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Die EMA hat dem dritten PUMA-Arzneimittel die Zulassung erteilt. Sialanar mit dem Wirkstoff Glycopyrroniumbromid steht als spezielles Kinderarzneimittel fortan pädiatrischen Patienten ab drei Jahren bei Sialorrhö zur Verfügung. Es hemmt übermäßigen Speichelfluss aufgrund neurologischer Grunderkrankungen.
Es ist erst das dritte Arzneimittel das im Zuge des PUMA-Verfahrens (Paediatric Use Marketing Authorisation) EU-weiten Marktzugang für eine ganz spezielle Patientengruppe – Kinder – erhält: Sialanar® darf künftig bei pädiatrischen Patienten ab drei Jahren zur Therapie der Sialorrhö eingesetzt werden. Das spezielle Kinderarzneimittel wirkt gegen übermäßigen Speichelfluss aufgrund neurologischer Erkrankungen wie Epilepsie, Zerebralparese oder neurodegenerativer Erkrankungen. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat am 19. September 2016 dem nun dritten PUMA-Arzneimittel die Zulassung erteilt.
Neue und alte Arzneimittel für Kinder
Die Zulassung von Kinderarzneimitteln ist nach wie vor eine Besonderheit: Auch heute noch erhalten Kinder oft Arzneimittel, die für ihre Altersgruppe nicht zugelassen sind. So gibt es laut Aussagen des BPI für 50 Prozent der in deutschen Krankenhäusern an Kinder verabreichten Arzneimittel keine Daten zur Sicherheit und Verträglichkeit bei dieser Patientengruppe. Diese Arzneimittel sind zwar zugelassen, Qualität, Sicherheit und Unbedenklichkeit nachgewiesen – jedoch nicht bei pädiatrischen Altersgruppen. Was bedeutet, dass Kinder in diesen Fällen im sogenannten „Off-label-Use“ behandelt werden.
Um diesem Problem zu begegnen, hatte die EU-Kommission 2007 eine Verordnung über Kinderarzneimittel (EG 1901/2006) erlassen, die speziell die Arzneimittelversorgung bei Kindern verbessern sollte. Seit 2008 muss der pharmazeutische Unternehmer mit seinem Zulassungsantrag ein pädiatrisches Prüfkonzept (Paediatric Investigation Plan, PIP) einreichen. Dieses beinhaltet ein Entwicklungsprogramm, das auch eine zukünftige Anwendung des neuen Arzneimittels bei Kindern vorsieht. Der PIP wird von einem speziell für Kinderarzneimittel zuständigen Ausschuss der EMA – dem Paediatric Committee (PDCO) – geprüft. Auch Zulassungserweiterungen von bereits im Markt befindlichen Arzneimitteln erforden seit 2008 ein zusätzliches pädiatrisches Prüfkonzept.
Arzneimittel, die bereits für Erwachsene zugelassen sind, können im PUMA-Verfahren für eine zusätzliche Anwendung bei Kindern erweitert werden. Auch in diesem Fall prüft das Paediatric Committee den erforderlichen Paediatric Investigation Plan.
Pflichten und Vorteile bei PUMA
Der pharmazeutische Unternehmer muss für jede Altersgruppe Studien zur Wirksamkeit, Sicherheit, Dosierung und der altersgerechten Darreichungsform bei dieser pädiatrischen Patientengruppe vorlegen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unterscheidet hier Frühgeborene, Neugeborene (0-27 Tage), Säuglinge und Kleinkinder (28 Tage-23 Monate), Kinder (2-5 Jahre), Schulkinder (6-11 Jahre) und Jugendliche (12-18 Jahre).
Auch für PUMA-Arzneimittel fordert der Gesetzgeber eine frühe Nutzenbewertung.
Eine Verlängerung der Marktexklusivität – Patentschutz – soll dem pharmazeutischen Unternehmer Anreiz und Ausgleich für den finanziellen Mehraufwand für die pädiatrische Zulassung sein. Für neue Wirkstoffe verlängert sich das Patent um sechs Monate. PUMA-Arzneimittel bringen einen zehnjährigen Unterlagenschutz für die pädiatrische Darreichungsform mit sich.
PUMA eins und zwei: Midazolam und Propranolol
Bereits 2011 erhielt das Benzodiazepin Midazolam (Buccolam®) im Zuge des PUMA-Verfahrens Marktzugang für pädiatrische Anwendungsgebiete. Als oromukosale Lösung dient Midazolam der akuten Krampfkontrolle bei epileptischen Kindern im Alter von drei Monaten bis 18 Jahren.
2014 ist zur Therapie des infantilen Hämangioms als zweites PUMA-Arzneimittel Hemangiol® von der EMA zugelassen worden. Hemangiol® enthält als wirksamen Arzneistoff den Betablocker Propranolol und darf Kindern ab der fünften Lebenswoche verabreicht werden.
Wie wirkt Sialanar?
Sialanar® enthält den anticholinergen Arzneistoff Glycopyrroniumbromid. Das Arzneimittel wird zur Behandlung der Siallorhö eingesetzt, einer übermäßigen Speichelproduktion, die aufgrund einer Erkrankung des Nervensystems bestehen kann, zum Beispiel Epilepsie, Zerebralparese oder neurodegenerative Erkrankungen. Kinder erhalten die Lösung dreimal täglich etwa zwei Stunden nach der Mahlzeit. Die Anfangsdosierung ermittelt ein Pädiater in Abhängigkeit des Körpergewichts des Patienten. Eine Dosisadaption erfolgt je nach individueller Verträglichkeit des Arzneimittels.
Als Parasympatholytikum hemmt Glycopyrroniumbromid die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin an m-Cholinorezeptoren. Es reduziert auf diese Weise den Sekretfluss der Speicheldrüsen, deren Signaltransduktion über M3-Rezeptoren erfolgt. Als quaternäre Ammoniumverbindung penetriert Glycopyrroniumbromid nur schwer durch die Blutliquorschranke und ins Zentralnervensystem.
Häufige unerwünschte Wirkungen einer Therapie mit Glycopyrroniumbromid sind typisch anticholinerg: Harnverhalt, Obstipation, Mundtrockenheit, verringerte Bronchialsekretion, Hitzegefühl.
Studien zu Sialanar in der Pädiatrie
Die Schwere einer Siallorhö kann mithilfe einer Standard-Bewerungsskala eingestuft werden, wobei 1 keine Siallorhö und 9 ausgeprägte Siallorhö beschreibt.
In einer Studie mit 38 Kindern und Jugendlichen reduzierte sich bei 74 Prozent der Patienten innerhalb achtwöchiger Therapie mit Glycopyrroniumbromid der Speichelfluss um mindestens drei Punkte auf der Skala. In der Placebogruppe zeigten 18 Prozent diese Verbesserung.
Eine zweite placebokontrollierte Studie mit 27 Kindern und Jugendlichen zeigte ebenfalls positive Ergebnisse, wobei die Patienten je acht Wochen Sialanar® und anschließend Placebo oder umgekehrt erhielten. Glycopyrroniumtherapierte Patienten hatten einen Endwert von 1,9 auf der Siallorhö-Skala, die Placebogruppe 6,3.
Insgesamt kam der Ausschus für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA im Juli 2016 zu einer positiven Nutzen-Risiko-Bewertung des Arzneimittels und empfahl die EU-weite Zulassung von Sialanar®.
Warum können Kinder nicht einfach Erwachsenen-Arzneimittel bekommen?
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Die Dosierung für Kinder kann somit nicht einfach aus der Erwachsenendosis proportional zum Körpergewicht des Kindes berechnet werden.
So sind die Nieren bei Kindern erst ab dem zweiten Lebensjahr voll funktionsfähig. Auch die Metabolisierungsfähigkeiten der Leber unterscheiden sich von denen eines erwachsenen Patienten: Zwar sind Oxidationsreaktionen in der Leber bereits ein bis zwei Wochen nach der Geburt möglich, die Fähigkeit zu Konjugationsreaktionen beginnt allerdings erst ab dem dritten Lebensmonat des Säuglings. Im Alter von einem Jahr bis acht Jahren ist die Leistung der Leber verglichen mit erwachsenen Patienten hingegen sogar erhöht.
Auch unterscheiden sich Resorptionseigenschaften und Passagezeiten von Arzneimitteln im Gastrointestinaltrakt bei Kindern und Erwachsenen, sodass hier unter Umständen mit längeren Verweildauern des Arzneimittels gerechnet werden muss.
Die Blut-Hirn-Schranke ist bei Säuglingen nicht so dicht, wie bei Erwachsenen. Arzneimittel können hier ungehinderter penetrieren und zentrale Wirkungen auslösen.
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