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Kommentar zu den Zyto-Verträgen
Die Ausschreiberitis breitet sich aus
Im Kassenlager greift die chronische Ausschreiberitis um sich. Immer mehr Kassen kommen auf die Idee, die Versorgung durch Rabattverträge auf den Kopf zu stellen, zum Beispiel im Bereich der Zytostatikaversorgung. DAZ.online-Redakteurin Julia Borsch fragt sich, wo das hinführen soll – und malt ein Bild einer komplett ausgeschriebenen Versorgungslandschaft.
Eine Reihe von AOKen hat ihre Zuschläge für die Zytostatikaversorgung gerade erteilt. Die DAK und der Kassen-Dienstleister GWQ haben zwar mit Startproblemen gekämpft. Doch mittlweile ist die letzte Frist zur Angebotsabgabe ohne weitere Verlängerung abgelaufen, die Kassen können nun also die für die erste bundesweite Zyto-Ausschreibung eingegangenen Angebote auswerten. Auch SpektrumK hat für mehrere Krankenkassen schon Zyto-Verträge in der Pipeline – allerdings setzt man hier statt auf Exklusivverträge auf ein Open-House-Modell. Man muss nicht besonders kreativ sein, um sich die weitere Entwicklung auszumalen: Irgendwann folgen vielleicht die TK und die Barmer und noch mehr AOKen und so weiter. Die Kassen kriegen nicht genug – für sie bedeuten die Einsparungen aus den Zyto-Rabattverträgen noch eine letzte echte Goldgrube, zu der sie einen höchstrichterlich bestätigten Zugang haben.
Ein Apotheker produziert – für hunderte Versicherte einer Kasse?
Besorgniserregend sind die Szenarien, die sich ergeben, wenn man davon ausgeht, dass immer mehr Krankenkassen die Zyto-Versorgung exklusiv beauftragen: Im Moment sind Zyto-herstellende Apotheken und onkologische Praxen in der Regel gut aufeinander eingespielt. Man kennt die Abläufe, Gegebenheiten und Wünsche derer, mit denen man zusammenarbeitet, und kann darauf eingehen. Das Resultat: die bestmögliche individuelle Versorgung für die Patienten. Das System funktioniert – noch. Ob das so bleibt, wenn flächendeckend ausgeschrieben wird?
Wohl eher fraglich. Denn in Zukunft würde ja dann eine Apotheke nicht mehr für die Patienten mehrerer Praxen herstellen, sondern für viele, hunderte Versicherte einer Kasse, die in ebenso vielen Praxen behandelt werden. Für kleinere Betriebe ist das ein logistischer Mega-Aufwand und für viele von ihnen wohl kaum zu leisten.
Auch würde dann eine onkologische Praxis in Zukunft ihre Zytostatika-Zubereitungen von mehreren Apotheken erhalten – im Extremfall für jede Kasse von einer anderen. Während heute vielerorts alle offenen Fragen und Unklarheiten noch mit einem Ansprechpartner – der versorgenden Apotheke – geklärt werden können, sind es in Zukunft vielleicht drei oder fünf oder zehn. Auch das ist für viele Arztpraxen ein organisatorischer Mehraufwand, unter dem als allererstes wahrscheinlich die Qualität der Versorgung leidet.
Onkologen berichten von Zyto-Chaos
Auch die Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern, die ja alle Beteiligten seit Jahrzehnten verbessern wollen, würde unter flächendeckenden Ausschreibungen leiden. Denn es ist bestimmt eine erfreuliche Konversation mit dem Praxispersonal, wenn man der zehnte ist, der anruft, weil es bei der Anforderung ein Problem gibt oder irgendwas nicht ganz klar ist. Dinge, die die bei der Zytozubereitung durchaus mal geben soll. Und dann stehen zeitgleich noch zehn Fahrer in der Praxis auf der Matte – von jeder beliefernden Apotheke einer. Die bringen jeweils drei Infusionsbeutel vorbei. Klingt nach vorprogrammiertem Chaos.
Mit viel Glück können Zubereitungen dann noch innerhalb der Aufbrauchfrist verabreicht werden. Wenn der Weg zu weit war, muss es auch mal was Abgelaufenes tun. Letzteres Szenario ist im Falle von so mancher Klinikambulanz an Absurdität kaum zu übertreffen. Man hätte die Zytos nämlich im eigenen Haus in der Klinikapotheke herstellen können. Die konnte aber die Ausschreibungsbedingungen nicht erfüllen.
Wie es läuft, wenn es nicht mehr läuft, davon konnte man Anfang August in einigen Bundesländern einen Vorgeschmack bekommen. Onkologen hatten von einem regelrechten Chaos nach dem Start der von den AOKen ausgeschriebenen Versorgung berichtet. Fehlende Zubereitungen, nicht lieferbare Begleitmedikationen, Infusionsbestecke, die nicht befüllt waren, Spritzen ohne Beschriftung, falsche Packungsgrößen sowie unvollständige oder verspätete Lieferungen wurden beklagt.
Hat das BMG ein Einsehen?
Die Leidtragenden sind am Ende die Patienten. Sie müssen warten oder nochmal einbestellt werden. Menschen, die in einer sehr schwierigen Lebensphase stecken, sollte man solchen unnötigen Ärger ersparen. Aber egal, hauptsache die Kasse hat gespart! Der Preis spielt scheinbar keine Rolle. Oder vielleicht doch? Das BMG hat auf die massive, auch öffentliche Kritik reagiert und will die Ausschreibungspraxis zumindest überprüfen.
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