen Fragen und Ferndiagnosen von Telefonen ...
von Christian Timme am 04.02.2017 um 19:19 Uhr
Unvorhergesehene Konsequenzen der "Kreativen Zerstörung"
von Andreas P. Schenkel am 03.02.2017 um 15:22 Uhr
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Rx-Versandhandel
von Gunther Erben am 03.02.2017 um 13:56 Uhr
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Ablenkung
von Reinhard Rodiger am 03.02.2017 um 12:52 Uhr
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Schicht im Schacht
von Frank ebert am 03.02.2017 um 11:25 Uhr
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Tipp
von Anita Peter am 03.02.2017 um 10:58 Uhr
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Sachlich falsch
von Carsten Moser am 03.02.2017 um 10:50 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Sachlich falsch
von Benjamin Müller am 03.02.2017 um 12:13 Uhr
Ich bin doch nicht blöd ...
von Christian Timme am 03.02.2017 um 10:39 Uhr
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